Nr. 21/2003
Kommentierende Berichterstattung

(X. / Gemeinde Vorderthal c. «Facts») Stellungnahme des Presserates vom 2. Mai 2003

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I. Sachverhalt

A. In seiner Ausgabe 47/2002 veröffentlichte «Facts» im Vorfeld der eidgenössischen Volksabstimmung über die SVP-Asylinitiative vom November 2002 unter dem Titel «Hochburg der Ja-Sager» eine Reportage von Urs Zurlinden über die Gemeinde Vorderthal im Kanton Schwyz. Anlass der Reportage bildete der Umstand, dass 1996 bei der ersten Asylinitiative der SVP «gegen illegale Einwanderung» kein anderer Deutschschweizer Ort in ebenso hohem Ausmass (Ja-Anteil von 88,1%) zugestimmt habe und die daraus abgeleitete These, die Gemeinde werde «mit Sicherheit» auch die neue Asylinitiative «haushoch» annehmen.

B. Mit Beschwerde vom 25. November und 12. Dezember 2002 gelangte X. an den Presserat und rügte im wesentlichen, mit dem Abdruck des obengenannten Artikels habe «Facts» die Pflicht zur Wahrheitssuche (Ziffer 1.1 der Richtlinien zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»), die Unterschlagung wesentlicher Informationselemente (Ziffer 3 der «Erklärung») sowie die Richtlinie 2.3 zur «Erklärung» (Trennung von Fakten und Kommentar) verletzt. Dem Autor des Berichts sei es nicht um Wahrheitsfindung gegangen. Vielmehr sei er von einer vorgefassten Meinung ausgegangen. Für die Leserschaft sei die Unterscheidbarkeit zwischen Fakten und Meinungsäusserungen nicht gewährleistet gewesen. Zudem seien Quellen ungenügend geprüft, falsch zitiert oder ganz unterschlagen worden, soweit dies zur Stossrichtung des Berichts gepasst habe. In Nebenpunkten machte er zudem Verletzungen der Ziffern 4 (Lauterkeit der Recherche) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung» geltend.

C. In einer Stellungnahme vom 20. Januar 2003 beantragte «Facts»-Chefredaktor Hannes Britschgi, die Beschwerde sei abzuweisen. Der Autor Urs Zurlinden habe vor Ort professionell recherchiert und in der Reportage – was ihm zustehe – seine Sichtweise wiedergegeben.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 28. Januar 2003 teilte der Presserat der Redaktion «Facts» und dem Beschwerdeführer X. mit, der Schriftenwechsel sei abgeschlossen und die Beschwerde werde durch das Präsidium behandelt. Dieses besteht aus Presseratspräsident Peter Studer sowie den beiden Vizepräsidenten Daniel Cornu und Esther Diener-Morscher.

F. Am 4. Februar 2003 richtete die Gemeinde Vorderthal eine zu weiten Teilen identische Beschwerde gegen «Facts» an den Presserat.

G. Am 7. Februar 2003 teilte der Presserat den Parteien mit, die beiden Beschwerdeverfahren würden angesichts des weitgehend übereinstimmenden Beschwerdegegenstands vereinigt und auf die Einholung einer zusätzlichen Beschwerdeantwort der Redaktion «Facts» werde verzichtet.

H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 2. Mai 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Der Presserat hat in ständiger Praxis immer wieder darauf hingewiesen, dass aus der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» keine berufsethische Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung abgeleitet werden kann. Deshalb ist berufsethisch auch eine einseitige, parteiergreifende Berichterstattung zulässig. Werden schwere Vorwürfe erhoben, sind die Betroffenen anzuhören und ist ihre Stellungnahme zumindest kurz wiederzugeben (neue Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»). Auch bei einseitigen Berichten sollte das Publikum zudem immer zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden können und in die Lage versetzt werden, die Informationen zu gewichten und einzuordnen (Vademekum 2002, S. 13ff.; vgl. beispielsweise auch die Stellungnahmen 9/2002 i.S. X. c. «Südostschweiz» und 32/2002 i.S. Inselspitalstiftung c. «Puls-Tipp» je mit weiteren Hinweisen).

b) Soweit die Beschwerdeführer vorliegend generell beanstanden, die Beschaffung der Informationen für den Artikel «Hochburg der Ja-Sager» sei einseitig und deshalb unfair gewesen (Gemeinde Vorderthal) bzw. durch die voreingenommene und einseitige Darstellung sei ein ganzes Dorf «verunglimpft» worden (Beschwerdeführer X.) sind die entsprechenden Rügen damit als von vornherein unbegründet zurückzuweisen.

