Nr. 2/1994
Veröffentlichung vertraulicher Informationen

(Parlamentarische Vorstösse Moser/Reimann), vom 24. Januar 1994

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Stellungnahme

Veröffentlichung vertraulicher Informationen

Die den Massenmedien zugebilligte Kritik- und Kontrollfunktion und ihre Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen, setzt voraus, dass ihre Recherchen thematisch, geographisch und strukturell unbegrenzt sind und dass sie über alles berichten, was sie für öffentlich relevant halten. Es widerspricht der Pressefreiheit, wenn der Staat bestimmt, worüber berichtet werden darf.

Indiskretionen und Medienberichte über geheime oder vertrauliche Sachverhalte sind kaum zu vermeiden. Es ist keineswegs zwingend, dass der Staat dies als Rechtsverletzung einstuft und mit Sanktionen bedroht. Hält er jedoch daran fest, so tut er gut daran, nur äusserst krasse Fälle zu ahnden.

Medienschaffende können in die Situation kommen, dass die Veröffentlichung geheimer oder vertraulicher Sachverhalte aus ethischen Gründen vor den Straf- und Sanktionsbestimmungen der Rechtsordnung Vorrang hat. Eine Veröffentlichung sollte indessen nur stattfinden, wenn das Thema von öffentlicher Relevanz ist, es aus guten Gründen jetzt und nicht erst viel später publik werden soll, nicht bloss eine kurze Sperrfrist missachtet wird, die Information nicht durch Methoden wie Bestechung, Erpressung, Wanzen, Einbruch oder Diebstahl erworben wurde und keine äusserst wichtigen Interessen (z.B. schützenswerte Persönlichkeitsrechte, Geheimnisse der militärischen Landesverteidigung etc.) tangiert sind.

Prise de position

Publication d‘ informations confidentielles

La fonction de critique et de contrôle reconnue aux médias d’information, de même que leur mission de contribuer à la formation de l’opinion publique, supposent qu’ils ne soient pas entravés dans leurs investigations, que ce soit à propos du choix des sujets, de la géographie ou des structures. Ils doivent notamment pouvoir rendre compte de tout ce qu’ils considèrent comme devant être porté à la connaissance de l’opinion publique. Il est contraire à la liberté de la presse que l’Etat définisse les domaines dans lesquels les médias ont le droit de s’exprimer.

Indiscrétions et comptesrendus de presse au sujet d’affaires secrètes ou confidentielles ne sont guère évitables. Il ne s’impose d’aucune manière que l’Etat les considère comme des infractions et menace de sanctions les médias. S’il le fait tout de même il sera bien avisé de ne se préoccuper que des cas les plus graves.

Les journalistes peuvent être placés dans une situation où, pour des raisons d’éthique professionnelle, la nécessité de publier des faits de nature secrète ou confidentielle passe avant les dispositions pénales et autres sanctions prévues par l’ordre juridique. Une telle publication ne devrait cependant avoir lieu que si le sujet est vraiment d’intérêt public; lorsqu’il y a de bonnes raisons de publier l’information sur le champ et non plus tard; s’il ne s’agit pas seulement de la violation d’un embargo de courte durée); si l’information n’a pas été obtenue par des méthodes déloyales (chantage, écoute clandestine, violation de domicile ou vol); lorsqu’aucun intérêt d’une importance extrême est touché (p. ex. droits de la personnalité digner de protection, secrets militaires, etc.).

Presa di posizione

Pubblicazione di informazioni confidenziali

La funzione di critica e di controllo riconosciuta ai media, nonché il loro compito di contribuire alla formazione dell’opinione pubblica, presuppongono che le loro indagini non vengano limitate né a proposito della scelta del tema, né dal punto di vista geografico e strutturale, e che essi riferiscano di tutto ciò che considerano doveroso portare a conoscenza del pubblico. É contrario alla libertà di stampa che lo Stato definisca i campi nei quali i media hanno diritto di esprimersi.

Le indiscrezioni e i resoconti di stampa a proposito di questioni segrete o confidenziali sono praticamente inevitabili. Non s’impone affatto che lo Stato li consideri violazioni del diritto e minacci i media di sanzioni. Ma se vuol attenersi a questo principio, farebbe comunque bene a punire solo i casi più gravi.

