Nr. 78/2021
Fairness / Wahrheit / Berichtigung / Nicht gerechtfertigte Anschuldigung

(Graf c. «kath.ch»)

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I. Sachverhalt

A. Am 7. Juli 2021 veröffentlichte «kath.ch» einen Artikel gezeichnet von Sophie Zimmermann mit dem Titel «Schwyzer Pfarrer warnt vor Impfung und kritisiert Bundesamt». Der Text nimmt Bezug auf einen Artikel des «Bote der Urschweiz», der seinerseits über einen Text im Pfarrblatt «Ybrig» (14/2021) der Gemeinden Unteriberg, Oberiberg und Studen berichtet hatte. In diesem Pfarrblatt hatte Pfarrer Roland Graf einen Text publiziert, der davon abriet, «gesunde Personen im fortpflanzungsfähigen Alter und insbesondere Kinder zum jetzigen Zeitpunkt» gegen Covid-19 zu impfen. Dies nachdem das Bundesamt für Gesundheit kurz zuvor den Impfstoff von Pfizer/Biontech für Jugendliche von 12 bis 15 Jahren freigegeben hatte. Das Pfarrblatt erläuterte, dass die Nebenwirkungen der Impfung in dieser Altersgruppe ein grösseres Risiko darstellten als die Krankheit selber und dass sie insbesondere bei Kindern mit geringerem Alter immer stärker würden. Der Vorstand der «Katholischen Ärzte der Schweiz» und die «Lebensschutzorganisation HLI-Schweiz» lehnten deswegen – so der Text im Pfarrblatt gegen Schluss – die Impfung dieser Personengruppe wie auch diejenige «für gesunde Personen im fortpflanzungsfähigen Alter» vorläufig ab.

Der «Bote der Urschweiz» hatte diese Empfehlung am 6. Juli 2021 unter dem Titel «Impfempfehlung im Pfarrblatt» aufgegriffen (Autorin: Flurina Valsecchi). Sie fasste des Pfarrers Position zusammen, liess diesen zu Wort kommen, wies darauf hin, dass Roland Graf neben seinem Pfarramt interimistisch auch den Schweizer Ableger der «Lebensschutzorganisation Human Life International» präsidiere, welche unter anderem gegen Abtreibungen und Selbsttötungen kämpfe und sie fragte bei zwei Gemeindevertretern nach, was diese von diesem Positionsbezug der Kirche in der Impfdebatte hielten. Der Präsident des Kirchgemeinderates Unteriberg liess offen, ob sich die Kirche auf diese Weise positionieren solle, der Präsident des kantonalen Schwyzer Kirchgemeindevorstandes meinte, kritischer, die Kirche sollte sich nicht zur Pandemiepolitik des Bundes äussern.

Diesen Artikel wiederum nahm «kath.ch», die «Online-Informationsseite des katholischen Medienzentrums», tags danach auf. Am 7. Juli schreibt diese im Untertitel: «Pfarrer Roland Graf (…) sorgte mit Impfempfehlungen für Aufsehen (…). Graf unterschlägt in der Publikation seine Verbindung zu konservativen Medizinerkreisen und greift das BAG an.» Nach einer Zusammenfassung von Grafs Stellungnahme im Pfarrblatt wird diesem vorgeworfen, die Empfehlung, nicht zu impfen, mit einem «undurchdringlichen Fachbegriffsdschungel» zu begründen, welcher von Laien nicht zu verstehen sei. Es werde massive Kritik am Bund geübt und bleibe offen, was die Impfung nach Grafs Ansicht mit der Reproduktionsfähigkeit zu tun haben solle. Weiter wird Graf selber zitiert, wie er sich gegenüber dem «Bote» geäussert habe und es wird darauf hingewiesen, dass der Pfarrer nicht transparent gemacht habe, dass er schon Texte für die «Katholischen Ärzte» geschrieben habe und dass er selber Übergangspräsident von «HLI Schweiz» sei. Abschliessend – so «kath.ch» – stellten sich Fragen: Welche medizinische Kompetenz hat ein Priester? Wo sind die Grenzen von Kanzelverkündigungen? Welche Ratschläge gehören ins Pfarrblatt? Graf sei zwar studierter Theologe, jedoch kein Mediziner, kein Chemiker und kein Biologe. Es sei legitim, wenn er die Impfung persönlich ablehne, aber es sei zu diskutieren, inwiefern eine Autoritätsperson wie er persönliche Überzeugungen in seine Seelsorge einfliessen lassen solle. Graf sei für eine Stellungnahme nicht erreichbar gewesen.

