Nr. 73/2020
Wahrheit / Quellenbearbeitung

X. c. «Freiburger Nachrichten»

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Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat weist eine Beschwerde gegen die «Freiburger Nachrichten» (FN) ab. Ein Leser kritisierte, dass die FN im sogenannten Mantelteil, den die Freiburger Zeitung vom Tamedia-Verlag einkauft, bezüglich Recherchen, Schlüsseldokumenten oder Gesprächspartnern systematisch auf «diese Zeitung» verweisen, was faktisch falsch sei.

Tatsächlich ist es so, dass die in diesen Artikeln erwähnten Informationen oder Dokumente nicht der Redaktion der «Freiburger Nachrichten» vorliegen, sondern jener Redaktion, welche den Inhalt produziert hat. Insofern hätte der Presserat auch zum Schluss gelangen können, dass die Quellen nicht genau genug bezeichnet sind. Da aber die «Freiburger Nachrichten» die publizistische Verantwortung auch für die Inhalte im Mantelteil tragen, dadurch die Wahrhaftigkeit des Textes gewährleisten und sie indirekt auch die Quellen kennen, erachtet der Presserat den Journalistenkodex als nicht verletzt.

Im Verfahren vor dem Presserat kündigten die FN an, künftig mehr Transparenz herzustellen. Sie wollen im Impressum explizit auf die Herkunft der Mantelinhalte verweisen. Der Presserat begrüsst das, empfiehlt aber eine für die Leserschaft klarere Deklaration: Die Herkunft solcher Artikel sollte direkt in der Autorenzeile deklariert werden. Die Empfehlung gilt insbesondere für Redaktionen, welche Artikel von verlagsexternen Mantelredaktionen beziehen.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse rejette une plainte dont il a été saisi contre les «Freiburger Nachrichten» (FN). Un lecteur critiquait le fait que les FN faisaient systématiquement référence à «ce journal» dans les pages communes, que le journal fribourgeois achète à l’éditeur Tamedia, au sujet des recherches, documents-clés et interlocuteurs, ce qui est factuellement incorrect.

En réalité, la rédaction des «Freiburger Nachrichten» ne dispose pas des informations ou documents mentionnés dans ces articles: elles sont entre les mains de la rédaction qui en a produit le contenu. Le Conseil de la presse aurait donc également pu conclure que les sources ne sont pas citées avec suffisamment de précision. Comme les «Freiburger Nachrichten» assument aussi la responsabilité de la publication de ces contenus dans les pages communes, garantissant par conséquent la véracité des textes et connaissant indirectement les sources, le Conseil de la presse estime qu’il n’y a pas violation du code de déontologie des journalistes.

Dans le cadre de la procédure, les FN ont annoncé au Conseil de la presse qu’elles veilleraient à l’avenir à davantage de transparence. Elles entendent renvoyer explicitement à l’origine des contenus des pages communes dans l’impressum. Le Conseil de la presse se félicite de cette annonce, tout en recommandant au journal d’opter pour une déclaration claire à l’intention du lectorat: l’origine des articles devrait figurer directement sur la ligne des auteurs. Cette recommandation vaut en particulier pour les rédactions qui se réfèrent aux articles de rédactions extérieures.

Riassunto

Il Consiglio svizzero della stampa ha respinto un reclamo presentato contro le «Freiburger Nachrichten» (FN). Un lettore denunciava che nella sovraccoperta (il cosiddetto «Mantel»), che al settimanale friburghese è fornito da Tamedia, ci si riferisca sempre al «nostro giornale» quando invece le ricerche, i documenti o le interviste sono prodotte all’esterno.

E, difatti, le informazioni e i contenuti degli articoli menzionati non sono un prodotto autonomo delle «Freiburger Nachrichren» ma opera di un’altra redazione. Il Consiglio della stampa potrebbe semplicemente sanzionare la mancata citazione della fonte. Ma poiché il settimanale friburghese si assume la responsabilità di tutti i contenuti, di cui afferma di conoscere indirettamente la provenienza e garantisce l’autenticità, si rinuncia a constatare la violazione del codice professionale. Il settimanale promette di realizzare una maggiore trasparenza circa la provenienza dei vari servizi. Il Consiglio raccomanda che sia precisata per ogni singolo articolo, magari a integrazione della firma dell’autore.

