I. Sachverhalt
A. Am 15. August 2021 veröffentlichte die «SonntagsZeitung» einen Kommentar mit dem Titel «Jetzt muss Berset die Gegner endlich zur Impfung zwingen». Untertitel: «Nicht ein Zwang ist unethisch, sondern die Rücksicht auf die Impfverweigerer und
-trödler, schreibt Denis von Burg». Angesichts der zu jener Zeit wieder stark steigenden Fallzahlen und Spitaleinweisungen kritisiert der Kommentator die seines Erachtens viel zu zögerliche Haltung des Bundesrates, insbesondere von Innenminister Alain Berset bei der Bekämpfung der Pandemie. Jetzt sei ein Paradigmenwechsel erforderlich. Ungeimpfte verlängerten die Pandemie unnötig, hätten sie sich auch impfen lassen, würde die drohende vierte Welle kaum spürbar. Frankreich zeige, dass allein schon eine Zertifikatspflicht die Impfquote erheblich steigere. Ein Land, das wie die Schweiz einen Führerschein verlange, dürfe auch ein Covid-Zertifikat vorschreiben. Aber auch ein Impfobligatorium müsse jetzt ernsthaft erwogen werden, das Tabu Impfzwang müsse jetzt fallen. Unethisch sei nicht das Impfen, sondern die Laissez-faire-Politik, denn eine vierte Welle gefährde nicht nur die Ungeimpften selber, sondern auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sich nicht impfen lassen können. Mit entsprechenden Folgeschäden im Gesundheits- und Erziehungswesen, aber auch im Bereich Wirtschaft, insbesondere bei der Reisebranche, wenn wieder Reisebeschränkungen und Quarantänen angeordnet würden. Impfen sei in der gegenwärtigen Situation nicht eine Zumutung, sondern Bürgerpflicht. Es sei die Pflicht des Bundesrates, die Gesellschaft zu schützen. Und nicht die Impfverweigerer und gedankenlosen Trödler.
B. Mit Eingabe vom 17. August 2021 reichte X. Beschwerde gegen diesen Kommentar beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer (BF) macht einen Verstoss gegen die Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (im Folgenden «Erklärung») geltend sowie gegen die Ziffer 3 (Unterschlagung wichtiger Elemente von Informationen) und der Ziffer 8 (Menschenwürde).
Ziffer 1 der «Erklärung», die Verpflichtung zur Wahrheit, sieht der BF dadurch verletzt, dass der Autor Behauptungen aufstelle, «die durch keine Evidenz gestützt» seien. Dies sei nicht zulässig, auch wenn es sich beim Text um einen Kommentar handle. So behaupte der Autor, eine vierte Corona-Welle würde kaum spürbar, wenn «die Impfgegner und -trödler» geimpft wären. Die Beispiele der in hohem Masse geimpften Bevölkerungen von Israel und Island belegten das Gegenteil, dort sei es dennoch zu einer neuen Welle gekommen. Auch die Aussage, wonach Ungeimpfte, insbesondere Kinder, durch die Impf-Verweigerer gefährdet würden, sei faktenwidrig. Die Virenlast Geimpfter sei laut der US-Gesundheitsbehörde CDC (Center for Disease Control and Prevention) vergleichbar mit jener Ungeimpfter. Beide Behauptungen verletzten die Ziffer 1 der «Erklärung». Womit der Text speziell die Ziffer 3 verletzt, benennt der BF nicht. Jedoch begründet er den geltend gemachten Verstoss gegen die Ziffer 8 (Menschenwürde). Er geht davon aus, dass die Forderung im Kommentar, es solle ein Impfzwang eingeführt werden, impliziere, dass Menschen – ohne deren Zustimmung – mit dem Eingriff Gewalt angetan werde, was gegen deren Menschenrechte verstosse.
C. Am 21. September 2021 teilte der Presserat dem Beschwerdeführer mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements von der Geschäftsführerin Ursina Wey behandelt.
D. Die Geschäftsführerin hat die vorliegende Stellungnahme in Absprache mit dem Presseratspräsidium am 1. November 2021 verfasst.