2. a) In Bezug auf die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») hat der Presserat zudem immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht zu seinen Aufgaben gehören kann, in einem Medienbericht enthaltene, zwischen den Parteien umstrittene Faktenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Der Presserat ist nicht in der Lage, ein umfangreiches Beweisverfahren zur Klärung komplexer Sachverhalte durchzuführen. Er beschränkt daher seine Tätigkeit auf die Frage, ob im Sinne der Richtlinie 1.1 und der diese konkretisierenden Ziffern 3 bis 5 der «Erklärung» soweit ersichtlich nach journalistischen Grundsätzen gearbeitet worden ist (vgl. hierzu die Stellungnahmen 8/2001 i.S. FSJ/SLJ c. J.; 25/2001 i.S. K. c. «Computerworld»; 32/2002 i.S. Inselspitalstiftung c. «Puls-Tipp»).

b) Soweit die Beschwerdeführer behaupten, der beanstandete Artikel habe in verschiedener Hinsicht wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen enthalten («vier Beizen»; «keine Grössen im Sport, auf die man stolz sein könnte», «Der Schiessstand (…) zerfällt»; «die Käserei (…) wurde vor zwei Jahren geschlossen», «der Metzger schliesst seinen Laden nach Belieben», muss dies vorliegend offen gelassen werden.

3. Ebensowenig kann auf die durch den Beschwerdeführer X. gerügte Verletzung von Ziffer 4 der «Erklärung» (Lauterkeit der Recherche) eingetreten werden. Denn für seine von «Facts» ausdrücklich bestrittene Behauptung, der eingangs des Artikels erwähnte «Autohandel» unter Beteiligung von Ausländern sei vom Autor «fingiert» gewesen, legt er keinerlei Beweise vor.

4. a) Die Beschwerdeführer sehen eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» (Entstellung / Unterschlagung von Informationen) darin, dass der Gemeindeschreiber von Vorderthal im Artikel nicht korrekt zitiert worden sei und der Autor darüber hinaus bei verschiedenen von den Beschwerdeführern als unzutreffend gerügten Pauschalisierungen und Wertungen wesentliche Informationen unterschlagen habe, die ihm in allgemein zugänglichen Quellen (Veranstaltungskalender, Informationsbroschüre der Gemeinden Vorderthal und Innenthal, Lokalzeitungen) ohne weiteres zur Verfügung gestanden hätten.

b) Die Redaktion «Facts» hält ihrerseits daran fest, dass die im Artikel wiedergegebenen Zitate des Gemeindeschreibers gegenüber dem Autor so geäussert worden seien. Generell habe Urs Zurlinden professionell recherchiert und «alle Originalzitate, die er im Text namentlich genannten Personen zuordnet, vor Ort jeweils am Schluss des Gesprächs direkt besprochen und das Einverständnis zur Publikation erhalten. «Facts» habe sich bei den veröffentlichten Informationen auf die Angaben der örtlichen Gesprächspartner und nicht auf die von den Beschwerdeführern angesprochenen Informationsquellen abgestützt.

c) Soweit sich die Darstellungen der Parteien hinsichtlich der Wiedergabe des Statements des Gemeindeschreibers widersprechen, ist der Presserat nicht in der Lage, zu klären, welche der beiden Versionen als zutreffend erscheint. Jedenfalls war «Facts» aber entgegen der impliziten Behauptung der Gemeinde Vorderthal – vorbehältlich einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien – bei einem kurzen Rechercheinterview berufsethisch nicht von vornherein verpflichtet, jedes Statement vor der Publikation zum Gegenlesen zu unterbreiten (vgl. zuletzt die Stellungnahme 30/02 i.S. X. c. «Facts» mit weiteren Hinweisen). Aus den dem Presserat vorliegenden Unterlagen geht nicht hervor, dass e
ntgegen der Darstellung von «Facts», die Zitate seien von allen Befragten mündlich abgesegnet worden, den Interviewten explizit zugesichert worden wäre, dass sie die Statements vor der Veröffentlichung noch einmal zu Gesicht bekommen würden.

