Nr. 52/2002
Wahrheits- und Berichtigungspflicht

(Komitee Eldar S. c. NZZ) Stellungnahme des Presserates vom 22. November 2002

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I. Sachverhalt

A. In ihrer Ausgabe vom 10. Juli 2002 berichtete die NZZ unter dem Titel «Neue Strafanzeige gegen Eldar S.», zwei Angestellte des städtischen Sanitätsdienstes hätten Strafanzeige gegen Eldar S. wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie Sachbeschädigung an einem Sanitätsfahrzeug eingereicht. Dies habe der zuständige Bezirksanwalt bestätigt. Nachdem Eldar S. am vorangegangenen Freitag Gegenstände aus der Wohnung geworfen habe und auf die Strasse gerannt sei, habe sein Vater eine Notfall-Psychiaterin bestellt. Nach Beizug eines weiteren Psychiaters hätten die beiden Fachleute beschlossen, Eldar S. ins Psychiatriezentrum Hard einzuweisen, wozu die städtische Sanität aufgeboten worden sei. Gemäss einer Meldung des «Zürich Express» habe Eldar S. die beiden Sanitäter daraufhin verbal beschimpft und tätlich angegriffen. Schliesslich sei die Stadtpolizei aufgeboten worden und habe Eldar S. mit einem sog. Patiententransport in die Klinik gebracht.

B. Am 11. Juli 2002 titelte der «Tages-Anzeiger»: «Der Sanitätschef wundert sich» und führte aus, «im Fall Eldar S. sorgt eine Strafanzeige für Verwirrung (…). Er habe gestaunt, als er von der Anzeige» – gegen Eldar S. – gelesen habe, soll der Dienstchef der Abteilung Schutz & Rettung und Vorgesetzte der beiden Sanitäter gegenüber dem «Tages-Anzeiger» gesagt haben. Er wisse bis jetzt nichts von einer solchen Anzeige. Für den Dienstchef «würde eine Anzeige in diesem Fall auch Ðwenig Sinnð machen. Den Männern sei nicht viel passiert. (…) Die Sanitäter hätten über den Vorfall vom Freitag einen Rapport zuhanden der Stadtpolizei ausgefüllt. Offenbar hat Bezirksanwalt Scherer diesen Rapport gemeint, als er gegenüber der NZZ von einer ÐStrafanzeigeð sprach. Wie er dem TA erklärt, erwarte er nun einen Bericht von der Polizei. Damit sei der Vorfall, Ðbeanzeigtð, auch wenn die Sanitäter keinen Strafantrag unterzeichnet hätten.»

C. Mit Beschwerde vom 16. Juli 2002 gelangte das Komitee Eldar S. an den Presserat und rügte, die NZZ habe im Bericht vom 10. Juli 2002 «in unsorgfältiger und unwahrer Weise über das Opfer von Polizeigewalt, Eldar S., sowie, ebenfalls ungeprüft, über angebliche Vorgänge im Nachbarschafts-Komitee» berichtet. Entgegen der Darstellung der NZZ sei keine Strafanzeige eingereicht worden, was durch den Bericht des «Tages-Anzeiger» vom 11. Juli 2002 bestätigt werde. Die NZZ könne sich auch nicht ohne weiteres auf den zuständigen Bezirksanwalt berufen. Dieser sei bekannt «für lusche und nicht haltbare Auskünfte an die Medien». Trotz der «Richtigstellung» durch den «Tages-Anzeiger» habe sich die NZZ zudem nicht veranlasst gesehen, den Fehler zu berichtigen oder sich gar für die «Fehlleistung» zu entschuldigen.

D. Am 18. Juli 2002 berichtete die NZZ, der Dienstchef der städtischen Sanität habe nun doch «Anfang Woche Strafanzeige wegen Sachbeschädigung (Art. 144 StGB) eingereicht (…) Die Strafanzeige sei vor allem aus versicherungstechnischen Gründen erfolgt. (…) Der Sachbeschädigung voraus gingen tätliche und verbale Angriffe auf die zwei Sanitäter, die den Auftrag hatten, Eldar S. in eine psychiatrische Klinik zu bringen.» Der Dienstchef finde es richtig, «dass auf Grund des Einsatzprotokolls der Stadtpolizei von Amtes wegen eine Anzeige wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte (Art. 285 StGB) laufe».

E. In einer nach Aufforderung des Presseratssekretariats eingereichten ergänzenden Beschwerdebegründung machte das Komitee Eldar S. am 19. Juli 2002 geltend, mit dem Artikel vom 11. und dem ergänzenden Bericht vom 18. Juli 2002 habe die NZZ die Ziffern 1, 3, 4, 5, 7, 8 und 9 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

