Nr. 11/2007
Identifizierende Berichterstattung / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(X. und Y. AG c. «Klein Report») Stellungnahme des Schweizer Presserates

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I. Sachverhalt

A. Am 23. November 2006 veröffentlichte der Mediendienst «Klein Report» die Meldung, das Fernsehmagazin Z. hätte sich am Vormittag des Tages per sofort von seinem Textchef X. getrennt. In der Kurzmitteilung wurde weiter ausgeführt: «Gemäss Redaktionsmitgliedern wird X. unter anderem ‹Illoyalität gegenüber der Chefredaktion› vorgeworfen». Noch am gleichen Tag forderte der Chefredaktor des Z. die Herausgeberin und Verlegerin des «Klein Report» auf, die zitierte Passage, die «jeder Grundlage» entbehre, aus der Meldung herauszustreichen und durch den Satz «Die Trennung erfolgte im gegenseitigen Einvernehmen» zu ersetzen. Die Beschwerdegegnerin hat die beanstandete Passage nicht aus der Meldung ge-nommen, sondern lediglich die verlangte Ergänzung dem Text angehängt, unter Berufung auf den Chefredaktor des Z.

B. Am 24. November 2006 gelangte der anwaltlich vertretene X. mit einer Beschwerde gegen den «Klein Report» an den Presserat. Der Beschwerdeführer beanstandet, der Vorwurf der Illoyalität beruhe nicht auf Tatsachen. Er sei als Gerücht verbreitet worden, das nicht hätte weiter kolportiert werden dürfen. Die Veröffentlichung verstosse gegen Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Verletzung der Privatsphäre). Er sei «weder eine absolute noch eine relative Person der Zeitgeschichte» und die Nennung seines Namens in diesem Zusammenhang sei deshalb nicht von öffentlichem Interesse. Angesichts des schweren Vorwurfs hätten er und sein Arbeitgeber zudem vor der Publikation angehört werden müssen, was nicht geschehen sei. Damit habe der «Klein Report» auch die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt.

C. Am 30. November 2006 reichte die ebenfalls anwaltlich vertretene Y. AG, Herausgeberin des Z. dem Presserat eine ähnlich lautende Beschwerde gegen den «Klein Report» ein.

D. Am 30. Dezember 2006 beantragte Ursula Klein, Herausgeberin und Verlegerin des «Klein Report», die Beschwerde sei abzuweisen. X. sei als Textchef einer Publikation mit einer grossen Auflage für einen Branchendienst wie den «Klein Report» wichtig. Es sei darum gerechtfertigt gewesen, seine Kündigung und die fristlose Freistellung, die als Fakten unbestritten seien, zu vermelden und auch die Hintergründe, soweit möglich, mitzuteilen. Die Meldung beruhe auf den Angaben zweier Informanten aus der Redaktion, deren Namen unter das Redaktionsgeheimnis fielen. «Es ist richtig, dass es gut gewesen wäre, X. vorgängig anzuhören. Dieser Forderung steht aber die Notwendigkeit gegenüber, rasch über ein solches Ereignis zu informieren. Das Thema machte an diesem Donnerstag rasch die Runde in der Branche, und es galt, das Ereignis zu vermelden, so lange es noch News-Wert hatte. Als sich der ‹Klein Report› am Freitag 24. November um eine Stellungnahme von X. bemühte, rief dieser nicht zurück. Chefredaktor Georges Müller hat Herrn X. auf die Combox gesprochen. Offenbar lag das Thema bereits beim Anwalt. Darum tat die Redaktion, was sie zum damaligen Zeitpunkt tun konnte und fügte die Darstellung des Chefredaktors an, die seither so im Netz ist.»

E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Andrea Fiedler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann.

F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 21. März 2007 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Ziffer 7 der «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre der einzelnen Person zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Die Richtlinie 7.6 hält fest, dass «Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder Namen nennen, noch andere Angaben machen dürfen, die eine Identifikation einer von einem Gerichtsverfahren betroffenen Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden». Die Richtlinie nennt allerdings auch Ausnahmen von dieser Grundregel:

– Überwiegendes öffentliches Interesse (inhaltlich unbestimmte «Generalklausel»);

– Nennung eines politischen oder amtlichen Funktionsträgers, soweit das Delikt einen Bezug zu dieser Funktion hat;

– Wenn die Person bereits allgemein bekannt ist – wobei meist die Medien im konkreten Fall für die Bekanntheit gesorgt haben, weshalb diese Ausnahme mit besonderer Zurückhaltung anzuwenden ist;

– Gefahr von Verwechslungen, falls der Name nicht genannt wird;

– Ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen.

b) In der Stellungnahme 5/2004 hat der Presserat darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 7.6 auch für die Berichterstattung über Journalistinnen und Journalisten anwendbar ist. In Betracht fallen dabei insbesondere die Ausnahmegründe der öffentlichen Funktion und der allgemeinen Bekanntheit. «Ebenso wie bei Politikern und Trägern von öffentlichen Funktionen (vgl. die Stellungnahme 6/1999) ist eine Namensnennung aber auch bei Journalistinnen und Journalisten dann unangebracht, wenn der Gegenstand der Berichterstattung allein das Privatleben betrifft. Anders ist es hingegen, wenn ein Zusammenhang zwischen dem Gegenstand der Berichterstattung und der Tätigkeit der davon Betroffenen in der Öffentlichkeit zu bejahen ist. Entsprechend hat der Presserat in der Stellungnahme 43/2002 festgehalten, dass die Nennung des Namens eines bekannten Journalisten gerechtfertigt ist, wenn die Namensnennung im Zusammenhang mit der publizistischen Tätigkeit erfolgt, aufgrund derer die Leserschaft den Journalisten kennt.» Dabei sei «ein überwiegendes Interesse an einer Namensnennung im Zusammenhang mit einem möglichen oder definitiven Stellenverlust nicht ohne weiteres zu bejahen. Zwar hängt auch ein Stellenverlust logischerweise unmittelbar mit der beruflichen Tätigkeit zusammen. Ebenso ist davon aber auch das private, familiäre Umfeld betroffen. Wird durch eine identifizierende Berichterstattung auch die Privatsphäre der darin Beschriebenen tangiert, ist eine Interessenabwägung unumgänglich.» Im Einzelfall ist nach der erwähnten Stellungnahme u.a. darauf abzustellen, ob der von der Berichterstattung Betroffene eine leitende Funktion einnimmt (Stellungnahmen 6/1999 und 2/2003). «Dementsprechend liegt es nahe, auch bei Journalist/innen im Zweifelsfall auf ihre Position innerhalb der Redaktionshierachie abzustellen.»

c) Ausgehend von den angeführten Kriterien ist angesichts der Kaderfunktion des Beschwerdeführers als Textchef bei Z. der Meldung über seine Entlassung ein zumindest branchenbezogenes Interesse nicht abzusprechen. Nach Ansicht des Presserates ist damit die Nennung seines Namens in diesem Zusammenhang zulässig. Der «Klein Report» hat deshalb die Ziffer 7 der «Erklärung» mit der Nennung des Namens des Beschwerdeführers nicht verletzt.

2. a) Ziffer 3 der «Erklärung» auferlegt Journalistinnen und Journalisten die Pflicht, keine wichtigen Elemente von Informationen zu unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen zu entstellen. Unbestätigte Meldungen, Bild- und Tonmontagen sind als solche zu bezeichnen. Gemäss der zugehörigen Richtlinie 3.8 sind Journalistinnen und Journalisten zudem verpflichtet, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben.

b) Wie auch die Beschwerdegegnerin wenigstens teilweise zugesteht, wäre die Anhörung des Beschwerdeführers zum Vorwurf der Entlassung wegen «Illoyalität gegenüber der Chefredaktion» vor der Publikation unabdingbar gewesen. Berufsethisch kann es nicht angehen, den zeitlich beschränkten News-Wert einer Nachricht
über das der Anhörungspflicht zugrundeliegende Fairnessprinzip zu stellen. Der erst am Freitag, 24. November 2006, erfolgte Versuch, eine nachträgliche Stellungnahme von X. einzuholen, kam zu spät.

c) In Bezug auf die Nennung des angeblichen Kündigungsgrundes «Illoyalität gegenüber der Chefredaktion» kommt der Presserat schliesslich zu folgendem Schluss: Vorbehältlich einer korrekten Anhörung des Betroffenen vor der Publikation war die Nennung des angeblichen Kündigungsgrundes im Prinzip zulässig, allerdings nicht in der vom «Klein Report» verbreiteten, verkürzten Form. Da sich die Veröffentlichung des Kündigungsgrundes bei der Suche nach einer neuen Stelle unter Umständen erschwerend auswirken kann, ist hier ganz besonders auf eine präzise, differenzierende Information zu achten. Die sich auf die Meinungsäusserung von zwei – zudem noch anonymen – Informanten stützende Meldung des «Klein Reports» genügt diesem Anspruch nicht. Wenn schon hätte die Leserschaft in die Lage versetzt werden müssen – beispielsweise durch die Angabe von Fakten, auf welchen diese Wertung beruhte – den Vorwurf «Illoyalität gegenüber der Chefredaktion» einordnen und bewerten zu können. In der vom «Klein Report» veröffentlichten Formulierung bleibt der angebliche Kündigungsgrund hingegen als abstrakte, von der Leserschaft kaum einzuordnende Kritik am persönlichen Verhalten des Beschwerdeführers im Raum stehen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Mit der Publikation der Meldung vom 23. November 2006, «Z. trennt sich von Textchef» hat der «Klein Report» die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Der «Klein Report» wäre verpflichtet gewesen, X. vor der Publikation anzuhören. Unzulässig war zudem die verkürzte Wiedergabe des angeblichen Kündigungsgrundes.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. Mit der Namensnennung von X. hat der «Klein Report» die Ziffer 7 der «Erklärung» nicht verletzt.