Nr. 35/2001
Ungenaue Wiedergabe eines Statements

(Moser c. «SonntagsZeitung») Stellungnahme des Presserates vom 15. August 200

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Notlandung: Sabotage scheint ausgeschlossen» und dem Untertitel: «Vermutet wird Nachlässigkeit von Pilot Sepp Moser», berichtete die «SonntagsZeitung» (SoZ) in einem Artikel vom 27. Mai 2001 über Spekulationen nach einem Unfall des Aviatikjournalisten Sepp Moser. Moser war nach der Winterpause am 1. April 2001 vom Flugplatz Zürich Kloten mit seiner Cessna gestartet, musste allerdings bereits nach 10 Minuten notlanden. Als Ursache für den Zwischenfall wurde Wasser im Tank festgestellt. Gegenüber der Presse sprach Moser daraufhin von vermuteter Sabotage und reichte Anzeige gegen Unbekannt ein.

Der erwähnte Artikel in der SoZ beginnt mit dem Satz «Insgesamt acht Liter Wasser will Aviatikjournalist Sepp Moser nach seiner Notlandung in den Flugzeugtanks gefunden haben.» Es werden Vertreter/innen des Flugzeugherstellers Cessna zitiert, wonach eine solche Menge Wasser nicht unbemerkt hätte bleiben können. Das Flugzeug sei «laut Moser» vor dem Start 15 Minuten im «Leerlauf» gelaufen. Dabei hätte eine solche Menge Wasser zu einem Aussetzen des Motors vor dem Start führen sollen. Die SoZ vermutete daher, dass Moser nicht Opfer einer Sabotage, sondern Opfer seiner eigenen Nachlässigkeit geworden sei, da es bei Hobbypiloten eine verbreitete Unsitte sei, dass die Checks vor dem Flug unsorgfältig durchgeführt würden. Im übrigen müssten sich die Untersuchungsbehörden nun auch mit der Frage befassen, «wie jemand auf dem streng bewachten Zürcher Flughafen mit einem acht Liter Wasser fassenden Kanister ungestört an einem fremden Flugzeug manipulieren kann. Zumal es eine Leiter braucht, um überhaupt an die oben auf den Flügel liegenden Tanköffnungen zu gelangen.»

B. Sepp Moser wandte sich unverzüglich mit einem Gegendarstellungsbegehren an die SoZ. Darin berichtigte er, nie von einer bestimmten Menge Wasser im Tank gesprochen zu haben, sondern nur von einer «extrem grossen Menge». Ausserdem habe er vor dem Start nicht einen «Leerlauf», sondern einen «Standlauf» des Motors durchgeführt. Ferner verlangte Moser die Berichtigung der Aussage, es brauche eine Leiter, um die Tanks zu erreichen. «Das Flugzeug ist mit Fusstritten und Haltegriffen ausgestattet, so dass die Tanköffnungen ohne Leiter erreichbar sind.»

C. In Ihrem Antwortschreiben vom 31. Mai 2001 wies die SoZ die verlangte Gegendarstellung zurück. Sie verneinte in ihrer Begründung, dass der beanstandete Artikel ein ungünstiges Bild der angesprochenen Person habe entstehen lassen.

D. Mit Schreiben vom 4. Juni 2001 wandte sich Sepp Moser direkt an den Präsidenten des Presserates und befragte ihn als alten Bekannten über seine Meinung zum vorliegenden Fall. In seinem Antwortmail erläuterte Peter Studer seine Haltung und bekräftigte Moser in seinem Ansinnen, eine Gegendarstellung zu erwirken. Auch vor dem Presserat hätte Moser «prima vista keine allzu schlechten Karten».

E. Mit Schreiben vom 11. Juli 2001 gelangte Sepp Moser Beschwerde an den Presserat. Beanstandet wurden «objektiv falsche Sachaussagen» (Entstellung von Tatsachen im Sinne von Ziff. 3 der «Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten) und die Ablehnung des Abdrucks der Gegendarstellung (Verletzung der Berichtigungspflicht im Sinne von Ziff. 5 der «Erklärung»). Er habe nie irgend einer Person gegenüber die Menge von acht Litern Wasser erwähnt, weil die tatsächlich gefundene Menge eine ganz andere sei und weil ihm die Polizei dies verboten habe. Weiter sei die Maschine – wie erwähnt – vor dem Start nicht im «Leerlauf», sondern im «Standlauf» gelaufen, was eine zweieinhalbmal so hohe Tourenzahl bedeute. Dies sei für Fachleute ein relevanter Unterschied. Wenn das Triebwerk vor dem Start nur im Leerlauf getestet worden wäre, so wären wichtige Regeln fliegerischer Sorgfalt verletzt worden. Es sei für den Leser auch wichtig zu wissen, dass das Flugzeug ohne Hilfsmittel bestiegen werden könne. Die Hemmschwelle für allfällige Übeltäter wäre viel höher, wenn sie mit einer Leiter über das Flugfeld zum Flugzeug gehen müssten.

