Nr. 37/2013
Entstellung von Informationen / Berichtigung / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen

(X. c. «SonntagsZeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 12. Juli 2013

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Kulturschwärmer» veröffentlichte Maria Brehmer am 25. November 2012 einen Artikel über «Crowdfunding», das in der Schweiz Fuss fasse. Mit dieser Art von Geldbeschaffung, die meist via Internet erfolgt, lassen sich Projekte und Geschäftsideen finanzieren, indem eine Vielzahl von Personen mit relativ kleinen Beiträgen zum benötigten Kapital beiträgt. Wemakeit.ch, die grösste Schweizer Plattform, habe nach bloss zehn Monaten bereits die Millionengrenze an gesammelten Spenden erreicht. Dabei stehe und falle die Mikrofinanzierung der einzelnen Projekte mit der Anzahl der Unterstützer, die das einzelne Vorhaben mitbringe, stammten doch die ersten 30 Prozent des Beitrages immer aus dem eigenen Netzwerk. Die Schweizer seien gut darin, auf allen Kanälen ihr Umfeld zu mobilisieren «und liegen mit 60 Prozent erfolgreich finanzierter Vorhaben weit über dem europäischen Durchschnitt». Die Stärke der Internetfinanzierung hierzulande sei ihre unbürokratische Schnelligkeit. «Doch mit den Milliarden, die hierzulande jährlich von der öffentlichen Hand verteilt werden, kann Crowdfunding immer noch nicht und vielleicht auch nie mithalten.»

Was die Crowdfunding-Plattformen auszeichne, sei die neue Nähe zwischen Kultur und ihrem Publikum: «Wer mitmacht, bestimmt mit.» Aufallend sei, dass Projekte, «die mit Sensationen spielen, an der Netzfinanzierung scheitern. ‹Tagebuch einer Exekution› – eine Fotoreportage über die Familie eines Hingerichteten – ist seit zwei Wochen online und konnte erst etwas über 10 Prozent des Zielbetrags eintreiben. Denn wer hierzulande bereit ist, aus eigener Tasche ein Projekt zu stützen, der tut dies meist aus ideellen Gründen. Und weil er die Chance wittert, die Welt ein wenig besser zu machen.»

B. Am 1. Dezember 2012 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat über den obengenannten Bericht, in dem sein Projekt «Tagebuch einer Exekution» in einer völlig widersprüchlichen und unzutreffenden Weise beschrieben werde. Das Projekt bestehe aus einer im Jahr 2003 entstandenen Fotoreportage, die 2004 mit dem «Magazin Fotopreis» ausgezeichnet worden sei. Laut Begründung der Wettbewerbsjury zeigten die Bilder behutsam das Leid der Schwester über die Exekution ihres Bruders «ohne sich der Mittel des Sensationsjournalismus zu bedienen. Die Arbeit zeigt auf, wie eine Exekution eine zweite Opferfamilie schafft – die Familie des Täters.» Nun plane er die Weiterführung des Projekts mit einem Besuch bei der Schwester zehn Jahre nach der Exekution. Mit der Veröffentlichung des obengenannten Artikels habe die «SonntagsZeitung» die Ziffern 3 (Entstellung von Informationen), 5 (Berichtigung) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

C. Am 11. Januar 2013 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion der «SonntagsZeitung», die Beschwerde sei abzuweisen. Der Artikel beschreibe in der beanstandeten Passage des Artikels ein Phänomen des Crowdfundings anhand des Projekts des Beschwerdeführers, ohne dieses dabei positiv oder negativ zu qualifizieren. «Die Schlussfolgerung, das Projekt scheitere an der Netzfinanzierung, ist keine Tatsachendarstellung, sondern lediglich die Auseinandersetzung mit einem Erfahrungswert des Crowdfundings, wonach Projekte, die nicht in den ersten Wochen Geld machen, in den seltensten Fällen weiterkommen.» Auch der Hinweis, das Projekt spiele mit Sensationen, sei ohne jeden abwertenden Unterton erfolgt. «Es lässt sich nicht bestreiten, dass das Projekt, das die Todesstrafe zum Thema hat, mit starken Gefühlen und Reizen spielt und und somit sehr wohl ‹ein ungewöhnliches Ereignis, das in der Öffentlichkeit grosse Aufregung verursacht› (Definition Duden) zum Gegenstand hat.»

Der Beschwerdeführer lege denn auch nicht näher dar, inwiefern der beanstandete Satz «Auffallend ist, dass andererseits Projekte, die mit Sensationen spielen, an der Netzfinanzierung scheitern» Informationen unterschlage oder entstelle. Und da die «SonntagsZeitung» keine falschen Tatsachendarstellungen verbreitet habe, sei sie auch nicht dazu verpflichtet gewesen, eine Berichtigung oder einen wohlwollenden Artikel über das Projekt zu veröffentlichen. Und schliesslich enthalte der Artikel weder Anschuldigungen gegenüber dem Beschwerdeführer, ja nicht einmal Kritik am Projekt.

D. Am 15. Januar 2013 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. Juli 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen kurzen Abschnitt in einem grösseren Artikel, der sich wohlwollend mit dem Thema «Crowdfunding» auseinandersetzt. Für den Presserat ist dabei nachvollziehbar, dass sich X. daran stört, dass die Autorin ausgerechnet sein Projekt zufälligerweise als Negativbeispiel ausgewählt hat, das mit «Sensationen» spiele und in den ersten zwei Wochen erst 10 Prozent des Zielbetrags erreicht habe.

2. Der Beschwerdeführer räumt allerdings selbst ein, dass die kommentierende Wertung «mit Sensationen spielen» Interpretationssache sei. Der Presserat hat in verschiedenen Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass sich Kulturschaffende im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Öffentlichkeit auch harsche und einseitige, ja selbst absurd anmutende Kritik gefallen lassen müssen (Stellungnahmen 44/2001, 50/2007). Auch wenn Maria Brehmer das Projekt des Beschwerdeführers ohne nähere Begründung allein aufgrund des Themas als «sensationalistisch» bewertet, bewegt sie sich mit ihrer Einschätzung innerhalb des weit zu ziehenden Rahmens der Kommentarfreiheit.

3. Für den Presserat ist darüber hinaus nicht ersichtlich, inwiefern der beanstandete Artikel Fakten entstellen oder unterschlagen soll oder auf der Grundlage falscher Faktenbehauptungen sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen erhebt. Der erste Satz des umstrittenen Abschnitts «Auffallend ist, dass andererseits Projekte, die mit Sensationen spielen, an der Netzfinanzierung scheitern» ist wie bereits ausgeführt für die Leserschaft als kommentierende Einschätzung erkennbar. Darüber hinaus bestreitet der Beschwerdeführer nicht, dass bei seinem Projekt, zwei Wochen nachdem es aufgeschaltet war, «erst etwas über 10 Prozent des Zielbetrags» zugesichert waren. Daraus zu folgern, das Projekt werde es unter diesen Umständen voraussichtlich nicht schaffen, ist wiederum eine zulässige Einschätzung – selbst wenn sich diese nachträglich offenbar als unzutreffend herausgestellt hat.

4. Da die «SonntagsZeitung» keine Falschmeldung veröffentlicht hat, war sie auch nicht verpflichtet, eine Berichtigung abzudrucken.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «SonntagsZeitung» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Kulturschwärmer» vom 25. November 2012 die Ziffern 3 (Entstellung/Unterschlagung von Informationen), 5 (Berichtigung) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.