Questa raccomandazione vale per tutte le redazioni che fanno capo a inserti prodotti all’esterno.

I. Sachverhalt

A. Beim Schweizer Presserat wurde bezüglich verschiedener durch die «Freiburger Nachrichten» (FN) von der Tamedia AG bezogener Beiträge bzw. darin enthaltene Quellenverweise am 6. Januar 2020 Beschwerde eingereicht. Der Beschwerdeführer richtete seine Beschwerde gegen die Redaktion des «Tages-Anzeiger» und in zweiter Priorität gegen jene Lokalzeitungen, die ihren Mantelteil mit Artikeln des «Tages-Anzeiger» und der «Süddeutschen Zeitung» alimentieren.

B. Der Beschwerdeführer X. hält in seiner Beschwerde fest, dass in Artikeln, welche nicht die Redaktion einer betreffenden Regionalzeitung, wie die «Freiburger Nachrichten», erstellt, bezüglich der Recherchearbeit, dem Vorliegen von Schlüsseldokumenten oder als Ansprechpartnerin systematisch auf «diese Zeitung» verwiesen werde. X. sagt, diese Verweise seien faktisch falsch, da es sich bei «dieser Zeitung» um diejenige handle, welche im Titel und im Impressum präsentiert sei und nicht um die eigentliche Verfasserin der Zeitungsartikel. Als Beispiele führt er insgesamt zwölf Zeitungsartikel an, welche im Mantelteil der «Freiburger Nachrichten» erschienen sind. Der Beschwerdeführer sieht Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt wie auch die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung). Insbesondere erachtet er jene Hinweise in Artikeln, die sich auf ein Ereignis im Einzugsgebiet der Regionalzeitung beziehen, als besonders heikel. Dies deshalb, da die Regionalzeitungen Journalismus für die Region leisteten und durch die hier kritisierten Verweise Etikettenschwindel betreiben würden.

Nachfolgend dargestellt sind einige der Zitate aus den zwölf angeführten Artikeln, wobei es sich beim ersten Zitat um eines aus einem Artikel mit Regionalbezug handelt:

• Im Artikel vom 28. Dezember 2019, verfasst von Michael Meier, mit dem Titel «Schwere Vorwürfe gegen das Bistum Freiburg»: […] im Zuge der Recherchen dieser Zeitung […]
• Im Artikel vom 31. Dezember 2019, verfasst von Claudia Blumer, abgedruckt auf S. 14 der FN mit dem Titel «Staatlich garantierte Kita-Plätze für alle»: […] Das steht im Entwurf des Vorstosses, der dieser Zeitung vorliegt. […] sowie […] Recherchen dieser Zeitung zeigen […]
• Im Artikel vom 31. Dezember 2019, verfasst von Sven Hoti, abgedruckt auf S. 15 der FN mit dem Titel «Ticket-Ärger in Flims-Laax»: […] sagt ein Betroffener gegenüber dieser Zeitung […]
• Im Artikel vom 3. Januar 2020, verfasst von Markus Häfliger und Kurt Pelda, abgedruckt auf S. 18 der FN mit dem Titel «Bund bürgert Schweizer Islamistenmutter aus»: […] Gemäss früheren Recherchen dieser Zeitung […] sowie […] hat sich nach Informationen dieser Zeitung […]

C. Das Präsidium des Presserats entschied, die Beschwerde richte sich aufgrund der Herkunft der Artikel gegen die Regionalzeitung «Freiburger Nachrichten», welche die beanstandeten Passagen respektive Artikel im Mantelteil abdruckte, und stellte die Beschwerde am 31. Januar 2020 der Beschwerdegegnerin zur Stellungnahme zu.

