Nr. 21/2009
Anhörung bei schweren Vorwürfen/Unterschlagung wichtiger Informationen

(Schweizer Fernsehen c. «SonntagsBlick») Stellungnahme de Presserates vom 24. April 2009

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Wirbel um TV-DOK. Untersuchung wegen Blocher-Film» veröffentlichte der «SonntagsBlick» am 16. März 2008 einen Artikel von Christof Moser, Marcel Odermatt und Dominik Hug. Die Zeitung vermeldete darin, «die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) muss prüfen, ob alt Bundesrat Blocher Opfer einer TV-Intrige geworden ist». Das Schweizer Fernsehen habe am 5. Dezember 2007, sieben Tage vor der Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher, den Dok-Film über die Gebrüder Blocher mit schockierenden Aussagen von Gerhard Blocher gezeigt. «Kostete dieser so wirre wie irre TV-Auftritt Christoph Blocher den Bundesratsjob? Diese Frage sorgt für Aufregung – bis heute. Was sicher ist: Für seine verbalen Entgleisungen ist Blochers Bruder selber verantwortlich. Und er erklärte sich einverstanden mit der Dokumentation. Umstritten ist jedoch nach wie vor der Sendetermin des Films so kurz vor der Bundesratswahl. Vor allem Parlamentarier von CVP und FDP sollen durch die Dok in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst worden sein.»

«Journalistisch lässt sich der Ausstrahlungstermin leicht rechtfertigen, was TV-Chefredaktor Ueli Haldimann auf Anfrage auch tut (…) Bemerkenswert sind die Hintergründe, wie es zum Ausstrahlungstermin direkt vor der Bundesratswahl kam, jedoch trotzdem. ‹SonntagsBlick› weiss: Den heiklen Sendetermin hat TV-Chefredaktor Ueli Haldimann persönlich festgelegt – kurzfristig, nachdem er die Rohfassung des Films gesehen hatte. Haldimann fällte den Entscheid derart kurzfristig, dass Dok-Filmer Roland Huber (57) in Zeitnot geriet. (…) Als Gerhard Blocher am Samstag, 1. Dezember, vier Tage vor der Ausstrahlung des Films, in die TV-Redaktion gebeten wurde, um die Dokumentation zu visionieren, las Huber ihm die Moderationstexte ab Blatt vor: Für die Vertonung hatte die Zeit noch nicht gereicht. Gerhard Blocher sagt gegenüber ‹SonntagsBlick›: ‹Es war schon komisch, dass es plötzlich so pressierte›. Huber widerspricht: ‹Gerhard Blocher wusste, dass der Film am 5. Dezember ausgestrahlt wird›».

B. Am 10. Juli 2008 gelangte Chefredaktor Ueli Haldimann, namens des Schweizer Fernsehens mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Bericht des «SonntagsBlick» an den Presserat. Die Behauptung, er hätte kurzfristig eine vorgezogene Ausstrahlung des Dok-Films über die Gebrüder Blocher angeordnet, sei falsch. Der Ausstrahlungstermin vom 5. Dezember 2007 sei schon vor den Dreharbeiten festgelegt worden. Der damalige Chefredaktor des «SonntagsBlick», Marc Walder, habe mit ihm am Samstag, 15. März 2008, in einem ungefähr 20-minütigen Telefongespräch darüber diskutiert, ob das Schweizer Fernsehen fair mit Gerhard Blocher umgegangen sei und ob es richtig war, einen solchen Film zu machen. «Mit keinem Wort konfrontierte mich Walder mit dem zentralen Vorwurf der geplanten Story, ich hätte persönlich und kurzfristig angeordnet, der Ausstrahlungstermin sei auf den 5.12.07 vorzuziehen. Trotzdem hat der ‹SonntagsBlick› diese Behauptung ohne namentliche Quellenangabe in die Welt gesetzt» und darauf ein «ganzes Konstrukt von Behauptungen gebaut: – Roland Huber sei wegen meiner Anordnung in Zeitnot geraten; Gerhard Blocher sei kurzfristig für die Visionierung aufgeboten worden; bei der Visionierung sei der Film nicht vertont gewesen, weil dafür wegen meiner Anordnung die Zeit nicht gereicht habe». Ein «SonntagsBlick»-Journalist habe im Vorfeld sowohl mit Christoph Müller, Redaktionsleiter «Reporter», und Roland Huber, Autor des Films, gesprochen. Beide erklärten übereinstimmend, sie hätten den Journalisten darauf aufmerksam gemacht, es stimme nicht, dass der Chefredaktor bezüglich des Ausstrahlungstermins interveniert habe. «Der ‹SonntagsBlick› hat seine Behauptung trotz dieses klaren Dementis gleichwohl verbreitet. Die Information, dass Müller und Huber sagten, dass keine Intervention des Chefredaktors stattgefunden hat, unterschlägt der ‹SonntagsBlick›.»

