I. Sachverhalt
A. Unter dem Titel «240 Stunden Arbeit als Strafe» berichtete Kurt Liembd am 16. August 2012 in der «Neuen Nidwaldner Zeitung» über ein Urteil des Kantonsgerichts Nidwalden. Der Lead des Artikels lautet: «Wegen Missbrauchs der Sozialhilfe verurteilte das Kantonsgericht einen Hergiswiler zu gemeinnütziger Arbeit und zu einer bedingten Geldstrafe.» Dem Lauftext ist zu entnehmen, ein «eingebürgerter Marokkaner» habe die Sozialhilfebehörde laut der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft «arglistig über seinen tatsächlichen Aufenthalt in Hergiswil mit einem gefälschten Mietvertrag getäuscht», worauf ihm die Behörde rund 5000 Franken zu viel ausbezahlt habe. In einem separaten Kasten mit dem Titel «Führte eigene Gastrobetriebe» zeichnet der Gerichtsreporter den Werdegang des «54-jährigen Hergiswiler» nach, der seit 30 Jahren in der Schweiz lebe. Als Kellner und Gastronom habe er sich einen Namen in renommierten Betrieben gemacht – der Bericht nennt dazu zwei Lokale in der Innerschweiz mit Namen. Später habe er mit Erfolg eigene Gastrobetriebe geführt. Als er arbeitslos wurde, sei er in der Sozialhilfe gelandet. Und als die Gemeinde Hergiswil gemerkt habe, dass er mit gefälschten Quittungen zu viel Sozialhilfe bezog, habe sie Strafanzeige eingereicht. Weiter erwähnt der Kasten der «Neuen Nidwaldner Zeitung», dem Verurteilten sei 2002 der Führerausweis entzogen worden. «Trotzdem fuhr er weiter und baute zwei Verkehrsunfälle, einen davon mit 2,81 Promille. Letzter vorläufiger Höhepunkt bildete eine Widerhandlung gegen das Waffengesetz.»
B. Am 26. Oktober 2012 beschwerte sich der anwaltlich vertretene X. beim Schweizer Presserat gegen den obengenannten Bericht, der ihn in unzulässiger Weise identifiziere und mithin gegen die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Privatsphäre) verstosse. Zwar sei der eigentliche Bericht über die Hauptverhandlung nicht zu beanstanden. Die Angaben im separaten Kasten über den beruflichen Werdegang gingen jedoch zu weit und erlaubten es der Bevölkerung des kleinen Kantons Nidwalden, ihn zu identifizieren.
C. Am 14. Januar 2013 beantragte die ebenfalls anwaltlich vertretene Redaktion «Neue Nidwaldner Zeitung», die Beschwerde sei abzuweisen. Angesichts der Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Delikte habe ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung bestanden. «Insbesondere auch die gemeinnützige Arbeit als Strafe erfordert eine Umschreibung der Situation des Straftäters, damit die Leserschaft sich ein Bild über diese nicht unumstrittene Strafart machen kann.» Dem habe die separate Rubrik mit dem Titel «Führte eigene Gastrobetriebe» gedient. Die darin enthaltene Schilderung des Werdegangs erlaube für sich allein noch keine Identifizierung, sofern die Leserschaft die Geschichte oder den Beschwerdeführer nicht bereits kenne. «Genau gesehen ergibt sich aus der Rubrik im Kasten einzig, dass ein 54-jähriger Hergiswiler seit 34 Jahren in der Schweiz lebt und überdies als Kellner und Gastronom gearbeitet hat, eine Karriere wie sie fast jeder Restaurateur hinter sich hat.» In Bezug auf die namentlich erwähnten Lokale werde in chronologischer Hinsicht nichts ausgesagt.
D. Am 16. Januar 2013 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. Juli 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss der Ziffer 7 zur «Erklärung» respektieren die Medienschaffenden «die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt». Die zugehörige Richtlinie 7.2 (Identifizierung) verlangt, dass die Medienschaffenden die beteiligten Interessen sorgfältig abwägen. Eine identifizierende Berichterstattung ist zulässig, «sofern die betroffene Person ein politisches Amt beziehungsweise eine staatliche oder gesellschaftlich leitende Funktion wahrnimmt und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht (…) Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.»
Vorliegend ist zwischen den Parteien unbestritten, dass eine identifizierende Berichterstattung über den Beschwerdeführer nicht angebracht ist. Hingegen bestreitet die Beschwerdegegnerin, dass der Beschwerdeführer aufgrund der im beanstandeten Artikel enthaltenen Angaben über sein näheres Umfeld hinaus identifizierbar ist.
2. Bei der Abwägung zwischen den beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) ist insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen (Stellungnahmen 25/2008, 16/2009, 1 und 27/2012). Auch wenn ein öffentliches Interesse daran bestand, über das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer zu berichten und dabei auch seinen beruflichen Werdegang darzustellen, war es nicht notwendig, konkrete Lokale im Kanton Nidwalden zu benennen. Selbst wenn diese Tätigkeiten schon längere Zeit zurückliegen, ist er gestützt darauf zusammen mit den weiteren im Artikel enthaltenen Informationselementen (Alter, ursprüngliche Nationalität, Wohnort, Angaben zur beruflichen Karriere) zumindest für einen Teil der Leserschaft der «Neuen Nidwaldner Zeitung» identifizierbar, der zuvor nicht über die ihm zur Last gelegten Delikte informiert war. Die «Neue Nidwaldner Zeitung» hätte deshalb zumindest darauf verzichten sollen, in ihrem Bericht bekannte Nidwaldner Gaststätten zu benennen, für die X. früher gearbeitet hat. Denn die konkrete Benennung dieser Restaurants trägt zusätzlich zu den weiteren Angaben über seinen beruflichen Werdegang nichts Wesentliches zur Beschreibung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers bei. Sie erscheint deshalb unverhältnismässig.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Die «Neue Nidwaldner Zeitung» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «240 Stunden Arbeit als Strafe» vom 16. August 2012 die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Identifizierung) verletzt.