II. Erwägungen
1. Gestützt auf Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet ist.
Der Beschwerdeführer sieht in der Textstelle, gemäss welcher eine vierte Corona-Welle kaum spürbar würde, wenn «die Impfgegner und -trödler» geimpft wären, einen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht. Als Beleg führt er an, dass sich auch in Ländern, welche Impfquoten von bis zu 80 Prozent erreicht haben, neue Covid-Wellen gebildet hätten.
Dies trifft zwar zu, nur weisen verschiedene Experten darauf hin, dass das vor allem damit zu erklären sei, dass Länder wie Island, England und andere ihre begleitenden Massnahmen zu früh gelockert und damit die starke Verbreitung der hoch ansteckenden Delta-Variante insbesondere in der nicht geimpften Bevölkerung erst ermöglicht hätten. Der Presserat ist nicht in der Lage, die wissenschaftliche Qualität einzelner Positionen zu überprüfen, das ist auch nicht seine Aufgabe, er vergleicht nur den Inhalt von Medienerzeugnissen mit den Anforderungen der «Erklärung». Angesichts der vorliegenden Interpretationen des Entstehens von neuen Corona-Wellen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Sichtweise des Autors im vorliegenden Text gegen die Wahrheitspflicht verstösst. Dies insbesondere auch deswegen nicht, weil es sich erklärtermassen um einen Kommentar, um eine als solche gekennzeichnete persönliche Einschätzung handelt, für welche die «Erklärung» und die langjährige Praxis des Presserates eine besonders grosse inhaltliche Bandbreite postulieren.
2. Gleiches gilt für die zweite vom BF gerügte Passage. Dort wird behauptet, dass Ungeimpfte eine grössere Gefahr für Kinder und andere Nichtgeimpfte darstellten als Geimpfte. Der BF macht geltend, eine Studie des CDC zeige, dass die Virenlast bei beiden Gruppen gleich gross und damit die Gefährdung bei beiden Gruppen identisch sei.
Der erste Teil dieser Feststellung trifft zu, der zweite nicht. Das CDC hat in der Tat festgestellt, dass die Virenlast im Fall der Delta-Variante bei Geimpften und Ungeimpften vergleichbar gross sei, allerdings um – anders als vom BF behauptet – gleich hinzuzufügen, dass sie bei den Geimpften, wie schon bei früheren Varianten, schneller abnehmen dürfte und dass Geimpfte infolgedessen vermutlich weniger lang eine Gefährdung darstellten als Ungeimpfte.1 Insofern kann nicht davon gesprochen werden, dass die Behauptung des Autors, wonach die Ungeimpften Kinder und andere Ungeimpfte gefährdeten, «dem heutigen Kenntnisstand widerspricht» und damit die Wahrheitspflicht verletzt. Dies gilt, auch hier, insbesondere für einen Kommentar, eine persönliche Einschätzung.
3. Eine Verletzung der Menschenwürde (Ziffer 8 der «Erklärung») sieht der BF darin, dass mit einem Impfzwang ein gewaltsamer Eingriff in die körperliche Integrität von Menschen gefordert werde, was – ohne deren Zustimmung – einer Verletzung von deren Menschenrechten gleichkomme. Der BF führt nicht an, welches Menschenrecht er damit im Einzelnen meint.
Hierzu ist festzuhalten, dass es bei der Beurteilung der Menschenrechtswidrigkeit von vorgeschriebenen medizinischen Eingriffen wie Impfungen laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte immer abzuwägen gilt zwischen dem schutzwürdigen Interesse des Einzelnen vor dem Eingriff und demjenigen der übrigen Gesellschaft vor einer Ansteckung.2
Im konkreten Fall vor dem EGMR ging es um eine sehr weitgehende Verpflichtung in Tschechien, Kinder gegen ganz verschiedene Krankheiten impfen zu lassen, verbunden mit erheblichen Sanktionen im Falle der Weigerung. Wenn der EGMR selbst in einem solch weitgehenden Fall den Impfzwang als nicht menschenrechtswidrig beurteilt, kann die deutlich weniger weit gehende Möglichkeit einer Impf-Pflicht gegen Covid nicht als Verstoss gegen die Menschenrechte qualifiziert werden. Und auch hier: Erst recht nicht, wenn diese im Rahmen eines Kommentars in Erwägung gezogen wird.
Die Beschwerde ist somit offensichtlich unbegründet.
III. Feststellung
Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein.