Nr. 3/1990
-91: Stellungnahme des Presserates, vom 20. Februar 1991, betreffend den Artikel über die Geheimarmee der Schweiz, erschienen in der Berner Zeitung vom 13.3.90

Drucken
Stellungnahme

Eine Klage über einen in der Berner Zeitung erschienen Bericht über die Geheimarmee der Schweiz, in welchem ein ehemaliges Mitglied dieser Geheimtruppe u.a. detaillierte Angaben über Kampfmethoden, die Art lautlos zu töten und die Herstellung von Sprengstoff machte, veranlasste den Presserat, sich mit der Frage zu beschäftigen, wo die Grenze zwischen der Informationspflicht der Medien und dem Recht der Öffentlichkeit auf Kenntnis von Tatsachen einerseits und der Verantwortung des Journalisten gegenüber dieser Öffentlichkeit vor der Gefahr von Nachahmungstätern andererseits liegt. Der Presserat verneinte im konkreten Fall eine Verletzung der Wahrheitspflicht (Art. 1 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“) und bestätigte die Einhaltung von Art. 3, da die Informationen von Chefredaktor Hurni in einem Kommentar als unbestätigt bezeichnet wurden. Hingegen stellte der Presserat fest, dass die Publikation von Informationen mit einem solchen Gefahrenpotential berufsethisch verwerflich ist, wenn diese allein dazu dienen, einen Artikel spektakulär aufzumachen. Im konkreten Fall kommt der Presserat zum Schluss, dass die Publikation dieser spektakulären Details zwar fragwürdig ist, aber die Pflichten des Journalisten nicht verletzt wurden.

Prise de position

Le Conseil de la presse a été saisi d’une plainte relative à un article paru dans la „Berner Zeitung“ au sujet de l’armée secrète suisse, article dans lequel un ancien membre de cette organisation divulguait, entre autres, de manière détaillée, des méthodes de combat, la manière de tuer sans bruit et celle de fabriquer des explosifs. Cette plainte donne l’occasion au Conseil de la presse de se pencher sur la question des limites entre le devoir d’informer les médias et le droit du public à connaître les faits, d’une part, et, d’autre part, la responsabilité du journaliste vis à vis de l’opinion publique alors qu’il y a un risque que les indications en question soient mises en oeuvre. Dans le cas présent, le Conseil de la presse n’a pas admis qu’il y ait eu violation du devoir de vérité (article 1 de la „Déclaration des devoirs et des droits du journaliste“). Il a confirmé que l’article 3 de ce dernier avait été respecté, dans la mesure où le rédacteur en chef du journal, M. Hurni, a précisé dans un commentaire que les informations en question n’étaient pas confirmées. En revanche, le Conseil de la presse constate que la publication d’informations aussi dangereuses potentiellement est reprochable sur le plan de l’éthique professionnelle si elle n’a d’autre objectif que de donner un caractère spectaculaire à un article. Dans le cas présent, le Conseil de la presse conclut que la publication de ces détails spectaculaires était assurément discutable mais que le journaliste n’a pas manqué à ses devoirs.

Presa di posizione

I. Sachverhalt

A. Unter den Titel „Schliessen, sprengen, sabotieren, lautlos töten“ publizierte die Berner Zeitung am 13. März 90 einen Artikel über die Geheimarmee der Schweiz. In diesem Artikel schilderte ein ehemaliges Mitglied dieser Geheimtruppe anonym seine Erfahrungen und untermauerte seinen Bericht mit detaillierten Angaben über Kampfmethoden, die Art lautlos zu töten und die Herstellung von Sprengstoff.

B. Am 9. April 90 wandte sich ein Berner Journalist mit der Bitte an den Presserat, sich zu diesem Fall betreffend die berufsethischen Grenzräume zu äussern. Äusserst fragwürdig erscheint diesem Journalisten vor allem die Information über das lautlose Töten und die Schilderung einer einfachen Sprengstoff-Methode: „ein ganz gewöhnlicher Luftballon wird mit Benzin gefüllt. Als Verschluss des Mundstücks dient ein ‚HG-Pfupf‘ (eine Markierpatrone ohne Sprengladung, die nur einen Knall und ein kleines Räuchlein erzeugt). In einen Baum gehängt und per Faden mit einer Fussangel verbunden, verursacht das einfache Ding einen Feuerball mit einem Durchmesser von zwanzig bis dreissig Metern – absolut verheerend.“

Über die Publikation solcher anonymer Darstellungen – so der Journalist weiter – könne man geteilter Meinung sein. BZ-Chefredaktor Beat Hurni rechtfertige sie mit der Notwendigkeit einer breiten Diskussion über den Sinn einer derartigen Widerstandsorganisation: „Daraus die Berechtigung detailgetreuer Schilderungen von Terrorpraktiken abzuleiten, ist meiner Meinung nach eine scheinheilige Verbrämung des Boulevard-Journalismus. Trägt der verantwortliche BZ-Redaktor die Verantwortung für Unfälle, die beispielsweise jugendliche Nachahmer der „Ballon-Methode“ verursachen und erleiden?“

C. Nach einer eingehenden Diskussion im Plenum forderte der Presserat am 11. September 90 den Chefredaktor der Berner Zeitung, Beat Hurni, zu den gemachten Vorwürfen Stellung zu nehmen.