B. Am 16. Juli 2021 und mit einer Präzisierung am 10. August reichte Pfarrer Roland Graf Beschwerde gegen den Artikel von «kath.ch» beim Schweizer Presserat ein. Er macht einen Verstoss gegen den Ingress (Fairnessprinzip) sowie die Ziffern 1 (Wahrheit), 5 (Berichtigung) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend.

Den Verstoss gegen die Wahrheitspflicht begründet der Beschwerdeführer (BF) zum einen damit, dass «kath.ch» behauptet habe, er sei weder Mediziner noch Chemiker noch Biologe. Dabei sei er studierter Chemiker. Zum anderen sei die Stellungnahme der katholischen Ärzte falsch zitiert. Diese hätten davon abgeraten, dass sich «gesunde» Personen im fortpflanzungsfähigen Alter und Jugendliche impfen lassen sollten. Durch die Weglassung von «gesunde» habe der Eindruck entstehen können, dass auch Personen mit Vorerkrankungen auf die Impfung verzichten sollten, was nicht gefordert werde. Der gleiche Fehler finde sich in einem weiteren Artikel von «kath.ch».

Der Verstoss gegen die Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung») bestehe darin, dass die falsche Aussage über sein fehlendes Chemiestudium zwar unverzüglich korrigiert (Passus gestrichen) worden sei, dass die Korrektur aber nicht für die Leserschaft kenntlich gemacht worden sei, was zu dieser Pflicht dazugehöre.

Und die Pflicht zur Fairness und zum Unterlassen ungerechtfertigter Anschuldigungen (Ingress und Ziffer 7 der «Erklärung») sieht der BF verletzt, weil verschiedene Zwischentitel im Artikel ihn persönlich «diskreditierten und abwerteten». So sei es grotesk, wenn man ihm unter dem Titel «Undurchdringlicher Fachbegriffsdschungel» vorwerfe, den in den Medien täglich gebrauchten Begriff «mRNA» nicht ausreichend erklärt zu haben. Aber auch «Unlautere Zusammenhänge» und «Nicht offengelegte Verbindungen» seien sachlich nicht gerechtfertigt und unfair.

C. Am 20. Oktober 2021 nahm Redaktionsleiter Raphael Rauch für «kath.ch» zur Beschwerde Stellung und beantragte deren Ablehnung. Zum Verstoss gegen die Wahrheitspflicht weist er darauf hin, dass die Redaktion den Passus, wonach der BF nicht Mediziner, nicht Chemiker und nicht Biologe sei, nach Bekanntwerden von dessen Fachhochschulstudium in Chemie tags darauf sofort gelöscht habe. Und zwar vollständig und überall, der Hinweis sei nirgends mehr zugänglich. Entsprechend sei auch die Form gewahrt, Ziffer 5 der «Erklärung», die Berichtigungspflicht, sei nicht verletzt.

Dass das Adjektiv «gesund» weggelassen worden sei in der Beschreibung derer, die sich nicht impfen lassen sollen, ergebe bei der durchschnittlichen Leserschaft keinen falschen Eindruck. Denn der Zustand «gesund» sei der Regelfall bei den zu Impfenden, der Status «Vorerkrankungen» sei die Ausnahme. Die Unterscheidung sei nur dann explizit zu machen, wenn der Ausnahmefall thematisiert werde, was hier nicht der Fall gewesen sei. Zudem sei «gesund» im zweiten Artikel vom 9. Juli auch ausdrücklich und redundant enthalten gewesen. Insgesamt sei kein wichtiges Element unterschlagen und wahrheitsgemäss berichtet worden.

Die Ziffer 7 der «Erklärung» sei auch nicht verletzt. Der speziell kritisierte Zwischentitel «Nicht offengelegte Verbindungen» sei im «kath.ch»-Artikel unmittelbar gefolgt vom Hinweis auf eine Textstelle aus dem Pfarrblatt, der diesen Titel klar belege. Dort sei einleitend gestanden «Wir geben hier eine Medienmitteilung wieder, die gestern von der Vereinigung Katholischer Ärzte der Schweiz und HLI-Schweiz versandt wurde». Diese neutrale Haltung Grafs – so wieder der Text von «kath.ch» – täusche aber. Pfarrer Roland Graf sei selbst übergangsmässiger Präsident von HLI-Schweiz und habe auch schon Beiträge geschrieben für die Vereinszeitschrift der VKAS. Die entsprechend wertende Einordnung dieser vom BF nicht bestrittenen Umstände sei durch die redaktionelle und die Kommentarfreiheit gedeckt.

Den geltend gemachten Verstoss gegen das Fairnessgebot erwähnt Rauch zwar, äussert sich aber nicht weiter dazu.

