Nr. 43/2002
Berichterstattung über gerichtlichen Freispruch

(Meyer / Weissberg / Cavalli c. «Tages-Anzeiger») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 10. Juli 2002

Drucken

I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe vom 12. September 1999 veröffentlichte der «SonntagsBlick» eine Kolumne von Frank A. Meyer mit dem Titel «Melkmeister». Der Kolumnist bezog darin Stellung gegen den damaligen Finanzchef der geplanten Landesausstellung Expo.01, Rudolf Burkhalter. Auf derselben Doppelseite erschien eine kritische Recherche von «SonntagsBlick»-Chefredaktor Bernhard Weissberg und von Rolf Cavalli. Burkhalter reichte in der Folge eine Ehrverletzungsklage gegen die drei Journalisten ein.

B. Der «Tages-Anzeiger» berichtete am 31. Januar und 22. Februar 2002 über diese Klage. Der erste Artikel erwähnte Frank A. Meyer, der zweite Bericht nannte alle drei beteiligten Journalisten.

C. Ebenso berichtete der «Tages-Anzeiger» am 28. Februar 2002 – unmittelbar nach der Urteilseröffnung – über den späteren Freispruch der Angeklagten durch das Gericht, diesmal allerdings ohne Nennung der Namen Meyer, Weissberg und Cavalli.

D. Frank A. Meyer, Bernhard Weissberg und Rolf Cavalli beschwerten sich am 1. März 2002 beim Presserat gegen die «Tages-Anzeiger»-Journalisten Sascha Buchbinder und Thomas Hasler sowie gegen Chefredaktor Philipp Löpfe. Verletzt sei die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», einschliesslich der zugehörigen Richtlinien 7.6 (Namensnennung) und 7.7 (faire Gerichtsberichte).

E. Der Rechtsdienst der «Tamedia» nahm am 16. April 2002 im Auftrag der betroffenen Journalisten Stellung zur Beschwerde. Sie beantragte, das Verfahren bis zur Berichterstattung des «Tages-Anzeigers» über das begründete (d.h. nicht bloss verkündete) Gerichtsurteil zu sistieren; eventuell sei die Beschwerde abzuweisen.

F. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde zur Behandlung an die erste Kammer. Diese setzt sich zusammen aus Peter Studer (Kammerpräsident), Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli Mazza, Silvana Iannetta, Philip Kübler, Kathrin Lüthi und Edy Salmina. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 10. Juli 2002 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Die Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» statuiert den Grundsatz, dass in der Medienberichterstattung über ein Gerichtsverfahren weder Namen noch andere Angaben genannt werden, die eine Identifikation einer von einem Gerichtsverfahren betroffenen Person durch Dritte ermöglichen. Als «Dritte» gelten Personen, die nicht zu Familie, zum sozialen oder beruflichen Umfeld gehören. Ausnahmsweise darf der Name genannt werden, wenn jemand in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist und wenn der Gegenstand des Medienberichts mit der Bekanntheit zusammenhängt.

b) Soweit die Beschwerdeführer in einem Nebenpunkt geltend machen, mit der namentlichen Nennung von Frank A. Meyer im Bericht vom 31. Januar 2002 habe der «Tages-Anzeiger» «an sich gegen Richtlinie 7.6» verstossen, ist diese Rüge offensichtlich unbegründet. Frank A. Meyer ist unbestrittenermassen eine bekannte Persönlichkeit. Die Namensnennung erfolgte zudem im Zusammenhang mit der publizistischen Tätigkeit, aufgrund derer die Leserschaft Frank A. Meyer kennt.

2. a) Gemäss Richtlinie 7.7 zur «Erklärung» muss die Berichterstattung über einen Freispruch in einem angemessenen Verhältnis zur ursprünglichen Präsentation des Falles stehen. Wenn der Name der betroffenen Person genannt wurde oder diese sonstwie identifizierbar war, ist bei der Berichterstattung über den Gerichtsentscheid diesem Umstand angemessen Rechnung zu tragen. Diese Regel dient der journalistischen Fairness. Es soll der Gefahr begegnet werden, dass die klärende Wirkung eines Freispruches dem Angeschuldigten nichts mehr nützt, weil der Verdacht ohne Korrektur auf ihm lasten bleibt.

b) Entgegen der impliziten Ansicht der «Tamedia» gibt es keinen Grund, mit einer erforderlichen Namensnennung zu warten, bis über den schriftlich begründeten (nicht bloss mündlich verkündeten) Freispruch berichtet wird. Wenn eine Namensnennung angebracht ist, so sollte diese grundsätzlich bei jeder Berichterstattung über einen Freispruch erfolgen. Dies gilt zumindest dann, wenn wie vorliegend über die Ehrverletzungsklage gegen eine prominente Person namentlich berichtet wurde, der Bericht über den Freispruch anlässlich der Urteilsverkündung dann aber bloss allgemein von «Journalisten» spricht. Der «Tages-Anzeiger» hätte deshalb die Namen der Freigesprochenen bereits im Artikel vom 28. Februar 2002 nennen müssen und hat mit dieser Unterlassung Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Der «Tages-Anzeiger» hat Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem er in seiner Berichterstattung über eine Ehrverletzungsklage zuerst zwar die Namen der Angeschuldigten genannt hat, im Artikel über den späteren Freispruch dagegen auf eine Namensnennung ohne ersichtlichen Grund verzichtete.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen. Insbesondere ist es zulässig, den Namen eines prominenten Journalisten im Zusammenhang mit einer gegen ihn erhobenen Klage wegen Ehrverletzung durch die Presse zu nennen.