I. Sachverhalt
A. Im «SonntagsBlick» vom 31. März 2002 lautete der Haupttitel auf der Frontseite «Borer und die nackte Frau», darüber die Zeile «Was geschah in der Botschaft?». Illustriert war die Seite mit dem unscharfen Foto einer jungen Frau in Tänzerinnenpose, bekleidet mit nichts als einem Höschen und Schuhen. Eingeklinkt war ein kleines Bild, das Botschafter Thomas Borer-Fielding zeigte, wie er sich mit beiden Händen an den Kopf fasst. Darunter stand ein weiterer Titel: «EDA verlangt Stellungnahme».
Die eigentliche Geschichte begann auf den Seiten 2 und 3 unter dem Titel «Die Nackte, die in der Schweizer Botschaft verkehrt: Shawne hat mich getreten». Erzählt wurde von einem nächtlichen Besuch der Visagistin Djamile R. in der Schweizer Botschaft in Berlin. Illustriert war der Beitrag einerseits mit einem weiteren Aktbild (Legende: «Gern nackt: Djamile besserte als Aktmodell ihr Einkommen ein bisschen auf») und einer Fotosequenz, die zeigen sollte, wie die Besucherin nachts in die Botschaft gefahren wird und später das Gebäude wieder verlässt. Der Text des Artikels suggerierte nicht nur eine sexuelle Beziehung zwischen Djamile R. und Botschafter Thomas Borer-Fielding, sondern er behauptete überdies, der nächtliche Besuch sei auch den deutschen Sicherheitsorganen aufgefallen: «Die Videokameras des Kanzleramtes zeichnen alles auf, was in der Umgebung verkehrt. Der Eingang zur Schweizer Botschaft gehört zum Sichtfeld dieser magischen Augen – weil er im Hochsicherheitstrakt der deutschen Politik liegt.» Möglich sei daher, dass die Sicherheitsorgane wüssten, dass der Wagen, den Djamile R. in der Nähe der Botschaft parkiert hatte, «einem mehrfach vorbestraften Berliner gehört». Der «SonntagsBlick» behauptete, die Affäre sei in Berlin nicht unentdeckt geblieben: «Zuletzt wurde immer lauter getuschelt, ob der Botschafter nicht Gefahr laufe, erpressbar zu werden.»
Genau diese Frage legte die Zeitung auch in einem Kurzinterview dem Pressesprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten vor. Dieser sagte, falls ein Botschafter in die Situation käme, erpressbar zu sein, müsste man sofort Konsequenzen ziehen. Doch warnte der Pressesprecher vor vorschnellen Urteilen und sagte, auch Botschafter hätten ein Privatleben. Zuerst müsse das EDA die Fakten studieren.
B. Vom 2. April 2002 an – dem Dienstag nach Ostern – zog der «Blick» die Geschichte weiter. Zunächst stellte er den angeblichen Besuch in der Botschaft als freundschaftliche Tröstung einer Frau mit Liebeskummer dar. Doch nachdem Thomas Borer die Behauptungen von Djamile R. energisch dementiert hatte, verschärfte sich der Ton im «Blick» von Tag zu Tag: «Warum sagen Sie nicht die Wahrheit, Herr Borer?» (3. April), «Herr Borer, Sie lügen! Die ganze Wahrheit über Ihre Sex-Affäre» und «Djamile R.: Immer wenn Shawne weg war, hatten wir Sex in der Botschaft!» (4. April), «Antreten! Bundesrat Deiss stellt Botschafter Borer zur Rede» und «Lügen-Botschafter Borer. So schamlos geht er mit der Wahrheit um» (5. April), «Jetzt redet der Fotograf!» (6. April).
Verständlicherweise fand die Geschichte von der Visagistin und dem Botschafter in den schweizerischen und deutschen Medien ein grosses Echo. Besonders intensiv wurde darüber diskutiert, ob die Bildsequenz, welche Djamile R. nachts vor der Schweizer Botschaft zeigte, echt oder digital verfälscht sei. Der Verlauf der Debatte, an der sich «SonntagsBlick» und «Blick» weiterhin beteiligten, braucht hier nicht nachgezeichnet zu werden, da sie für die vom Presserat zu behandelnden Fragen nicht relevant ist. Darum seien nachfolgend nur einige Passagen zitiert, in denen «Blick» und «SonntagsBlick» sich zur medienethischen Problematik des Falles äusserten.
