I. Sachverhalt
A. Unter dem Titel «Und wer rettet die Deutschen?» kommentierte Werner Vontobel in der Rubrik «Geld und mehr» im «Blick am Abend» vom 17. August 2011 die aktuellen Quartalszahlen der deutschen Wirtschaft vor dem Hintergrund der fortgesetzten Bemühungen zur «Euro-Rettung». Gestützt auf das geringe BIP-Wachstum von 0,1 Prozent, dem Aussenhandelsüberschuss von 38,3 Milliarden Euro und einem Rückgang des realen Konsums seit 2005 von 5,4 Prozent stellt Vontobel die Frage: «Wie kommt ein solches wirtschaftspolitisches Versagerland dazu, sich als Retter Europas aufzuspielen und seine Sparwut auch den anderen aufzuzwingen? Antwort 1 steckt im Exportüberschuss. Die 38 Millionen Euro pro Quartal haben Deutschland nach mittlerweile zehn Jahren zu Europas Zahlmeister und die anderen Ländern zu Schuldenknechten gemacht (…). Für Antwort 2 muss man wohl die Pychologie bemühen. Arroganz, Dummheit und eine sadistische Lust, sich zum allmächtigen Willensvollstrecker der scheinbar allmächtigen Finanzmärkte zu machen.»
B. Am 23. August 2011 beschwerte sich X. beim Presserat über den obengenannten Kommentar, der gegen die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Diskriminierung) verstosse. Die von Werner Vontobel verwendeten Ausdrücke «Versager», «dumm», «arrogant», «sadistisch» zielten auf die deutsche Nation ab und dienten keiner sachlichen Berichterstattung, sondern «einer plumpen Hetze gegen Deutsche».
C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.
D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina, hat die vorliegende Stellungnahme per 23. Dezember 2011 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.
2. a) Ziffer 8 der «Erklärung» lautet: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.» Die Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» verdeutlicht dazu, dass diskriminierende Anspielungen bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können.
b) Nach der Praxis des Presserates zum Diskriminierungsverbot ist eine Anspielung diskriminierend, wenn in einem Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt, die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird. In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird».
c) In den Stellungnahmen 11/2004 und 16/2007 setzte sich der Presserat mit polemischer, pauschaler Kritik an den Bewohnern des Kantons Wallis respektive den Rätoromanen auseinander. Ein Artikel in «Le Temps» warf dem Wallis und den Wallisern vor, sie seien immer zuvorderst, wenn es darum gehe, in Form von Subventionen von der nationalen Solidarität zu profitieren. Noch schärfer schoss die «Weltwoche» gegen die Rätoromanen, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Bezug von Subventionen als «anachronistisch, kryptisch, erpresserisch, exotisch, fanatisch, räuberisch» und als «frechste Minderheit der Schweiz» betitelt wurden. In beiden Fällen wies der Presserat darauf hin, selbst ein verletzendes Pamphlet sei mit der Kommentarfreiheit vereinbar, sofern die Fakten, auf welche die umstrittenen Wertungen abstellen, für die Leserschaft erkennbar sind und nicht auf sachlich ungerechtfertigten Anschuldigungen beruhen.
d) In der Stellungnahme 37/2009 verneinte der Presserat schliesslich eine Diskriminierung bei einem «Blick»-Artikel, der mit einer etwas polemischen und provokativen Wortwahl behauptete, angesichts der für die Betroffenen im Vergleich zu Deutschland günstigeren Regelung in der Schweiz sei es aus wirtschaftlichen Gründen nachvollziehbar, dass stellenlose Deutsche zumindest vorerst in der Schweiz bleiben und von den Leistungen der Schweizer Arbeitslosenversicherung gut lebten. Der kritische Unterton und die entsprechende Wortwahl richte sich gegen eine wirtschaftlich motivierte und nicht etwa eine kulturell bedingte Verhaltensweise.
e) Bei der von X. beanstandeten Kolumne von Werner Vontobel ist zunächst, festzustellen, dass der Autor die Fakten nennt, auf denen seine Kritik beruht. Diese richtet zudem nicht an eine im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung» vor Diskriminierung zu schützende Minderheit, sondern in erster Linie an die deutsche Regierung, namentlich an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich – ungeachtet davon, ob die Beurteilung des Kolumnisten sachgerecht erscheint – harsche und selbst polemische Kritik an ihrer Wirtschaftspolitik gefallen lassen muss. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin handelt es sich damit beim beanstandeten Text mitnichten um eine «plumpe Hetze gegen Deutsche», sondern um einen pointierten wirtschaftspolitischen Kommentar.
III. Feststellung
Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.