Nr. 84/2020
Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen

(X. c. «20 Minuten»)

Drucken

Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde über einen Artikel von „20 Minuten“ zum Tod des Afroamerikaners George Floyd abgewiesen. Die Zeitung hatte über neu aufgetauchte Videoaufnahmen der Bodycam eines der Polizisten berichtet, die Floyd verhafteten. Ein Leser kritisierte gegenüber dem Presserat, die Zeitung habe wichtige Informationen unterschlagen, etwa, dass Floyd schon nicht mehr richtig atmen konnte, bevor ihm ein Polizist sein Knie auf den Nacken drückte. Oder dass sich der Schwarze den Anordnungen der Polizisten widersetzte.

Der Presserat entschied, dass „20 Minuten“ in dem kurzen Folgeartikel in einer ganzen Reihe von Berichten über Floyds Tod sachlich richtig informierte. Dass die Pendlerzeitung dabei den Fokus auf neu aufgetauchte Sachverhalte legte, war nicht willkürlich. Die beiden vom Beschwerdeführer monierten Aspekte kamen zudem ebenfalls vor, wenn auch nicht so ausführlich wie in früheren Artikeln zum Thema.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse a rejeté une plainte concernant un article de «20 Minuten» sur la mort de l’Afro-américain George Floyd. Le journal avait évoqué les enregistrements vidéo de la bodycam d’un des policiers ayant interpelé George Floyd qui venaient de faire surface. Un lecteur s’est adressé au Conseil de la presse pour se plaindre que le journal avait escamoté des informations importantes comme le fait que George Floyd ne pouvait déjà plus respirer correctement avant que le policer n’appuie le genou sur son cou. Ou que le Noir s’était opposé aux injonctions du policier.

Le Conseil de la presse a tranché que «20 Minuten» avait fait un compte rendu correct dans le bref article qui s’inscrivait dans une longue série d’articles consacré à la mort de George Floyd. Le fait que le journal gratuit ait mis l’accent sur des informations apparues récemment n’était pas arbitraire. Les deux aspects contestés par le plaignant étaient eux aussi évoqués, même s’ils l’étaient moins en détail que dans de précédents articles sur le sujet.

Riassunto

Il Consiglio della stampa ha respinto un reclamo presentato contro un articolo di «20 Minuten» sulla morte dell’afroamericano George Floyd. Il giornale aveva mostrato nuove immagini video dell’agente di polizia mentre lo teneva fermo. Il denunciante accusava il giornale di omissione di elementi informativi importanti, in quanto a suo parere la vittima aveva cessato di respirare prima che l’agente gli premesse il ginocchio sul collo. Era stata omessa anche la circostanza che l’afroamericano non aveva obbedito a un’ingiunzione dell’agente.

Secondo il Consiglio della stampa, l’informazione fornita dal giornale era corretta. È vero che il giornale dava risalto a nuovi elementi d’informazione, ma non in modo arbitrario: dei primi e dei secondi elementi emersi il giornale aveva dato un’informazione adeguata, seppure, la seconda volta, tralasciandone alcuni aspetti.

I. Sachverhalt

A. Am 4. August 2020 berichtete «20 Minuten» über neue Informationen zum Tod des Afroamerikaners George Floyd unter dem Titel «Bodycam-Aufnahmen zeigen neue Details von Floyds Festnahme». Der Artikel von Katja Fässler thematisiert zunächst, was auf den Videoaufnahmen zu sehen und zu hören ist: Die Polizisten klopfen an die Scheibe von Floyds Wagen, fordern ihn auf, auszusteigen. Floyd sagt wiederholt «Bitte erschiessen Sie mich nicht! Ich habe gerade meine Mutter verloren!». Die Beamten ziehen den Mann aus dem Wagen, es gibt ein Handgemenge, die Polizisten drücken Floyd zu Boden, er stösst hervor «Ich kann nicht atmen». Kurz darauf stirbt er. Die Videos stammten von der Kamera eines Polizeibeamten, die dieser während der Verhaftung auf sich trug. Den Schluss des Kurzberichts bildet eine knappe Vorschau auf den Prozess gegen die Polizisten, der März 2021 beginnen soll.

B. Tags darauf wandte sich X. an den Schweizer Presserat und hielt fest, der Bericht auf «20min.ch» verletze Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten« (nachfolgend «Erklärung«), weil die Gratiszeitung wichtige Informationen unterschlage. X. vergleicht den Text von «20 Minuten» mit den Informationen von «Blick»; dort werde deutlich, dass Floyd schon nicht mehr richtig atmen konnte, bevor ihm ein Polizist das Knie in den Nacken drückte. Auch unterschlage «20 Minuten», dass Floyd nicht kooperiert habe ebenso wie seinen «möglicherweise» schlechten Gesundheitszustand. Zudem habe er verschiedene «Rauschmittel» eingenommen. X. weist dabei auf widersprüchliche Autopsien hin, wobei er sich auf Informationen aus dem Berliner «Tagesspiegel» vom 3. Juni 2020 stützt.

