I. Sachverhalt
A. Am 2. Juli 2009 berichtete Claudia Landolt im zur Mediengruppe der «Aargauer Zeitung» gehörenden Nachrichtenportal a-z.ch, die SVP-Gemeinderätin der Gemeinde Suhr befinde sich wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung und Veruntreuung in Untersuchungshaft. Der Artikel nennt den vollen Namen und zeigt ein Bild der Betroffenen. Ebenso wird deren Anstellung als Leiterin der sozialen Dienste der Gemeinde Gränichen erwähnt. Zuvor sei sie von 1992 bis 2008 Amtskassiererin und später Untersuchungsrichterin gewesen. «In dieser Zeit soll die Angestellte des Departements des Innern einen hohen sechsstelligen Betrag unterschlagen haben.» Gemäss dem Vater der Verhafteten solle die Deliktsumme mindestens 300’000 Franken betragen. Dieser habe zudem bestätigt, dass sich neben der Tochter auch die Ehefrau in Untersuchungshaft befinde. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass seine Tochter oder seine Frau so etwas getan hätten.
Gemäss dem Artikel sei man «in Amtskreisen» jedoch überzeugt, «dass an der Sache etwas dran ist». Die Inhaftierung daure bereits eine Woche und «Ansätze zu einem Geständnis sind dem Vernehmen nach vorhanden». In Gränichen und Suhr sei die Inhaftierung Gesprächsthema. «Ein Kommissionsmitglied bringt die angebliche Unterschlagung in einen familiären Zusammenhang.» Offenbar habe die Tochter ihre Eltern jahrelang finanziell unterstützt. Spekuliert werde zudem, ob darüber hinaus auch die vom Vater in den 80er-Jahren gegründete freikirchliche Vereinigung «Fels David» in den Fall verstrickt sei.
In einem «Update» vom gleichen Tag meldete das Portal, die Suhrer Gemeinderätin trete per sofort aus dem Gemeinderat zurück und habe auch ihre Stelle in Gränichen gekündigt.
B. Am 7. Juli 2009 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Artikel an den Presserat. Da es sich bei der Betroffenen um eine öffentliche Person handelte, habe ihr Name zwar grundsätzlich genannt werden dürfen. «Die Frage bleibt für mich, ob dies auch gesamtschweizerisch nötig war.» Hingegen verstosse die Veröffentlichung des Bildes gegen die Richtlinie 7.3 (Personen des öffentlichen Lebens) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Zum Zeitpunkt der Publikation habe zudem die Unschuldsvermutung gegolten. «Die Meldung hätte sich m.E. daher auf das beschränken müssen, was das Untersuchungsrichteramt bestätigt hat (…) Die übrigen Angaben zur Person (…) verletzen die Richtlinien 7.1 (Schutz der Privatsphäre) und 7.5 (Unschuldsvermutung)» sowie insbesondere Ziffer 8 (Respektierung der Menschenwürde) der «Erklärung».
C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt. Dies – und nicht etwa die Tatsache, dass die Autorin Claudia Landolt der 3. Kammer des Presserates angehört – haben das Präsidium dazu bewogen, die Beschwerde selber zu behandeln.
D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina, hat die vorliegende Stellungnahme per 4. September 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Gemäss Ziffer 7 der «Erklärung» ist die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Die Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» untersagt grundsätzlich die Namensnennung oder andere Angaben, die eine Identifikation einer in einem Gerichtsbericht erwähnten Person ermöglichen. Gleichzeitig nennt die Richtlinie aber fünf Ausnahmen, in denen eine Namensnennung zulässig ist: So wenn die Person öffentliche Ämter oder Funktionen einnimmt und die Tat damit zusammenhängt.
Wie auch der Beschwerdeführer selber einräumt, sind die Voraussetzungen für die Namensnennung offensichtlich gegeben. Die Verhaftete nahm als Untersuchungsrichterin jahrelang eine bedeutende öffentliche Funktion war und der Anlass der Verhaftung steht in Zusammenhang mit dieser Tätigkeit. Auch wenn die Bildveröffentlichung noch stärker in die Persönlichkeit eingreift, ist diese angesichts des mehrfachen Öffentlichkeitsbezugs der verschiedenen Tätigkeiten der Betroffenen ebenso wenig zu beanstanden. Zumal das veröffentlichte Bild soweit ersichtlich nicht aus einem privaten Kontext stammt. Allein darauf – die Respektierung der Privatsphäre von Prominenten – bezieht sich die vom Beschwerdeführer als verletzt gerügte Richtlinie 7.3 (Personen des öffentlichen Lebens), nicht dagegen auf die Berichterstattung über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse.
2. a) Aus der Pflicht zur Respektierung der Unschuldsvermutung (Richtlinie 7.5 zur «Erklärung») ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht abzuleiten, dass Medien während des Untersuchungsstadiums eines Strafverfahrens bloss offizielle Miteilungen der Strafverfolgungsbehörden veröffentlichen dürfen. Gemäss der ständigen Praxis des Presserates zur Richtlinie 7.5 (vgl. dazu die Stellungnahmen 6/2005 und 21/2007) ist bei der Erwähnung eines Strafverfahrens oder einer strafrechtlichen Verurteilung in einem Medienbericht sicherzustellen, dass darin nicht vorverurteilend zu Unrecht bereits eine (rechtskräftige) Verurteilung unterstellt wird.
Der beanstandete Bericht macht dazu klar und deutlich, dass es vorerst bloss um strafrechtliche Vorwürfe geht, die von den Strafverfolgungsbehörden untersucht werden und dass für die in das Verfahren einbezogenen Personen die Unschuldsvermutung gelte.
3. Ebenso wenig verfängt das Argument des Beschwerdeführers, die im Bericht enthaltenen Angaben aus dem Privatleben der Inhaftierten hätten darin nichts zu suchen gehabt. Vielmehr war es journalistisch legitim, die möglichen Gründe und Motive für ein auf den ersten Blick unerklärliches Verhalten der ehemaligen Untersuchungsrichterin zu thematisieren. Dadurch ist insbesondere auch die Menschenwürde der Betroffenen nicht tangiert, zumal weder über die familiäre Situation noch über die freikirchliche Gruppierung «Fels David» intime Einzelheiten ausgebreitet werden.
4. Da sich die Beschwerde als offensichtlich unbegründet erweist, tritt der Presserat in Anwendung von Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements nicht darauf ein.
III. Feststellungen
Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.