F. In einer Stellungnahme vom 10. Juli 2001 beantragte der Rechtsdienst der Tamedia AG namens der Redaktion der SoZ Abweisung der Beschwerde. Bereits in ihrer Korrespondenz zum Gegendarstellungsbegehren habe die SoZ eingeräumt, bei der Aussage, Moser selber habe von acht Litern Wassern im Tank gesprochen, habe es sich um ein handwerkliches Versehen gehandelt. Die SoZ wäre durchaus bereit gewesen, dies zu korrigieren, wenn der Beschwerdeführer den entsprechenden Wunsch geäussert hätte.

Das Gegendarstellungsgesuch habe keinerlei Erläuterungen zur Begründung enthalten. Aus dem Gesuch sei u.a. nicht hervor gegangen, worin das ungünstige Licht hätte bestehen sollen, in das der Beschwerdeführer durch den Artikel gerückt worden sei. Redaktion und Rechtsdienst hätten vielmehr den Eindruck erhalten, es würde «reine Wortklauberei» betrieben. Hätte man von den den mit der Beschwerde geltend gemachten Argumenten zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis gehabt, hätte man über mögliche Formen der Bereinigung diskutieren können.

Auch bezüglich der Frage «Leerlauf» oder «Standlauf» sei der SoZ weder beim Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels noch beim Verfassen der Antwort auf das Gegendarstellungsgesuch bekannt gewesen, dass ein bedeutender Unterschied zwischen diesen Begriffen bestehe. Der Beschwerdeführer habe weder im Gespräch mit dem Journalisten, noch in der Begründung der Gegendarstellung darauf hingewiesen. Auch in Bezug auf die Frage nach der Erreichbarkeit der Tanks verneinte die Beschwerdegegnerin eine Verletzung des Pressekodex. Für das Bild, das von Sepp Moser gezeichnet worden sei, sei dieser Punkt unerheblich.

G. Das Presseratspräsidium wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Peter Studer als Präsident sowie Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli, Silvana Ianetta, Philip Kübler, Kathrin Lüthi und Edy Salmina als Mitglieder angehören.

H. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 15. August 2001 sowie auf dem Korrespondenzweg. Peter Studer trat von sich aus in den Ausstand. An seiner Stelle leitete Edy Salmina die Verhandlungen.

II. Erwägungen

1. Der Presserat äussert sich nicht zur Interpretation von Rechtsnormen (vgl. zuletzt die Stellungnahme 16/2001 vom 1. März 2001 in Sachen F. c. «Basler Zeitung). Die Frage, ob die SoZ rechtlich verpflichtet gewesen wäre, die Gegendarstellung des Beschwerdeführers abzudrucken, wird daher ausgeklammert. Der Presserat beschränkt sich auf die Prüfung der geltend gemachten Verletzungen der Ziffern 3 (Unterschlagung wichtiger Informationselemente) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

2. a) Nach Ziff. 3 der «Erklärung» dürfen weder wichtige Elemente von Informationen unterschlagen, noch Tatsachen entstellt werden. Aus dieser Bestimmung ist abzuleiten, dass Quellen (vorbehältlich des Quellenschutzes) möglichst genau zu nennen und Statements präzis wiederzugeben sind.

b) Die Beschwerdegegnerin räumt hinsichtlich des ersten Beschwerdepunkts (Angaben des Beschwerdeführers zur Wassermenge, die in den Flugzeugtanks gefunden worden sein sollen) ein, dass der «erste Satz des beanstandeten Artikels nicht korrekt war». Die Verneinung einer Verletzung von Ziff. 3 begründet sie mit dem Argument, bis zur Einreichung der Beschwerde an den Presserat weder gewusst zu haben, dass der Beschwerdeführer die Menge von 8 Litern bestritt, noch dass er die effektive Menge nicht haben nennen dürfen oder dass es für ihn wichtig gewesen sei, die Zahl nicht selber genannt zu haben. Dieser Argumentation kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil Wissen und Willen nicht in jedem Fall für die Annahme einer Verletzung von Ziff. 3 der «Erklärung» vorauszusetzen s
ind. Die Beschwerdegegnerin hat durch ein Versehen dem Beschwerdeführer im ersten Satz des beanstandeten Artikels ein Statement in den Mund gelegt, dass dieser unbestrittenermassen so nicht gemacht hat. Damit ist eine Verletzung von Ziff. 3 ohne weiteres zu bejahen.