I giornalisti possono venire a trovarsi in una situazione in cui, per ragioni di etica professionale, la necessità di pubblicare fatti segreti o confidenziali prevale sulle norme penali e sulle sanzioni previste dall’ordinamento giuridico. Ciò nonostante, una simile pubblicazione dovrebbe avvenire solo se il tema è veramente di pubblico interesse, se ci sono buone ragioni per renderlo pubblico subito e non solo molto più tardi, se non si viola un embargo di breve durata, se l’informazione non è stata ottenuta con metodi come la corruzione, il ricatto, l’ascolto clandestino, la violazione di domicilio o il furto, se non vengono toccati interessi estremamente importanti (per esempio diritti della personalità degni di protezione, segreti della difesa militare nazionale ecc.).

I. Sachverhalt

A. Am 7. Dezember 1993 reichte Nationalrat René Moser (Freiheitspartei, Aargau) zusammen mit 60 Mitunterzeichnerinnen und Mitunterzeichnern eine Interpellation zum „Missbrauch vertraulicher Informationen durch die Presse“ ein. Er bezog sich auf zwei Berichte in der Wirtschaftszeitung „Cash“ vom 22. Oktober 1993, die sich auf vertrauliche Dokumente stützten: der eine auf den Entwurf des Departementes für auswärtige Angelegenheiten für einen Bericht zur schweizerischen Europapolitik, der andere auf das Strategiepapier der EG-Kommission über die Beziehungen EG-Schweiz. Beide Dokumente waren nicht auf offiziellem Weg zu „Cash“ gelangt. Moser behauptete zudem, dass „gewisse Journalisten von ihren Redaktionen beträchtliche Geldmittel zur Beschaffung vertraulicher Informationen und Berichte einsetzen können“. Er fragte deshalb den Bundesrat, wie dieser solche Indiskretionen zu unterbinden gedenke, und ob er bereit sei, den fehlbaren Medienschaffenden die Akkreditierung im Bundeshaus zu entziehen. Der Interpellant empfahl überdies, in solchen Indiskretionsfällen die Bundesanwaltschaft einzusetzen.

B. Am 17. Dezember 1993 schob Nationalrat Dr. Maximilian Reimann (SVP, Aargau) zusammen mit 80 Mitunterzeichnerinnen und Mitunterzeichnern ein Postulat zur „Durchsetzung oder Revision von Artikel 11 der Akkreditierungs-Verordnung; nach. Er wies darauf hin, dass die Verordnung über die Akkreditierung von Journalisten die Bundeskanzlei ermächtige, gegen im Bundeshaus akkreditierte oder zutrittsberechtigte Journalisten Massnahmen zu ergreifen, falls diese bewusst oder absichtlich in einem Medium vertrauliche oder geheime Informationen verbreiten. Darum ersuche er den Bundesrat, entweder diesen Artikel durchzusetzen und Verstösse zu ahnden oder die Verordnung im Sinne der gängigen Praxis zu revidieren. In der Begründung argumentierte er, dass der intensive Konkurrenzkampf unter den Medien einen Teil der Journalisten und Verlage dazu verleite, vertrauliche Dokumente zu veröffentlichen, damit sie mit Primeurs auftrumpfen können. Neben Cash habe am 21. November 1993 auch die SonntagsZeitung diesen Weg gewählt, als sie aus Protokollen der Rechtskommission des Nationalrates über die Beratungen des Gleichstellungsgesetzes zitierte. Diese zunehmende Praxis einer Minderheit der Medien ermuntere die Mehrheit geradezu, sich ebenfalls über die Bestimmungen der Akkreditierungsverordnung hinwegzusetzen, was der seriösen Kommissionsarbeit im Parlament schade. Dass gewisse Leute innerhalb von Parlament und Verwaltung an der Veröffentlichung von vertraulichen oder geheimen Informationen mitschuldig seien, indem sie willige Journalisten für sich einzuspannen suchten, könne kein Grund dafür sein, auf die Bestrafung der Medienschaffenden zu verzichten.

C. Es gab in der Tat Äusserungen von Politikern, dass verschiedene Medien Geld einsetzten, um vertrauliche Informationen zu erhalten.
Die Rede war von „Blick“, „Sonntagsblick“ und „SonntagsZeitung“, und es hiess, eine Journalistin habe 10’000 Franken für solche Zwecke zur Verfügung. Nationalrat Dr. Peter Hess (Zug), Fraktionspräsident der CVP, machte eine entsprechene Bemerkung an einer Sitzung der Fraktionspräsidentenkonferenz, bemühte sich hingegen nach einer klärenden Aussprache mit der anvisierten Journalistin, die betreffende Feststellung im Protokoll wieder zu korrigieren.

D. Die Vorstösse und die Behauptung, Medien setzten beträchtliche Geldmittel für den „Kauf“ vertraulicher Informationen ein, lösten unter den Medienschaffenden im Bundeshaus Unruhe aus. Das Thema war auch Gegenstand journalistischer Berichterstattung und redaktioneller Kommentare. Da sich ethische Fragen stellen, beschloss der Presserat, zur Problematik der Veröffentlichung vertraulicher Informationen Stellung zu nehmen. Gemäss Art. 5 seines Reglements kann der Presserat mit Mehrheitsbeschluss Fälle von sich aus aufgreifen.

II. Erwägungen

1. Die Verordung über die Akkreditierung von Journalisten vom 21. Dezember 1990, die den Zutritt von Medienschaffenden zum Bundeshaus regelt, hält in Art. 11 fest:

„1 Verbreitet ein akkreditierter oder zutrittsberechtigter Journalist vertrauliche oder geheime Informationen, welche ihm gegenüber als solche gekennzeichnet wurden, bewusst oder absichtlich in einem Medium, so kann ihm die Bundeskanzlei die Akkreditierung bzw. den Zutritts-Ausweis entziehen. Sie holt zuvor die Stellungnahme der Vereinigung der Bundeshaus-Journalisten ein.

2 In leichteren Fällen kann eine Warnung oder befristete Suspendierung ausgesprochen werden.

3 Der Journalist, gegen den eine Massnahme ergriffen werden muss, hat Anspruch auf Gehör.

4 Sofern die Vereinigung der Bundeshaus-Journalisten aufgrund ihrer Satzungen schon eine angemessene Sanktion getroffen hat, kann die Bundeskanzlei auf eine Massnahme verzichten.“

2. Dieser Artikel geht davon aus, dass ein Teil der Informationen, die im Bundeshaus vorbereitet werden und greifbar sind, als geheim oder vertraulich gelten. In der Tat sind die Sitzungen des Bundesrates und der parlamentarischen Kommissionen nicht öffentlich. Die beiden Kammern der Bundesversammlung können die Oeffentlichkeit auch von ihren Plenarsitzungen ausschliessen. Und in der Bundesverwaltung sind gewisse Dossiers und Dokumente dauernd oder vorübergehend als geheim oder vertraulich eingestuft. Behördenmitglieder und Beamte, die an nichtöffentlichen Sitzungen teilnehmen oder mit geheimen oder vertraulichen Dokumenten zu tun haben, unterliegen der Verschwiegenheitspflicht. Es gibt also Bereiche im Bundeshaus, die den Medienschaffenden immer oder vorläufig vorenthalten werden.

3. Die Bundeskanzlei hat bisher Art. 11 der Akkreditierungs-Verordnung sehr zurückhaltend angewandt. Sie schritt nur in Fällen ein, in denen Informationen Medienschaffenden gegenüber ausdrücklich als geheim oder vertraulich bezeichnet worden waren, also nur dann, wenn die Veröffentlichung gewissermassen einem Vertrauensbruch gegenüber dem Informanten gleichkam. Erhielten jedoch Medienschaffende geheime oder vertrauliche Informationen zugespielt, ohne dass ausdrücklich auf die Vertraulichkeit aufmerksam gemacht wurde, so sah die Bundeskanzlei aufgrund des Wortlauts des Art. 11 keinen Anlass einzuschreiten.

4. Die Bestimmung in der Akkreditierungs-Verordnung ist im übrigen nur eine auf die Bundeshaus-Korrespondentinnen und -Korrespondenten applizierte Spezialnorm der entsprechenden Bestimmungen im Strafgesetzbuch. Art. 293 bedroht mit Haft oder Busse, wer amtliche geheime Informationen veröffentlicht. Und Art. 320 sieht für Behördenmitglieder und Beamte, die amtliche geheime Informationen preisgeben, Gefängnis oder Busse vor. Das Bundesgericht ging in seiner Praxis zu Art. 293 StGB immer von einem formellen Geheimnisbegriff aus (BGE 107 IV 189, E. c, 108 IV 88, E. a, 114 IV 36, E. b). Danach kommt es einzig darauf an, ob die Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen der Behörde durch Gesetz und Verfügung derselben als geheim erklärt worden sind und macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob sie als geheim oder bloss vertraulich erklärt werden, wenn nur klar ist, dass damit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll. Demgegenüber ist nach der Bundesgerichtspraxis unerheblich, ob geheim erklärte amtliche Informationen materiell überhaupt geheimniswürdig sind. Weiter ist die Geltendmachung des übergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes der Wahrung berechtigter Interessen laut dem Bundesgericht für Medien dann ausgeschlossen, wenn das Ziel auch auf legalem Weg hätte erreicht werden können (BGE 94 IV 70). Das Zürcher Obergericht wies in einem Entscheid überdies darauf hin, dass ein Geheimnis auf Zeit keine Veröffentlichung rechtfertige und dass auch der blosse Wettbewerbsvorteil kein Argument für die Publikation sei (Peter Nobel, Leitfaden zum Presserecht, S. 95 f.).

5. Art. 293 StGB wurde vor allem von Denis Barrelet (Les indiscrétions commises par la voie de la presse, in: SJZ 79 (1983) S. 17ff., derselbe, Droit suisse des mass média, 2. Aufl. 1987 S. 153ff.) eingehend kritisiert, welcher auch die ersatzlose Streichung dieser Bestimmung verlangte. Dasselbe forderte der Entwurf des EJPD vom November 1986 für mögliche Änderungen bei den medienrechtlichen Bestimmungen des Straf- und Verfahrensrechts und ebenso die vom EJPD eingesetzte Studienkommission Medienstraf- und Verfahrensrecht in ihrem Bericht vom April 1991. Schliesslich betrachtete auch der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Motion von Nationalrat Paul Rechsteiner die Bestimmung als revisionsbedürftig (Amt. Bull. NR 1989 S. 581). Für eine Streichung von Art. 293 StGB gibt es gute Gründe.

6. Der Informationsanspruch der Öffentlichkeit muss nämlich ebenso in die Waagschale geworfen werden wie die Interessen des Staates. „Immerhin ist zu berücksichtigen“, schrieb das Zürcher Obergericht, „dass nicht schlechterdings jeder Verhandlungsgegenstand von einer Behörde als geheim erklärt werden darf, etwa bloss um ihn dauernd der Öffentlichkeit zu entziehen.“ Denn das Prinzip der freien Information der Öffentlichkeit gehöre zu den wichtigsten Voraussetzungen der Demokratie (Nobel, S. 94). In Deutschland hat das Oberlandesgericht Hamm die Information der Öffentlichkeit über die sogenannte Parteispendenaffäre als „zwingendes öffentliches Interesse“ bezeichnet, hinter dem die Wahrung des „Steuergeheimnisses“ zurücktreten müsse (Udo Branahl, Medienrecht, Opladen 1992, S. 37). Nobel folgerte: „Zu fordern wäre, dass ‚geheim‘ nur sein kann, was materiell geheimniswürdig ist und durch klare Normen oder kompetenzgemässen, klaren Beschluss für geheim erklärt wurde. Ferner dürfen überwiegende öffentliche Interessen an der Publikation nicht unterdrückt werden.“ (Leitfaden zum Presserecht, S. 93).

7. Da die staatlichen Behörden festlegen, was geheim und vertraulich ist, bestimmt der Staat, welche Bereiche massenmedialer Berichterstattung offenstehen. Er kann somit dadurch, dass er bestimmte Vorgänge und bestimmte Dokumente und bestimmte Themen der Öffentlichkeit entzieht, die Pressefreiheit nach seinem Belieben einschränken. Dies entspricht aber gerade nicht dem Sinn der Pressefreiheit, die ja zunächst und vor allem meint, dass keine staatliche Zensur ausgeübt werden darf. Wenn indessen der Geheimnisbereich gross ist und Publikationen aus diesem Geheimnisbereich strafrechtlich verfolgt werden, wirkt sich diese Restriktion wie eine Zensur aus: Die Massenmedien können nicht ungehindert über alle Bereiche des Staates berichten. Und in der Schweiz ist der Bereich dessen, was als geheim und vertraulich gilt, nach wie vor viel zu gross. Grundsätzlich arbeitet die Verwaltung nach dem Prinzip, dass alles vertraulich ist, was nicht expressis verbis als öffentlich erklärt worden ist. Nur der Kanton Bern kehrt jetzt mit seinem neuen Informationsgesetz das Prinzip um: Grundsätzlich ist alles öffentlich, mit Ausnahme dessen, was für vertraulich erklärt word
en ist. Natürlich müssen Persönlichkeitsrechte geschützt und unfertige Arbeiten unter Verschluss gehalten werden können. Es ist auch legitim, dass sich Regierungen und parlamentarische Kommissionen an Lösungen herantasten und nicht für jeden Schritt des Meinungsbildungsprozesses öffentlich Rechenschaft abgeben müssen. Aber insgesamt wird viel zu viel Geheimniskrämerei betrieben. Selbst eine Kollegialbehörde würde es ertragen, wenn hin und wieder mitgeteilt würde, wer wie argumentiert hatte. Die Kantone Solothurn, Baselland und Schaffhausen versanken jedenfalls wegen ihrer öffentlichen Regierungsratssitzungen nicht im Chaos. Und die parlamentarischen Kommissionen wären nicht weniger handlungsfähig, wenn sie wenigstens jeweils ihre Hearings öffentlich durchführten.

8. Der ausgedehnte Geheim- und Vertraulichkeitsbereich fördert indessen geradezu die Indiskretionen: Die Medien verschaffen sich den Zugang zu den vertraulichen Informationen gleichwohl. Allerdings sind sie kaum je in der Lage, sich ohne Hilfe von Insidern vertrauliche Informationen zu beschaffen. Dies wäre nur möglich, wenn sie zu verwerflichen Mitteln wie der Installation von Wanzen, des Einbruchs, des Diebstahls, der Bestechung und der Erpressung griffen. Die Regel ist aber, dass sie die Informationen durch Beamte oder durch Parlamentsmitglieder zugespielt erhalten. Das heisst: Es braucht immer zwei, nämlich jemand, der die Information herausgibt, und jemand, der sie dankbar in Emfang nimmt und veröffentlicht. Die informierende Person wird meist darum aktiv, weil sie intern ihr Ziel nicht erreicht hat und deswegen frustriert ist. Die publizierende Person ist an der Information in der Regel darum interessiert, weil sie über einen als wichtig und interessant eingestuften Sachverhalt Öffentlichkeit herstellen und damit einem „Scoop“ landen will. Nur selten gelingt es, herauszufinden, wer die informierende Person war. Weil es aber, wie Denis Barrelet bemerkt, nicht richtig ist, dass die Journalisten strafrechtlich verfolgt werden, während die Informanten unbehelligt bleiben, ist Art. 293 in der Praxis kaum angewendet worden (Droit suisse des mass média, 2. Aufl. Bern 1987, S. 153). Auch Art. 11 der Akkreditierungs-Verordnung kam kaum je zum Zug. 9. Sollen die Bestimmungen künftig konsequenter durchgesetzt werden? Das Grundrecht der Pressefreiheit spricht nicht dafür. Der Anspruch der Öffentlichkeit auf Information setzt voraus, dass die Massenmedien Öffentlichkeit herstellen, dass sie immer dann, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse vermutet werden kann, über ein Thema berichten – Vertraulichkeit hin oder her. Die anerkannte Kritik- und Kontrollfunktion der Massenmedien verlangt, dass sie immer und überall recherchieren können, dass sie und nicht der Staat bestimmen können, wann ein Thema Gegenstand der öffentlichen Debatte werden soll – selbstverständlich unter Beachtung gewisser Regeln der Fairness und der Verhältnismässigkeit. Es geht nicht an, dass der Staat über das Strafrecht und die Akkreditierungs-Verordnung die Kritik und Kontrolle durch die Massenmedien praktisch ausschliesst.

10. Genau in diese Richtung zielt die „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“, auf die sich der Presserat stützt. Folgende Bestimmungen sind relevant:

a) „Die Verantwortlichkeit der Journalisten gegenüber der Öffentlichkeit hat den Vorrang vor jeder andern, insbesondere vor ihrer Verantwortlichkeit gegenüber ihren Arbeitgebern und gegenüber staatlichen Organen“ (Präambel).

b) „Er – der Journalist – hat freien Zugang zu allen Informationsquellen und die Freiheit zur unbehinderten Ermittlung aller Tatsachen, die von öffentlichem Interesse sind; die Geheimhaltung öffentlicher oder privater Angelegenheiten kann dabei dem Journalisten gegenüber nur in Ausnahmefällen und nur mit klarer Darlegung der Gründe gerechtfertigt werden“ (Lit. a der Rechte).

c) „Er veröffentlicht nur Informationen und Dokumente, deren Quellen ihm bekannt sind. (…) Er bezeichnet unbestätigte Meldungen ausdrücklich als solche. Er hält sich an zumutbare Sperrfristen“ (Ziff. 3 der Pflichten). d) „Er bedient sich bei der Beschaffung von Informationen, Fotografien und Dokumenten keiner unlauteren Methoden (…)“ (Ziff. 4 der Pflichten).

e) „Er wahrt das Berufsgeheimnis und gibt die Quellen vertraulicher Informationen nicht preis“ (Ziff. 6 der Pflichten).

11. Der Berufskodex steht also in der Beurteilung der Veröffentlichung vertraulicher Informationen der Rechtsordnung in gewissen Punkten klar entgegen. Er beharrt auf der Priorität der Oeffentlichkeit, auf der vollen Recherchierfreiheit und auf der Nutzung auch vertraulicher Quellen. Geheimhaltung kann nur die Ausnahme sein. Zwar stellt der Berufskodex auch Regeln auf: Anonym erhaltene Informationen sollen nicht veröffentlicht werden, sondern die Quelle muss bekannt sein. Wird eine Information von den Betroffenen nicht bestätigt, muss dies deklariert werden. Die Informationen sollen nicht mit unlauteren Methoden beschafft werden. Und zumutbare Sperrfristen (also die Geheimhaltung auf kurze Zeit) sollen eingehalten werden. Aber die Stossrichtung ist eindeutig: Veröffentlicht werden soll nicht, was der Staat zur Veröffentlichung freigibt, sondern das, was an die Oeffentlichkeit gehört, was nach vernünftigem Ermessen von überwiegendem öffentlichem Interesse ist, obwohl es der Oeffentlichkeit vorenthalten werden soll. Die „SonntagsZeitung“ hat dargelegt (in der Ausgabe vom 19. Dezember 1993), von welchen Sachverhalten das Publikum bei strikter Beachtung der Bestimmungen des Strafgesetzbuches und der Akkreditierungs-Verordnung in den letzten Monaten nichts erfahren hätte, nämlich davon,

– „dass die Bundesanwaltschaft ihr Gebäude mit einem millionenschweren Luxuszaun gegen aussen abschotten will, um sich selber zu schützen“;

– „parlamentarische Kommissionen mit teuren Helikopterflügen die Bundeskasse und die Steuerzahler belasten und daran nichts Falsches sehen“; – „beim Gleichstellungsgesetz ein harter Kern von Gegnern im Nationalrat die Vorlage blockieren und verwässern will“;

– „verschiedene Ämter über die Gültigkeit der SP-Initiative zur Halbierung der Rüstungsausgaben und über die SD-Asylinitiative uneinig sind“;

– „das Bundesamt für Gesundheitswesen neue Alkohol- und Tabaksteuern plante“;

– „Aussenminister Flavio Cotti einen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union bis ins Jahr 2000 anstrebte“;

– „oder in der Bundesverwaltung ein heftiges Seilziehen ums Weiterbestehen der Landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Liebefeld tobte“.

Es bleibe dahingestellt, ob in allen diesen Fällen das öffentliche Interesse schwerer wog als die Vertraulichkeit. Aber grundsätzlich lässt sich festhalten: Stossen Medienschaffende bei ihren Recherchen auf Sachverhalte, die als vertraulich oder geheim gelten, aber eigentlich von ihrer Tragweite her öffentlich gemacht werden müssten, dann können ethische Ueberlegungen dazu führen, dass die Rechtsordnung missachtet und unter Umständen eine Verurteilung in Kauf genommen wird.

Allerdings kann dieser Vorrang der Ethik vor dem Recht nur gelten, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

a) Es muss sich um ein Thema von öffentlicher Relevanz handeln. Der Vorteil im publizistischen Wettbewerb genügt als Rechtfertigung nicht.

b) Es muss ein Grund dafür bestehen, dass das Thema jetzt und nicht erst viel später öffentlich wird.

c) Es muss gewährleistet sein, dass das Thema oder das Dokument für immer oder für längere Zeit als geheim oder vertraulich eingestuft ist und nicht bloss mit einer Sperrfrist von wenigen Tagen oder Stunden belegt ist. Wenn ein Medium eine Sperrfrist bricht, an die sich alle anderen halten, so ist die Veröffentlichung ungerechtfertigt.

d) Es muss sich um eine Indiskretion handeln, zu der eine Gewährsperson aus freien Stücken Hand bietet. Wenn Bestechung, Erpressung, Installation von Wanzen, Einbruch oder Diebstahl im Spiel wären, gäbe es keine ethische Begründung f
ür eine Veröffentlichung.

e) Es muss ausgeschlossen sein, dass mit der Veröffentlichung keine äusserst wichtigen Interessen (wie schützenswerte Persönlichkeitsrechte, Geheimnisse der militärischen Landesverteidigung etc.) beeinträchtigt werden.

12. Es fragt sich allerdings, was der Berufskodex mit unlauteren Methoden meint. Fallen darunter auch Indiskretionen? Ist die Entgegennahme und Veröffentlichung einer Information, die als geheim oder vertraulich eingestuft ist, in jedem Fall im Sinne des Berufskodex unlauter? Die weitere Bestimmung, wonach die Quellen vertraulicher Informationen nicht preisgegeben werden sollen, spricht dagegen. Kritischer Journalismus ist auf vertrauliche Informationen geradezu angewiesen. Und Journalismus ist per definitionem kritisch. Will er sich also den Spielraum nicht wie im Ancien Régime oder in totalitären Systemen vom Staat vorschreiben lassen, müssen Recherchen auch vertrauliche und geheime Bereiche einbeziehen und müssen die Recherche-Ergebnisse allenfalls veröffentlicht werden. Aus journalistischer Sicht kann daher die Beschaffung vertraulicher Informationen mit Hilfe von normalen Recherchen, Gewährsleuten und Informanten nicht unlauter sein. Es kann sogar Situationen geben, aus denen sich aus ethischen Ueberlegungen unlautere Methoden aufdrängen (Beispiel: Günter Wallraff als Angestellter unter falschem Namen bei der „Bild-Zeitung“).

III. Feststellungen

Aus diesen Gründen hält der Presserat fest:

1. Die den Massenmedien zugebilligte Kritik- und Kontrollfunktion und ihre Aufgabe, Oeffentlichkeit herzustellen, setzt voraus, dass ihre Recherchen thematisch, geographisch und strukturell unbegrenzt sind und dass sie über alles berichten, was sie für öffentlich relevant halten. Es widerspricht der Pressefreiheit, wenn der Staat bestimmt, worüber berichtet werden darf. Die Behörden sollten daher analog zum Kanton Bern anstelle des Geheimnisprinzips mit Öffentlichkeitsvorbehalt das Öffentlichkeitsprinzip mit Geheimnisvorbehalt einführen und so dafür sorgen, dass der Geheim- und Vertraulichkeitsbereich so klein wie nur möglich ist.

2. Solange es immerwährende und vorübergehende geheime und vertrauliche Sitzungen, Dossiers und Dokumente gibt, sind Indiskretionen und Medienberichte über geheime oder vertrauliche Sachverhalte kaum zu vermeiden. Es ist keineswegs zwingend, dass der Staat dies als Rechtsverletzung einstuft und mit Sanktionen bedroht. Hält er jedoch daran fest, so tut er gut daran, nur äusserst krasse Fälle zu ahnden.

3. Medienschaffende können in die Situation kommen, dass die Veröffentlichung geheimer oder vertraulicher Sachverhalte aus ethischen Gründen vor den Straf- und Sanktionsbestimmungen der Rechtsordnung Vorrang hat. Eine Veröffentlichung sollte indessen nur stattfinden, wenn

a) das Thema von öffentlicher Relevanz ist; b) es aus guten Gründen jetzt und nicht erst viel später publik werden soll; c) nicht bloss eine kurze Sperrfrist missachtet wird; d) die Information nicht durch Methoden wie Bestechung, Erpressung, Wanzen, Einbruch oder Diebstahl erworben wurde; e) keine äusserst wichtigen Interessen (z.B. schützenswerte Persönlichkeitsrechte; Geheimnisse der militärischen Landesverteidigung etc.) tangiert sind.