Nr. 44/2016
Online-Kommentare

(X. c. «NZZ online») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 27. Dezember 2016

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I. Sachverhalt

A. Am 13. November 2015 publizierte die «nzz.ch» einen als «Kommentar» bezeichneten Artikel von Peter A. Fischer mit dem Titel «Zeit für eine Revitalisierungskur». Der Lead lautete: «Das wirtschaftliche ‹Erfolgsmodell› Schweiz ist unter Druck. Nach den Wahlen bietet sich die Chance, mit einem liberalen Schulterschluss Vitalität zurückzugewinnen. Es gibt viel zu tun.» Noch am selben Tag verfasste X. einen Online-Kommentar dazu. Als er diesen senden wollte, erhielt er folgende Nachricht: «Wir sind nicht in der Lage, Ihren Kommentar zu posten, weil Sie von NZZ blockiert wurden».

B. X. reichte am 16. November 2015 Beschwerde gegen die «Neue Zürcher Zeitung» beim Schweizer Presserat ein. Verletzt sieht er die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörenden Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus) und 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare). In seiner Beschwerde weist der Beschwerdeführer auf den Kontext hin: seinen Austritt aus der FDP im Jahre 2002 sowie zwei Erlebnisse mit dem Online-Kommentardienst der «NZZ». Im Februar 2014 sei sein Kommentar zu den «groben Verfehlungen unserer Grossbanken» und alle seine über 200 früheren Kommentare gelöscht worden, nur um vom «NZZ»-Chefredaktor drei Wochen später wieder aufgeschaltet zu werden. In einem anderen Kommentar habe er FDP-Kaderleute bzw. -Parlamentarierinnen und -Parlamentarier wiederholt wegen ihrer neoliberalen Standpunkte gemahnt und die FDP-Führung damit herausgefordert. Als er am 13. November 2015 wieder mal einen «NZZ»-Artikel habe kommentieren wollen, habe er eine Meldung erhalten, dass er blockiert worden sei. Gemäss Beschwerdeführer wolle der Kommentardienst der «NZZ» ihm nicht das Veröffentlichen dieses isolierten Kommentars wegen Verstössen gegen die «NZZ-Netiquette» verwehren, sondern ihm das Kommentieren insgesamt verweigern, ohne diesen Kommentar auch nur zu kennen. Dies sei eine Form der Zensur und stehe zu den Richtlinien des Schweizer Presserats in klarem Widerspruch. Als Ursache für die Sperrung sieht der Beschwerdeführer den FDP-Präsidenten, der bei der befreundeten «NZZ» ein Kommentarverbot gegen ihn erwirkt haben soll. Dies, um eine Analyse des sogenannten «Schulterschluss-Papiers» zu verhindern, welches quasi Regierungsprogramm der Bündnisparteien (SVP, FDP und rechte CVP) sei. Der Beschwerdeführer beantragte beim Presserat eine «superprovisorische Verfügung», gemäss welcher die «NZZ» verpflichtet wäre, ihr Kommentarverbot gegen den Beschwerdeführer mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Ausserdem verlangte er eine reguläre Verfügung, welche die «NZZ» verpflichten würde, seine Kommentare in Zukunft wieder ausschliesslich bezüglich der «NZZ-Netiquette» zu bewerten und bei formalem Wohlgefallen ungehindert freizugeben.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 26. Januar 2016 beantragt die anwaltlich vertretene «NZZ», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Falls doch, sei sie abzuweisen. Der Kommentar des Beschwerdeführers, welcher zu seiner Sperrung geführt habe, sei im Februar 2014 verfasst worden und liege damit länger als 6 Monate zurück. Die Frist für eine Presseratsbeschwerde sei gemäss Art. 11 Geschäftsreglement abgelaufen und auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Da der Presserat gemäss Art. 17 Abs. 3 seines Geschäftsreglements keine Befugnis zur Anordnung von Massnahmen habe, sei auf die Anträge auf superprovisorische bzw. reguläre Verfügungen und auf inhaltliche Anweisungen nicht einzutreten. Sollte der Presserat