I. Sachverhalt
A. Der «Tages-Anzeiger» publizierte am 28. Juni 2002 vor dem Final der Fussballweltmeisterschaft Deutschland gegen Brasilien einen Aufruf mit dem Titel «Deutsche, wo seid ihr?», worin Fans der deutschen Mannschaft aufgefordert wurden, zu melden, wo sie feiern würden. Erste Nachfragen hätten nur erstaunte Blicke und Kopfschütteln ergeben. «Niemand weiss, wo deutsche Fans sich treffen. Vielleicht sind sie eingeschüchtert oder gar traumatisiert, weil sie irgendwann merken mussten, dass die Schweizer – sagen wirs mal schonungsvoll – nicht gerade enthusiastisch mitjubeln. Aber deutsche Fans (…) Wo seid ihr? Kommt raus aus Kellern und dunklen Löchern und zeigt Flagge! (…) Und falls ihr sogar noch Schweizerinnen und Schweizer fürs gemeinsame Finalschauen brauchen könnt, sind wir gern bei der Vermittlung behilflich – und publizieren am Samstag an dieser Stelle Hinweise auf deutsche Zusammenrottungen vor Gross-TV oder -Leinwand (…) Dass die Schweizer dann auch mitjubeln bei deutschen Toren, können wir allerdings auch nicht garantieren.»
B. Tags darauf berichtete der «Tages-Anzeiger» unter dem Titel «Unser Masochismus hat Grenzen» über die Reaktionen auf den Aufruf vom Vortag. Mehrere deutsche Leser berichteten darin von ihren negativen Erfahrungen mit deutschfeindlichen Sprüchen im Zusammenhang mit Fussballspielen. Der Artikel wies zudem darauf hin, einige Leser hätten den Aufruf eher als «Häme» und Polemik gegenüber den deutschen Fans denn als ironischen Aufruf missverstanden, was aber nicht gemeint gewesen sei. Am 4. Juli 2002 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» Leserreaktionen auf den Aufruf und den Folgeartikel.
C. Gleichentags gelangte X. an den Presserat und machte geltend, der «Tages-Anzeiger» habe mit seiner fremdenfeindlichen Berichterstattung gegen die in der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» aufgeführten Grundsätze und insbesondere gegen das Fairnessprinzip verstossen. Falls man ein Thema wie die Auswüchse gegenüber Deutschen in der Schweiz durch die Presse aufgreifen wolle, hätte man dies unter dem Aspekt der Konfliktlösung und dem gegenseitigen Willen zur Verständigung tun müssen. Hingegen sei es für eine Zeitung wie den «Tages-Anzeiger» nicht angemessen, die bewusste, negative Polarisierung gegen die deutschen Nachbarn und damit ein überholtes Feindbild zu propagieren.
D. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 11. September 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerdeführerin rügt zwar eine generelle Verletzung der «Erklärung» und insbesondere eine solche des Fairnessprinzips. Aufgrund des durch die Beschwerdeführerin dem Presserat unterbreiteten Sachverhalts kann demgegenüber eindeutig einzig eine allfällige Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» ernsthaft zur Diskussion stehen. Danach haben Journalistinnen und Journalisten diskriminierende Anspielungen zu unterlassen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht usw. zum Gegenstand haben.
2. Von in diesem Sinne diskriminierenden Anspielungen kann vorliegend aber aus folgenden Gründen nicht die Rede sein: Es ist im Lichte der Freiheit der Information und des Kommentars zulässig, die letztlich gerade vor allem für die betroffenen Schweizerinnen und Schweizer wenig schmeichelhafte, insbesondere im Zusammenhang mit Fussballspielen der deutschen Nationalmannschaft oft übertriebene, unbestreitbar vorhandene Deutschfeindlichkeit auch in provokativer Weise zu thematisieren. Entgegen der abweichenden subjektiven Wahrnehmung der Beschwerdeführerin kann zudem nach Auffassung des Presserates dem «Tages-Anzeiger» nicht unterstellt werden, den Aufruf lediglich zum Vorwand genommen zu haben, die Deutschen offen respektlos und spöttisch behandeln zu dürfen und damit der Hetze und dem Fremdenhass Vorschub zu leisten. Im Gegenteil zeigen insbesondere die am 4. Juli 2002 abgedruckten Leserreaktionen – «(…) wurde von der Presse doch endlich einmal ein Artikel über ein Thema veröffentlicht, das vielfach von vielen Schweizerinnen und Schweizern verdrängt wird (…)» – dass die auf den ersten Blick vielleicht missverständlich erscheinende Intention des «Tages-Anzeigers» durchaus in einem aufklärerischen Sinne verstanden werden konnte.
III. Feststellung
Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.