Die Behauptung, der Chefredaktor habe kurzfristig eine Programmumstellung angeordnet, was als Teil einer Intrige dargestellt wird, sei als schwerer Vorwurf im Sinne der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) zu werten. «SonntagsBlick» habe gegen diese Bestimmung verstossen, weil er ihn zu diesem zentralen Vorwurf nicht angehört habe. Zudem habe die Zeitung mit der Unterschlagung des Dementis von Müller und Huber gegen Ziffer 3 der «Erklärung» verstossen.

C. Am 22. August 2008 beantragte die anwaltlich vertretene Redaktion des «SonntagsBlick», die Beschwerde sei abzuweisen, soweit der Presserat überhaupt darauf eintrete. «SonntagsBlick» habe im Artikel vom 16. März 2008 weder Informationen unterschlagen, noch gegenüber Ueli Haldimann einen schweren Vorwurf erhoben. Die Behauptung, der Sendetermin des Dok-Films über die Gebrüder Blocher sei schon vor den Dreharbeiten auf den 5. Dezember 2007 festgelegt worden, werde bestritten. «Die Beschwerdegegner bleiben dabei, dass gemäss ihren Informanten aus Kreisen des Schweizer Fernsehens wie als Schluss aus den Äusserungen, die Gerhard Blocher ihnen gegenüber machte, der Sachverhalt sich ergab, dass der Beschwerdeführer den Sendetermin (sehr) kurzfristig festlegte. Von einer ‹Intrige›, einer ‹Intervention›, einer ‹Programmumstellung› oder ähnlich, war im publizierten Artikel keine Rede.» In Bezug auf das mit Marc Walder geführte Gespräch widerspreche es aller Erfahrung, wenn Ueli Haldimann behauptet, Marc Walder habe ihn dabei nicht auf die Frage der Festlegung des Fernsehtermins angesprochen. «Dass sich rein journalistisch betrachtet eine Aussendung vor der Bunderatswahl geradezu aufdrängt, ist zwischen den Parteien gänzlich unbestritten. Das ändert nichts an der politischen Brisanz einer solchen Ausstrahlung. Die Fernsehmitarbeiter Müller und Huber haben den Beschwerdeführern gegenüber nie gesagt, der Termin sei schon bei Beginn der Dreharbeiten festgestanden. Entsprechend wurden auch keine Informationen unterdrückt.»

D. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates nimmt das Präsidium Stellung zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen.

E. Am 29. August 2008 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schriftenwechsel sei abgeschlossen und die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher. Vizepräsident Edy Salmina, Verantwortlicher der Abteilung Information der Radiotelevisione Svizzera Italiana, trat von sich aus in den Ausstand.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 24. April 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe zu befragen und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Hat der «SonntagsBlick» mit der Veröffentlichung des Artikels vom 16. März 2008 schwere Vorwürfe erhoben und damit die Richtlinie 3.8 verletzt?