trotzdem auf die Beschwerde eintreten, äussere die «NZZ» sich wie folgt zum Sachverhalt: Dem strittigen Artikel vom 13. November 2015 seien 23 Online-Kommentare anderer Leser beigefügt. Nach der Mitteilung der Sperrung habe der Beschwerdeführer es unterlassen, mit der «NZZ» Kontakt aufzunehmen und stattdessen praktisch unmittelbar Beschwerde beim Presserat eingereicht. Die «NZZ» bestreite, dass sie X. die Kommentierung insgesamt verweigert habe, vielmehr wurde die Sperre angeordnet, weil er sich nicht an die technischen Vorgaben zur Formatierung hielt. Bei der Sperre sei es also nicht um inhaltliche Konflikte gegangen und sie wäre sofort aufgehoben worden, hätte X. die Beachtung der technischen Gegebenheiten sichergestellt. Es sei weder um Zensur gegangen, noch habe die FDP Einfluss auf den Umgang mit den Leserkommentaren der «NZZ». Im Folgenden wird eine ausführliche Mail-Diskussion zwischen dem Beschwerdeführer und einem «NZZ»-Social-Media-Redaktor vom Februar 2014 zusammengefasst. Dabei ging es um Probleme mit halb-fetten Auszeichnungen in den Kommentaren des Beschwerdeführers, welche von der «NZZ» aus technischen Gründen nicht angenommen werden könnten. Da sich X. nicht einsichtig gezeigt habe und sich nicht entsprechend den technischen Gegebenheiten verhalten wollte, habe die Redaktion mit der Sperrung reagiert. Eine solche werde jeweils für 30 Tage angeordnet, worauf der gesperrte User regelmässig aufmerksam gemacht werde. Die darauf-folgende Freischaltung erfolge jedoch nicht automatisch, sondern müsse selber beantragt werden. Die damalige Sperrung sei offenbar nie gelöscht worden, weshalb sie beim strittigen Kommentar im November 2015 immer noch aufrecht war. Dies sei aber nicht die Absicht der «NZZ» gewesen, der Beschwerdeführer hätte sich nur bei ihr zu melden brauchen. Der Mail-Verkehr zum Vorgang der Sperre könne leider nicht beigelegt werden, da der verantwortliche Redaktor Mitte 2015 aus der «NZZ» ausgeschieden und sein Mail-Account damals geschlossen worden sei. Zu dem Vorwurf, dass im Februar 2014 über 200 vom Beschwerdeführer verfasste Kommentare gelöscht und später wieder aufgeschaltet worden seien, hält die «NZZ» fest, dass ein solcher Vorgang nie stattgefunden habe. Was das Rechtliche betrifft, streitet die «NZZ» eine Verletzung des Meinungspluralismus ab. Aus Richtlinie 2.2 der «Erklärung» könne keine Verpflichtung zu «objektiver», ausgewogener Berichterstattung abgeleitet werden. Insbesondere gelte dies bei einem Kommentar, dessen journalistischer Form es gerade eigen sei, dass er einen Stellungsbezug des Redaktors bzw. der Redaktion darstelle. Ausserdem seien dem Beitrag bzw. Kommentar von «NZZ»-Redaktor Fischer 23 Kommentare angefügt – allein dadurch sei die Meinungsvielfalt gewahrt. Schon gar nicht gehe aus dem Gebot des Meinungspluralismus ein Anspruch des einzelnen Lesers bzw. Users zur Kommentierung bzw. zur Publikation seines Artikels hervor. Schliesslich sei auch die Richtlinie 5.2 der «Erklärung» bezüglich fairen Umgangs mit Online-Kommentaren nicht verletzt worden. Der Presserat habe stets die Ansicht vertreten, dass grundsätzlich kein Anspruch auf Veröffentlichung eines Leser- bzw. Online-Kommentars bestehe. Die Redaktion sei für alle Veröffentlichungen auf ihrer Website verantwortlich und es stehe ihr dabei frei zu entscheiden, welche Beiträge sie veröffentliche. Diese Freiheit müsse erst recht für Online-Kommentar-Verfasser gelten, welche die technischen Bedingungen einer redaktionellen Website nicht einhalten und damit das System stören würden. Die Sperre sei dabei nur temporär (30 Tage) und bis zur Beseitigung der Probleme angeordnet worden. Es seien keine systematischen und unwiderruflichen Sperrungen einzelner User bzw. Leser vorgenommen worden.

