I. Sachverhalt
A. Am 13. Januar 2003 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» unter dem Titel «Das filmreife Geschäft eines Bankers» einen Artikel von Paolo Fusi. Darin berichtete der Journalist über strafrechtliche Ermittlungen der Zürcher Berzirksanwaltschaft gegen den Zürcher Bankier X. und einige seiner Schweizer und Liechtensteiner Geschäftspartner «wegen Betruges, Urkundenfälschung und ungetreuer Geschäftsführung». Der Lead lautete: «Der Zürcher Banker X. wird verdächtigt, beim Geschäft mit einem Filmverleih Millionen abgezweigt zu haben. Er hat bereits wieder einen neuen Job bei einer Bank.»
B. Am 21. Januar 2003 gelangte X. mit einer Beschwerde an den Presserat und rügte, der Artikel vom 13. Januar 2003 habe Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Privatsphäre; Unterlassung anonymer und sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen) verletzt. Gleichentags reichte der Beschwerdeführer beim Bezirksgericht Zürich eine Ehrverletzungsklage gegen den Journalisten Paolo Fusi ein.
C. Mit Eingabe vom 7. Februar 2003 beantragte der Rechtsdienst der Tamedia AG, auf die Beschwerde sei angesichts des parallel hängigen Gerichtsverfahrens i.S. Ehrverletzung nicht einzutreten.
D. Am 6. März 2003 teilte der Presserat den Parteien mit, der Nichteintretensantrag des «Tages-Anzeigers» werde teilweise gutgeheissen. Auf die Beschwerde werde soweit nicht eingetreten, als der Beschwerdeführer darin geltend macht, diverse im Artikel vom 13. Januar 2003 wiedergegebene Anschuldigungen seien unwahr. Hingegen trete der Presserat auf den Aspekt der Namensnennung ein, da er dies gestützt auf Art. 15 seines Geschäftsreglements ungeachtet eines parallel hängigen Gerichtsverfahrens tun könne, sobald sich wie hier eine grundlegende berufsethische Frage stelle.
E. In seiner Beschwerdeantwort vom 7. Mai 2003 beantragte der Rechtsdienst der Tamedia AG, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Namensnennung des Beschwerdeführers sei aufgrund des konkreten Tatverdachts und seiner Stellung als leitender Bankangestellter gerechtfertigt gewesen.
F. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
G. Am 13. Mai 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.
H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 18. Juli 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Aufgrund des Zwischenentscheids vom 6. März 2003 ist der Vorwurf der anonymen und sachlich ungerechtfertigten Anschuldigungen nicht näher zu beurteilen. Ausgehend von den durch die Parteien eingereichten Unterlagen prüft der Presserat aber die Vorfrage, ob die gegen den Beschwerdeführer sprechenden Verdachtsmomente genügten, um eine identifizierende Berichterstattung zu rechtfertigen. Er untersucht auch die übrigen Schranken einer Namensnennung.
2. a) Gemäss Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ist die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Die Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung» hält fest, dass «Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder Namen nennen, noch andere Angaben machen, die eine Identifikation einer von einem Gerichtsverfahren betroffenen Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden». Der Presserat hat in seiner Praxis diesen Grundsatz der Nichtidentifikation der Betroffenen über die Gerichtsberichterstattung im engeren Sinne hinaus ausgedehnt (vgl. z.B. 8/00 i.S. L. c. «Beobachter»; 41/00 i.S. A. c. «Basler Zeitung» und 12/02 i.S. X. c. «Tribune de Genève»). Die Richtlinie 7.5 nennt allerdings auch Ausnahmen von dieser Grundregel:
– Überwiegendes öffentliches Interesse (inhaltlich unbestimmte «Generalklausel»); – Nennung eines politischen oder amtlichen Funktionsträgers, soweit das Delikt einen Bezug zu dieser Funktion hat; – Gefahr von Verwechslungen, falls der Name nicht genannt wird; – Wenn die Person bereits allgemein bekannt ist – wobei meist die Medien im konkreten Fall für die Bekanntheit gesorgt haben, weshalb diese Ausnahme mit besonderer Zurückhaltung anzuwenden ist; – Ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen.
b) Der Presserat hat in seiner Stellungnahme 6/99 i.S. X. c. «Blick» darauf hingewiesen, dass bei Politikern oder Trägern öffentlicher Funktionen die Namensnennung unangebracht ist, wenn der Gegenstand der Berichterstattung allein das Privatleben betrifft. Anders ist es hingegen, wenn ein Zusammenhang zwischen einem Strafverfahren und einer öffentlichen Funktion zu bejahen ist. Die anerkannte Kritik- und Kontrollfunktion der Medien kann nicht erst bei der Hauptverhandlung oder nach dem Urteil einsetzen. Das öffentliche Interesse an einer Namensnennung wiegt umso schwerer, je gewichtiger die Stellung des Betroffenen ist. In der Interessenabwägung spielt ebenso die Schwere der behaupteten Delikte eine Rolle. Schliesslich ist auch zu berücksichtigen, wie konkret ein Verdacht erscheint.
