Nr. 33/2016
Identifizierung / Wahrheitssuche

(X. c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 29. September 2016

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Zusammenfassung

Darf ein Gastkommentator den Namen eines Abonnenten nennen, der eine Zeitschrift abbestellt? Nein, sagt der Schweizer Presserat. Und: Eine Zeitung kann die Verantwortung für diese unzulässige Namensnennung eines Gastautors nicht an diesen auslagern. Denn die Zeitung ist medienethisch auch für Gastbeiträge verantwortlich.

Dies zeigt der Fall eines Lesers, der die Publikation «Standpunkt der Wirtschaft» mit einem Mail abbestellt hatte. Er fand seinen Namen daraufhin publiziert in einem Gastkommentar des Rechtskonsulenten der «Basler Zeitung», der das Abbestellen in der «Basler Zeitung» kommentierte. Der Leser argumentierte beim Presserat zu Recht, er sei keine Person des öffentlichen Interesses und es gebe keinen Grund, seinen Namen öffentlich zu nennen. Ausserdem hatte der Gastautor das Abbestellen des Magazins mittels eines höflichen Mails als «völliges Ausrasten» interpretiert. Diese stark überzogene Interpretation rügte der Presserat als wahrheitswidrig.

Résumé

Un commentateur invité à s’exprimer a-t-il le droit de citer le nom d’une personne qui résilie son abonnement à un journal? Non, estime le Conseil suisse de la presse. Et: un journal ne peut déléguer la responsabilité de cette citation indue à l’auteur qu’il a invité. Car le journal est également responsable, au plan de déontologique, des articles d’auteurs externes.

C’est ce que montre le cas d’un lecteur qui a résilié son abonnement à la publication «Standpunkt der Wirtschaft» par courrier électronique. Il a par la suite trouvé son nom cité dans le commentaire du conseiller juridique de la «Basler Zeitung», qui donnait son avis sur la résiliation dans le journal. Le lecteur a argumenté auprès du Conseil de la presse, à juste titre, qu’il n’était pas une personne d’intérêt public et qu’il n’y avait aucune raison de publier son nom. L’auteur invité avait commenté le courrier électronique poli envoyé pour résilier l’abonnement au magazine en parlant d’une «crise de colère». Le Conseil de la presse considère cette forte surinterprétation comme contraire à la vérité.

Riassunto

Può un commentatore esterno menzionare il nome di una persona che ha disdetto l’abbonamento a una rivista? No, dice il Consiglio della stampa, sono affari suoi: e la redazione non può addossarne la responsabilità all’ospite, è la redazione che risponde di quel che scrivono i suoi collaboratori.

Era il caso di un lettore che aveva disdetto l’abbonamento a «Standpunkt der Wirtschaft» (una rivista specializzata), cui era capitato di veder citato il suo nome sulla «Basler Zeitung», in un articolo scritto dal consulente legale di quest’ultimo foglio. Giustamente, nel suo reclamo il lettore fa valere di non essere un personaggio pubblico il cui nome rivesta un interesse generale. Inoltre, l’atto della disdetta era descritto dal collaboratore del giornale come uno scatto di nervi, una perdita di controllo. Che però non risulta assolutamente, aggiunge il Consiglio della stampa, e costituisce una violazione del dovere di rispetto della verità.

I. Sachverhalt

A. Am 11. September 2015 erschien in der «Basler Zeitung» («BaZ») auf der Doppelseite «Meinungen und Profile» sowie auf deren Homepage ein Text des Gastautoren Martin Wagner mit dem Titel «Medienfilz» und dem Obertitel «Wirtschaftskammer als Spielfeld für Verschwörungstheorien». Martin Wagner wird am Ende seines Texts als «Rechtskonsulent der Wirtschaftskammer Baselland und der Basler Zeitung» eingeordnet. In diesem Text, der in der Onlineversion einen längeren Lead enthält und dort auch explizit als Kommentar bezeichnet wird, schreibt Martin Wagner gleich zu Beginn über X., den er namentlich nennt. X. sei am Samstag, den 5. September, «vollends ausgerastet». Niemand dürfe es wagen, ihm jemals wieder die Verbandszeitung «Standpunkt der Wirtschaft» zuzustellen. Das von X. ausgesprochene Zustellverbot sei «unumstösslich». Dies alles, weil X. einen Artikel von Martin Wagner im «Standpunkt der Wirtschaft» gelesen habe, der die journalistischen Entgleisungen des Journalisten Christian Mensch belege. Der Grund dafür, wieso sich X. derart über die Kritik an Christian Mensch aufrege sei die Tatsache, dass X. der Vater von Y. sei. Dieser habe als Redaktor des Regionaljournals Basel Baselland die Wirtschaftskammer mit «happigen» Vorwürfen verunglimpft. Y. sei vom oben erwähnten Christian Mensch zu diesen Verunglimpfungen angestiftet worden. Es folgt eine längere Auslegeordnung aus der Sicht des Autors Martin Wagner über die «Verunglimpfungen» der Wirtschaftskammer und über die Beziehungen der erwähnten Journalisten untereinander.