D. Am 17. Februar 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. Dezember 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
 

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 11 Abs. 1 des Ge
schäftsreglements des Presserats tritt der Presserat nicht auf Beschwerden ein, wenn die Publikation des beanstandeten Medienberichts länger als sechs Monate zurückliegt. Im vorliegenden Fall geht es um den nicht publizierten Online-Kommentar des Beschwerdeführers vom 13. November 2015 zu einem Artikel, welcher gleichentags erschienen ist. Die Beschwerde wurde drei Tage später eingereicht und ist somit innerhalb der geforderten Frist erfolgt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin ist nicht das Datum der Sperrung des Zugangs des Beschwerdeführers zur Kommentarfunktion, sondern das Datum des von der «NZZ» publizierten Medienberichts ausschlaggebend. Hinzu kommt, dass keine Beweise vorliegen, dass die Sperrung des Zugangs zur Kommentarfunktion dem Beschwerdeführer tatsächlich mitgeteilt wurde. Der Presserat tritt deshalb auf die Beschwerde ein.

2. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus) geltend. Diese lautet wie folgt: «Der Meinungspluralismus trägt zur Verteidigung der Informationsfreiheit bei. Er ist notwendig, wenn sich ein Medium in einer Monopolsituation befindet.» Der Beschwerdeführer begründet aber nicht weiter, inwiefern diese Richtlinie verletzt worden sein soll. Die «NZZ» befindet sich in der Schweizer Medienlandschaft in keiner Monopolsituation, Richtlinie 2.2 ist deshalb vorliegend nicht anwendbar. Beizufügen bleibt, dass dem Artikel 23 Kommentare angefügt sind, so dass ein gewisser Meinungspluralismus von vornherein gewährleistet war.

3. Der Beschwerdeführer erkennt im Vorgehen der «NZZ» zudem eine Verletzung der Richtlinie 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare). Gemäss dieser Richtlinie gelten die berufs-ethischen Normen auch für die Veröffentlichung von Leserbriefen und Online-Kommentaren. Laut Praxis des Presserats entscheiden Redaktionen jedoch nach eigenem Ermessen über die Veröffentlichung von Leserbriefen und Online-Kommentaren, da diese zum redaktionellen Teil gehören und damit in die Verantwortung der Redaktion fallen (unter vielen: Stellungnahme 9/2015). Eine Verletzung dieser Richtlinie läge allenfalls vor, wenn eine Redaktion Briefe eines Lesers systematisch, über sehr lange Zeit und aus journalistisch nicht zu rechtfer-tigenden Gründen ablehnen würde. Der Beschwerdeführer bringt vor, die «NZZ» würde genau dies tun, indem sie ihm das Kommentieren insgesamt verweigerte. Der Presserat kann dieser Argumentation nicht folgen. Zum einen kann er auf die Vorfälle aus dem Jahre 2014 wegen abgelaufener Beschwerdefrist nicht eintreten. Innerhalb der ordentlichen Beschwerdefrist von 6 Monaten hat der Beschwerdeführer allein den Vorfall vom 13. November 2015 vorgebracht, als ihm nach Verfassen eines Kommentars die Sperrung mitgeteilt wurde. Nach dem Vorfall hat sich der Beschwerdeführer bei der «NZZ» nicht um Klärung oder eine Entsperrung bemüht und auch nicht versucht, weitere Kommentare zu publizieren. Der «NZZ» kann deshalb gar nicht erst eine systematische Ablehnung der Publikation von Kommentaren des Beschwerdeführers vorgeworfen werden. Die von der «NZZ» ihrer Beschwerdeantwort beigelegte ausführliche Mailkorrespondenz zwischen dem Beschwerdeführer und einem ihrer Redaktoren aus dem Jahr 2014 weist zudem darauf hin, dass die damalige Sperrung aufgrund legitimer technischer Probleme und nicht aus inhaltlichen Gründen verhängt wurde. Es besteht für den Presserat kein Grund für Zweifel, dass es sich nicht auch diesmal um technische Probleme gehandelt haben sollte.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «NZZ» hat mit der Nichtpublikation eines Online-Kommentars von X. vom 13. November 2015 die Ziffern 2 (Meinungspluralismus) und 5 (Leserbriefe und Online-Kommentare) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.