I. Sachverhalt
A. Am 7. Dezember 2008 veröffentlichte der «SonntagsBlick» einen Artikel von Silvana Guanzaroli mit dem Titel «RAV-gierige Deutsche» und dem Obertitel «Lieber stempeln als chrampfen». Der Lead lautete: «Die Schweiz ist das Schlaraffenland der Deutschen. Wenn sie erst mal hier sind, wollen sie nie mehr weg. Erst recht nicht, wenn sie arbeitslos werden.» Im Lauftext führt die Autorin aus, jetzt habe die Wirtschaftskrise auch die Arbeitnehmer erreicht. «Besonders häufig trifft es deutsche Arbeitnehmer. Ihre Zahl steigt in der Schweiz überdurchschnittlich. Allein im Kanton Zürich waren Ende Oktober 1023 Deutsche arbeitslos gemeldet, 200 mehr als im Vormonat. Ähnlich drastisch fällt die Zunahme in Basel, Bern und St. Gallen aus.» Diesen Trend spürten auch Stellenvermittler und Temporärbüros, die zwar viele Neuanmeldungen hätten. Deutsche seien aber sehr wählerisch. «Temporärstellen, die in ihren Augen minderwertig sind, lehnen sie ab.» Denn mit der Schweizer Arbeitslosenversicherung könnten sie im Vergleich zu Deutschland wie im Schlaraffenland leben.
Illustriert ist der Artikel mit einer Karikatur, die fünf vor dem Arbeitsamt wartende Arbeitslose zeigt – eine Person mit lachendem Gesicht. Zwei auf einer Parkbank zusehenden Senioren wird folgender Satz in den Mund gelegt: «Dreimal darfst du raten, wer von denen ein Deutscher ist.»
B. Am 9. Dezember 2008 wandte sich X. mit einer Beschwerde gegen den «SonntagsBlick»-Artikel vom 7. Dezember 2008 an den Presserat. Er beanstandete, der Text sei geeignet, in unverantwortlicher Weise Ressentiments bei den Lesern zu bedienen oder zu wecken. Eine ganze Bevölkerungsgruppe – die Deutschen – würden in pauschalisierender Weise als Sozialschmarotzer hingestellt. Einen hetzerischen Beigeschmack erhalte der Artikel erst noch durch die Illustration. Einzelne Volksgruppen, gleich welcher Nationalität, dürften nicht zu Sündenböcken und Projektionsopfern gemacht werden. Mit der Publikation des Berichts habe der «SonntagsBlick» die Richtlinien 2.4 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 8.2 (Diskriminierungsverbot) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
C. Am 12. Februar 2009 beantragte die anwaltlich vertretene Redaktion des «SonntagsBlick», die Beschwerde sei abzuweisen. Der Beschwerdeführer scheine weder Humor noch Sprachgefühl zu haben. Mit dem Wortspiel «RAV-gierig» würden Amtsstelle (RAV) und Artikelthema (raffgierige) Arbeitslose in angemessener Weise verbunden. Die Karikatur entbehre schon im Ansatz jeglichen Verstosses gegen irgendwelche medienethischen Grundsätze. Auch unfreundliche und auf eine Nation – hier die Deutschen – abzielende Berichte und Karikaturen seien nicht von vornherein rassistisch und diskriminierend. Darzulegen, dass es für einen Deutschen in der Schweiz, jedenfalls zu Beginn einer Stellenlosigkeit, erheblich mehr Sozialleistungen gebe als in seiner Heimat, sei nicht diskriminierend. Zudem würden Fakten und kommentierende Bewertungen klar getrennt.
D. Am 25. Februar 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 21. August 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Ziffer 8 der «Erklärung» lautet: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.» Die Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» verdeutlicht dazu, dass diskriminierende Anspielungen bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können.
Nach der Praxis des Presserates zum Diskriminierungsverbot ist eine Anspielung diskriminierend, wenn in einem Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt, die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird. In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde (vgl. die Stellungnahmen 38/2000, 32/2001, 6/2002, 9/2002, 37/2002, 44/2003, 32/2006 und 16/2007) zudem konstant darauf hingewiesen, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten. Nur dann verletzt sie Ziffer 8 der «Erklärung».
b) In den Stellungnahmen 11/2004 und 16/2007 setzte sich der Presserat mit polemischer, pauschaler Kritik an den Bewohnern des Kantons Wallis respektive den Rätoromanen auseinander. Ein Artikel in «Le Temps» warf dem Wallis und den Wallisern vor, sie seien immer zuvorderst, wenn es darum gehe, in Form von Subventionen von der nationalen Solidarität zu profitieren. Noch schärfer schoss die «Weltwoche» gegen die Rätoromanen, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Bezug von Subventionen als «anachronistisch, kryptisch, erpresserisch, exotisch, fanatisch, räuberisch» und als «frechste Minderheit der Schweiz» betitelt wurden. In beiden Fällen wies der Presserat darauf hin, selbst ein verletzendes Pamphlet sei mit der Kommentarfreiheit vereinbar, sofern die Fakten, auf welche die umstrittenen Wertungen abstellen, für die Leserschaft erkennbar sind und nicht auf sachlich ungerechtfertigten Anschuldigungen beruhen.
c) Der beanstandete «Blick»-Artikel geht nach Auffassung des Presserates nicht weiter als die beiden erwähnten Beispiele. Weder den in der Schweiz lebenden Deutschen insgesamt noch den arbeitslos gewordenen wird darin vorgeworfen, sie würden die schweizerische Arbeitslosenversicherung in widerrechtlicher oder auch nur unmoralischer Weise ausnützen. Der «Blick» zieht auf der Basis der von ihm recherchierten und vom Presserat im Rahmen dieses Verfahrens nicht nachzuprüfenden Fakten mit einer etwas polemischen und provokativen Wortwahl den Schluss, angesichts der für die Betroffenen im Vergleich zu Deutschland günstigeren Regelung in der Schweiz sei es aus wirtschaftlichen Gründen nachvollziehbar, dass stellenlose Deutsche zumindest vorerst in der Schweiz bleiben und von den Leistungen der Schweizer Arbeitslosenversicherung gut leben könnten. Der kritische Unterton und die entsprechende Wortwahl richten sich damit gegen eine wirtschaftlich motivierte und nicht etwa eine kulturell bedingte Verhaltensweise. Entsprechend ist eine Verletzung des Diskriminierungsverbots zu verneinen.
2. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus eine Verletzung der Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» beanstandet, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Gemäss Art. 8 des Geschäftsreglements des Presserates sind Beschwerden zu begründen. In Bezug auf den Vorwurf der ungenügenden Trennung von Fakten und Kommentar beschränkt sich die Eingabe des Beschwerdeführers jedoch auf blosses Behaupten, ohne die entsprechende Rüge näher zu begründen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit der Presserat darauf eintritt.
2. «Blick» hat mit der Veröffentlichung des Berichts «RAV-gierige Deutsche» vom 7. Dezember 2008 die Zi
ffern 2 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.