Nr. 46/2015
Meinungspluralismus / Trennung von Fakten und Kommentar / Anhören bei schweren Vorwürfen / Umgang mit Leserbriefen

(X. c. «St. Galler Tagblatt») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 11. Dezember 2015

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Zusammenfassung

Der Leiter des Amts für Mittelschulen im St. Galler Bildungsdepartement wirft dem «St. Galler Tagblatt» parteiischen Journalismus vor und beschwerte sich beim Schweizer Presserat. Dies, weil die Zeitung über eine langjährig schwelende Krise zwischen einem Lehrer und seinem Rektor geschrieben hatte und dem Amt für Mittelschulen unterlassene Hilfestellung vorwarf. Darf sich ein Journalist sozusagen anwaltschaftlich für einen unbestritten bestens ausgewiesenen Mathematiklehrer einsetzen, der sich als Mobbingopfer im Kontext einer grösseren, bildungspolitischen Krise sieht?

Ja, sagt der Presserat, wenn der Journalist wie in diesem Fall mangelhafte amtliche Strukturen anprangert und moniert, eine Lösung sei jahrelang verschleppt worden. Weil der Kanton St. Gallen die Aufsichtskommission auflöste, schaffte er just jene Kontrollinstanz ab, die bei Konflikten zwischen Lehrerschaft und Rektorat vermitteln müsste. Der Vorwurf der Zeitung, dass das Amt für Mittelschulen als nächste Instanz den Lehrer nicht einmal anhören, sondern «das Problem aussitzen» wollte, ist unter diesen Umständen kein «diffamierender» Vorwurf an den Amtsleiter. Dieser hätte auch Gelegenheit gehabt, sich dazu zu äussern. Er unterliess dies aber mit Verweis auf laufende Verfahren und offizielle Nichtzuständigkeit. Der Presserat lehnt die Beschwerde ab.

Résumé

Le chef de l’office en charge des écoles moyennes au département de la formation du canton de St-Gall reproche au «St. Galler Tagblatt» de pratiquer un journalisme partial et saisit le Conseil suisse de la presse. Il se plaint que le quotidien a évoqué dans ses pages une crise larvée, durant depuis plusieurs années, entre un enseignant et son recteur et reproché audit office de ne pas avoir proposé son aide. Un journaliste peut-il, pour ainsi dire, se faire l’avocat d’un professeur de mathématiques aux qualités incontestées qui s’estime victime d’un mobbing dans le contexte plus large d’une crise agitant la politique de l’éducation ?

Oui, estime le Conseil de la presse, si le journaliste, comme dans ce cas, dénonce des structures officielles défaillantes et critique la temporisation observée pendant des années. En dissolvant la commission de surveillance, le canton de St-Gall a précisément supprimé l’instance de contrôle chargée de jouer les intermédiaires dans les conflits opposant le corps enseignant et le rectorat. Le reproche que le journal fait à l’office de ne pas même avoir entendu l’enseignant, en tant que première instance, mais d’avoir opté pour l’attentisme n’a rien de «diffamatoire» pour le chef d’office dans les circonstances. De plus, ce dernier aurait eu l’occasion de s’exprimer sur la situation mais il s’est abstenu de le faire en invoquant l’existence d’une procédure en cours et l’absence de compétence officielle. Le Conseil de la presse rejette son recours.

Riassunto

Il direttore dell’Ufficio dell’insegnamento medio del Dipartimento cantonale dell’istruzione pubblica del Canton San Gallo accusa il «St. Galler Tagblatt» di mancanza di obiettività per diversi articoli pubblicati su un conflitto in atto da tempo tra un insegnante e la direzione della scuola in cui insegna. L’ufficio è accusato di negligenza, per aver trascurato di interessarsi del caso. Ma sbaglia un giornalista a prendere le difese di un insegnante di matematica di riconosciuta capacità che si sente vittima di discriminazione in contesti esemplari della più ampia crisi che investe il mondo educativo? Il Consiglio della stampa risponde: no, non sbaglia. 

