Nr. 48/2016
Quellen / Leserbrief

(Keller c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 29. Dezember 2016

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I. Sachverhalt

A. Am 3. November 2015 erschien in der «Basler Zeitung» («BaZ») ein Artikel mit dem Titel «Ein Baudirektor, der Spuren hinterliess». Der Bericht ist anlässlich des 90. Geburtstags von Alt-Regierungsrat Eugen Keller dessen privatem und beruflichem Leben gewidmet. Unter anderem ist die Rede von Santiago Calatravas Projekt für den Neubau der Wettsteinbrücke. Keller habe sich als Basler Baudirektor gegen das Engagement des spanischen Stararchitekten für den Neubau der Brücke gewehrt. Damit habe er den Kanton vor riesigen Ausgaben be-wahrt, denn was Calatrava vorgelegt habe, sei ein «fertiger Bschiss» gewesen. Der Architekt habe mit dynamischen Bauten, etwa Brücken, immer Probleme und er halte nie einen Kostenvorschlag ein. Keller habe erkannt, dass Calatrava eine Fehlkonstruktion vorgelegt habe. Zwei Wochen darauf – am 18. November 2015 – erschien in der «BaZ» unter der Rubrik «Meinung» ein Leserbrief, in welchem sich Eugen Keller für die erhobenen Vorwürfe entschuldigte. Es sei nicht seine Absicht gewesen, Calatrava persönlich zu beleidigen und er würde heute eine andere Wortwahl verwenden. Die Aussage «Bschiss» nehme er zurück.

B. Am 21. November 2015 reichte Eugen Keller beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den von der «Basler Zeitung» veröffentlichten Leserbrief ein. Den Brief hätte er auf Aufforderung von Calatravas Rechtsanwalt an dessen Adresse als Entschuldigung für die erhobenen Vorwürfe geschickt – und nicht an die «BaZ» zur Veröffentlichung als Leserbrief. Auf An-frage bei der «BaZ» sei ihm mitgeteilt worden, der Brief sei ihr von Calatravas Kommunika-tionsberater zugestellt worden mit dem Hinweis, es wäre schön, wenn dieser auf der Leserbriefseite veröffentlicht würde. Daraus habe die «BaZ» geschlossen, dass die Veröffentlichung im Sinne des Beschwerdeführers sei und den Brief entsprechend publiziert. Diese Antwort habe Keller nicht befriedigt. Der Leser sei offensichtlich getäuscht worden, denn es sei der Anschein erweckt worden, Keller habe diesen Brief verfasst. Damit verletze die «BaZ» Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nach-folgend «Erklärung»).

C. Mit Beschwerdeantwort vom 22. Februar 2016 beantragte die anwaltlich vertretene «National Zeitung und Basler Nachrichten AG» (Herausgeberin der «BaZ»), die Beschwerde ab-zuweisen, soweit darauf eingetreten werde. Auf die Beschwerde solle gemäss Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 Geschäftsreglement des Presserats wegen mangelnder Begründung gar nicht eingetreten werden. Ausserdem sei nicht auf die Beschwerde einzutreten, weil sie sich nicht auf berufsethische Fragen beziehen würde, sondern ihr ein Missverständnis zugrunde liege, welches geklärt werden könne und wofür sich die «BaZ» entschuldigt habe. Demnach bestehe kein öffentliches Interesse und keine Notwendigkeit für eine Beurteilung durch den Presserat. Für den Fall, dass der Presserat dennoch auf die Beschwerde eintrete, antworte die Redaktion wie folgt:

Den Leserbrief habe die «BaZ» von Calatravas Kommunikationsberater erhalten. Dieser führte in seiner Mail folgendes aus: «Beiliegend schicke ich dir den Brief von aRR Keller zu seinen Äusserungen. Es wäre schön, wenn du diesen Brief auf der Leserbriefseite veröffentlichen würdest.» Offensichtlich habe er damit den Eindruck erwecken wollen, dass es sich bei der Veröffentlichung des Entschuldigungsschreibens um einen Bestandteil der Vergleichslösung zwischen Keller und Calatrava gehandelt habe. Somit habe für die «BaZ» kein Grund bestanden, dieser Bitte nicht nachzukommen. Erst als sich Keller nach Veröffentlichung des Briefes per Mail an die «BaZ» gewandt habe, sei die Situation klar geworden. «BaZ»-Chefredaktor Markus Somm habe sich daraufhin bei Keller entschuldigt. Weiter hält die Beschwerdegegnerin fest, dass Keller – entgegen seiner Behauptung – das Entschuldigungsschreiben tatsächlich selber verfasst habe. Schliesslich könne auch keine Rede davon sein, dass der Leser offensichtlich über die Urheberschaft des Leserbriefes getäuscht worden sei. Quelle und Urheber des Schreibens seien bekannt und damit könne keine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» vorliegen. Im Übrigen habe sich der Chefredaktor der Beschwerdegegnerin nach Bekanntwerden des Missverständnisses beim Beschwerdeführer entschuldigt.

D. Am 19. August 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 29. Dezember 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
 

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 9 Geschäftsreglement des Schweizer Presserats sind Beschwerden zu begrün-den. Der Beschwerdeführer tut dies über eine ganze Seite und bringt zudem neun Beilagen als Beweise vor. Der Presserat erachtet dies als eine ausreichende Begründung und tritt deshalb auf die Beschwerde ein. Entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin handelt es sich bei einem ohne Einwilligung publizierten (Leser-)Brief um eine berufsethische Frage, welche gemäss Art. 1 Abs. 1 Geschäftsreglement in den Aufgabenbereich des Presserats fällt.

2. Ziffer 3 der «Erklärung» hält Journalistinnen und Journalisten dazu an, nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne, deren Quellen ihnen bekannt sind, zu veröffentlichen. Der Beschwerdeführer bringt vor, diese Bestimmung sei durch das Publizieren seines Entschuldigungsbriefes an Calatrava als Leserbrief in der «BaZ» verletzt worden. Angesichts der Zeichnungspflicht von Leserbriefen gemäss Richtlinie 5.3 der «Erklärung» kommt der Presserat zum Schluss, dass der «BaZ» eine erhöhte Verifizierungspflicht der Quelle zugekommen wäre. Denn der Brief von Eugen Keller wurde der «BaZ» von einer Drittperson zugestellt und dies ohne Nachweis, dass Keller mit dem Abdruck als Leserbrief einverstanden sei. Deshalb hätte die «BaZ» diese Quelle kritisch hinterfragen und bei Keller nachfragen müssen, ob und in welcher Form sie den besagten Brief in seinem Namen abdrucken darf. Dieser Verpflichtung ist die «BaZ» nicht nachgekommen und sie hat deshalb Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit der Publikation des vermeintlichen Leserbriefs von Eugen Keller vom 18. November 2015 die Ziffer 3 (Quellen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.