I. Sachverhalt
A. Am 21. März 2013 veröffentlichte die «Weltwoche» einen Artikel von Philipp Gut mit dem Titel «Schweizer ‹Chüngel-Gate›». Zwar müsse ausländisches Kaninchenfleisch, das nicht artgerecht hergestellt werde, in der Schweiz deklariert werden. Doch die gesetzlichen Vorschriften würden grossflächig missachtet. «Händler und Gastwirte täuschen die Konsumenten über die oftmals unwürdigen Lebensbedingungen der Tiere.»
Einleitend äussert sich der Autor zur Kaninchenhaltung in der Schweiz: «Den Schweizer Kaninchen geht es gut – von Gesetzes wegen. Die Tierschutzverordnung sorgt für eine artgerechte Haltung und schreibt genau definierte Standards vor. Die Tiere müssen genügend Platz haben, wobei nicht bloss die minimale Bodenfläche vorgeschrieben ist, sondern auch deren Höhe. Zusätzlich ist eine sogenannte Nestkammer einzurichten, deren Mindestmass ebenfalls präzis bestimmt ist. Neben der Grösse ist auch die Gestaltung des Geheges bis ins Detail geregelt. Besonders berücksichtigt werden soziale Aspekte des Kaninchenlebens. Die Chüngel ‹müssen täglich mit grob strukturiertem Futter wie Heu oder Stroh versorgt werden sowie ständig Objekte zum Benagen zur Verfügung haben› (sogenannte Beschäftigung) und Jungtiere dürfen in den ersten acht Wochen nicht einzeln gehalten werden (Art. 64).»
Der grösste Teil des ausführlichen Artikels befasst sich mit «Artgenossen im Ausland», die es wesentlich «weniger schön» hätten. «Die EU kennt keine vergleichbare Gesetzgebung zum Wohl der Tiere. Das dort produzierte Kaninchenfleisch sei meist ‹schlimmstes Käfigfleisch›, schreibt die Tierschutzorganisation KAG Freiland». Wegen des in der EU geltenden und staatsvertraglich auch mit der Schweiz vereinbarten Cassis-de-Dijon-Prinzips lande europäisches Kaninchenfleisch, dessen Produktion hierzulande verboten sei, auch auf Schweizer Tellern. «Die bilateralen Verträge ermöglichen es, Schweizer Tierschutzbestimmungen auszuhebeln.» Die seit dem 1. Januar 2012 geltende Deklarationspflicht («Aus in der Schweiz nicht zugelassener Haltungsform») werde gemäss Recherchen der «Weltwoche» in sämtlichen Landesteilen häufig unterlaufen. «Auch mehr als ein Jahr nach der definitiven Einführung der Deklarationspflicht scheren sich Händler, Metzgereien, Restaurants um die gesetzlichen Vorgaben. Konsumenten werden getäuscht, nach wie vor landen Hunderte Tonnen Fleisch von Kaninchen auf Schweizer Tellern, die in unzumutbares und unwürdiges Leben fristen mussten.»
B. In ihrer darauffolgenden Ausgabe vom 28. März 2013 veröffentlichte die «Weltwoche» einen Leserbrief, welcher darauf aufmerksam machte, dass es die Schweizer Kaninchen weniger schön hätten, als im Artikel von Philipp Gut behauptet. «Im Gegensatz zu den beschönigenden Angaben in Ihrem Artikel ist das Kaninchen in der Schweiz aufgrund der Haltung eines der am meisten leidenden Nutztiere. Als Entgegenkommen gegenüber der Versuchstierindustrie hat man die total belastende Einzelhaltung in viel zu kleinen Käfigen gestattet.»
C. Am 3 April 2013 beschwerte sich Erwin Kessler, Tuttwil, namens des Vereins gegen Tierversuche (VgT) beim Schweizer Presserat über den Artikel vom 21. März 2013, welcher die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletze.
Entgegen dem was die «Weltwoche» schreibe, gehe es den Kaninchen in der Schweiz keineswegs gut, weil die Schweizer Tierschutzvorschriften eine artgemässe Haltung vorschrieben. «Genau das Gegenteil ist wahr. Die nicht vom Volk gewählte Schweizer Regierung (Bundesrat) erlaubt die grausame Einzelhaltung von Kaninchen.» Unter den Tierschutzorganisationen und Fachleuten bestehe ein klarer Konsens, dass dies gröbste Tierquälerei darstelle, die mit dem Tierschutzgesetz nicht vereinbar sei. «Die Tierschutzverordnung des Bundesrats erlaubt eine äusserst tierquälerische Käfighaltung.» Sie gestehe den Kaninchen derart wenig Lebensraum zu, dass diese spiel- und bewegungsfreudigen Tiere gezwungen seien, ihr Leben praktisch bewegungslos zu verbringen.
Die «Weltwoche» sei durch mehrere Leserbriefe «auf die Fehlinterpretation der geltenden Tierschutzvorschriften zur Kaninchenhaltung» hingewiesen worden, habe diese aber weder veröffentlicht und auch sonst keine Richtigstellung vorgenommen.