La critica del giornale poneva l’accento sia sulle carenze della struttura didattica sia sulla mancanza di iniziativa da parte dell’Ufficio cantonale. Il fatto è che non esiste più, nel  Canton San Gallo, la commissione di vigilanza il cui compito sarebbe consistito nel mediare in caso di conflitto tra docenti e direzione scolastica. Dunque toccava all’ufficio dell’insegnamento medio, l’istanza immediatamente superiore alla direzione: che tuttavia non si è curato mai di ascoltare il docente, cercando sempre di svicolare. Ma è diffamatoria una critica di questo genere? Il Consiglio della stampa dice: no. L’Ufficio in questione si è d’altra parte sempre rifiutato di esprimersi, con il pretesto che la procedura è in corso e ufficialmente la cosa non lo tocca.  


I. Sachverhalt


A.
Am 13. Januar 2015 veröffentlichte das «St. Galler Tagblatt» einen Artikel über einen lang andauernden Personalkonflikt an der Kantonsschule Sargans. Der Frontanriss informiert über das Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung, das ein Lehrer gegen den Rektor angestrengt hat und fasst die Hintergründe des Falls kurz zusammen. Im Hauptartikel unter dem Titel «Ein krasser Fall von Mobbing» führt Autor Markus Rohner ihn detailliert aus: Lehrer S. habe über zwanzig Jahre als renommierter und beliebter Mathematiklehrer und langjähriger Gruppenvorsitzender der Fachschaft an der Schule gearbeitet. Die Kantonsschule Sargans habe diesbezüglich einen hervorragenden Ruf und sei 2006 gar zur Wissenschaftsschule der Schweiz gewählt worden. Fachlich war der Mathematiklehrer unbestritten ausgewiesen. Doch seit längerem werfe der Rektor ihm zu anspruchsvollen und nicht schülergerechten Unterricht vor und führe eine regelrechte Kampagne gegen ihn. Zu diesem Zweck sammle er mit aggressivem Vorgehen Stimmen von SchülerInnen und Eltern, darunter sogar solchen, deren Kinder noch in der Probezeit oder überhaupt erst an der Schule angemeldet seien. Einer ihm bekannten Mutter habe er unter dem Siegel der Verschwiegenheit per Mail anvertraut, dass in Betracht gezogen werde, bei S. «einen Schlussstrich zu ziehen». Gleichzeitig gab der Rektor an der ETH Zürich ein Gutachten in Auftrag zur Bewertung von S.’ Unterricht anhand einer Analyse von 20 Schülerheften. Dieses bestätigte zwar, dass der Stoff anspruchsvoll sei, aber kompatibel mit dem Lehrplan. Der Gutachter bezeichnet den Lehrer gar als «fachlich und fachdidaktisch sehr kompetent und erfahren». Trotzdem habe sich der Konflikt zugespitzt, dem Lehrer wurde mehrmals die Kündigung angedroht, Vermittlungsversuche unterblieben. Dem monatelangen Druck habe S. nicht standhalten können, er wurde krank. Damit wurde eine Kündigung vorerst verunmöglicht. Doch S. kämpfe weiter für seine Rehabilitation und habe schliesslich gegen den Rektor ein Strafverfahren eingereicht.

In einem Kasten – «Rektor schweigt, Kanton schaut zu» – geht der Journalist auch auf die Untätigkeit einer anderen Instanz in diesem langjährigen Konflikt ein: das Amt für Mittelschulen im kantonalen Bildungsdepartement und dessen Leiter X. X. sei in diesem Fall immer passiv geblieben und habe sich geweigert, zu schlichten oder zu vermitteln. Jetzt wolle er, angesichts des laufenden Verfahrens, keine Stellung beziehen.