F. In einer Stellungnahme vom 26. August 2002 beantragte die Redaktion der NZZ, die Beschwerde sei abzuweisen. Der NZZ-Berichterstatter habe sich in seinem Artikel vom 10. Juli 2002 auf ein Telefongespräch vom 9. Juli 2002 mit dem zuständigen Bezirksanwalt gestützt. Dieser führe die beiden gegenläufigen Verfahren gegen Eldar S. und zwei Stadtpolizisten, die einander gegenseitig Gewaltanwendung respektive Körperverletzung vorwerfen. «Der Bezirksanwalt erklärte unserem Berichterstatter, dass eine Strafanzeige der Angestellten des städtischen Sanitätsdienstes wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie wegen Sachbeschädigung vorliege. Dabei durfte unser Berichterstatter durchaus davon ausgehen, dass die Mitteilung des Bezirksanwaltes korrekt ist.» Aus der Medienmitteilung des Komitees Eldar S. sei dem Berichterstatter zudem bekannt gewesen, dass es zwischen Eldar S. und den Sanitätern zu einer Auseinandersetzung gekommen sein musste. «Das Komitee sprach davon, dass die Ðbeiden Mannlið Ðin die Büscheð geklopft worden seien». Nach der Meldung im «Tages-Anzeiger» habe sich der Berichterstatter erneut an den Bezirksanwalt gewandt, um abzuklären, ob er diesen eventuell falsch verstanden hatte. Der Bezirksanwalt habe ihm aber bestätigt, dass er den Bericht der Sanitäter über den Vorfall an die Polizei als «Anzeige» entgegengenommen habe.

G. Am 28. August 2002 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

H. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

I. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 22. November 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung der Ziffern 4 (Lauterkeit der Recherche) 7 (sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen), 8 (Diskriminierung) und 9 (Unabhängigkeit) geltend machen, ist die Beschwerde offensichtlich unbegründet. Weder belegt das Komitee Eldar S. seine – von der NZZ vehement widersprochene – Behauptung, die Strafanzeige wegen Sachbeschädigung sei erst aufgrund des NZZ-Artikels vom 11. November 2002 erfolgt. Noch begründet das Komitee, inwiefern die NZZ durch die Veröffentlichung eines bis auf wenige Details (vgl. nachfolgend Ziffer 2 der Erwägungen) unumstrittenen Sachverhalts sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen gegenüber Eldar S. erhoben habe. Es präzisiert auch nicht, wie die NZZ die Menschenwürde von Eldar S. oder die Gefühle seiner Angehörigen verletzt haben soll. Ebenso fehlt jegliches Indiz für die sinngemässe Behauptung, die Berichterstattung der NZZ entbehre der erforderlichen journalistischen Unabhängigkeit und die Zeitung sei ein blosses Sprachrohr der Polizeidirektion.

2. Näher zu prüfen ist demgegenüber, ob die NZZ mit ihrer Berichterstattung gegen die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Quellenüberprüfung) und 5 (Berichtigungspflicht) verstossen hat. Zwischen den Parteien ist der äusserliche Ablauf – wenn auch nicht die daraus gezogenen Schlüsse und Wertungen – der Auseinandersetzung zwischen Eldar S. und den beiden Sanitätern weitgehend unbestritten. Umstritten waren demgegenüber zumindest ursprünglich die juristischen Folgen, die auf Behördenseite aus dem Vorfall gezogen wurde. Hinsichtlich der entsprechenden NZZ-Berichterstattung ist dabei zwischen den beiden Artikeln vom 10. Juli und vom 18. Juli 2002 wie folgt zu differenzieren:

a) Bei der Recherche für den Artikel vom 10. Juli 2002 durfte die NZZ entgegen der nicht näher begründeten Auffassung der Beschwerdeführer ohne weiteres von der relativ einfachen Information des Bezirksanwaltes ausgehen, wonach die beiden Angestellten des städtischen Sanitätsdienstes eine Anzeige erstattet hätten. Wie die NZZ in ihrer Stellungnahme zu Handen des Presserates selber einräumt, ist im Artikel von eine
r «Strafanzeige» die Rede, währenddem der zuständige Bezirksanwalt zumindest bei einer zweiten Anfrage des NZZ-Journalisten offenbar nur noch von einer «Anzeige» sprach. Es würde aber zu weit führen, aus dieser begrifflichen Unschärfe eine Verletzung der Ziffer 1 der «Erklärung» abzuleiten: Zum einen ist unklar, ob sie nicht aufgrund einer ungenauen Auskunft des Bezirksanwalts entstand. Zum anderen erschiene dies unverhältnismässig, weil dem Bericht ungeachtet einer begrifflichen Unschärfe entnommen werden konnte, dass der Vorfall zumindest hinsichtlich des Offizialdelikts «Gewalt und Drohung gegen Beamte» jedenfalls ein Strafverfahren auslösen würde.

b) Mit der Veröffentlichung des Artikels vom 18. Juli 2002 beseitigte die NZZ zuvor allenfalls bestehende Unklarheiten und hielt – von den Beschwerdeführern unwidersprochen – fest, dass aufgrund der Meldung des Vorfalls «eine Anzeige wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte» laufe. Zudem brachte sie eine Erklärung des Dienstchefs der städtischen Sanität, wonach dieser vor allem aus versicherungstechnischen Gründen einen Strafantrag wegen Sachbeschädigung gestellt habe. Mit dieser Klarstellung erübrigte sich eine allfällige zusätzliche Berichtigung des Artikels vom 10. Juli 2002. Eine Verletzung der Ziffern 1, 3 und 5 der «Erklärung ist dementsprechend zu verneinen.

III. Feststellungen

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.