D. In seinem Schreiben vom 14. September anerkennt Beat Hurni, dass die detailgetreue Schilderung terroristischer Praktiken tatsächlich die Gefahr in sich berge, dass übermütige Jugendliche zur Nachahmung verleitet werden könnten. Aber: „In diesem Dilemma hat sich die Berner Zeitung dazu entschlossen, die Widerstandspraktiken nur soweit zu schildern, dass sie zwar plausibel, aber nicht imitierbar sind.“ so würden sich zum Beispiel bei weitem nicht alle Nitratdünger zur Herstellung von Sprengstoff eignen, vor allem nicht die handelsüblichen. Auch die Herstellung einer Brandbombe mit Hilfe von HG-Markierpatronen sei für den Normalbürger kaum möglich, da diese Patronen nicht im freien Handel erhältlich seien. Wer anderseits schon bereit sei, solche Patronen aus einem Armeedepot zu stehlen, der brauche auch nicht die Hilfe der Berner Zeitung, um seine kriminellen Absichten in die tat umzusetzen.

Auf die Schilderung dieser Details habe die Berner Zeitung anderseits nicht verzichten können, weil sich das EMD geweigert habe, die anonymen Angaben des Informanten zu bestätigen oder zu dementieren: „Umso wichtiger war es, der Leserschaft durch authentische Schilderungen jener Sachverhalte, die keinen Rückschluss auf den Informanten erlauben, die Tatsachentreue der Darstellung zu veranschaulichen. „So habe sich der Leser selber davon überzeugen können, dass der Informant nicht ein Wichtigtuer, sondern tatsächlich ein Mitglied dieser Widerstandsorganisation gewesen sei.

II. Erwägungen

1. Da der zu beurteilende Artikel ein Thema von grossem öffentlichem Interesse betrifft (die Geheimarmee der Schweiz) und die Art der Darstellung zudem das heikel ethische Problem der Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit betrifft, hat der Presserat beschlossen, sich mit diesem Artikel zu befassen.

Da der Presserat aber nicht durch einen Betroffenen, sondern durch eine beobachtende Drittperson zur Stellungnahme aufgefordert wurde, kann er nur eine Stellungnahme, nicht aber ein Urteil abgeben.

2. Es stellte sich dem Presserat vorerst die Frage, ob die im Artikel publizierten Angaben durch die Aussagen eines anonym bleibenden Informanten genügend abgesichert wurden, also die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Die Redaktion der Berner Zeitung konnte jedoch glaubhaft machen, dass sie genügend Mittel einsetzte, um die gemachten Aussagen bei den betroffenen Stellen (EMD und Generalstab) zu verifizieren. Die Weigerung einer Amtsstelle (in diesem Fall des EMD) darf im Gegenteil nicht zur Informationsblockade werden. In diesem Sinn ist die Berner Zeitung ihrer Pflicht, wie sie im Punkt 1 der Pflichten des Journalisten umschrieben ist, nachgekommen („Er lässt sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren“).

Zudem hat Chefredaktor Beat Hurni im Kommentar zum Bericht die Aussagen des anonymen Informanten klar als vom EMD weder bestätigt noch dementiert bezeichnet. Er ist damit der im Punkt 3 formulierten Pflicht des Journalist
en nachgekommen „(Er bezeichnet unbestätigte Meldungen klar als solche“).

3. Was die beanstandeten Details über die Herstellung von Sprengstoff und Brandbomben anbelangt, kann der Presserat die Argumentation von Chefredaktor Beat Hurni nicht nachvollziehen.

Da der Journalist nicht nur eine Informationspflicht hat, sondern – wie in der Präambel zu den Pflichten und Rechten des Journalisten verankert – für diese Informationen der Gesellschaft gegenüber auch Verantwortung trägt, stellt sich die Frage, ob die Publikation von Informationen mit einem solchen Gefahrenpotential auch durch ein höher zu wertendes Bedürfnis nach diesen Informationen gerechtfertigt ist, oder allein dazu dient, einen Artikel spektakulär aufzumachen. Letzteres wäre berufsethisch klar zu verwerfen.

Chefredaktor Beat Hurni begründet die Publikation dieser gefährlichen und spektakulären Details mit dem Bedürfnis, auf diese Art die Tatsachentreue der anonymen Aussagen zu untermauern.

Der Presserat kann zwar nicht glauben, dass mit solchen spektakulären Details der Wahrheitsgehalt der ansonsten anonym präsentierten Aussagen untermauert werden kann, anerkennt aber die spezielle Situation, in der sich die Redaktion der Berner Zeitung durch die Weigerung des EMD, Stellung zu beziehen, befand zumindest als ein ehrenhaftes Motiv.

III. Feststellungen

Aus diesen Gründen hält der Presserat fest:

Dass die Publikation dieser spektakulären Details zwar fragwürdig ist, aber die Pflichten des Journalisten nicht verletzt. Diese Art der „Beweisführung“ bleibt aber ein Grenzfall, der zeigt, wie wichtig es für den Journalisten ist, bei seiner Arbeit immer auch an die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zu denken.