Nr. 77/2021
Wahrheit / Anhören bei schweren Vorwürfen / Berichtigung / Identifizierung

(X. c. «Republik»)

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Zusammenfassung

Ein leitender Arzt des Universitätsspitals Zürich hat beim Presserat Beschwerde gegen eine Artikelserie der «Republik» eingereicht. Der Arzt wirft der «Republik» vor, ihn schwer verunglimpft zu haben, indem sie falsche Vorwürfe verbreitet habe, die aus anonymer Quelle stammten.

Der Presserrat hat die umfangreiche Beschwerde geprüft und dabei keine Verletzung der Wahrheitspflicht festgestellt. Die «Republik» hat die anonym erhobenen und tatsächlich schwerwiegenden Vorwürfe mit erheblichem Aufwand überprüft. Zudem hat sie den betroffenen Arzt mit den Vorwürfen konfrontiert und dessen Entgegnungen angemessen veröffentlicht.

Wenige Tage nachdem die «Republik» die Artikelserie veröffentlicht hatte, präsentierte das Universitätsspital Resultate einer Untersuchung, welche den Arzt entlasteten. Die «Republik» hat diese entlastenden Aussagen zwar aufgenommen und ebenfalls publiziert. Sie tat das aber erst neun Tage nachdem die Aussagen bekannt waren. Angesichts der Schwere der Vorwürfe ist das zu spät. Die «Republik» hat damit die Berichtigungspflicht verletzt. Es wäre der «Republik» zudem gut angestanden, diese neuen Fakten unmittelbar beim ursprünglichen Text zu veröffentlichen, statt in einem anderen, nicht verbundenen Artikel.

War es gerechtfertigt, den Namen des Arztes in der Artikelserie zu nennen? Er hatte eine wichtige Funktion in einem vom Staat kontrollierten und vom Steuerzahler finanzierten Unternehmen. Zudem war er ein wichtiger Akteur in einem in der Öffentlichkeit ausgetragenen Konflikt. Gleichzeitig versuchte der Arzt, seinen Namen aus den Medien zu halten. Die Mehrheit des Presserates kommt zum Schluss, dass der Name des Arztes dem Publikum nicht hilft, sich ein geeignetes Bild der Vorfälle zu machen. Der Schutz der Privatsphäre überwiegt das öffentliche Interesse an der Namensnennung. Deshalb hat die «Republik» mit der Namensnennung den Medienkodex verletzt.

Résumé

Un médecin dirigeant de l’Hôpital universitaire de Zürich se plaint auprès du Conseil de la Presse à propos d’une série d’articles de «Republik». Il reproche à «Republik» de l’avoir gravement dénigré en répendant de faux reproches à son encontre, émanant de sources anonymes.

Le Conseil de la presse examine la plainte volumineuse sans constater de violation de l’obligation de rechercher la vérité. «Republik» a consacré de grands efforts à la vérification des reproches anonymes et effectivement graves. De plus elle a confronté le médecin concerné à ces reproches et a publié ses réponses de manière appropriée.

Quelques jours après la publication de la série d’articles de «Republik», l’Hôpital universitaire présente les résultats d’une enquête qui décharge le médecin. Certes, «Republik» reprend et publie ces affirmations disculpantes, mais neuf jours seulement après qu’on en ait eu connaissance. Au vu de la gravité des reproches, c’est trop tard. «Republik» a de ce fait violé l’obligation de rectification. Par ailleurs il aurait été indiqué que «Republik» publie ces faits nouveaux dans la proximité immédiate du texte d’origine, au lieu de le faire dans un article différent, non relié à la série.

Était-il justifié de nommer le médecin dans la série d’articles? Il remplissait une fonction importante dans une institution contrôlée par les pouvoirs publics et financée par le contribuable. De plus il était un acteur important d’un conflit qui s’est déroulé en pleine connaissance du public. En même temps le médecin s’était efforcé de ne pas voir son nom mentionné dans les médias. Pour la majorité du Conseil de la presse, la mention du nom du médecin ne contribue pas à aider le public à se faire une image appropriée du conflit. Le respect de la sphère privée pèse plus lourd que l’intérêt public de la mention du nom. C’est pourquoi «Republik» a violé le code en mentionnant ce nom.