C. Am 4. April 2002 schrieb der «Blick»-Chefredaktor in seinem Kommentar «Thomas Borer ist ein trauriger Narr», in dem er erklärte, nicht die von Djamile R. behauptete sexuelle Beziehung sei verwerflich, sondern wie Borer auf die Geschichte reagiert habe: «Der Botschafter tat, was er nicht hätte tun sollen: Er schlug wild um sich.»
Der Chefredaktor des «SonntagsBlicks» schrieb in seinem Editorial vom 7. April 2002: «Wie wir in der Vergangenheit über Bohlen, Naddel und Verona Feldbusch geschrieben haben, haben wir am vergangenen Sonntag über Thomas Borer und Shawne Fielding sowie über Djamile, die Geliebte Thomas Borers geschrieben.» Borer und seine Frau gehörten «zur ehrenwerten deutschen Spassgesellschaft», welche die Klatschseiten der Medien zierten. Borer nehme sich die Freiheit zu tun und zu lassen, was ihm gefalle. «Deshalb nehmen sich SonntagsBlick und Blick auch die Freiheit, über die Freiheiten Borers kritisch zu berichten.»
Ganz ähnlich äusserte sich Verleger Michael Ringier am 10. April 2002 in einem Interview mit dem «Blick». Zwar hätte er die erste Geschichte im «SonntagsBlick» nicht gebracht: «Weil für mich an jenem Samstag das Problem der Verletzung der Privatsphäre Borers noch nicht gründlich genug geklärt war. (…) Am Dienstag war ich dann aber der Überzeugung, dass der SonntagsBlick richtig gehandelt hatte. Borer lancierte die Geschichte durch sein ungeschicktes Verhalten erst richtig. Er zeigte damit, dass wir in der Berliner Botschaft ein grosses Problem haben.»
Es gebe keinen Unterschied zwischen Dieter Bohlen und Thomas Borer, wiederholte der Kolumnist des «SonntagsBlick» am 14. April 2002 und kam zum Schluss: «Ist es unpolitisch, dass über den Schweizer Botschafter in Berlin seit Jahren von ihm selbst lancierte und provozierte Geschichten aus der Klatschszene zu berichten sind? Gerade dies ist doch das Politische: Dass es des Politischen gar nicht mehr bedarf, um Klatschgeschichten über Bohlenborer zu rapportieren.»
In der gleichen Nummer des «SonntagsBlick» äusserte sich Uli Sigg, Verwaltungsratspräsident der Ringier AG, in einem Streitgespräch mit Michael Ringier kritisch zur bisherigen Berichterstattung: «Wenn man die Intimsphäre der Person ausleuchtet, muss der berichtete Vorfall ein öffentliches Gut beeinträchtigen. Für die Schweiz ist die Frage, ob Botschafter Borer eine Affäre hat, nicht relevant.» Weiter sagte Sigg: «Wenn ein Prominenter dann und wann seine privaten Räume für die Medien öffnet, hat er sie nicht für den Rest des Lebens an Tisch und Bett eingeladen.» Sigg wies auch darauf hin, dass die «zwei Schlenker» im ersten Artikel des «SonntagsBlick», die ein öffentliches Interesse vorgaben, nicht stimmten: «Der eine waren die Kameras des Bundeskanzleramtes, der andere die Erpressbarkeit wegen der Vorstrafe des ehemaligen Lebenspartners dieser Dame. Beide waren falsch.»
D. Nachdem Djamile R. ihre eidesstattliche Erklärung, sie habe mit Thomas Borer ein sexuelles Verhältnis gehabt, mit einer zweiten Erklärung widerrufen hatte, schlossen die Ringier AG und das Ehepaar Borer-Fielding am 13. Juli 2002 einen Vergleich ab: Nach einer öffentlichen Entschuldigung und einer finanziellen Entschädigung in nicht genannter Höhe verzichtete Thomas Borer auf gerichtliche und aussergerichtliche Schritte gegen das Verlagshaus. Der «SonntagsBlick» vom 14. Juli 2002 meldete auf seiner Frontseite: «Entschuldigung! Streit mit Thomas Borer beigelegt. Der Brief von Michael Ringier».