D. Mit Schreiben vom 27. Februar 2020 nahm Chefredaktor Christoph Nussbaumer für die «Freiburger Nachrichten» Stellung. Er hält fest, dass die FN ihren Mantelteil seit mehr als 20 Jahren im Rahmen einer Kooperation von externer Seite beziehe. Bis 2017 kamen diese Inhalte von der «Berner Zeitung» BZ, seit Anfang 2018 stammten sie von der Tamedia-Mantelredaktion. Die «Freiburger Nachrichten» könnten bei der Auswahl und Priorisierung der Inhalte täglich mitreden. Es habe in all den Jahren keine kritischen Fragen oder negativen Rückmeldungen zur formalen Herkunftsbezeichnung der Mantelinhalte gegeben, woraus zu schliessen sei, dass die Mehrheit der LeserInnen der formalen Verpackung der Inhalte keine grosse Bedeutung beimesse. Bei der vom Beschwerdeführer beanstandeten Praxis handle es sich um keine Frage der Glaubwürdigkeit und auch nicht um Irreführung der Leserschaft. Wenn, dann handle es sich um eine Frage der Best Practice, welche nach Ansicht der Beschwerdegegnerin von keiner grossen Tragweite sei. Der beanstandete Verweis auf «diese Zeitung» sei bei der Übernahme der Mantelseiten seit vielen Jahren Praxis. Es handle sich um einen pragmatischen Ansatz und es sei kein Problem zu erkennen, da die JournalistInnen der Tamedia bzw. TX Group bei der Verrichtung ihrer Arbeit im Auftrag «dieser Zeitung» handeln würden und die FN-Redaktion letztlich die publizistische Verantwortung auch für den Mantelteil trage. Zudem sei es in erster Linie der redaktionelle Inhalt selbst und kein formales Element, welches einer kritischen medienethischen Beurteilung standhalten müsse. Die beanstandete Praxis könne natürlich hinterfragt werden, da das Schlüsseldokument für einen Rechercheartikel im Mantelteil der FN-Redaktion physisch nicht vorliege, auch wenn im Auftrag und Wissen der Beschwerdegegnerin gehandelt worden sei. Insofern wäre vorstellbar, einen expliziten Verweis auf die Herkunft der Mantelinhalte ins Impressum der «Freiburger Nachrichten» aufzunehmen und damit das vom Beschwerdeführer aufgeworfene Problem pragmatisch aus dem Weg zu schaffen.
E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Markus Locher, Simone Rau und Hilary von Arx an. Simone Rau trat von sich aus in den Ausstand.

F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 4. Juni 2020 sowie auf dem Korrespondenzweg.

G. Innerhalb der reglementarischen Frist von zehn Tagen beantragten zwei Mitglieder des Presserats die Behandlung der Beschwerde durch das Plenum.

H. Das Plenum des Presserats behandelte die Beschwerde an seiner Sitzung vom 24. September 2020 und auf dem Korrespondenzweg. Simone Rau trat in den Ausstand.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Sie lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Der Beschwerdeführer sieht diese Pflicht verletzt, da nicht nur der Inhalt eines Artikels wahr sein müsse, sondern auch die darin enthaltenen Hinweise bezüglich wer welche Recherchearbeit geleistet hat, wem beweisgeeignete Dokumente vorliegen und mit wem der Journalist welcher Redaktion gesprochen hat. Er sieht also die Wahrhaftigkeit der von ihm angeführten Beispielartikel durch fehlerhafte Hinweise als verletzt an. Zudem moniert er Richtlinie 3.1 als verletzt, welche festhält, dass eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags im Interesse des Publikums liegt.

2. Zur Frage, ob Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung» verletzt ist, halten die «Freiburger Nachrichten» fest, bei der Übernahme der journalistischen Inhalte von Tamedia im Mantelteil unter Verwendung journalistischer Standardformeln handle es sich um eine seit Jahren gängige, bewährte Praxis, um schlichte Pragmatik. Aus Sicht des Presserats wäre die Wahrheitspflicht dann verletzt, wenn einzelne Elemente in den Artikeln nicht stimmen würden. Dies ist vorliegend insofern aber nicht der Fall, als die Autoren der Artikel keine Falschaussage darüber machen, dass ihnen Beweismittel oder Dokumente vorliegen, sie Personen befragt haben oder Recherchen tätigten. Zwar hat all diese Tätigkeiten nicht die Redaktion der «Freiburger Nachrichten» ausgeführt, sondern Journalistinnen und Journalisten der Tamedia. Aber der Inhalt ihrer Artikel ist nicht unwahr. Daher ist nach Auffassung des Presserats Ziffer 1 der «Erklärung», die Wahrheitspflicht, nicht verletzt.

3. Kniffliger zu beurteilen ist die Frage, ob eine genügend genaue Quellenbezeichnung vorliegt, wenn die Informationen oder Dokumente nicht «dieser Zeitung», verstanden hier als «Freiburger Nachrichten», vorliegen, sondern der Redaktion jener Zeitung, welche den Inhalt produziert und im Mantel der FN platziert hat. Die Beschwerdegegnerin betont, dass sie die publizistische Verantwortung auch für den extern gelieferten Mantelteil trage. Zudem müsse in erster Linie der redaktionelle Inhalt selbst und nicht ein formales Element einer kritischen medienethischen Beurteilung statthalten. Letztere Auffassung teilt der Presserat zwar grundsätzlich, aber eine genaue Bezeichnung von Quellen ist relevant, damit die Leserinnen und Leser den Stellenwert einer Information einschätzen können.

4. Die Beteuerung der Beschwerdegegnerin, letztlich trage sie die publizistische Verantwortung auch für die Inhalte im Mantelteil, ist wichtig und zu gewichten. Die FN-Redaktion impliziert damit, dass sie nicht nur die Wahrhaftigkeit des Textes gewährleistet, sondern ihr damit auch Kenntnis bezüglich der Quellen zukommt, wenn auch nur in indirekter Form. Mit anderen Worten: Die FN-Redaktion könnte, wenn nötig, auch Schlüsseldokumente der Tamedia-Mantelredaktion einsehen oder Interview-Abschriften prüfen. Der Presserat relativiert das insofern, als Tamedia dazu im Normalfall wohl bereit wäre, dass besonders vertrauliche, speziell «heisse» Quellen aber wohl kaum offengelegt würden. Weil solche ja sogar innerhalb der Redaktion oft nur einem sehr beschränkten Kreis zugänglich sind. Dem stünde zudem auch das Redaktionsgeheimnis entgegen. Trotz dieser Einschränkung kommt der Presserat zum Schluss, dass die «Freiburger Nachrichten» mit den Quellenangaben zu den Artikeln im Mantelteil die Richtlinie 3.1 zur «Erklärung» nicht verletzt haben.

Umgekehrt anerkennt der Presserat, dass es sich bei den Standardformeln mit «diese Zeitung» um eine gängige, bisher nicht in Frage gestellte Praxis handelt. Allerdings ist das Anliegen des Beschwerdeführers ernst zu nehmen, wonach Bezüger von Mantelinhalten gegenüber ihren Publika mehr Transparenz herstellen sollten in Bezug auf die Herkunft dieser Inhalte. Der Presserat begrüsst daher die Absicht der «Freiburger Nachrichten», künftig in ihrem Impressum explizit auf die Herkunft der Mantelinhalte zu verweisen. Das genügt aber wohl nicht. Denn erstens ist die Zahl jener Leserinnen und Leser, welche das Impressum konsultieren, ziemlich beschränkt. Und zweitens wird das vollständige Impressum nicht in jeder Ausgabe abgedruckt. Der Presserat empfiehlt daher Medien, welche Mantelinhalte von verlagsexternen Lieferanten beziehen, die Herkunft dieser Artikel direkt in der Autorenzeile zu deklarieren.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Freiburger Nachrichten» verletzen mit der Quellenangabe «diese Zeitung» weder die Ziffer 1 (Wahrheit) noch die Ziffer 3 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

3. Der Presserat empfiehlt Medien, die Artikel von verlagsexternen Mantelredaktionen beziehen, diese Herkunft explizit und transparent in der Autorenzeile anzugeben, zum Beispiel nach dem Namen der Verfasserin oder des Verfassers des Textes.