Riassunto

Uno dei medici alla guida dell’Ospedale universitario di Zurigo ha inoltrato un reclamo al Consiglio della stampa contro una serie di articoli pubblicati da «Republik». Secondo il medico «Republik» lo avrebbe pesantemente denigrato diffondendo false accuse provenienti da fonti anonime.
Il Consiglio ha valutato il corposo reclamo inoltrato non riscontrando nessuna violazione dell’obbligo di verità. «Republik» ha verificato con grande impegno le gravi denunce sollevate da una fonte anonima. Ha, inoltre, confrontato il medico in questione con le suddette denunce pubblicando anche le sue opportune repliche. Pochi giorni dopo la pubblicazione della serie di articoli da parte di «Republik», l’Ospedale universitario ha però presentato i risultati di uno studio che sollevano il medico dalle accuse. «Republik» ne ha preso atto pubblicando le affermazioni inerenti lo studio. Lo ha fatto però soltanto nove giorni dopo che i risultati erano stati resi pubblici. Troppo tardi considerando la gravità delle accuse. Così facendo «Republik» ha dunque violato il dovere della rettifica. Inoltre «Republik» avrebbe fatto una bella figura evidenziando i nuovi fatti emersi correlandoli all’articolo già uscito e non inserendoli in un articolo nuovo e slegato dal primo.

Era giustificato fare il nome del medico nella serie di articoli? Svolgeva una funzione importante in un’impresa controllata dalla pubblica amministrazione e finanziata dai contribuenti. Era anche un importante attore in un conflitto portato all’attenzione pubblica e al tempo stesso cercava di tenere il suo nome lontano dai media.
La maggioranza del Consiglio della stampa conclude che il nome del medico non era indispensabile al pubblico per crearsi un quadro chiaro di quanto accaduto. La difesa della sfera privata in questo caso prevale sull‘interesse pubblico e la citazione del nome. Per questo motivo «Republik» ha violato il codice deontologico.

I. Sachverhalt

A. Am 3., 4., und 5. März 2021 publizierte die «Republik» drei ausführliche Artikel unter dem gemeinsamen Titel «Zürcher Herzkrise – eine Trilogie». Darin befasst sich die «Republik» mit den Vorgängen rund um die Herzmedizin am Universitätsspital Zürich (USZ). In Teil 2 mit dem Titel «Absturz» vom 4. März thematisiert das Onlinemedium auch die Rolle des USZ-Herzchirurgen X.; er hatte mit seinem Whistleblowing gegen den Chef der Herzklinik, Francesco Maisano, die Affäre ausgelöst. Gezeichnet sind die Artikel von Philipp Albrecht, Dennis Bühler und Brigitte Hürlimann.

B. Am 2. Juni 2021 reichte X. beim Schweizer Presserat eine umfangreiche Beschwerde gegen die Artikel ein.

C. Am 11. Juni forderte der Presserat, gestützt auf Artikel 9a des Geschäftsreglements, X. auf, die Beschwerde in gekürzter Form nochmals einzureichen und sich dabei auf 20 Seiten zu beschränken.

D. Am 27. Juni 2021 reichte X. eine auf 20 Seiten gekürzte, aber immer noch umfangreiche Beschwerde mit 19 Anhängen ein. Die Beschwerde sieht eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen von Informationen; Anhören bei schweren Vorwürfen), 5 (Berichtigung) und 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). X. wirft der «Republik» insbesondere die Weiterverbreitung von falschen Vorwürfen vor, die von meist anonymen Dritten erhoben worden seien. Damit verunglimpfe die «Republik» den Beschwerdeführer aufs Schwerste.

Die konkreten Beschwerdepunkte:

Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche): Die Beschwerde sieht eine grosse Zahl von Verletzungen der Wahrheitspflicht. Der Presserat diskutiert hier nur die Punkte mit einer gewissen Relevanz. Und nur wenn es sich um Tatsachenbehauptungen handelt:

– «Dieses zweite Whistleblowing liess die USZ-Leitung versanden.» Das ist laut der Beschwerde falsch. Binnen zwei Wochen sei die externe Untersuchung in Auftrag gegeben worden.

– «Mit seinem Verhalten macht der Whistleblower deutlich, dass er die Öffentlichkeit sucht.» Dieser habe die Öffentlichkeit nicht gesucht. Er habe sich nur in wenigen Artikeln nach der ersten Kündigung geäussert. In der Fernsehsendung «10 vor 10» sei er zudem anonymisiert aufgetreten.