c) Hinsichtlich der Verwechslung der Begriffe «Leerlauf» und «Standlauf» wendet die «SoZ» u.a. mangelndes Fachwissen eines Mitautors des Artikels ein. Zudem sei diese Unterscheidung für das breite Publikum ohne Bedeutung. Vorab ist auch hinsichtlich dieser Rüge festzuhalten, dass eine Verletzung von Ziff. 3 ohne weiteres zu bejahen ist, falls das Statement des Beschwerdeführers auch in diesem Punkt unpräzis wiedergegeben worden sein sollte. Die Beschwerdegegnerin macht dazu geltend, der Mitautor des Artikels sei aufgrund seiner Notizen überzeugt, das Wort «Leerlauf» gehört zu haben, könne aber nicht ausschliessen, dass der Beschwerdeführer trotzdem von «Standlauf» gesprochen habe. Auch wenn diese Frage letztlich offen bleiben muss, ist eine Verletzung von Ziff. 3 bereits aus einem anderen Grund zu bejahen.

d) Technische, wissenschaftliche und juristische Themen stellen für Journalisten ohne Spezialwissen eine Herausforderung dar. Ungenauigkeiten, die vom breiten Publikum nicht wahrgenommen werden, können für Fachleute und die Betroffenen von grosser Bedeutung sein. So auch im vorliegenden Fall. Sepp Moser ist ein anerkannter Aviatikjournalist und Zweifel an seiner fachlichen Kompetenz, die durch unsachgemässe Darstellungen entstehen können, sind geeignet seinen beruflichen Ruf zu beeinträchtigen. Aus diesem Grund sind hier besonders hohe Anforderungen an die journalistische Sorgfalt zu stellen. Dabei liegt es in erster Linie an den Journalistinnen und Journalisten, sich die nötigen Informationen zu beschaffen, bei Zweifeln nochmals nachzufragen und sich bei Statements, in denen es um Fachfragen geht, gebenenfalls vor der Publikation noch einmal rückzuversichern. Nur mit dieser gebotenen Sorgfalt können solche Artikel der berufsethisch auferlegten Pflicht zur Wahrheitssuche (Ziff. 1.1 der Richtlinien) genügen und dem Publikum alle relevanten Fakten verständlich machen, damit es in die Lage versetzt wird, sich eine eigenständige Meinung zu bilden. Von Fachleuten kann demgegenüber nicht erwartet werden, dass sie ohne weiteres erkennen, inwieweit ihre Gesprächspartner bei der Recherche über das Thema im Bilde sind. Laientum genügt nicht als Entschuldigung für Fehler und ungenaues Arbeiten. Im konkreten Fall hätte es einem fachlich kompetenten Journalisten ohne weiteres auffallen müssen, dass eine genaue Beschreibung der vor dem Start vom Beschwerdeführer vorgenommenen Sicherheitschecks für die Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers sehr wichtig war. Falls dem Journalisten der SoZ das entsprechende Fachwissen fehlte, wäre er umso mehr gehalten gewesen, die im Artikel wiedergegebenen Statements des Beschwerdeführers diesem noch einmal vorzulegen.

e) Schliesslich erscheint die Frage, ob die Tanks des Flugzeuges lediglich mit Hilfe einer Leiter oder ob sie auch ohne Leiter erreichbar sind, entgegen der Auffassung der «SonntagsZeitung» selbst aus Sicht eines Laienpublikums keineswegs als «unerheblich». Für die Einschätzung der Plausibilität der Thesen des Beschwerdeführers (Sabotage) bzw. der «SonntagsZeitung» (Versagen des Beschwerdeführers) durch die Leserschaft macht es einen wesentlichen Unterschied aus, ob jemand «bloss» mit einem Wasserkanister oder ob er oder sie zusätzlich mit einer Leiter über einen streng bewachten Flugplatz marschiert. Die «SonntagsZeitung» liefert zudem keinerlei Erklärung, wie sie zur Annahme gekommen ist, dass es für einen Sabotageakt eine Leiter gebraucht hätte. Mit anderen Worten widerspricht sie der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers zumindest nicht ausdrücklich. Insgesamt ist deshalb auch in diesem Punkt festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin Ziff. 3 durch eine Entstellung von Tatsachen verletzt hat, die sich bei sorgfältigerer Arbeitsweise ohne weiteres hätte vermeiden lassen.