Den Anlass für den beanstandeten Bericht bildete eine Beschwerde von Anfang März 2008, die bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) Anfang März gegen den am 5. Dezember 2007 im Rahmen der Sendung «Reporter» ausgestrahlten Film über die Gebrüder Blocher eingereicht worden ist. Die Beschwerde unterstellt dem Schweizer Fernsehen, es habe offensichtlich gezielt Einfluss auf die Bundesratswahlen vom 12. Dezember 2007 nehmen wollen, indem der einseitige Dokumentarfilm wenige Tage vor der Wahl ausgestrahlt worden sei. «SonntagsBlick» schreibt dazu im Lead, die U
BI müsse prüfen, ob «alt Bundesrat Blocher Opfer einer TV-Intrige geworden ist». Im Lauftext erfährt die Leserschaft dann konkret, die Beschwerde richte sich vor allem gegen den Zeitpunkt der Ausstrahlung direkt vor der Bundesratswahl. Diesem Standpunkt wird unmittelbar danach zweierlei entgegengehalten: Zunächst das Argument von Ueli Haldimann, der Ausstrahlungstermin sei allein nach journalistischen Kriterien gewählt worden. Danach folgt zudem der Hinweis, SRG-Ombudsmann Achille Casanova habe die gleiche Beschwerde gegen den Dok-Film bereits behandelt und sie am 6. Februar 2008 «abgeschmettert». Zumindest insoweit ist das Prinzip des «Audiatur et altera pars» (Anhörung beider Seiten) also gewahrt.

Erst der zweite Teil des Artikels gibt der in der Beschwerde an die UBI verfochtenen These einer möglichen «TV-Intrige» ein kleines Stück Nahrung – wenn auch bloss unterschwellig und zurückhaltend. «SonntagsBlick» behauptet bloss die angebliche – von Ueli Haldimann bestrittene – kurzfristige Festlegung des Sendetermins sowie eine laut Gerhard Blocher merkwürdige plötzliche Eile. Als schwerer Vorwurf im Sinne von Richtlinie 3.8 ist diese unter journalistischen Gesichtspunkten nach übereinstimmender Auffassung der Parteien geradezu angezeigte Festlegung des Ausstrahlungszeitpunktes aber jedenfalls auch dann nicht zu werten, wenn sie kurzfristig erfolgt wäre. Nach Auffassung des Presserates erhebt der «SonntagsBlick» gegenüber Ueli Haldimann damit keineswegs den Vorwurf eines intrigierenden, hinterlistigen Verhaltens. Vielmehr lässt der Artikel letztlich die Frage offen, ob «dieser Entscheid, der Bundesrat Blocher möglicherweise den Kopf kostete, richtig» war. Für die Information der Leserschaft wäre es allerdings trotzdem angezeigt gewesen, ein direktes Statement des Chefredaktors zu dieser Behauptung in den Artikel einzubauen. Zumal die Beschwerdegegner dazu ausführen, es widerspreche «aller Erfahrung, wenn der Beschwerdeführer behauptet, Marc Walder habe ihn (…) nicht auf die Frage der Festlegung des Sendetermins angesprochen». Mangels Schwere des Vorwurfs ist aber eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» unter dem Gesichtspunkt der Anhörungspflicht dennoch zu verneinen.

2. Ziffer 3 der «Erklärung» auferlegt den Journalistinnen und Journalisten weiter die berufsethische Pflicht, keine wichtigen Informationen zu unterschlagen. Das Schweizer Fernsehen sieht diese berufsethische Bestimmung verletzt, weil der «SonntagsBlick» es nicht nur unterlassen habe, ihn zur Festlegung des Sendetermins zu befragen, sondern zudem die klaren Dementis von Autor Roland Huber sowie dem Redaktionsleiter von «Reporter», Christoph Müller, unterschlagen habe, wonach es nicht stimme, dass Chefredaktor Ueli Haldimann bezüglich des Sendetermins interveniert habe.

Das Schweizer Fernsehen legt zur Untermauerung seiner Sachverhaltsdarstellung zwei schriftliche Statements von Roland Huber und Christoph Müller vor. Letzterer führt in einem Schreiben vom 7. Juli 2008 an Ueli Haldimann aus: «Ich habe dem Journalisten des ‹SonntagsBlick› in einem längeren Telefonat im Detail erklärt, wie es zur Produktion des Beitrags über Gerhard Blocher gekommen ist. (…) Es war von Beginn weg klar, dass wir den Film aus Aktualitätsgründen unmittelbar vor der Bundesratswahl zeigen würden; an diesem ursprünglichen Plan haben wir weder vor noch nach der Abnahme des Films etwas geändert. Auf die Frage, ob man den Film auch nach den Bundesratswahlen hätte senden können, sagte ich dem Journalisten sinngemäss, dass es sich bei Betrachtung des Beitrages eigentlich von selbst verstehe, dass er für die Ausstrahlung vor den Wahlen konzipiert sei. Ich habe dem Journalisten auch gesagt, dass es keinerlei Intervention von Seiten der Chefredaktion gegeben hat.» Roland Huber schrieb am 8. Juli 2008 seinerseits an Ueli Haldimann: «Marcel Odermatt hat mich am Samstag, 15. März 2008, auf mein Handy angerufen. Odermatt wollte wissen, warum der ‹Reporter›-Film über die Gebrüder Blocher so kurzfristig vor den Bundesratswahlen ins Programm gedrückt worden sei. (…) Ich erklärte dem Journalisten, dass der Sendetermin schon seit September für den 5. Dezember 2007 festgestanden habe – und die Blochers das auch von uns gewusst hätten; dass es nicht zutreffe, dass der Chefredaktor des Schweizer Fernsehens den Sendetermin kurzfristig festgelegt hätte, nachdem er den Rohschnitt gesehen habe.»

Der «SonntagsBlick» geht in seiner Beschwerdeantwort nicht detailliert auf die Ausführungen von Roland Huber und Christoph Müller ein. Die Beschwerdegegner behaupten lediglich pauschal, von einer Unterschlagung von Informationen könne keine Rede sein. Explizit machen sie lediglich geltend, «die Fernseh-Mitarbeiter Müller und Huber haben den Beschwerdegegnern nie gesagt, der Termin sei schon bei Beginn der Dreharbeiten festgestanden». Zudem behaupte ja auch Ueli Haldimann keineswegs, nicht er, sondern ein Dritter habe den Termin festgelegt. Nicht ausdrücklich bestreitet der «SonntagsBlick» allerdings, dass sich Müller und Huber dahingehend äusserten, von einer kurzfristigen Änderung des Sendetermins aufgrund einer Intervention von Chefredaktor Ueli Haldimann erst nach der Vision der Rohfassung des Films könne keine Rede sein. Dazu wendet «SonntagsBlick» lediglich ein, man berufe sich nach wie vor auf drei interne Quellen innerhalb der SRG, die das Gegenteil behaupteten, sowie auf die Ausführungen von Gerhard Blocher.

Wie bereits bei der Prüfung einer allfälligen Verletzung der Richtlinie 3.8 ausgeführt, wäre zur Information der Leserschaft angezeigt gewesen, nicht nur die Darstellung der drei im Artikel nicht einmal abstrakt erwähnten Quellen, sondern auch die anderslautende Version in den Bericht aufzunehmen, wonach die Umstände bei der Festlegung des Sendetermins nicht merkwürdig gewesen seien, sondern den üblichen Gepflogenheiten entsprochen hätten. Nur so wären die Leserinnen und Leser in der Lage gewesen, die Information angemessen einzuordnen und sich eine eigene Meinung zu bilden. «SonntagsBlick» hätte diese Information umso weniger unterschlagen dürfen, als sich der ganze zweite Teil des Artikels mit der Frage der Festlegung des Ausstrahlungszeitpunkts auseinandersetzt. Entsprechend stellt der Presserat unter dem Gesichtspunkt der Unterschlagung wichtiger Informationen eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» fest.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «SonntagsBlick» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Wirbel um TV Dok – Untersuchung wegen Blocher-Film» vom 16. März 2008 die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem er wichtige Informationen unterschlug.

3. Im Weiteren wird die Beschwerde abgewiesen.

4. Nicht verletzt hat «SonntagsBlick» Ziffer 3 der «Erklärung» hingegen unter dem Gesichtspunkt der Anhörung bei schweren Vorwürfen.