– «Kurz darauf erhält X.* ein Operationsverbot. Und wenig später die Kündigung.» Das Operationsverbot werde wahrheitswidrig nicht als dreiwöchig befristet respektive temporär bezeichnet. So werde die Leserschaft in die Irre geführt. Das Operationsverbot habe auf falschen Tatsachenvorwürfen beruht, sei widerrechtlich gewesen und zurückgenommen worden.

Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung): Die Vorwürfe gegen X. stützten sich auf ein Papier, das von einer anonymen Gruppe stamme, deren Identität die «Republik» nach eigenen Angaben nicht kenne. Dennoch würden diese Anschuldigungen mehrfach und in allen Details verbreitet. Damit werde Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt in der es heisst, Journalistinnen und Journalisten «unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen».

Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen): Es reiche nicht, pauschale Vorwürfe einer anonymen Gruppe vorzulegen. X. habe so keine Chance gehabt, den konkreten Gegenbeweis anzutreten. Er habe sich somit gegen die Vorwürfe nicht zur Wehr setzen können.

Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht): Am 9. März 2021, sechs Tage nach Erscheinen des ersten Artikels in der «Republik», sei X. in einem Untersuchungsbericht vom Vorwurf des medizinischen Fehlverhaltens entlastet worden. X. habe die «Republik» schon vor Erscheinen der Artikelserie per Mail darüber informiert, dass er entlastet werde. Das sei auch im Nachhinein nicht berichtigt worden und stelle deshalb eine schwere Verletzung der Richtlinie 5.1 dar.

Richtlinie 7.2 (Identifizierung): Zunächst habe die «Republik» bei der Veröffentlichung der Artikel auf die Identifizierbarkeit von X. verzichtet. Sie habe dies jedoch schon am zweiten Tag der Veröffentlichung geändert und Name und Bild von X. publiziert. X. sei keine Person des öffentlichen Interesses. Dieser habe nie den Gang an die Medien gesucht. Er habe sich auch beim Universitätsspital und beim Zürcher Kantonsrat vehement gegen die Nennung seines Namens gewehrt.

E. Am 9. September 2021 nahm Chefredaktor Christof Moser für die «Republik» Stellung zur Beschwerde. Die «Republik» habe mit den beanstandeten Artikeln gegen keine journalistischen, rechtlichen und ethischen Regeln verstossen. Die Berichterstattung entspreche der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Sämtliche Vorwürfe würden bestritten.

Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche):
– «Dieses zweite Whistleblowing liess die USZ-Leitung versanden.» Laut der «Republik» hat das Universitätsspital sieben Monate benötigt, um die im zweiten Whistleblowing erhobenen Vorwürfe zu untersuchen.

– «Mit seinem Verhalten macht der Whistleblower deutlich, dass er die Öffentlichkeit sucht.» X. habe sich nach dem Whistleblowing an die Öffentlichkeit gewandt. So habe er seine Sichtweise von Mai bis September 2020 in mehreren Zeitungsartikeln wiedergeben lassen. Zudem sei er am 14. Januar 2021 in der Fernsehsendung «10 vor 10» aufgetreten.

– «Kurz darauf erhält X.* ein Operationsverbot. Und wenig später die Kündigung.» Die «Republik» habe geschrieben, dass X. die Arbeit wieder aufgenommen habe. Dazu habe sie auch die offizielle Begründung des USZ zur Wiedereinstellung zitiert.

Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung): Die «Republik» sei mit den Urhebern des zweiten Whistleblowings in direktem Kontakt gewesen. Zudem seien diese nicht vollständig anonym gewesen. Es handle sich um eine «Gruppe besorgter Angestellter des USZ». Zudem habe man die Vorwürfe nicht einfach unbesehen übernommen. Sie seien Ausgangspunkt für weitere Recherchen gewesen. Im Artikel heisst es: «Wir haben mit USZ-Insidern, Kardiologinnen, Herzchirurgen, Gesundheitsexpertinnen, Juristen, Managern und Politikerinnen gesprochen.» Die «Republik» habe also gemäss Richtlinie 3.1 die Quelle und deren Glaubwürdigkeit überprüft.

Richtlinie 3.8 (Anhören bei schweren Vorwürfen): Die «Republik» habe mit X. zwei mehrstündige Gespräche geführt und sei mit ihm über Monate im Kontakt gewesen. Er habe mehrmals Gelegenheit gehabt, sich zu den «präzis vorgebrachten Vorwürfen gegen ihn» zu äussern. X. habe diese Gelegenheit wahrgenommen und sei angemessen zu Wort gekommen. Die «Republik» habe ihn mit seinen besten Argumenten zitiert.

Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht): Zum Zeitpunkt der Publikation der beanstandeten Artikel seien die für X. entlastenden Aussagen im Untersuchungsbericht noch nicht veröffentlicht gewesen. X. habe zwar in einem Mail vor der Veröffentlichung der Artikel darauf hingewiesen, dass die Vorwürfe gegen ihn vollumfänglich entkräftet seien. Er habe den entsprechenden Untersuchungsbericht der «Republik» aber nicht vorgelegt. Deshalb hätten sich die Journalisten bei der Medienstelle des Universitätsspitals nach dem Bericht erkundigt und zur Antwort erhalten, dass der Bericht in den kommenden Tagen veröffentlicht werde. Diese Antwort sei dann auch so im Artikel erwähnt worden. Die «Republik» habe nach der Publikation des Berichts umgehend in einem «Update» berichtet. Das X. Entlastende sei dort korrekt wiedergegeben worden.

Richtlinie 7.2 (Identifizierung): Die «Republik» sei nach eingehender Beratung zum Schluss gekommen, dass es sich beim leitenden Arzt einer der wichtigsten und prestigeträchtigsten Kliniken am USZ um «eine relative Person der Zeitgeschichte, mithin um eine Person des öffentlichen Interesses handelt». Zudem sei X. als Whistleblower der Initiator für die Turbulenzen am USZ gewesen. Auch die Subkommission des Kantonsrats habe in ihrem öffentlich zugänglichen Bericht dessen Namen genannt. Die «Weltwoche» habe den Whistleblower stets mit Namen genannt. Und in der Fernsehsendung «10 vor 10» vom 14. Januar 2021 habe sich X. ausführlich geäussert. Dort sei sein Name zwar nicht genannt worden, doch seine Funktion sei identifizierend erwähnt worden. Zudem sei X. in den Filmaufnahmen gut erkennbar gewesen und seine Stimme sei nicht verfälscht worden.

F. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Michael Furger, Jan Grüebler, Simone Rau und Hilary von Arx an.

G. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 1. November 2021 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

Vorbemerkung des Presserats:
Der Presserat kann in dieser Stellungnahme nicht auf jeden einzelnen Punkt der Beschwerde eingehen. Beschwerdepunkte, die offensichtlich unbegründet sind, berücksichtigt er nicht. So sind beispielsweise «anwaltschaftlicher Journalismus» und «schönreden» kein Beschwerdegrund. Wenn die «Republik» von «Machtkampf» und «Arbeitskonflikt» am USZ schreibt, verletzt das nach Einschätzung des Presserats die Wahrheitspflicht nicht. Nicht berücksichtigt werden auch Beschwerdepunkte, bei denen nicht klar ist, auf welche konkrete Aussage der «Republik» sich die Beschwerde bezieht.

1. Wie schon in der Stellungnahme 25/2021 (Maisano c. «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung») ist anzumerken, dass der Presserat nicht zu prüfen hat, ob sich leitende Ärzte korrekt verhalten haben und ob Vorwürfe gegen diese gerechtfertigt sind. Der Presserat hat lediglich zu entscheiden, ob sich die Journalistinnen und Journalisten in den beanstandeten Artikeln an den Journalistenkodex gehalten haben.

2. Die konkreten Beschwerdepunkte beurteilt der Presserat wie folgt:

Ziffer 1 (Wahrheitspflicht):
– «Dieses zweite Whistleblowing liess die USZ-Leitung versanden.» Sieben Monate für die Untersuchung eines Whistleblowings darf nach Ansicht des Presserats als «versanden» bezeichnet werden. Das ist eine legitime journalistische Einschätzung.

– «Mit seinem Verhalten macht der Whistleblower deutlich, dass er die Öffentlichkeit sucht.» X. hat sich in Zeitungen zitieren lassen und gab der SRF-Sendung «10 vor 10» ein ausführliches Interview. Auch wenn sein Name dabei nicht genannt wurde, hat er sich damit an die Öffentlichkeit gewandt.

– «Kurz darauf erhält X.* ein Operationsverbot. Und wenig später die Kündigung.» In den Artikeln steht zwar nicht konkret, dass es sich um ein befristetes oder temporäres Operationsverbot gehandelt hatte. Aber das wird aus den Artikeln klar, indem es heisst, dass X. die Arbeit wieder aufnehmen durfte. Zudem wird das USZ zitiert: «Die Parteien konnten die zwischen ihnen bestehenden Missverständnisse eingehend besprechen und aus dem Weg räumen.» Angesichts der drei langen Artikel wäre es für das Publikum aber hilfreich, stünden diese Informationen in der Nähe der Information über das Operationsverbot.