Ebensowenig war «Facts» von vornherein verpflichtet, für seine Recherche sämtliches zugängliches Informationsmaterial wie den von den Beschwerdeführern dem Presserat eingereichten Veranstaltungskalender sowie die Informationsbroschüre der Gemeinde Vorderthal beizuziehen. Denn aus der Pflicht zur Wahrheitssuche kann ebensowenig wie aus dem Gebot, keine wichtigen Elemente von Informationen zu unterschlagen, abgeleitet werden, dass Medien verpflichtet wären, erschöpfend unter Berücksichtigung sämtlicher verfügbarer Informationsquellen zu recherchieren und zu berichten. Die für den Leser des Artikels im Wesentlichen ersichtliche Recherchiermethode des Autors Urs Zurlinden bestand darin, das Thema anhand von Gesprächen mit Stammtischbesuchern, einer Wirtin, Gemeindevertretern, einer Lehrerin, einem Vertreter der Pfarrei sowie einer Kindergärtnerin zu bearbeiten. Das ist berufsethisch zulässig.

5. Weiter wird bei der Lektüre des Artikels sofort klar, dass der Autor ausgehend vom Abstimmungsergebnis von 1996 eine Hypothese untersuchte: Die Skepsis gegenüber Fremden sei so eingewurzelt, dass die nächste Abstimmung ähnliche oder gleiche Ergebnisse zeitigen wird. Der Autor verfolgt diese Hypothese subjektiv – und vermittelt – teils in Momentaufnahmen – das Bild eines voreingenommen wirkenden Aussenstehenden. Unter diesen Umständen ist aber auch die insbesondere vom Beschwerdeführer X. mehrfach erhobene Rüge der Verletzung der Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) als unbegründet abzuweisen. Denn die Leserschaft ist ohne weiteres in der Lage, zwischen Fakten und den pointiert kommentierenden Wertungen des Autors zu unterscheiden. Dies gilt insbesondere auch für die den Beschwerdeführern verständlicherweise besonders aufstossenden Pauschalisierungen wie «solche Menschen dürfen, sagen die Menschen in Vorderthal, gar nicht erst in die Schweiz» und «Vorderthal kennt keine eigene Identität». Denn auch diese Wertungen des Autors sind ohne weiteres als solche erkennbar – die Leserschaft wird ja kaum davon ausgehen, dass es sich hierbei um eine Selbstdarstellung der Vorderthaler Behörden handelt. Zudem ist auch ersichtlich, aus welchen zum Teil rudimentären Indizien der Journalist diese Wertungen ableitet.

6. Die Beschwerdeführer sehen schliesslich Ziffer 8 der «Erklärung» in mehrfacher Hinsicht verletzt. Beschwerdeführer X. versteht den Begriff der Diskriminierung offensichtlich unrichtig: Eine Bezeichnung einer Stammtischrunde als «Schnapsrunde», der Gewerbetreibenden als «Gewerbler»; der Hinweis auf ein ausgebliebenes Dorffest; die Abfolge Vorname, Name oder Name, Vorname – alles das kann von vornherein nicht als diskriminierend gelten, weil es nicht um eine generalisierende Herabsetzung von Minderheiten oder Benachteiligten geht. Ebensowenig verstösst die Wiedergabe des folgenden Zitats gegen die Pflicht zur Achtung der Menschenwürde: «Schnyder und Mächler: Zwei Familiennamen dominieren die Bürgerschaft. Auf den Grabsteinen wiederholen sich beide Namen. ÐHier sind fast alle kreuz und quer miteinander verwandt?, weiss der Pfarrer, der heute noch ÐSpuren von Inzucht? erkennt. ÐWenn jemand da hineingeheiratet hatte, waren das schon Ausländer.» Denn allein aus der Wiedergabe der von einem Gesprächspartner aus der Häufigkeit zweier Familiennamen in einem Dorf abgeleiteten vagen Vermutung einer möglichen, jedoch lange zurückliegenden «Inzucht» innerhalb einer Ortschaft kann nicht bereits abgeleitet werden, dass dadurch die heutigen Träger dieses Namens in ihrem Menschsein herabgewürdigt wären. Und schliesslich vermag der Presserat auch im Umstand, dass die gemäss Darstellung des Artikels bosnische, gemäss Darstellung von Beschwerdeführer X. kroatische Serviertochter des Restaurants Pöstli als einzige Person im Artikel nur mit dem Vornamen genannt wird, keine Diskriminierung zu erkennen. Zumal aus den Akten nicht hervorgeht, dass die Serviertochter von den Einheimischen mit den ganzen Namen angeredet oder dem Reporter entsprechend vorgestellt worden wäre.

III. Feststellung

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.