4. a) Ziff. 5 der «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, jede von ihnen veröffentlichte Verpflichtung zu berichtigen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist.

b) Die Berichtigungspflicht ist Teil der Wahrheitssuche im Sinne von Ziff. 1.1 der Richtlinien zur «Erklärung». Der Presserat hat in der Stellungnahme 5/99 i.S. S. c. «SonntagsZeitung» vom 10. März 1999 (Sammlung 1999, S. 53ff.) festgehalten, eine Berichtigung könne von einer Redaktion nur dann erwartet werden, wenn sie von einer Unrichtigkeit Kenntnis hat. Weiter hat der Presserat jüngst darauf hingewiesen (Stellungnahme i.S. K. c. NZZ vom 30. August 2000, Sammlung 2000, S. 205), dass bei der Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall eine Berichtigung geboten ist, u.a. vom Verhältnismässigkeitsprinzip auszugehen ist.

c) Die «SonntagsZeitung» macht auch hinsichtlich der Frage der Berichtigungspflicht geltend, sie sei bis zum Erhalt der Beschwerdebegründung nur ungenügend über die vom Beschwerdeführer beanstandeten Punkte informiert gewesen. So sei beispielsweise die Tragweite des Unterschieds zwischen Stand- und Leerlauf bis dahin unklar geblieben, und auch die Bedeutung der Tatsache, dass der Beschwerdeführer selber nie von einer genau bezifferten Menge Wasser gesprochen hatte, sei der Beschwerdegegnerin nicht bekannt gewesen. Auch in dieser Frage kann aber Unwissenheit nicht als Entschuldigung für Unterlassenes akzeptiert werden. Denn spätestens nach Erhalt des Gegendarstellungsbegehrens hatte die «SonntagsZeitung» davon Kenntnis, dass der am 27. Mai 2001 publizierte Artikel – zumindest nach Auffassung des Beschwerdeführers – Unrichtigkeiten enthielt. Die Beschwerdegegnerin wäre spätestens zu diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, die Frage einer allfälligen Berichtigung näher zu prüfen, sich beim Beschwerdeführer kundig zu machen und in der Folge die materiell unrichtigen Punkte zu berichtigen. Allenfalls hätte bereits ein klärendes Telefonat genügt, um das Verfahren vor dem Presserat zu verhindern. Eine Berichtigung war vorliegend auch im Lichte des Verhältnismässigkeitsprinzips angebracht, weil der Artikel – und insbesondere die beanstandeten Passagen – geeignet war, den Ruf des Beschwerdeführers in Fachkreisen zu beeinträchtigen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die «SonntagsZeitung» hat mit dem am 27. Mai 2001 publizierten Artikel «Mosers Notlandung» Ziff. 3 durch die ungenaue Wiedergabe eines Statements und Ziff. 5 der «Erklärung» durch die Unterlassung einer gebotenen Berichtigung verletzt.

2. Aus Ziff. 3 der «Erklärung» (Unterschlagung wichtiger Informationselemente) ist abzuleiten, dass Quellen (vorbehältlich des Quellenschutzes) möglichst genau zu nennen und Statements von Betroffenen präzis wiederzugeben sind.

3. Ungenauigkeiten und unsachgemässe Darstellungen bei technischen, wissenschaftlichen und juristischen Themen können den beruflichen Ruf eines in einem Medienbericht zitierten Fachmannes beeinträchtigen. Medienschaffende ohne Fachkenntnisse sollten deshalb bei Verständnisschwierigkeiten und Zweifeln lieber nochmals nachfragen und sich bei Statements, in denen es um Fachfragen geht, gegebenenfalls vor der Publikation noch einmal rückversichern.

4. Mangelnde Kenntnis einer Unrichtigkeit bildet dann keinen genügenden Grund für die Unterlassung einer Berichtigung, wenn eine Redaktion die Frage einer allfälligen Berichtigung trotz entsprechender Hinweise nicht von sich aus weiter abklärt.