Die Wahrheitspflicht gemäss Ziffer 1 ist somit in den drei Passagen nicht verletzt.

Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung): Die Recherche der «Republik» beginnt offenbar tatsächlich mit anonym erhobenen Vorwürfen gegen X. In Richtlinie 3.1 heisst es: «Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflicht bildet die Überprüfung der Quelle einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit.» Werden anonym erhobene Vorwürfe einfach ungeprüft veröffentlicht, würde das die Richtlinie verletzen. Die «Republik» legt aber dar, wie sie die Vorwürfe mit grossem Aufwand überprüft hat. Zudem wird die Quellensituation dem Publikum ausführlich dargelegt, damit es sich ein eigenes Bild machen kann. Richtlinie 3.1 ist damit Genüge getan.

Richtlinie 3.8 (Anhören bei schweren Vorwürfen): X. wurde ausführlich mit den Vorwürfen konfrontiert, wie einem Mail der «Republik» an X. zu entnehmen ist. Zudem fanden laut «Republik» zwei mehrstündige Gespräche mit X. statt. Die Vorwürfe aus dem Whistleblowing wurden X. zwar nicht vorgelegt, aber sie waren ihm im Wortlaut bekannt und die «Republik» hat darauf hingewiesen, sie werde aus diesen Vorwürfen zitieren. Die Entgegnungen von X. zu den schweren Vorwürfen wurden angemessen wiedergegeben. Es liegt kein Verstoss gegen Richtlinie 3.8 vor.

Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht): Hier geht es um schwerwiegende Vorwürfe, welche die Whistleblower erheben und die «Republik» wiedergibt: X. soll «durch die Verletzung der Sorgfaltspflicht und wegen medizinischer Mängel die Gesundheit mehrerer Patienten geschädigt oder womöglich sogar den Tod verursacht haben». Zuerst stellt sich die Frage, ob die «Republik» schon vor der Veröffentlichung ihrer Artikel gewusst hat, dass ein Untersuchungsbericht diese Vorwürfe entkräftet. X. hat in einem Mail diesen Bericht erwähnt, ohne Details zu nennen. Die Journalisten haben beim USZ nach diesem Bericht gefragt und korrekt wiedergegeben, dass dieser in den nächsten Tagen veröffentlicht werden soll. Es war ihnen offensichtlich nicht möglich, bereits im Artikel über den Inhalt des Berichts zu schreiben, weil sie diesen nicht kannten.

Am 18. März 2021 berichtet die «Republik» dann in einem separaten «Update» über die Medienmitteilung zum Untersuchungsbericht. Den eigentlichen Bericht hat das USZ nicht veröffentlicht. Zudem zitiert die «Republik» ausführlich aus dem «Tages-Anzeiger», dem dieser Bericht offenbar vorlag. Es werden die wichtigsten X. entlastenden Punkte erwähnt. Die «Republik» hat die Berichtigungspflicht also inhaltlich nicht verletzt.

Richtlinie 5.1 verlangt jedoch, dass «unverzüglich» zu berichtigen ist. Die «Republik» hat aber erst neun Tage nach der Veröffentlichung der USZ-Medienmitteilung mit den X. entlastenden Informationen reagiert. Angesichts der Schwere der Vorwürfe ist das deutlich zu spät. Die «Republik» hat damit die Berichtigungspflicht gemäss Ziffer 5 der «Erklärung» verletzt.

In Onlinemedien hat sich weitgehend die Praxis durchgesetzt, dass über Korrekturen und Ergänzungen an einem Text unmittelbar bei diesem Text (meist darunter) informiert wird. Der Presserat verlangt dies bei relevanten Fehlern oder wichtigen Berichtigungen schon seit zehn Jahren (vergleiche Stellungnahme 29/2011). Es wäre der «Republik» gut angestanden, im ursprünglichen Text an geeigneter Stelle anzumerken, dass es eine inhaltlich relevante Ergänzung gibt, die X. entlastet. Und allenfalls auf das separate «Update» zu verlinken.