B. Am 21. September 2015 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er beanstandet den Artikel «Medienfilz» von Martin Wagner, der am 11. September sowohl online als auch in der Printausgabe der «BaZ» erschienen ist. Der Artikel verstosse gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» und zwar die zugehörigen Richtlinien 1.1 Wahrheitssuche, 4.1 Verschleierung des Berufs, 7.1 Privatsphäre, 7.2 Identifizierung und 3.8 Anhörung bei schweren Vorwürfen. Er, X., sei nicht vollends ausgerastet. Er habe lediglich ein Mail an den Verlag geschickt, in dem er geschrieben habe, dass er die Zeitung «Standpunkt der Wirtschaft» ab sofort abbestellen wolle, nachdem er den Artikel von Martin Wagner «Ein Journalist auf Abwegen» gelesen habe. Die von Wagner erwähnten Formulierungen würden ihm Drohungen unterstellen. Dies entspreche nicht den Tatsachen. Des Weiteren beschwert sich X. darüber, dass die Funktion von Martin Wagner als Mitgründer der «Zentralen Arbeitsmarkt-Kontrolle ZAK» nicht offengelegt werde. Dies sei eine Verschleierung des Berufs. Im von Wagner kritisierten Artikel gehe es nicht nur um Vorwürfe gegen die Wirtschaftskammer, sondern auch um Vorwürfe gegen die Zentrale Arbeitsmarkt-Kontrolle. Es gehe nicht an, dass Martin Wagner den Namen von X. in diesem Kommentar nenne, er sei keine Person des öffentlichen Interesses. Die Namensnennung verstosse gegen den Schutz seiner Privatsphäre und es sei inakzeptabel, über ihn identifizierend zu berichten. Schliesslich verstosse der Kommentar von Martin Wagner auch gegen die Richtlinie 3.8, Anhörung bei schweren Vorwürfen. Er habe sich nämlich nicht zu den von Martin Wagner gemachten Vorwürfen äussern können.

C. Die «Basler Zeitung» nahm trotz zweimaliger Aufforderung keine Stellung zu der Beschwerde von X. Der Presserat teilte der «Basler Zeitung» mit Schreiben vom 29. Januar 2016 mit, dass er mit Ablaufen der zweiten Frist davon ausgehe, dass die «BaZ» keine Stellung nehmen wolle.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall der 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Präsidentin), Francesca Luvini, Klaus Lange, Casper Selg, Michael Herzka, Dennis Bühler und David Spinnler angehören.

E. Die 1. Kammer des Presserats behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. Juni 2016 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a)
Der Presserat hat bereits in verschiedenen Entscheiden festgehalten, dass für Gastautoren dasselbe gilt wie bei Leserbriefen: dass nämlich die Medien die berufsethische Verantwortung auch für Beiträge tragen, die sie von Aussenstehenden annehmen (Beispiel: Stellungnahme 70/2011). Allerdings beschränkt sich die Prüfungspflicht auf offensichtliche Verstösse gegen die berufsethischen Normen (siehe Stellungnahme 28/2009). Richtlinie 2.4 (öffentliche Funktion
en) gilt nicht nur für Journalisten, die einem Medium angehören, sondern auch für Gastautoren. Die Redaktion muss die Interessenbindungen bekannt machen (Stellungnahmen 70/2011 und 2/2013). Auch die Anhörungspflicht bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8) gilt bei Kommentaren (10/2000).

b)
Da die «Basler Zeitung» keine Stellung genommen hat, kennt der Presserat ihre Sicht der Dinge nicht. Aus einem von X. eingereichten Mail-Verkehr zwischen seinem Sohn Y. und dem Chefredaktor der «Basler Zeitung» Markus Somm geht hervor, dass sich die «Basler Zeitung» auf den Standpunkt stellt, dass es sich bei dem beanstandeten Text um einen Gastbeitrag handelt. Die Funktionen des Autors Martin Wagner seien korrekt offengelegt. X. solle sich doch direkt an den Gastautor Martin Wagner wenden. Daraus ist zu schliessen, dass die «Basler Zeitung» versucht, die Verantwortung für den Text an den Gastautor auszulagern. Wie unter 1. a) beschrieben, ist dies nicht zulässig. Damit entzieht sich die «Basler Zeitung» ihrer redaktionellen Verantwortung für den Inhalt der Zeitung, der den ethischen Grundsätzen des Journalismus genügen muss. In der Online-Ausgabe bezeichnet die «Basler Zeitung» den Beitrag von Martin Wagner als «Kommentar». Aus Sicht des Presserats entspricht dieser Text jedoch vielmehr einer Art gehässigen Leserbriefs.

