I. Sachverhalt
A. Im «Kantonalen Pfarreiblatt Luzern» (nachfolgend: «Pfarreiblatt») Nr. 3 vom 1. bis 15. Februar 2011 erscheint unter dem Titel «Kirche für Schutz vor Waffen» eine Newsmeldung, welche die Stellungnahme der Kirche zur eidgenössischen Abstimmung über die Waffeninitiative vom 13. Februar zusammenfasst. Sie verweist auf die Argumente der bischöflichen Kommission Justizia et Pax, die sich für die Initiative ausgesprochen hat. Sie bringe mehr Sicherheit für Frauen und Kinder und sei ein Beitrag zur Suizid-Prävention bei Männern. Illustriert ist die Meldung mit dem undatierten Bild eines Knaben, der sich eine Pistole in den Mund steckt. Dass es sich dabei nicht um eine echte Pistole handelt, sondern um eine Glace in Form einer Waffe, geht aus dem Bild nicht hervor. Ebenso fehlt eine entsprechende Legende.
B. Am 31. Januar 2011 beschwerten sich die CVP-Nationalräte Ida Glanzmann, Ruedi Lustenberger und Pius Segmüller beim Presserat, das Bild verletze die Privatsphäre und die Menschenwürde des Kindes sowie das ethische und religiöse Empfinden der Leser/innen (Ziffer 7 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»). Ausserdem sei es ohne Quellenangabe aus dem Internet kopiert worden (Ziffer 3 der «Erklärung»).
C. Am 9. Februar 2011 nahm Lukas Niederberger, Zentralredaktor, namens des Vereins Kantonales Pfarreiblatt Luzern Stellung zur Beschwerde. Als Zentralredaktor stelle er den 60 von rund 100 Pfarreien, die beim Verein Mitglied sind, alle zwei Wochen acht Zentralseiten zur Verfügung. Die einzelnen Pfarreien würden jedoch autonom entscheiden, welche Seiten/Berichte sie davon übernehmen wollen. Die von den Beschwerdeführern beanstandete News-Seite hätten bloss fünf von sechzig lokalen Pfarreiblättern übernommen. Auf das Bild, «das mit allen Texten und Bildern wie immer zur Information eine Woche vor Drucklegung an rund 300 Adressen als PDF gemailt wurde», habe er keine einzige Rückmeldung erhalten, die ihn veranlasst hätte, es vor Drucklegung auszutauschen. «Offenbar haben manche Pfarreien, die das Bild nicht goutierten, für sich entschieden, die Seite nicht zu wählen.»
Da es sich bei den Pfarreiblättern um Mitgliederpublikationen handle, sei ihm bisher nicht bewusst gewesen, dass die Pfarreiblätter den gleichen publizistischen Kriterien unterstünden wie Publikationen, die man öffentlich am Kiosk kaufen könne. In den zwei Jahren seit Stellenantritt habe ihn zudem noch nie jemand auf fehlende Bildquellen angesprochen.
Da das Bild seit einer öffentlichen Aktion der Kunsthochschule Frankfurt am Main von 2009 im Internet-Blog frei zugänglich war, sei er zudem nicht davon ausgegangen, dass er für eine lokale Print-Publikation eine nochmalige Einwilligung des abgebildeten Kindes gebraucht hätte. Zumal das Kind das Eis «freiwillig lutschte und sich freiwillig ablichten liess» und zudem im Luzerner See- und Hinterland niemandem bekannt sei.
Falls Leserinnen und Leser wirklich nicht gemerkt hätten, «dass der Junge auf dem Bild an einem Eis in Pistolenform lutscht, das Eis mit einer Papierserviette hält und verschmierte Lippen bekommt», könne er den Vorwurf nachvollziehen, wonach das ethische und religiöse Empfinden verletzt werde. «Bei all diesen Personen habe ich mich bereits öffentlich im ‹Pfarreiblatt› (…) und in der ‹Neuen Luzerner Zeitung› entschuldigt. Eine Legende zum Bild wäre sicher hilfreich gewesen, für diesen Fall einer allzu flüchtigen Betrachtung.»
D. Das Präsidium des Presserats wies die Beschwerde am 11. Januar 2011 seiner 1. Kammer zu, der Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder) angehören.
E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 5. Mai 2011 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf Beschwerden ein, deren Gegenstand ausserhalb seines Zuständigkeitsbereichs liegt. Art. 1 Abs. 4 des Presseratsreglements beschränkt diese Zuständigkeit auf den redaktionellen Teil von periodisch erscheinenden und/oder auf die Aktualität bezogenen Medien. Dabei ist nicht entscheidend, auf welche Weise eine Information verbreitet wird, ob elektronisch oder auf Papier und ob Printmedien nur an Abonnenten/Mitglieder oder auch am Kiosk vertrieben werden. Vielmehr stellt der Presserat darauf ab, ob eine Redaktion Inhalte nach professionellen journalistischen Kriterien auswählt und bearbeitet oder ob sie beispielsweise in erster Linie PR-Texte veröffentlicht (Stellungnahme 62/2008). Der hier zur Diskussion stehende, von der Zentralredaktion produzierte überpfarreiliche Teil des «Pfarreiblatt» ist journalistisch aufgemacht. Die Zentralredaktion arbeitet gemäss den Leitlinien des Vereins innerhalb des vorgegebenen kirchlichen Rahmens in journalistischer Unabhängigkeit und gestützt auf ein Redaktionsstatut. Unter diesen Umständen bejaht der Presserat seine Zuständigkeit und tritt auf die Beschwerde ein.