B.  In einem weiteren langen Artikel vom 15. Januar 2015 vertiefte Markus Rohner den allgemeinen bildungspolitischen und fachdidaktischen Hintergrund des Konflikts, der über die betroffene Schule hinausreicht. Zu Wort kommt u.a. ein weiterer Mathematiklehrer der Kantonsschule Sargans, der zusammen mit einem jüngeren Kollegen die Schule ebenfalls im Streit um Niveau-Anforderungen verlassen hat bzw. in Frühpension ging. Er wirft dem Rektorat vor, dieses würde aus Angst vor Eltern-Beschwerden ein schulisches Feel-good-Klima gegen anspruchsvolle Lehrziele und strenge Lehrplanumsetzung favorisieren.

C. Am 19. Januar 2015 folgte dann der Artikel, der das kantonale Amt für Mittelschulen und die Rolle des Amtschefs X. genauer unter die Lupe nimmt: «Amtsch
ef wollte Problem aussitzen». Rohner hat darin kritische Stimmen aus dem Schulumfeld gesammelt, die das Vorgehen der Kantonsschule Sargans gegen den Lehrer verurteilen, u.a. diejenige eines Schulratspräsidenten und ehemaligen Mitglieds der Aufsichtskommission. Dieser hatte in dieser Funktion S.’ Unterricht während Jahren visitiert und bestens benotet. Er weist auch darauf hin, dass die seither abgeschaffte Aufsichtskommission bei solchen Konflikten Ansprechpartnerin gewesen wäre. Danach wäre es am Amt für Mittelschulen gewesen, einzugreifen. Doch wenn «dort ein Chef sitzt, der in heiklen Fällen die Zügel schleifen lässt, fehlt nicht viel zur Eskalation». Das Amt für Mittelschulen sei über den Fall immer bestens informiert gewesen, schreibt Rohner. S. hätte sich auch hilfesuchend an X., den er persönlich kenne, gewandt. Mehrere Versuche zur Kontaktaufnahme seien jedoch gescheitert, zwei Mails habe der Amtsleiter postwendend an den Rektor weitergeleitet. Auch auf einen Brief von zwei Dutzend Kantonsschülern, die sich für den Lehrer einsetzten, habe er nie geantwortet. In einem letzten Teil wird X. charakterisiert als Amtschef, dessen Wahl durch das Erziehungsdepartement grosses Erstaunen hervorgerufen habe, da er über keinerlei Erfahrung im Bereich Schule und Pädagogik verfügte. Der Jurist sei früher CVP-Sekretär, Lokalredaktor, dann Personalchef in einem Rorschacher Industriebetrieb gewesen. Als Amtschef sei er zögerlich und hüte sich davor, so eine anonyme Quelle, in heiklen Fällen Stellung zu beziehen. Ausserhalb seines Büros könne X. sehr aktiv werden, schreibt Rohner, und zählt zahlreiche Posten und Nebentätigkeiten auf, darunter auch seine regelmässigen Reisen nach Rom. Ob diese immer mit dem Besuch der dortigen Schweizerschule «und damit mit seiner Funktion als Amtsleiter begründet werden können, bezweifeln seine Kritiker» (der Artikel ist bebildert mit einem Foto von X. Papstaudienz). Auch beschrieben wird X. Einsatz als Wahlkampfhelfer für seine Tochter, für die er tatkräftig sein Netzwerk eingespannt habe.

D. Am 17. März 2015 reichte X. Beschwerde beim Presserat gegen die Artikel vom 13., 15. und in erster Linie vom 19. Januar 2015 ein. Sie seien unprofessionell, diffamierend und menschenverachtend. Sie würden schwere Vorwürfe gegen ihn erheben, ohne dass er dazu angehört worden sei. Die Trennung von Fakten und Kommentar werde nicht eingehalten, der Journalist sei parteiisch und verfolge eigene Interessen. Mit der selektiven Auswahl von Leserbriefen sei zudem der Meinungspluralismus unterbunden worden und das «St. Galler Tagblatt» habe damit seine Monopolstellung missbraucht. Zwar habe Rohner ihn vor der Publikation des ersten Artikels vom 13. Januar 2015 kontaktiert und zum Fall S. befragt. Er hätte mit Verweis auf den Persönlichkeitsschutz aber keine Auskünfte gegeben. Bei einem zweiten Telefonat am 15. Januar 2015 habe Rohner ihn nur um Sachauskünfte gebeten zum neuen Mittelschulgesetz, zur Abschaffung der Aufsichtskommission sowie zu rechtlichen Regelungen bei Anstellungen und Entlassungen, aber keine Fragen mehr zum Fall S. gestellt. Zu der rufschädigenden Behauptung, «Amtschef wollte Problem aussitzen», habe er sich also nicht äussern können. Ohnehin sei er in diesem Fall gar nicht zuständig gewesen, der Erziehungsrat sei die vorgesetzte Behörde des Rektors. Darauf verweise auch die Medienmitteilung des Bildungsdepartements im Anschluss an die drei Artikel. Rohner würdige auch seine berufliche Karriere nicht richtig, indem er falsche Titel- und Funktionszuschreibungen verwende. Ausserdem erhebe er den schweren Vorwurf, dass er seine Rom-Reisen auf Staatskosten mache. Das Bild mit dem Papst habe nichts mit dem Fall zu tun. Überhaupt wolle Rohner, der mit S. seit vielen Jahren befreundet sei, ihn persönlich treffen, ebenso seine Frau und Tochter, «fast racheartig». Er verfolge private und politische Interessen und habe einen eigentlichen CVP-Hass.

E. Das «St. Galler Tagblatt» wies am 30. April 2015 alle Vorwürfe zurück, räumte nur ein, dass allenfalls dem Aspekt der Rom-Besuche zu viel Raum gegeben worden sei. Im relevanten Punkt Anhörungspflicht stimme vielmehr, dass Rohner den Amtsleiter mehrfach um Stellungnahme zu den im Artikel genannten Vorwürfen gebeten habe. X. habe sie konsequent verweigert. Auch hätte er in seiner Funktion entgegen seiner Aussage durchaus aktiv werden können: Sein Amt verfüge über eine Abteilung «Personelles Mittelschullehrpersonen», das unmittelbar zuständig sei für solche Streitfälle. Auch die bemängelte Wortwahl für die berufliche Laufbahn von X. sei keineswegs herabwürdigend: In der Ostschweiz werde die Alcan AG seit jeher als Rorschacher Industriebetrieb und nicht als kanadischer Konzern wahrgenommen. Der Vorwurf, Rohner sei nicht unabhängig, weil er S. kenne, stimme nicht: Die beiden hätten seit der gemeinsamen Primarschulzeit keinen Kontakt mehr. Ebenso wenig der Vorwurf eines Racheaktes, weil Rohner einst nicht in den Stadtrat von Altstätten gewählt worden sei. Das sei fünfzehn Jahre her und die politischen Verhältnisse hätten sich längst geändert.

F. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu. Ihr gehören Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Casper Selg und David Spinnler an.

G. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 23. September 2015 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung der zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» gehörigen Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) geltend. Im Artikel vom 13. Januar 2015 werde festgehalten, das Amt für Mittelschulen, dem er vorstehe, bleibe passiv und weigere sich konsequent, im seit Jahren schwelenden Fall die Rolle des Vermittlers oder Schiedsrichters zu übernehmen. Auch eine Krisenintervention oder externe Administrativuntersuchung sei nicht in Frage gekommen. Diese Vorwürfe wögen schwer, er sei dazu jedoch nie angehört worden. Am 19. Januar 2015 seien weitere schwere Vorwürfe gefolgt, indem ihm vorgeworfen worden sei, er habe als Amtschef das Problem aussitzen wollen. Als Amtsleiter in einem derart gelagerten personalrechtlichen Fall sei er nicht zuständig. Die Führung des Lehrpersonals an den St. Gallischen Mittelschulen liege in der alleinigen Verantwortung des Rektors oder der Rektorin. Weiter werde gesagt, Lehrer S. habe versucht, mit ihm telefonisch Kontakt aufzunehmen. Auch dazu habe er sich nie äussern können. Ebenso wenig zu den Aussagen, zwei Dutzend Kantonsschüler hätte ihm Ende Februar 2014 einen Brief geschrieben und würden bis heute auf eine Antwort warten, auch nicht zur Aussage, ein langjähriger Sarganser Kantonsschullehrer äussere sich negativ über ihn. Weiter werde ihm vorgeworfen, er habe nach Rohners Medienrecherchen innerhalb von 24 Stunden gehandelt. In Bezug auf seine Reisen nach Rom ziehe der Autor zudem rein private Dinge ins Feld, die in keinem Zusammenhang mit dem Fall S. stünden. Zudem werde mit der Aussage, «ob diese Römer Reisen immer mit einer Visitation der Schweizerschule und damit seiner Funktion als Amtsleiter begründet werden können, bezweifeln seine Kritiker» insinuiert, er würde sich auf Staatskosten privat in Rom aufhalten. Auch dazu habe er nie Stellung nehmen können.

b) Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» verpflichtet die Journalisten, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören und ihre Stellungnahme im Medienbericht fair wiederzugeben. Vorab ist bei den Artikeln des «St. Galler Tagblatt» vom 13., 15. und 19. Januar 2015 zu prüfen, ob diese gegen den Beschwerdeführer schwere Vorwürfe erheben – also gemäss der Praxis des Presserats ihm ein illegales oder damit vergleichbares Verhalten unterstellen. Laut Praxis des Presserats müssen sich gesellschaftliche Akteu
re heftige Kritik gefallen lassen, wenn damit kein illegales Verhalten behauptet wird – auch ohne Anhörung. Im Zentrum steht der gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, er sei im Zusammenhang mit der bereits seit längerem andauernden Auseinandersetzung zwischen Kantonsschullehrer S. und dem Rektor untätig geblieben und habe das Problem aussitzen wollen. Die Untätigkeit im Fall S. wird von X. nicht bestritten, er behauptet aber, damit werde ihm böser Wille unterstellt. Davon ist im Artikel nicht die Rede, sondern zusammengefasst nur von Untätigkeit, von Zögern und – im Zitat eines Kantonsschullehrers – von der Angst, «sich die Finger zu verbrennen» und Position zu beziehen. Eine geforderte Administrativuntersuchung sei von ihm auch erst eingeleitet worden, als er von den Medienrecherchen erfahren habe (was X. bestreitet).

Der Kanton St. Gallen hat – aus was für Gründen auch immer – die Aufsichtskommission abgeschafft, an die sich ein Lehrer bisher in personalrechtlichen Konflikten wenden konnte. Das wird auch in der Medienmitteilung des Bildungsdepartements vom 19. Januar 2015 zum Fall S. hervorgehoben. Darin verwehrt es sich gegen die mediale «Kampagne gegen den Rektor und den Leiter des Amtes für Mittelschulen». Es schreibt: «Anstellung und Entlassung von Mittelschullehrpersonen ist Sache des (…) Rektors. Die arbeitsrechtlichen Zuständigkeiten sind (…) dezentral auf die Schulen übertragen worden.» Dies bedeutet, dass in einem Konflikt Rektor–Lehrer der Rektor alle Entscheidungsbefugnisse besitzt. Auch im Fall S.: «Der Rektor arbeitet mit Unterstützung der kantonalen Stellen (Amt für Mittelschulen, (…)) nach wie vor darauf hin, eine (…) akzeptable Lösung zu finden», schreibt das Bildungsdepartement. Dass in der Medienmitteilung ausdrücklich, wenn auch nur in Klammern, das Amt für Mittelschulen erwähnt wird, das den Rektor in diesem Fall unterstütze, bestätigt zumindest, dass dem Amt in Bezug auf die Unterstützung von Rektoren nicht komplett die Hände gebunden sind. Selbst wenn das Organigramm es nicht direkt erfordert und abgesehen von der Tatsache, dass im Amt für Mittelschulen die Abteilung «Personelles Mittelschullehrerpersonen» existiert, ist nicht ausgeschlossen, dass ein Amtschef angesichts eines lange schwelenden Konflikt vermittelnd eingreift. Wenn ein neues System ohne Aufsichtskommission versagt, hätte der Amtschef auch ohne bürokratische Absicherung versuchen können, zu vermitteln. Letztlich war er jedoch – und das ist hier wesentlich – gestützt auf das Organigramm dazu rechtlich nicht verpflichtet. Dass er nicht geholfen hat, einen bestehenden Streit zu schlichten, ist letztlich kein schwerer Vorwurf, da ihm kein illegales oder damit vergleichbares Verhalten vorgeworfen wird.

c) Weiter ist zu untersuchen, ob mit der Frage, ob X. häufige Rom-Reisen immer in seiner Funktion als Amtsleiter nur dem Besuch der Schweizerschule gegolten hätten, was seine Kritiker bezweifeln würden, ein schwerer Vorwurf erhoben wird. Der Beschwerdeführer deutet diese Aussage so, dass ihm vorgeworfen wird, er halte sich auf Staatskosten in Rom auf. Dies wird im Artikel so nicht gesagt. Die Rom-Reisen werden im Rahmen der Aufzählung diverser (ausserschulischer) Aktivitäten des Beschwerdeführers erwähnt. Dass auf die Zweifel seiner Kritiker ohne weitere Hintergrundinformationen hingewiesen wird, kann durchaus als tendenziös bezeichnet werden. Dem Beschwerdeführer wird letztlich jedoch kein illegales oder damit vergleichbares Verhalten vorgeworfen.

d) Der Beschwerdeführer kritisiert die Illustration des Artikels vom 19. Januar 2015 mit dem Bild seines Papstbesuches. Dieses solle belegen, dass er in seiner Funktion als Verantwortlicher für das Patronat der Schweizerschule Rom auf seinen Reisen nach Rom private Interessen verfolgt habe. Wie X. selbst schreibt, ist das Bild mit der Papstaudienz tatsächlich in Zusammenhang mit seiner Funktion entstanden. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, wäre dessen Publikation nicht problematisch. Als Beleg für die Verfolgung privater Interessen taugt es jedenfalls nicht, obwohl das «St. Galler Tagblatt» einräumt, dass allenfalls dem Aspekt der Rom-Reisen zu viel Raum gegeben wurde. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe keine schweren Vorwürfe im Sinne der Praxis des Presserats darstellen.

2. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er hätte zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen angehört werden müssen. In Bezug auf die tatsächlich stattgefundenen Kontakte steht Aussage gegen Aussage, und da die Kontakte telefonisch geführt wurden, stehen auch keine klärenden Mails mit allenfalls aufgelisteten Fragen zur Verfügung. Das «St. Galler Tagblatt» schreibt in seiner Stellungnahme, Rohner habe X. mehrmals um Stellungnahme zu den in der Beschwerde genannten Vorwürfen gebeten. X. habe sich konsequent verweigert, entweder mit Hinweis auf das laufende Verfahren oder ohne Angabe von Gründen. Fest steht, dass Rohner X. noch vor dem ersten Artikel vom 13. Januar 2015 befragte. X. verweigerte gemäss seinen eigenen Aussagen die Auskunft zum Fall S. mit dem Hinweis auf den Persönlichkeitsschutz. Am 15. Januar 2015, so schreibt X., hätte Rohner ihn erneut befragt, aber nur Sachauskünfte eingeholt und keine Fragen zum Thema der Untätigkeit des Amtes gestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren allerdings die ersten beiden Artikel bereits erschienen. Die Frage stellt sich nun, warum X. den Journalisten unter diesen Umständen nicht auf den bereits im ersten Artikel geäusserten Vorwurf (Amt bleibt passiv) ansprach und ihn korrigierte (Amt nicht zuständig). Eine solche Information hätte den Persönlichkeitsschutz von S. nicht tangiert. Letztlich kann die Frage jedoch offenblieben. Wie oben ausgeführt, handelt es sich bei den im Artikel geäusserten Vorwürfen um keine schweren Vorwürfe, weshalb eine Anhörung nicht zwingend war. Sie hätte jedoch – insbesondere zur Frage der Zuständigkeit – dem Gebot der Fairness entsprochen.