2. Gestützt auf Richtlinie 7.2 ist eine Namensnennung unter anderem zulässig, sofern die betroffene Person im Zusammenhang mit dem Gegenstand des Medienberichts öffentlich auftritt oder auf andere Weise in die Veröffentlichung eingewilligt hat oder sofern die Namensnennung anderweitig durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Beide Kriterien treffen vorliegend nicht zu. X. hat ein anständiges Mail an einen Verlag gesendet, um eine Zeitung abzubestellen und wird nun in diesem Artikel an den medialen Pranger gestellt. Er ist keine öffentliche Person und es ist offensichtlich kein öffentliches Interesse gegeben, welches eine Namensnennung rechtfertigen würde. Es geht nicht an, dass ein Medium ein solches Mail dazu nutzt, einen (ehemaligen) Abonnenten (noch dazu einer anderen Zeitung) auf diese Weise blosszustellen. X. musste nicht damit rechnen, dass, wenn er die Zeitung abbestellt, sein Name publik gemacht wird. Dies hätte die «BaZ» erkennen müssen und diese Namensnennung verhindern müssen (oder durch den Autor ändern lassen müssen). Richtlinie 7.2 wurde somit verletzt.

3. Anders verhält es sich in Bezug auf die Richtlinie 7.1 (Schutz der Privatsphäre), wonach Journalistinnen und Journalisten im Privatbereich keine Ton-, Bild- oder Videoaufnahmen ohne Einwilligung des Betroffenen machen dürfen. Diese Richtlinie ist vorliegend nicht anwendbar, denn Martin Wagner hat keine Bild- oder Tondokumente von X. veröffentlicht.

4. Der Gastautor Martin Wagner beschreibt das Abbestellen einer Zeitung mittels eines höflich verfassten E-Mails als «völliges Ausrasten». Weiter stellt der Autor fest: «Niemand darf es wagen, ihm jemals wieder den Standpunkt der Wirtschaft … zuzustellen.» Und weiter: «Das von ihm ausgesprochene Zustellverbot ist unumstösslich.» X. hat in seinem Mail an den Verlag geschrieben: «Guten Tag. Nachdem ich den Artikel ‹Ein Journalist auf Abwegen› von Ihrem Rechtskonsulenten Martin Wagner gelesen habe, verzichte ich auf eine weitere Zustellung Ihrer Zeitung. Bitte senden Sie mir ab sofort Ihren ‹Standpunkt der Wirtschaft› nicht mehr zu. Besten Dank für Ihr Verständnis. Freundliche Grüsse X.» Martins Wagners Formulierungen über das Abbestellen der Zeitung ‹Standpunkt der Wirtschaft› durch X. sind klar tatsachenwidrig. Damit verletzt die «Basler Zeitung» die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» gehörende Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche). Diese verlangt von Journalisten u.a., bei ihrer Informationstätigkeit verfügbare und zugängliche Daten zu beachten und die Integrität von Dokumenten (vorliegend Texten) zu achten.

5. Der Beschwerdeführer macht zudem eine Verletzung von Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) geltend. Aus dem Fairnessgebot und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten leitet sich die Pflicht der Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Gemäss Praxis des Presserats wiegen Vorwürfe schwer, wenn Betroffenen ein strafbares oder ein damit vergleichbares Verhalten vorgeworfen wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn Martin Wagner erhebt keine derart gelagerten Vorwürfe. Eine Stellungnahme von X. musste deshalb nicht eingeholt werden. Allerdings bewegt sich der Text von Martin Wagner an der Grenze des Zulässigen in Bezug auf die Vorwürfe gegenüber Drittpersonen (Y. und Christian Mensch). Es ist problematisch, mit der Etikette eines Kommentars derart globale Rundumschläge gegen namentlich erwähnte Personen zu verbreiten; zumal dies ohne argumentative Begründung geschieht.

6. In Bezug auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verletzung von Richtlinie 4.1 (Verschleierung des Berufs) ist festzuhalten, dass Martin Wagners Funktion in der Wirtschaftskammer korrekt angegeben ist. Ob es in diesem Zusammenhang notwendig war, auch die Funktion in der «Zentralen Arbeitsmarkt-Kontrolle» offenzulegen, ist fraglich. Es ist für den Presserat alleine aufgrund des Artikels «Medienfilz» nicht ersichtlich, was die «Zentrale Arbeitsmarkt-Kontrolle» und ihre Skandale mit der Argumentation von Martin Wagner in seinem Kommentar zu tun haben. Er wirft seinen Gegnern vor, eine Kampagne gegen die Wirtschaftskammer zu fahren. Seine Funktion in dieser Wirtschaftskammer ist korrekt ausgewiesen. Ebenso diejenige in der «Basler Zeitung». Insofern ist Richtlinie 4.1 nicht verletzt. Im Sinne einer ethisch korrekten Berichterstattung und auch im Sinne des Services gegenüber der Leserschaft wäre es allerdings sehr wünschenswert gewesen, dass die «Basler Zeitung» neben dem Text von Martin Wagner den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskammer und den zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels hochaktuellen Streitigkeiten um die «Zentrale Arbeitsmarkt-Kontrolle ZAK» aufgezeigt hätte.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit der Publikation des Gastkommentars «Medienfilz» von Martin Wagner vom 11. September 2015 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.