D. Am 29. Oktober 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 seines Geschäftsreglements vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Max Trossmann, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 24. Dezember 2021 verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Ziffer 1 der «Erklärung» und die zugehörige Richtlinie 1.1 verpflichten Journalistinnen und Journalisten, nach der Wahrheit zu suchen und sich an diese zu halten. Wenn im Artikel von «kath.ch» behauptet wurde, der BF sei nicht Chemiker, dann war diese Aussage falsch und verstiess gegen die Wahrheitspflicht. Dies allerdings in einem im Gesamtzusammenhang nicht zentralen Punkt: Was damit ausgedrückt werden sollte, war, dass der Gemeindepfarrer von Unteriberg wohl nicht spezialisiert sei auf Fragen der Entwicklung von modernsten hochkomplexen Impfstoffen. «Nicht Chemiker» bleibt aber eine falsche Feststellung. Ziffer 1 ist damit verletzt.

Es stellt sich aber die Frage, ob die nach Bekanntwerden des Fehlers unverzüglich erfolgte Berichtigung den Mangel geheilt hat. Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn diese Berichtigung korrekt erfolgt wäre. Dazu gehört aber, wie vom BF erwähnt, dass die Korrektur im Artikel für die Leserschaft transparent gemacht wird, was hier nicht der Fall war. Ziffer 5 der «Erklärung», die Berichtigungspflicht, ist damit nicht erfüllt. Der Presserat stellt aber anerkennend fest, dass die Korrektur, wenn auch nicht vollständig, so doch sehr schnell und sehr gründlich erfolgt ist. Beides ist wichtig.

Ähnlich aber nicht gleich verhält es sich beim Weglassen von «gesund» bei den Personen im fortpflanzungsfähigen Alter, die sich nicht impfen lassen sollen. Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass das «gesund» wichtig sei, um klarzustellen, dass gefährdete Personen durchaus weiterhin geimpft werden sollen. «kath.ch» umgekehrt geht davon aus, dass diese Präzisierung im vorliegenden Kontext nicht nötig gewesen sei.

In der fraglichen Passage im Pfarrblatt wurde das Thema Kinderimpfung («Die Covid-19-Impfung von Kindern und Jugendlichen ist abzulehnen») nach den ersten 16 von 20 Zeilen unvermittelt ausgeweitet auf einen ganz anderen, sehr viel breiteren Kreis, nämlich auf alle gesunden Personen im fortpflanzungsfähigen Alter. Die Hauptsache aus journalistischer Sicht war hier der plötzlich sehr viel breitere Kreis von Personen, praktisch die halbe Schweiz, die sich nach Aufforderung des Pfarrers und der von ihm zitierten Institutionen neben den Kindern auch nicht impfen lassen, sich also den Aufforderungen der Regierung, der Experten und des zuständigen Bundesamtes widersetzen soll. Entsprechend hat zunächst schon der «Bote» und im Gefolge auch «kath.ch» den Akzent auf diesen Aspekt gelegt. Das ist eine grundsätzlich zulässige journalistische Gewichtung. Umgekehrt konnte angesichts des Weggelassenen bei sehr aufmerksamen LeserInnen der Eindruck entstehen, der Pfarrer wende sich auch gegen das Impfen von RisikopatientInnen, was nicht der Fall ist. Aufgrund der Brisanz von Grafs Aussagen hätte «kath.ch» die Formulierungen im fraglichen Pfarrblatt-Text jedenfalls genau nachprüfen und präzise zitieren sollen. Der Presserat spricht aber angesichts der grundsätzlich legitimen Gewichtung des Inhaltes in diesem Fall von einer Ungenauigkeit, aber nicht von einer regelrechten Verletzung der Wahrheitspflicht.

2. Ziffer 7 der «Erklärung» verlangt in der vom Beschwerdeführer angerufenen Passage, dass JournalistInnen keine ungerechtfertigten Anschuldigungen publizieren. Er sieht in den Zwischentiteln «Undurchdringlicher Fachbegriffsdschungel», «Unlautere Zusammenhänge», «Nicht offengelegte Verbindungen» tendenziöse Unterstellungen, sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen, die zum Ziel hätten, ihn zu diskreditieren und abzuwerten.

Über allfällige Motive und Ziele von Medien und deren AutorInnen spekuliert der Presserat nicht. Was den Inhalt der Zwischentitel angeht, sieht er aber nichts, was nicht durch die im Gefolge angesprochenen Fakten und Umstände sowie durch die Kommentarfreiheit gedeckt wäre. Die Zwischentitel beinhalten legitime journalistische Bewertungen. Die Ziffer 7 der «Erklärung» und das Fairnessprinzip wurden damit nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. «kath.ch» hat mit dem Artikel «Schwyzer Pfarrer warnt vor Impfung und kritisiert Bundesamt» vom 7. Juli 2021 die Ziffern 1 (Wahrheitsgebot) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.