Im Brief an die Leserinnen und Leser erklärte Michael Ringier, die oberste Konzernspitze der Ringier AG habe erst bei der Aufarbeitung des Falls erfahren, dass Djamile R. für die Geschichte ein Informationshonorar von 10’000 Euro bekommen habe und dass die Aktfotos von ihr «unter einem Vorwand beschafft worden» seien. Es sei auch ein Fehler gewesen, sich zu sehr auf die erste eidesstattliche Aussage von Djamile R. zu verlassen. Die Ringier AG habe sich verpflichtet, für den finanziellen Schaden, welcher dem Ehepaar Borer-Fielding entstanden sei, aufzukommen. «Mit Geld lässt sich vieles, aber nicht alles wieder gutmachen. Wir wissen das und wollen deshalb aus der Angelegenheit auch unsere Lehren ziehen. Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit droht gutes journalistisches Handwerk verdrängt zu werden. Dieser Gefahr wollen wir mit erhöhter Wachsamkeit und mit Sorgfalt begegnen. Auch dem Boulevardjournalismus sind Leitplanken gesetzt, die er nicht übersehen darf. Eine Rückbesinnung auf Grundwerte des Anstandes und der Fairness ist notwendig.»
E. Bereits in der ersten Aprilwoche 2002 hatte das vierköpfige Präsidium des Presserats den Fall Ringier/Borer diskutiert. Es ermächtigte den Präsidenten des Presserats zur Ankündigung, der Presserat werde die Angelegenheit wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung von sich aus aufgreifen, falls von aussen keine Beschwerde erhoben werde.
F. Am 9. Mai 2002 traf eine Beschwerde von Thomas Borer ein, die sich gegen den Artikel im «SonntagsBlick» vom 31. März richtete.
G. Nachdem Thomas Borer am 13. Juli 2002 mit der Ringier AG einen Vergleich geschlossen hatte, zog sein Anwalt die Beschwerde wieder zurück. Da zu diesem Zeitpunkt von der Beschwerdegegnerin – dem «SonntagsBlick» bzw. der Ringier AG – noch keine Stellungnahme eingegangen war, hatte der Presserat die Beschwerde noch nicht beraten können.
H. Unter dieser neuen Voraussetzung fragte das Präsidium die Mitglieder des Presserats an, ob der Presserat den Fall Ringier/Borer in eigener Kompetenz aufgreifen soll. Bis zum Stichtag 16. August 2002 sprach sich eine deutliche Mehrheit dafür aus, die Angelegenheit wegen ihrer medienethischen Bedeutung zu behandeln. Presserat-Präsident Peter Studer, der bereits zuvor für die Behandlung der Beschwerde von Thomas Borer in den Ausstand getreten war, wurde beauftragt, eine Beschwerdeschrift zu verfassen. Diese reichte er mit Datum vom 20. August 2002 ein.
I. Die Beschwerdeschrift stellt im wesentlichen drei Anträge:
– Es sei festzustellen, dass die Enthüllungsstory vom 31. März 2002 und eine Reihe weiterer Beiträge in «SonntagsBlick» und «Blick» die Intimsphäre des Ehepaares Borer-Fielding schwer verletzt hätten, ohne dass ein überwiegendes öffentliches Interesse vorgelegen habe (Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung»).
– Zur Wahrheitsfrage dieser unstatthaften Publizität solle der Presserat sich nicht äussern. Hingegen möge er Guidelines zum Umgang mit leicht veränderlichen digitalen Foto- und Filmbildern entwickeln, die das Verbot der Entstellung von Bildern (Ziffer 3 der «Erklärung») stützen.
– Ein «Informationshonorar» von 10’000 Euro zum Kauf von Skandalinformationen verstosse gegen Ziffer 4 der «Erklärung» (Verbot von unlauteren Methoden der Informationsbeschaffung). Der Presserat möge den Unterschied zwischen unstatthaftem Informationshonorar und zulässiger Aufwandentschädigung klären.
K. Das Präsidium übertrug die Behandlung der Beschwerde der 3. Kammer. Das Thema «Umgang mit leicht veränderlichen digitalen Foto- und Filmbildern» wurde jedoch ausgeklammert und die 1. Kammer mit der Ausarbeitung einer separaten Stellungnahme beauftragt. Der 3. Kammer gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin sowie Judith Fasel, Gina Gysin, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann an. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 5. Dezember 2002. Gina Gysin («Blick») trat in den Ausstand.
L. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2002 äusserte sich RA Dr. Mathias Schwaibold im Namen der Chefredaktoren von «SonntagsBlick» und «Blick». Er bezeichnete seine Beschwerdeantwort als uneinlässlich und kritisierte das Vorgehen des Presserates.
