I. Sachverhalt
A. Am 5. Februar 2019 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» in der Rubrik «Wissen» einen Artikel von Christoph von Eichhorn mit dem Titel «1000 AKW auf den heissen Stein». Darin setzt sich dieser mit der Frage auseinander, ob eine deutliche Erhöhung der Zahl von Atomkraftwerken Entscheidendes zur Verbesserung des Weltklimas beitragen könnte. Die Frage wird gestellt ausgehend von der Ankündigung des Milliardärs Bill Gates, er wolle Geld in die Entwicklung umweltfreundlicher AKWs investieren, insbesondere um das Erreichen der Klimaziele zu erleichtern. Im Artikel problematisiert der Autor die These verschiedener Organisationen, wonach AKWs ein wesentlicher Teil der Lösung des Klimaproblems sein könnten. Unter anderem rechnet er mit der Quelle IEA, Internationale Energieagentur, vor, dass im Hinblick auf das Ziel, dass sich die Erde bis 2050 um nicht mehr als 2 Grad erwärmt, allein schon 40 Prozent Reduktion des CO2-Ausstosses mit besserer Energieeffizienz erreicht werden könnten. Ein weiteres Drittel könnten die erneuerbaren Energien beisteuern. Kurz darauf führt Eichhorn aus, dass in diesem Szenario die von Gates angesprochene Kernenergie 2050 nur noch fünf Prozent ausmachen würde, aber selbst dafür müssten noch etwa 1000 Kernkraftwerke neu gebaut werden.
B. X. reichte am 17. Februar 2019 Beschwerde beim Schweizer Presserat ein und machte eine Verletzung der zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» gehörenden Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) geltend.
Zur Begründung führt er aus, das Zitat «Den grössten Teil an dieser Reduktion, fast 40 Prozent, kann laut IEA eine bessere Energieeffizienz leisten, also ein effizienterer Umgang mit Energie» sei inhaltlich falsch. Es berücksichtige nicht die zugrundeliegenden Annahmen der IEA, welche in ihrem Effekt darauf hinausliefen, dass die Schweiz mit einem relevanten Rückgang ihres Lebensstandards rechnen müsste. Dies nicht zu erwähnen verletze die Pflicht zur Wahrheitssuche.
Im Weiteren sei der Satz falsch: «Selbst dafür müssten etwa 1000 Kernkraftwerke neu gebaut werden.» Der Artikel stelle eine Relation her zwischen den heute durch 450 AKWs produzierten rund 11 Prozent des Stroms und den künftig inklusive 1000 neuer AKWs produzierten nur noch 5 Prozent des Stroms. Diese Rechnung strafe entweder die zuvor erwähnte 40-prozentige Energiereduktion «Lügen», oder sie sei falsch.
Schliesslich sei die Unterstellung, dass Bill Gates’ Einsatz «nicht ganz uneigennützig» sein dürfte, ein unseriöser persönlicher Angriff auf eine bekannte Persönlichkeit. In einem Artikel in der Rubrik «Wissen» sei der deplatziert.
C. Mit Schreiben vom 24. April 2019 nahm die Rechtsabteilung von Tamedia Stellung zu den Vorwürfen des Beschwerdeführers. Sie beantragte eine Abweisung aller drei Vorwürfe.
Der Beschwerdeführer unterliege im ersten der drei angesprochenen Bereiche einem Irrtum: Er beziehe die Reduktion um 40 Prozent und die damit verbundenen Folgen auf die Energiegewinnung. Die Rede sei dort aber von der Reduktion des CO2-Ausstosses. Das bedeute, dass die Energiegewinnung durchaus weiter steigen könne, jedenfalls mit klimaneutralen Methoden. Die IEA, auf die sich der Beschwerdeführer berufe, gehe denn durchaus auch von einem leicht steigenden Primärenergieverbrauch aus, nicht etwa von einem um 40 Prozent sinkenden. Entsprechend sei der Vorwurf, sich nicht an die Wahrheit gehalten zu haben, ebenso unhaltbar wie derjenige, die Öffentlichkeit in diesem Punkt getäuscht zu haben.
Zum zweiten Punkt, 1000 Kernkraftwerke, wahrheitswidrige Verkürzung, macht der Beschwerdegegner geltend, hier unterliege der Beschwerdeführer dem gleichen Irrtum. Seine Überlegung gehe aus von einer behaupteten Energiereduktion, die Rede sei aber auch an dieser Stelle von der Reduktion von CO2 bei leicht steigendem Energiebedarf. Zu diesem Ziel könnten die AKWs einen gewissen Beitrag leisten, dafür müssten aber mehr Anlagen als bislang Strom produzieren. Das entsprechende Zitat stamme im Übrigen von Professor Manfred Fischedick, einem ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet. Auch hier könne von einer Verletzung von Richtlinie 1.1 keine Rede sein.
Schliesslich zum Vorwurf, