Nr. 13/2005
Unterschlagung von wichtigen Informationen / Berichtigungspflicht

(X. c. «Beobachter») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 8. April 2005

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I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe 21/2004 veröffentlichte der «Beobachter» einen Artikel von Thomas Angeli und Daniel Benz über die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren («BestRAVt statt Beraten»). Vor lauter «Kontrollieren und Sanktionieren» gerate der Beratungsauftrag dieser Zentren «unter die Räder – und die Stellensuchenden ebenfalls». Der Artikel berichtete neben weiteren Beispielen auch über die entsprechenden Erfahrungen von X. und druckte zudem ein Bild von ihm ab. Die zugehörige Legende lautete: «ÐIch kann nur davor warnen, ein eigenes Geschäft zu gründen.ð X., Allrounder, arbeitslos».

B. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2004 an den «Beobachter» beanstandete der Betroffene, die Legende «X. Allrounder, arbeitslos» zum an sich passenden Bild sei falsch und für ihn schädlich. Entgegen der Abmachung habe ihm weder der Mitautor Thomas Angeli noch die Bildredaktion die Bildlegende vor der Publikation vorgelegt. Er sei kein «Allrounder» und sei zudem nicht vollzeitarbeitlos, sondern lediglich vorübergehend teilarbeitslos gewesen. Gestützt darauf verlangte er die Veröffentlichung einer Berichtigung mit dem gleichen Bild.

C. In der Ausgabe 22/2004 veröffentlichte der «Beobachter» daraufhin folgendes «Korrigendum» (ohne Bild): «Arbeitslose: BestRAVt statt beraten (Nr. 21). In der Legende zum Bild von X. ist uns ein Irrtum unterlaufen. X. ist vielfältig qualifiziert und nicht arbeitslos wie geschrieben, sondern derzeit als Produktionsleiter eines Theaters tätig. Wir bedauern diesen Fehler.»

D. Mit Beschwerde vom 31. Oktober 2004 gelangte X. an den Presserat und rügte, mit dem Abdruck der falschen Bildlegende und der ungenügenden Berichtigung habe der «Beobachter» die Ziffer 3 (Unterschlagung wichtiger Informationselemente) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sowie die Richtlinien 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 4.5 (Interview) verletzt. Die vom «Beobachter» veröffentlichte Korrektur sei inhaltlich zwar richtig gewesen. Sie habe aber nicht viel genützt, weil sie ohne Bild abgedruckt worden sei. Er verlange deshalb, dass die Richtigstellung mit Bild noch einmal prägnant abgedruckt werde und dass sich der «Beobachter» an gleicher Stelle noch einmal entschuldige.

E. Mit Stellungnahme vom 8. November 2004 wies der Chefredaktor des «Beobachters», Balz Hosang, die Beschwerde als unbegründet zurück. Entgegen der Auffassung von X. sei der Begriff «Allrounder» nicht negativ besetzt. Eindeutig falsch sei lediglich die verkürzte Bezeichnung «arbeitslos» gewesen. Dieser Fehler sei umgehend korrigiert worden, womit der «Beobachter» der Berichtigungspflicht Genüge getan habe.

F. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

G. Am 12. Oktober 2004 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher, behandelt.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 8. April 2005 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Ziffer 3 der «Erklärung» auferlegt den Journalistinnen und Journalisten die Pflicht, keine wichtigen Elemente von Informationen zu unterschlagen. Diese berufsethische Pflicht gilt bei allem Verständnis für die Notwendigkeit journalistischer Prägnanz auch für verkürzende Textelemente wie Titel, Aushänge und Bildlegenden (vgl. zuletzt die Stellungnahme 10/2005).

b) Es ist unbestritten, dass die Verkürzung «arbeitslos» inhaltlich falsch war. Der «Beobachter» macht dazu aber zu Recht geltend, dass der von X. nicht beanstandete Lauftext die Situation des Beschwerdeführers differenziert wiedergab. Dort war zu lesen: «Der Lebenslauf des 57-Jährigen weist nicht weniger als 13 Berufe aus, vom Ökobauern bis zum Journalisten. Viele seiner Tätigkeiten übte X. parallel aus, so etwa den Betrieb eines Gasthauses als Selbständigerwerbender neben Teilzeitanstellungen in einer Beratungsfirma. Das Hotel verkaufte der umtriebige Bündner im Frühjahr 2003. Die Teilzeitjobs wiederum, total 40 Stellenprozente, liefen Ende 2003 aus – und die Probleme begannen. X. meldete sich beim RAV teilarbeitslos und beanspruchte Taggelder für die 40 Prozent, die er als Angestellter gearbeitet hatte.» Dabei habe X. die Rechnung ohne die Arbeitslosenkasse gemacht. Weil er als Inhaber einer GmbH eine arbeitgeberähnliche Stellung einnehme, sei er trotz grösster Flexibilität – er gab an, dass für ihn Jobs zwischen 20 und 100 Prozent in Frage kommen würden – als nicht unterstützungsberechtigt eingestuft worden. «Mittlerweile hat X. – ohne RAV-Hilfe – eine solche Tätigkeit gefunden – bei einem Theaterprojekt.»

c) Wenn diese detaillierte Umschreibung im Lauftext in die Gesamtwürdigung einbezogen wird, wiegt die falsche Bezeichnung «arbeitslos» in der Bildlegende nach Auffassung des Presserates nicht allzu schwer. Der Beschwerdeführer musste angesichts des Gegenstands des Artikels und der von ihm offenbar abgesegneten Textpassagen auch ohne diese Bildlegende damit rechnen, von der Leserschaft des «Beobachters» dem Thema «Arbeitslosigkeit» zugeordnet zu werden. Zudem erscheint der von X. weiter beanstandete Begriff «Allrounder» angesichts der vielfältigen beruflichen Karriere durchaus zutreffend und zudem auch nicht negativ besetzt.

Der Beschwerdeführer beruft sich darüber hinaus auf den Zusammenhang zwischen Bild und Bildlegende; dabei macht er geltend, sein Bild zusammen mit der verkürzten Botschaft «X., Allrounder, arbeitslos» sei für ihn ein regelrechter «Jobkiller». Zwar ist richtig, dass der Presserat in früheren Stellungnahmen an den Verweisungszusammenhang zwischen Bild, Bildlegende und Text erinnert hat. So rügte er beispielsweise in der Stellungnahme 41/2000 den Abdruck des Bildes eines jungen Mannes bei einer Billettkontrolle der baselstädtischen Verkehrsbetriebe, das im Zusammenhang mit dem Text über zunehmende Aggression gegenüber Beamten den Eindruck erwecken konnte, auch der Abgebildete habe sich aggressiv verhalten. Vorliegend ergibt sich aber aus dem Gesamtkontext von Bild, Bildlegende und Lauftext lediglich die offensichtlich zutreffende Hauptaussage, wonach auch X. negative Erfahrungen mit dem für ihn zuständigen Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum gemacht habe.

d) Der Presserat ist jüngst in der Stellungnahme 63/2004 zum Schluss gelangt, es sei unverhältnismässig, aus einer für das Verständnis der Leserschaft nicht allzu wichtig erscheinenden Textunschärfe schon gleich eine Verletzung der berufsethischen Wahrheitspflicht abzuleiten. Der Wortlauf von Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung wichtiger Elemente von Information; Entstellung von Tatsachen) legt ebenso nahe, dass nicht bereits jede kleinste journalistische Ungenauigkeit eine berufsethische Pflicht verletzt. Der Beschwerdeführer stand nicht im Zentrum des Artikels des «Beobachters». Zudem konnte die Leserschaft – wie ausgeführt – dem Lauftext eine genauere Beschreibung der Erwerbssituation X. entnehmen. Insgesamt erschiene es deshalb unverhältnismässig, allein aufgrund des die Situation des Beschwerdeführers nicht ganz richtig wiedergebenden Begriffs «arbeitslos» in der Bildlegende, eine Verletzung von Ziffer 1 oder 3 der «Erklärung» festzustellen.

2. Hinzu kommt, dass der «Beobachter» diese ungenaue Information in der darauffolgenden Ausgabe inhaltlich korrigiert hat. Soweit X. im Zusammenhang mit dieser Berichtigung verlangt, diese hätte zwingend mit seinem Bild abgedruckt werden müssen, kann ihm ebensowenig gefolgt werden. Ziffer 5 der
«Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sagt nichts über die Art und Weise aus, wie eine Berichtigung zu erfolgen hat. Vielmehr auferlegt diese Bestimmung den Journalistinnen und Journalisten lediglich die Pflicht, materielle Unrichtigkeiten unverzüglich von sich aus zu berichtigen. Zwar sind die Medienschaffenden auch bei der Veröffentlichtung von Berichtigungen an das Fairnessprinzip gebunden. Eine Verpflichtung zum Abdruck eines (bestimmten) Bildes im Einzelfall kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Dies gilt erst recht, wenn wie vorliegend von vornherein fraglich erscheint, ob eine Falschinformation angesichts ihrer fehlenden Relevanz im Kontext einer Publikation eine Berichtigung überhaupt erforderlich macht.

3. a) Weiter fordert X., dass ihm Bild und Bildlegende vor der Publikation hätten vorgelegt werden müssen, wie dies mit Thomas Angeli vereinbart worden sei. Demgegenüber macht der «Beobachter» geltend, von einer derartigen Vereinbarung könne keine Rede sein. Das Vorlegen von Bild und Bildlegende sei schon aus produktionstechnischen Gründen nicht möglich. Thomas Angeli habe einzig versprochen, die Textpassagen mit Zitaten autorisieren zu lassen.

b) Aus der bisherigen Praxis des Presserates zum formellen Interview und zum Recherchegespräch lässt sich nicht ableiten, dass die Autorisierungspflicht – vorbehältlich einer ausdrücklichen Vereinbarung im Einzelfall – auch die Bildauswahl und den Text der Bildlegende umfasst. Ausgehend von der Stellungnahme 30/2002, auf die X. beruft, könnte man sich fragen, ob eine Pflicht zur Autorisierung dann zu bejahen wäre, wenn die Bildlegende ein nicht bereits im Text autorisiertes Zitat enthält. Vorliegend beanstandet der Beschwerdeführer aber nicht das in der Bildlegende ebenfalls enthaltene Zitat «Ich kann nur davor warnen, ein eigenes Geschäfts zu gründen.» Demgegenüber ist die von ihm bestandete Kurzbeschreibung «X., Allrounder, arbeitslos» offensichtlich kein Zitat und musste dementsprechend nicht autorisiert werden.

4. Soweit der Beschwerdeführer schliesslich eine Verletzung der Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) durch den Abdruck der ursprünglichen Bildlegende beanstandet, ist auf diese nicht näher ausgeführte Rüge mangels genügender Begründung nicht einzugehen.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.