Nr. 81/2020
Wahrheitspflicht

X. c. «nau.ch», «blick.ch», «tagesanzeiger.ch»

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I. Sachverhalt

A. Am 3. Juli 2020 publizierte das Nachrichtenportal «nau.ch» einen Artikel mit dem Titel «Quarantäne heisst: Kein Lohn bei Einreise aus Serbien & Co.!». Untertitel «Ab Montag müssen Reisende aus Serbien, Schweden, USA und Co. in Quarantäne. Achtung! Für diese zehn Tage haben Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Lohn.»
Am 6. Juli 2020 veröffentlichte «blick.ch» einen Artikel mit dem Titel «Serbe (33) kracht mit Töff in Motorradlenkerin (38)». Der Text beginnt mit «Ein 33-jähriger Serbe verursachte am Sonntagmittag einen Verkehrsunfall in Küttigen. (…) In einer Rechtskurve geriet er auf die Gegenfahrbahn (…) Dort kam ihm eine 38-Jährige auf ihrem Töff entgegen. Die Frau versuchte noch auszuweichen, doch ohne Erfolg. Es kam zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge. Beide Lenker stürzten zu Boden (…)».
Am 8. Juli 2020 veröffentlichte «tagesanzeiger.ch» einen Artikel mit dem Titel «Risikotouristen können Quarantäne einfach ignorieren». Der Text beginnt mit «Seit Anfang dieser Woche müssten Reisende aus 29 Risikoländern eigentlich zehn Tage in Quarantäne …». Illustriert ist der Artikel mit einer Scooter-Bahn, offensichtlich in Serbien, auf welcher die Autos jedenfalls mit serbischen Fahnen herumfahren und der Bildunterschrift: «Nach den Ferien in Serbien müssten Rückkehrer sich bei den Behörden melden. Doch manch einer ‹vergisst› es.»

B. Am 9. Juli 2020 reichte X. drei Beschwerden gegen diese drei Artikel beim Schweizer Presserat ein. Das Diskriminierungsverbot der Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») sei verletzt. In allen drei Fällen werde eine Nation bewusst an den Pranger gestellt.

Im Fall des ersten Artikels bezichtigt der Beschwerdeführer (BF) «nau.ch» des «Rassismus und der Diskriminierung», weil mit «Serbien und Co.» dieses eine Land ungerechtfertigterweise hervorgehoben werde, während die Quarantänevorschriften sich effektiv auch auf 28 weitere Länder bezögen.

Der zweite Artikel verstosse gegen das Diskriminierungsverbot, weil er völlig unnötigerweise die serbische Nationalität des einen Motorradfahrers nenne, während diejenige der verletzten, entgegenkommenden Fahrerin nicht genannt werde. Auch hier werde mit der Nennung der Nationalität eine ganze Nation bewusst an den Pranger gestellt.

Die Beschwerde gegen den dritten Artikel richtet sich vor allem gegen das Foto, welches ebenfalls gegen Ziffer 8 verstosse, da es eine negative Information mit der serbischen Nationalfahne «gezielt kombiniere». Auf der Quarantäneliste seien viele andere Länder, es gebe keinen Grund, immer nur die serbische Flagge an den Pranger zu stellen. Das bestätige den Eindruck einer systematischen Hetze gegen Serben.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 6. August 2020 beantragte der Anwalt der Redaktion «blick.ch», die Beschwerde sei hinsichtlich des «Blick»-online-Textes vom 6. Juli 2020 über den Motorradunfall als unbegründet abzuweisen. «Blick» macht geltend, es gehe hier laut der Polizeimeldung aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Straftat (Strassenverkehrsdelikt, evtl. Körperverletzung). Die Nation eines Straftäters aus einer Polizeimeldung zu übernehmen sei medienethisch nicht zu beanstanden. Die Redaktion verweist dabei auf die Stellungnahme 23/2002 des Presserats, welche diese Haltung bestätige. Dass «Blick» die Herkunft eines nicht näher bezeichneten Motorradfahrers nenne, begründe weder einen Verstoss gegen die Menschenwürde noch würdige es alle Angehörigen einer Nation herab.