C. Am 16. September 2020 nahm der Rechtsdienst der TX Group, zu der «20 Minuten» gehört, für die Redaktion Stellung zu den Vorwürfen des Beschwerdeführers. Die Redaktion hält einleitend fest, sie achte stets darauf, Sachverhalte «absolut im Einklang mit den journalistischen Sorgfaltspflichten» wiederzugeben. Nun greife X. einen
Artikel heraus, der allein natürlich nicht repräsentativ sei für die gesamte Berichterstattung von «20 Minuten» über den Tod von George Floyd. Im kritisierten Artikel stünde das neu aufgetauchte Video im Vordergrund, weitere Informationen würden nur kondensiert angesprochen. Zweifellos verfüge die Leserschaft auch über ein «gewisses Vorwissen» über den Fall.

Dann geht die Redaktion konkret auf die drei Kritikpunkte des Beschwerdeführers ein. Erstens: Dass Floyd schon im Stehen von Atemproblemen gesprochen habe, lasse der Bericht aus Gründen der Verkürzung weg, es könne nicht nochmals der ganze Polizeieinsatz referiert werden. Das Argument der zulässigen Verkürzung gelte auch für Punkt 2 der Beschwerde, die mangelnde Kooperation von Floyd, ebenso wie für Punkt 3 bezüglich des Gesundheitszustandes des Afroamerikaners. Bei diesem Punkt spreche X. ja selber davon, dass dieser «möglicherweise» zum Tod beigetragen habe; man könne also die Sachlage nicht abschliessend beurteilen. Allerdings käme die zuständige «National Association of Medical Examiners» ganz klar zum Schluss, dass die Festhaltung durch die Polizei den Herz-Kreislauf-Stillstand auslöste.

Abschliessend betont «20 Minuten», die durch den Beschwerdeführer vorgebrachten Punkte seien «nicht von derart eminenter Wichtigkeit», dass von einer Entstellung der Wahrheit oder Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht gesprochen werden könne.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall der 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Markus Locher, Simone Rau und Hilary von Arx an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 29. Oktober 2020 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Kernfragen bei der Beurteilung dieses Falls lassen sich so formulieren: Ist so viel Verkürzung medienethisch zulässig? Oder werden wesentliche Aspekte der Berichterstattung weggelassen? Darf ein Medium bei einer laufenden Berichterstattung manche bereits früher behandelten Sachverhalte und Aspekte weglassen? Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass kürzere und sehr kurze Berichte zu den Charakteristika von Gratiszeitungen wie «20 Minuten» gehören, dass längere Artikel dort kaum Platz finden und von den Leserinnen und Lesern auch nicht erwartet werden.

2. Konkret geht es im Artikel um die Bodycam-Aufnahmen eines bei der tödlich endenden Festnahme beteiligten Polizisten. Dabei wird klar, dass George Floyd den Aufforderungen nicht sofort Folge leistet. Er befürchtet, erschossen zu werden, der Polizist mit der Bodycam versucht ihn zu beruhigen. Dann kommt es zum Handgemenge, bei dem Floyd von einem anderen Polizisten zu Boden gedrückt wird und schliesslich stirbt. «20 Minuten» beschreibt nach Einschätzung des Presserats das Verhalten beider Seiten sachlich richtig. Dass die Pendlerzeitung bei einem kürzeren Folgeartikel dieser Art den Fokus auf neu aufgetauchte Sachverhalte und Facetten des Geschehens legt, erscheint dem Presserat nicht willkürlich. Und dass dabei nicht alle bereits früher berichteten Details des Ablaufs der Festnahme wiederholt werden, heisst noch nicht, dass wesentliche Fakten unterschlagen werden. Vorliegend hat «20 Minuten» die beiden vom Beschwerdeführer als unterschlagen (Floyds Widerständigkeit) oder unvollständig dargestellt (Floyds Atemnot) monierten Aspekte sehr wohl thematisiert, wenn auch nicht in aller Ausführlichkeit. Der Presserat beurteilt daher Ziffer 3 der «Erklärung» als nicht verletzt.

3. Der Beschwerdeführer erhebt zudem den Vorwurf, «20 Minuten» habe unterschlagen, dass auch Floyds angeschlagene Gesundheit und Drogen zu seinem Tod beigetragen haben könnten. Die Redaktion macht glaubhaft geltend, dass sie über mögliche Vorerkrankungen und deren Einfluss auf Floyds Tod sowie sich widersprechende Autopsieberichte über die Todesursachen ausführlich und präzis in früheren Artikeln berichtet hatte. Sodann steht auch im angefochtenen Artikel, Floyd habe an psychischen Problemen und Klaustrophobie gelitten. Der Presserat kann auch hier keinen Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung» erkennen.

4. Abschliessend weist der Artikel von «20 Minuten» auf die Ausgangslage für den auf März 2021 angesetzten Prozess gegen die beteiligten Polizisten hin. Auch hier kann man von einer sachlichen Berichterstattung sprechen, bei der die Vorwürfe gegen die vier Polizisten ebenso kurz referiert werden wie der Standpunkt eines Polizisten, der auf nicht schuldig plädiert.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «20 Minuten» hat mit dem Artikel «Bodycam-Aufnahmen zeigen neue Details von Floyds Festnahme» vom 4. August 2020 die Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.