3. a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Nennung seines Namens durch den «Tages-Anzeiger» sei durch das öffentliche Interesse in keiner Weise gerechtfertigt gewesen. Er sei ein im öffentlichen Leben gänzlich unbekannter, zurückgezogen lebender Bankmitarbeiter, der zuvor in der Stellung als Filialleiter der Bank Y. in Zürich gearbeitet habe und heute als Vermögensverwalter bei einer anderen Bank tätig sei.
b) Die Beschwerdegegner wenden dazu ein, der beanstandete Artikel setze sich ausschliesslich mit der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers auseinander. Diese wirke sich auf die Öffentlichkeit aus. Banken unterstünden zudem einer öffentlichen Kontrolle. Die Funktion von Angehörigen des Bankkaders entspreche vom Inhalt her insgesamt weitgehend derjenigen von Inhabern öffentlicher Ämter. Im fraglichen Zeitraum habe der Beschwerdeführer der Zweigniederlassung Zürich der damals zweitgrössten Bank Kanadas vorgestanden. Anders als in der Beschwerde der Eindruck erweckt werde, handle es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen kleineren Filialleiter einer Lokalbank, sondern um einen Spitzenbanker. Beim Missbrauch einer derartigen Funktion sei eine Warnung des Publikums im wohlverstandenen öffentlichen Interesse, ob es in solchen Fällen um eine Person der Zeitgeschichte gehe oder nicht. Dass gegen den Beschwerdeführer und die Mitangeschuldigten nach wie vor ein strafrechtlich relevanter Verdacht vorliege, ergebe sich unter anderem aus einer Editionsverfügung der Zürcher Bezirksanwaltschaft vom 21. Januar 2003.
c) Gemäss der oben zitierten Stellungnahme 6/99 ist vorliegend zu prüfen, wie konkret der Verdacht gegen den Beschwerdeführer erscheint, wie schwer die Vorwürfe wiegen, ob die vorgeworfenen Handlungen das Privatleben oder die berufliche Tätigkeit betreffen und wie gewichtig die berufliche Stellung einzustufen ist.
aa) Die von den Beschwerdegegnern eingereichte Editionsverfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 21. Januar 2003 dokumentiert, dass das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer offenbar nach wie vor hängig ist und dass die Verdachtsmomente es aus Sicht der Untersuchungsbehörden rechtfertigten, bei zwei Niederlassungen einer Bank in Zürich und Genf im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Vorwürfen relevante Dokumente herauszuverlangen. Unter diesen Umständen erscheint der für e
ine Berichterstattung erforderliche konkrete Verdacht grundsätzlich gegeben.
bb) Der geäusserte Vorwurf des Betruges, der Urkundenfälschung und der ungetreuen Geschäftsführung in Millionenhöhe wiegt schwer.
cc) Die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen strafrechtlich relevanten Handlungen stehen im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als Bankier.
dd) Nachdem die übrigen Voraussetzungen für eine Namensnennung gegeben sind, bleibt für ihre Zulässigkeit entscheidend, als wie gewichtig die berufliche Stellung des Beschwerdeführers einzustufen ist. Die von der Zeitung angeführte öffentliche Kontrolle über die Banken ist zwar für sich allein noch kein ausreichender Grund, eine Namensnennung bei leitenden Bankangestellten generell zu bejahen. Ob nun eine bestimmte Geschäftstätigkeit behördlicher Kontrolle unterliegt, oder nicht, ist aber eine Namensnennung – sofern die übrigen Voraussetzungen gegeben sind – von vornherein nicht nur bei gewählten Politikern und Verwaltungsleuten zulässig. Vielmehr liegt ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Namensnennung häufig ebenso bei wichtigen Funktionsträgern der Privatwirtschaft und weiteren gesellschaftlich relevanten Bereichen vor.
Auch wenn der Presserat die Bedeutung der früheren Stellung des Beschwerdeführers in der Bank Y. nicht abschliessend zu beurteilen vermag, deuten zumindest folgende Elemente auf eine leitende berufliche Funktion hin: Er war unbestrittenermassen Leiter der Zürcher Niederlassung der Y. Als solcher trug er offenbar die Verantwortung für die finanztechnische Abwicklung äusserst komplexer und kapitalintensiver internationaler Geschäfte. Deshalb kann von einer bloss untergeordneten Stellung nicht die Rede sein. Zudem erscheint eine Namensnennung berufsethisch dann umso gerechtfertigter erscheint, wenn mit der Veröffentlichung auch eine Warnung des Publikums und der Branche bezweckt wird. Deshalb kann es auch nicht allein darauf ankommen, ob sich der Beschwerdeführer zuvor in der Öffentlichkeit bewegt hat. Denn eine Warnung vor einem möglicherweise betrügerischen Verhalten erscheint angesichts des massiven Vorwurfs des Betrugs usw. in Millionenhöhe als verhältnismässig. Überdies hat der Autor dem Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung des Berichts Gelegenheit geboten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Es wäre dem Banker freigestanden, die Vorwürfe als reine Phantasiegebilde zurückzuweisen oder deren Umfang zu bestreiten. Wenn sein Anwalt ihm offenbar riet, keine Stellung zu nehmen, musste er bei dieser Faktenlage mit einer unwidersprochenen Publikation der Vorwürfe rechnen. Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass die Voraussetzungen einer namentlichen Berichterstattung bei einer Gesamtbetrachtung erfüllt waren.
III. Feststellung
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.