D. Am 25. August 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg sowie den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 26. Oktober 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Presserat tritt auf die Beschwerden gegen «nau.ch» und «tagesanzeiger.ch» nicht ein, weil sie offensichtlich unbegründet sind:

Wenn im Falle von «nau.ch» ein Artikel darauf hinweist, dass Rückreisende aus einer ganzen Reihe von Ländern damit rechnen müssen, in Quarantäne gehen zu müssen und dabei nicht mit einer Lohnzahlung seitens des Arbeitgebers rechnen können, dann erscheint es als völlig legitim, im Titel ein Beispiel von vielen herauszunehmen. Alle 29 Länder können nicht genannt werden. Welches von 29 dabei im verkürzenden Titel erwähnt wird, ist im Ermessen der Redaktion, sie hat sich hier für eines entschieden, in welchem die Ansteckungsgefahr zu jener Zeit besonders hoch erschien, in welchem die mangelnde Corona-Bekämpfung in den Medien besonders kritisiert worden war und aus dem speziell viele Rückreisende zu erwarten waren. Zudem ist mit «und Co.» klar angedeutet, dass es nicht nur um Serbien ging. Die Beschwerde ist somit offensichtlich unbegründet, auf sie ist nicht einzutreten.
Ähnliches gilt für den Artikel von «tagesanzeiger.ch» und dem dazugehörigen Bild. Serbien war einer der Corona-Schwerpunkte zu jener Zeit, es war mit vielen RückkehrerInnen aus diesem Land zu rechnen. Wenn ein Artikel bebildert werden soll, der darstellt, dass es praktisch keine Kontrollen von rückkehrenden Touristen aus Risikogebieten gibt, dann ist ein Freizeitbild aus einem der meistbetroffenen Risikogebiete legitim. Serbien stand dannzumal besonders im Mittelpunkt, weil dort vermeintlich zu wenig gegen Corona unternommen wurde. Auch diese Beschwerde erachtet der Presserat im Ergebnis als offensichtlich unbegründet, er tritt auf sie nicht ein.

2. Etwas anders stellt sich die Lage beim Artikel von «blick.ch» dar. Hier wurde die Nationalität eines Unfallverursachers genannt, ein Zusammenhang der Nationalität mit dem Vorfall scheint kaum gegeben. Nach der Praxis des Presserats ist es dennoch legitim, die Nationalität insbesondere bei Gesetzesverstössen zu nennen, wenn dies «systematisch» erfolgt. «blick.ch» nennt Nationalitäten, auch von SchweizerInnen, häufig, selbst ohne direkten Zusammenhang der Nationalität mit dem Sachverhalt. Insofern kann man von «systematisch» sprechen, auch wenn dem Beschwerdeführer zuzustimmen ist, dass dies im vorliegenden Artikel gerade nicht der Fall war. Der Unfallverursacher wurde als Serbe identifiziert, die Nationalität des Unfallopfers blieb unerwähnt. Dass dies auch im Polizeirapport so gewesen ist, worauf die Redaktion zur Erklärung hinweist, tut nichts zur Sache. Wenn die Redaktion Wert legt auf die systematische Nennung der Nationalitäten, muss sie bei der Polizei in einem solchen Fall nach der zweiten nachfragen oder die erste weglassen. Dass dies im konkreten Fall unterlassen wurde, entspricht aber – angesichts der angesprochenen häufigen Nennung verschiedener Nationalitäten, auch der schweizerischen, in den verschiedensten Zusammenhängen – einer journalistischen Ungenauigkeit und nicht einer Diskriminierung.

3. Es erscheint nachvollziehbar, wenn der BF die mehrfache Nennung seines Herkunftslandes in negativen Zusammenhängen als störend empfindet. Sein Vorwurf der «systematischen Hetze gegen Serbien» erscheint allerdings schon deswegen als ungerechtfertigt, weil der «Blick» sehr häufig auch andere Nationalitäten explizit nennt: Kosovaren, Portugiesen, Tamilen, Schweizer etc.

In den vorliegenden konkreten Fällen sieht der Presserat jedenfalls keine Verstösse gegen das Diskriminierungsverbot und er kann nur einzelne Fälle per se beurteilen, nicht irgendwelche allgemeine Tendenzen in der gesamten Schweizer Nachrichten-Berichterstattung, die der BF kritisiert. Die Ziffer 8 der «Erklärung» ist nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat tritt auf die Beschwerden gegen «nau.ch» (Artikel: «Quarantäne heisst: Kein Lohn bei Einreise aus Serbien und Co.!» vom 3. Juli 2020) sowie gegen «tagesanzeiger.ch» (Artikel: «Risikotouristen können Quarantäne einfach ignorieren» vom 8. Juli 2020) nicht ein.

2. Der Presserat weist die Beschwerde gegen «blick.ch» ab.

3. «blick.ch» hat mit dem Artikel «Serbe (33) kracht mit Töff in Motorradlenkerin (38)» vom 6. Juli 2020 die Ziffer 8 (Diskriminierungsverbot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.