D. Am 17. Mai 2013 wies die anwaltlich vertretene Redaktion der «Weltwoche» die Beschwerde als unbegründet zurück. Thema des beanstandeten Artikels seien nicht die Bestimmungen der Schweizer Tierschutzverordnung zur Kaninchenhaltung, sondern der Umgang von Händlern und Gastwirten mit der Deklarationspflicht beim Verkauf von importiertem Kaninchenfleisch. Lediglich in der Einleitung des Artikels gebe Autor Philipp Gut die massgebenden Bestimmungen der Tierschutzverordnung (Artikel 64 und 65) in eigenen Worten wieder. Damit informiere er die Leserschaft darüber, dass in der Schweiz die Haltung von Kaninchen an gewisse Mindeststandards geknüpft sei. Bei der beanstandeten Formulierung «Den Schweizer Kaninchen geht es gut – von Gesetzes wegen» handle es sich um eine für die Leserschaft als solche erkennbare kommentierende Wertung und nicht um eine Faktenbehauptung. Deshalb habe die «Weltwoche» die Wahrheitspflicht nicht verletzt. Und da sie mithin keine Falschmeldung veröffentlicht habe, sei sie auch nicht verpflichtet gewesen, eine Berichtigung zu veröffentlichen. Zudem habe die «Weltwoche» einen kritischen Leserbrief zum Artikel integral abgedruckt, wenn auch nicht denjenigen des Beschwerdeführers.
E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler (Mitglieder) angehören.
F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 25. April 2013 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Hauptthema des beanstandeten Berichts ist nicht die Kaninchenhaltung in der Schweiz sondern der Import von Kaninchenfleisch aus der EU. Gemäss Darstellung der «Weltwoche» existieren in der EU keine rechtlichen Vorschriften zur Kaninchenhaltung, die mit den schweizerischen vergleichbar sind. Vor allem aber kritisiert die «Weltwoche», dass Händler und Gastwirte aus der EU importiertes Kaninchenfleisch häufig nicht vorschriftsgemäss deklarieren. Diese Darstellung wird in der Beschwerde des VgT nicht bestritten. Hingegen beanstandet der VgT, die einleitenden Ausführungen im «Weltwoche»-Artikel zur Kaninchenhaltung in der Schweiz seien unzutreffend.
2. Der Beschwerdeführer und weitere von ihm angeführte Fachleute kritisieren die Vorschriften der Tierschutzverordnung zur Kaninchenhaltung insbesondere deshalb, weil sie die Einzelkäfighaltung lediglich für Jungtiere in den ersten acht Wochen verbieten. Mithin gehe es einem Grossteilt der Kaninchen in der Schweiz keineswegs gut. Wäre Philipp Gut verpflichtet gewesen, diese Kritik aus Tierschutzkreisen zu erwähnen?
Der Presserat hat bereits in der Stellungnahme 9/1994 darauf hingewiesen, dass von einer Berichterstattung, die den wirtschaftlichen Erfolg eines Medikaments thematisiert, nicht verlangt werden kann, gleichzeitig auch die medizinische Fachdiskussion wiederzugeben. Das Medium habe aber darauf zu achten, dass es den medizinischen Aspekt nicht verkürzt und ungenau wiedergibt. Übertragen auf den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies, dass die «Weltwoche» berufsethisch nicht verpflichtet ist, in einem Artikel, der sich in erster Linie mit dem Import von Kaninchenfleisch aus der EU und der ungenügenden Einhaltung der Deklarationspf
licht befasst, die rechtspolitische Kritik an den Bestimmungen der Tierschutzverordnung zur Kaninchenhaltung in der Schweiz wiederzugeben.
3. Da der beanstandete Bericht aber einleitend auf die Kaninchenhaltung in der Schweiz eingeht, ist hingegen zu prüfen, ob die «Weltwoche» damit die Wahrheitspflicht verletzt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die «Weltwoche» nicht schreibt, «Den Kaninchen in der Schweiz geht es gut» sondern bloss «Den Schweizer Kaninchen geht es gut – von Gesetzes wegen». Diese Nuance deutet darauf hin, dass sich der Autor bei seiner Wertung nicht auf einen absoluten Massstab, sondern auf die im Vergleich zur EU strengeren schweizerischen Tierschutzvorschriften stützt. Die von der Beschwerde beanstandete Passage des Artikels äussert sich mithin nicht in allgemeiner Weise zur Kaninchenhaltung in der Schweiz, sondern beschränkt sich darauf, die dafür geltenden rechtlichen Vorschriften zusammenzufassen. Da die «Weltwoche» diese Vorschriften korrekt zusammenfasst, hat sie die Wahrheitspflicht nicht verletzt und war deshalb auch nicht verpflichtet, eine Berichtigung zu veröffentlichen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die «Weltwoche» hat mit dem Artikel «Schweizer ‹Chüngel-Gate›» vom 21. März 2013 die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.