3. Der Beschwerdeführer moniert sodann, mit der selektiven Auswahl von Leserbriefen sei der Meinungspluralismus unterbunden worden und das «St. Galler Tagblatt» habe damit seine Monopolstellung missbraucht. Er sieht darin eine Verletzung der Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus) und 5.2 (Leserbriefe) begründet. Richtlinie 2.2 hält fest, dass der Meinungspluralismus zur Verteidigung der Informationsfreiheit beiträgt. Er ist notwendig, wenn sich ein Medium in einer Monopolsituation befindet. Gestützt auf Richtlinie 5.2 gelten die berufsethischen Normen auch für die Veröffentlichung von Leserinnen- und Leserbriefen. Diese gehören zum redaktionellen Teil und damit in die Verantwortung der Redaktion. Redaktionen entscheiden nach eigenem Ermessen über die Veröffentlichung von Leserbriefen. Ebensowenig wie bei redaktionellen Beiträgen sind Redaktionen bei der Auswahl von Leserzuschriften zu Ausgewogenheit verpflichtet. Medien mit lokaler Vormachtstellung sollten sich im Umgang mit Leserreaktionen möglichst grosszügig zeigen. Doch auch sie sind nicht verpflichtet, im Einzelfall einen bestimmten Leserbrief abzudrucken.

Im vorliegenden Fall halten sich die positiven und die negativen Leserbriefe in etwa die Waage. Nicht zu beanstanden ist, dass ein Leserbrief erst auf Nachfrage veröffentlicht wurde, ein anderer gar nicht. Der Beschwerdeführer kritisiert zudem insbesondere die Streichung von einzelnen Wörtern in einem Leserbrief. Der letzte Satz lautete: «Es besteht seitens der Chefredaktion(en) erheblicher Klärungsbedarf.» Das «St. Galler Tagblatt» veröffentlichte den Satz mit folgendem Wortlaut: «Es besteht erheblicher Klärungsbedarf.» Diese Kürzung verfälscht dessen Sinn und Argumentation nicht, wie dies X. geltend macht. Aus dem Leserbrief geht hervor, dass der Verfasser den Klärungsbedarf auf Seiten der Chefredaktion ortete, weshalb die Kürzung unproblematisch war. Im Ergebnis ist der
Umgang des «St. Galler Tagblatt» mit den Leserbriefen nicht zu beanstanden.

4. Der Beschwerdeführer kritisiert weiter, der Autor nenne ihn Lokalredaktor, obwohl er Chefredaktor gewesen sei. Er nenne ihn Personalchef in einem Rorschacher Industriebetrieb, in Tat und Wahrheit sei er Geschäftsleitungsmitglied und Mitglied des Verwaltungsrates eines kanadischen Konzerns mit 700 Mitarbeitenden und damit der Vorgesetzte des Personalchefs gewesen. Er sieht darin eine Verletzung von Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar). Diese verkürzten Berufsbezeichnungen stellen zwar eine Ungenauigkeit dar, vermögen damit aber keine Verletzung der Wahrheitspflicht zu begründen. Inwiefern sie einen Kommentar darstellen sollen, ist nicht ersichtlich.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.



2. Das «St. Galler Tagblatt» hat mit den Artikeln «Ein krasser Fall von Mobbing» vom 13. Januar 2015, «Mathematik verliert an Gewicht» vom 15. Januar 2015 und «Amtschef wollte Problem aussitzen» vom 19. Januar 2015 sowie den dazu veröffentlichten Leserbriefen die Ziffern 2 (Meinungspluralismus, Trennung von Fakten und Kommentar), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5 (Umgang mit Leserbriefen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.