Richtlinie 7.2 (Identifizierung): Die «Republik» hat ab dem 4. März 2021 den Namen von X. in ihren Berichten genannt. In Richtlinie 7.2 heisst es: «Journalistinnen und Journalisten wägen die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig ab.» Der Journalistenkodex listet mehrere Gründe auf, wann eine identifizierende Berichterstattung zulässig ist:

– Diese ist zulässig, wenn die betroffene Person öffentlich auftritt. X. hat zwar dem Schweizer Fernsehen ein Interview gegeben, in dem er für sein berufliches und privates Umfeld gut erkennbar gewesen sein dürfte. Darüber hinaus dürfte er aber nicht erkennbar gewesen sein, weil sein Name nicht genannt wurde. Aus den dem Presserat vorliegenden Unterlagen geht nicht hervor, dass sich X. irgendwo mit seinem Namen öffentlich zu den Vorgängen geäussert hat. Er hat sogar aktiv versucht, zu verhindern, dass sein Name genannt wird.

– X. war in der Öffentlichkeit nicht allgemein bekannt. Nach Kenntnis des Presserats äusserte sich X. erst nach der Publikation der «Republik» und anderen Medienberichten mit seinem Namen in den Medien. Wenn die «Weltwoche» ihn bereits zuvor mit Namen genannt hatte, kann das nicht als Einwilligung in die Namensnennung betrachtet werden. Wenn eine staatliche Stelle (hier die Subkommission des Zürcher Kantonsrats) einen Namen nennt, heisst das nicht, dass Medien sich nicht mehr an medienethische Vorgaben halten müssen. Journalistinnen und Journalisten entscheiden selbstständig, wann eine Namensnennung angebracht ist und wann nicht (Entscheid 42/2015).

– Die «Republik» argumentiert, dass es sich bei einem leitenden Arzt in einer der wichtigsten Kliniken des USZ um eine Person von öffentlichem Interesse handle. In Richtlinie 7.2 heisst es, eine identifizierende Berichterstattung ist zulässig, «sofern die betroffene Person (…) eine staatliche oder gesellschaftlich leitende Funktion wahrnimmt und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht». Der Presserat hatte immer wieder zu beurteilen, ob eine Namensnennung auf Grund einer beruflichen oder amtlichen Funktion gerechtfertigt ist, wobei er immer auch das Thema und die Umstände der Berichterstattung berücksichtigt. Als gerechtfertigt beurteilte der Presserat die Namensnennung bei Mitgliedern der Stadtregierung von Sargans (17/2021), beim Direktor und dem Finanzchef der Stadtwerke Winterthur (38/2018). Nicht gerechtfertigt war dagegen die Namensnennung bei einem ehemaligen Kassier eines Gewerbevereins (72/2013) und auch nicht bei den Mitgliedern der Geschäftsleitung des Bau- und Verkehrsdepartements des Kantons Basel-Stadt (24/2015).

Der Presserat hat diesen Punkt kontrovers diskutiert. X. hatte eine wichtige Funktion in einem vom Staat kontrollierten und von Steuerzahlern finanzierten Unternehmen. Zudem ist X. in diesem Fall nicht einfach ein Whistleblower, sondern ein wichtiger und aktiver Akteur. Auch wenn er offenbar lange versucht hat, seinen Namen aus den Medien zu halten, hat er diese doch grosszügig mit seiner Sicht der Dinge beliefert. Trotzdem hilft die Namensnennung dem Publikum nicht, sich ein geeignetes Bild der Vorfälle zu machen. Das Interesse am Schutz der Privatsphäre überwiegt das öffentliche Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung. Die Mehrheit der 3. Kammer befindet deshalb, dass die «Republik» mit der Namensnennung gegen Richtlinie 7.2 verstossen hat respektive Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt ist.

Im vorliegenden Fall kommt der Presserat zum Schluss, dass das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an der Namensnennung überwiegt. Die «Republik» hätte auch ohne X. beim Namen zu nennen über die Vorgänge am Unispital Zürich berichten können, ohne dass damit das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wesentlich eingeschränkt worden wäre.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. Die «Republik» hat mit der verzögerten Berichterstattung über entlastende Informationen zu den Artikeln «Zürcher Herzkrise – Eine Trilogie» die Ziffer 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Die «Republik» hat mit der Namensnennung in den genannten Artikeln die Ziffer 7 (identifizierende Berichterstattung) verletzt.

4. Die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Quellenbearbeitung sowie Anhören bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung» hat die «Republik» mit der Artikelserie nicht verletzt.

* Anmerkung des Presserats: Die «Republik» nannte in diesem Zitat und an anderen Stellen den Whistleblower beim Namen.