Die Beschwerdegegner bedauern, dass der Presserat in einer Angelegenheit Stellung nehmen müsse, «in der sich sein Präsident in der Öffentlichkeit bereits mehrfach unzweideutig geäussert und damit das Urteil vorweggenommen» habe. Es stelle sich die Frage, ob der Presserat als Institution sich dadurch dem Vorwurf der Befangenheit und Unglaubwürdigkeit aussetze. Auch dass der Presserat trotz der aussergerichtlichen Einigung von Thomas Borer und dem Ringier-Verlag die Sache nicht auf sich beruhen lässt, missfällt den Beschwerdegegnern. Fragwürdig sei drittens, dass der Presserat seine Untersuchung nicht auf die gesamte Schweizer Presse ausdehne und feststelle, «wie weit sich Medien mitschuldig machen, wenn sie angeblich ethisch verwerfliche Berichte anderer Medien einfach unbesehen weiter kolportieren».
Im übrigen bestreiten die Beschwerdegegner, dass die Aktfotos von Djamile R. unlauter beschafft worden seien. Ebensowenig seien die nächtlichen Aufnahmen von Djamile R. vor der Schweizer Botschaft gefälscht. Gegen allgemeine Richtlinien des Presserates zum Umgang mit leicht veränderbaren digitalen Fotos und Filmbildern haben die Beschwerdegegner nichts einzuwenden.
Das Informationshonorar von 10’000 Euro sei nur dem Chefredaktor des «SonntagsBlick» bekannt gewesen, seinem Kollegen vom «Blick» hingegen nicht. Der Presserat möge aber seine Vorstellung formulieren, was in Sachen Informationshonorar richtig sei.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerdegegner äussern sich im wesentlichen nicht zur konkreten Beschwerde, sondern stellen grundsätzliche Fragen zur Praxis des Presserats. Diese Fragen können wie folgt beantwortet werden:
a) Der Presserat ist zur Hauptsache Beschwerdeinstanz für medienethische Fragen. Insofern arbeiten seine drei Kammern ähnlich wie ein Gericht im schriftlichen Verfahren. Das Verfahren ist im Reglement festgehalten, das – wie alle Normen und Stellungnahmen – auf der Homepage www.presserat.ch publiziert ist. Artikel 12 des Reglements bestimmt, dass Mitglieder in den Ausstand zu treten haben, «wenn sie sich ausserstande sehen, zu einer Beschwerde unbefangen Stellung zu nehmen». Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Medium betroffen ist, für das ein Presseratsmitglied in den letzten fünf Jahren gearbeitet hat.
Durch seine Arbeit ist der Presserat in den vergangenen zwanzig Jahren zu einer geachteten und beachteten Institution geworden. Deshalb wird auch in öffentlichen Diskussionen um medienethische Fragen gerne der Präsident des Presserates um eine Meinungsäusserung gebeten. Dies ist auch in der jüngsten Ringier/Borer-Debatte geschehen, bevor die Beschwerde von Thomas Borer eingereicht worden war. Meinungsäusserungen des Präsidenten sind aber zu unterscheiden von Stellungnahmen des Presserates in Beschwerdesachen. Die einzelnen Kammern beurteilen eine Beschwerde unabhängig und ohne Instruktionen. Es versteht sich von selbst, dass der Präsident – oder ein anderes Mitglied des Presserats – nach einer öffentlichen Meinungsäusserung bei der Beurteilung einer späteren Beschwerde in den Ausstand tritt. Sollte der Presserat sich aber wie im vorliegenden Fall dafür entscheiden, eine Angelegenheit selbst aufzugreifen, so übernimmt der Präsident oder ein anderes Mitglied die Rolle des Beschwerdeklägers. Er nimmt also die gleiche Parteistellung ein wie allenfalls zuvor, als er seine Meinung äusserte. Die Kammer des Presserats, welcher der Fall zugeteilt wird, prüft seine Beschwerde nach den gleichen Kriterien wie die Beschwerde eines Aussenstehenden.
b) Die Tatsache, dass sich der Ringier-Verlag mit Thomas Borer aussergerichtlich geeinigt hat, bindet den Presserat nicht. Die reglementarische Möglichkeit, eine Angelegenheit in eigener Kompetenz aufzugreifen, soll verhindern, dass medienethische Fragen, die eine Stellungnahme des Presserates verdienen, unter den Teppich gekehrt werden.
c) Die Forderung der Beschwerdegegner, der Presserat müsse im Fall Ringier / Borer seine Untersuchung auf die gesamte Schweizer Presse ausdehnen, zielt am Problem vorbei. In erster Linie sind die Artikel zu beurteilen, welche die Quelle bildeten. Dass ein publik gemachter Skandal – er mag auf Erfindungen oder Tatsachen beruhen – in anderen Medien Widerhall findet, ist kaum zu vermeiden. Dabei mögen die Motive der nachziehenden Medien manchmal nicht weit von den Absichten jener liegen, die den Skandal in die Welt gesetzt haben. Das mindert aber keineswegs die Verantwortung derer, die eine Geschichte initiiert haben. Indem der Presserat die auslösenden Artikel beurteilt, äussert er sich indirekt auch über die nachfolgenden Berichte.