2. Gemäss der Richtlinie 3.1 zur «Erklärung» (Quellenbearbeitung) liegt eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags im Interesse des Publikums. Sie ist vorbehältlich eines überwiegenden Interesses an der Geheimhaltung einer Quelle unerlässlich, wenn dies zum Verständnis der Information wichtig ist.
Aus dem vom «Pfarreiblatt» veröffentlichten Bild alleine geht – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht hervor, dass es sich um einen Jux mit Wassereis handelt und nicht um eine echte Waffe. Deshalb wäre es unerlässlich gewesen, zumindest hierauf hinzuweisen oder noch besser auch die Bildquelle (https://der.oschni.de/blog/lecker-waffen-eis) zu nennen.
3. Der Presserat hat jüngst in der Stellungnahme 7/2011 daran erinnert, dass eine Redaktion einen Artikel nicht mit einem Personenbild illustrieren darf, das in einem ganz anderen Zusammenhang aufgenommen wurde – ausser die Betroffenen erklären sich mit der Verwendung des Bildes im neuen Zusammenhang einverstanden. Wer bereitwillig an einer öffentlichen Aktion einer Kunsthochschule mitwirkt, sich fotografieren lässt und einwilligt, dass das Bild im Internet veröffentlicht wird, gibt damit nicht zwingend sein Einverständnis dafür, das gleiche Bild in einem anderen, politischen, Kontext zu verwenden. Auch Bilder, die im Internet allgemein zugänglich sind, dürfen von anderen Medien nicht ohne Weiteres weiterverbreitet werden. «Im Einzelfall sind Journalisten verpflichtet, die zur Diskussion stehenden Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information; Schutz des Privatlebens) sorgfältig abzuwägen und sich zu vergewissern, ob eine der Voraussetzungen der identifizierenden Berichterstattung (Einwilligung der betroffenen Person, Ausübung einer leitenden Funktion usw.) erfüllt ist» (Stellungnahme 43/2010). Mithin wäre das «Pfarreiblatt» unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes (Ziffer 7 der «Erklärung») verpflichtet gewesen, sich entweder um die Einwilligung des abgebildeten Kindes bzw. seiner Eltern zu bemühen oder das Gesicht unkenntlich zu machen.
4. a) Nicht als verletzt erachtet der Presserat hingegen Ziffer 8 der «Erklärung» (Respektierung der Menschenwürde). Zwar mag die Verwendung des unzureichend deklarierten Bildes in einem ganz anderen Kontext von mangelnder Sensibilität gegenüber der Leserschaft des «Pfarreiblattes» zeugen. Zumal Kindersuizid mit einer Pistole im Zusammenhang mit der Diskussion über die Waffeninitiative nie zur Diskussion stand.
Der Presserat setzt die Schwelle für eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» jedoch bewusst hoch an. Danach muss die abwertende Äusserung gegen ein Individuum eine Mindestintensität erreichen, um als herabwürdigend zu gelten (Stellungnahme 32/2006). Das Kind mit dem Wassereis im Mund auf dem Foto wird darauf weder in seinem Menschsein herabgewürdigt noch zu einem blossen Objekt degradiert. Nach Auffassung des Presserates ist die berufsethische Problematik weniger beim Bild an sich, als vielmehr – wie oben in den Erwägungen 2 und 3 ausgeführt – in der ungenügenden Deklaration und dem Abdruck in einem veränderten Kontext zu orten.
b) Ebenso wenig sieht der Presserat die Menschenwürde der Leserschaft des «Pfarreiblatt» verletzt. In der Stellungnahme 15/2005 hat der Presserat die in aufklärerischer Absicht erfolgte Veröffentlichung des grässlichen Bildes des abgerissenen Kopfs einer Selbstmordattentäterin gerügt, da diese für die Leserschaft trotz Ankündigung im Editorial überraschend kam und ungenügend in den Kontext des Berichts eingebettet war. Selbst wenn man die Latte für eine Verletzung der Menschenwürde der Leserschaft nicht ganz so hoch ansetzen will, liegt die Publikation des Kinderbildes durch das «Pfarreiblatt» immer noch darunter. Zwar erscheint der Gebrauch eines Kinderbildes im Kontext einer politischen Auseinandersetzung verfehlt und geschmacklos. Das Bild des Kindes mit dem Wassereis drängt sich dem unbefangenen Betrachter jedoch nicht als Schockbild auf, sondern wirkt im Kontext der Meldung «Kirche für Schutz vor Waffen» bloss deplatziert und löst höchstens Kopfschütteln aus. Zumal die Kombination von Bild und Text in keiner Weise den (unerträglichen )Schluss aufdrängt, hier schreite ein Kind konkret zur Selbsttötung.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Das «Pfarreiblatt» hat mit der Veröffentlichung des Berichts «Kirche für Schutz vor Waffen» (Nr. 3/2011 vom 1. bis 15. Februar 2011) die Ziffern 3 (Quellennennung) und 7 (Persönlichkeitsschutz) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»verletzt.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.
4. Nicht verletzt hat das «Pfarreiblatt» die Ziffer 8 der «Erklärung» (Menschenwürde).