2. Die Beschwerde rügt, der Artikel des «SonntagsBlick» vom 31. März 2002 («Was geschah in der Botschaft? Borer und die nackte Frau») und diverse Folgeartikel zum gleichen Thema im «Blick» hätte Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt. Diese Bestimmung lautet in der für den vorliegenden Fall relevanten Passage: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.»
Über die Privatsphäre von Personen der Öffentlichkeit hat der Presserat sich schon mehrfach ausführlich geäussert, zuletzt in seiner Stellungnahme 36/2001 (M. / «Blick» / «SonntagsBlick»), wo auch sämtliche früheren Entscheide angeführt sind. Deshalb kann er sich hier kurz fassen. Auch Personen des öffentlichen Lebens haben einen Anspruch auf Respektierung ihrer Privat- und Intimsphäre. Der in den eingeklagten Artikeln geschilderte Sachverhalt gehört eindeutig in den Bereich der geschützten Intimsphäre. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Schilderungen wahr oder falsch sind. Ein dem Schutz der Intimsphäre entgegengesetztes überwiegendes öffentliches Interesse besteht in der Regel nicht.
Es entspricht der Natur des Menschen, sich für den Intimbereich anderer zu interessieren. Das Interesse einer grossen Öffentlichkeit ist aber nicht zu verwechseln mit einem öffentlichen Interesse. Ein öffentliches Interesse kann auch nicht aus einer behaupteten Erpressbarkeit abgeleitet werden (siehe Stellungnahme 36/2001, Ziffer 3.d). Abwegig ist zudem die Argumentation, die heftige Reaktion eines durch verletzende Artikel Angegriffenen vermöge nachträglich die Verletzung seiner Intimsphäre zu rechtfertigen. Inhalt und Aufmachung des «SonntagBlicks» – insbesondere die Illustration mit viele Jahre alten Aktfotos, um den Titel «Borer und die nackte Frau» zu stützen – stellen einen schweren Verstoss gegen Ziffer 7 der Erklärung dar. Die folgenden Geschichten in «Blick» und «SonntagsBlick» setzen diese ungerechtfertigte Verletzung der Intimsphäre fort.
3. Die Beschwerde rügt das «Informationshonorar» von 10’000 Euro an Djamile R. als Verstoss gegen Ziffer 4 der «Erklärung» (Verbot von unlauteren Methoden bei der Beschaffung von Informationen).
Der Presserat betrachtet die Bezahlung einer Informantin, die nicht als journalistische Mitarbeiterin an einem Medienbericht beteiligt ist, im Prinzip als unzulässig. Es besteht in solchen Fällen die Gefahr, das eine bezahlte Information aus rein kommerziellen und nicht aus publizistischen Gründen gegeben wird. So kann schon ein Honorar von 200 Franken für eine Strafgefangene berufsethisch problematisch sein (Stellungnahme 26/2002, X. c. «Obersee Nachrichten»).
Ähnlich wie bei der Verletzung der Privatsphäre kann ausnahmsweise ein überwiegendes öffentliches Interesse eine Bezahlung rechtfertigen, wenn die Information auf andere Weise nicht zu erlangen ist. Da aber im vorliegenden Fall ein solches Interesse fehlt, verstösst die Bezahlung von Djamile R. von vorneherein gegen Ziffer 4 der «Erklärung». Darüber hinaus ist die Summe – gemessen am Einkommen einer Kaufhaus-Visagistin – derart hoch, dass wohl in jedem Fall von einer unzulässigen Bezahlung gesprochen werden muss.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Der Artikel im «SonntagsBlick» vom 31. März 2002 und die genannten Folgeartikel in der gleichen Zeitung und im «Blick» verletzen die Privat- und Intimsphäre des Ehepaares Borer-Fielding in schwerer Weise. Ein höher zu wertendes öffentliches Interesse, das einen solchen Eingriff rechtfertigen könnte, besteht nicht. Damit verstossen die Artikel gegen Ziffer 7 der «Erklärung».
3. Das vom «SonntagsBlick» an Djamile R. bezahlte «Informationshonorar» von 10’000 Euro ist eine unlautere Methode der Informationsbeschaffung im Sinne von Ziffer 4 der «Erklärung».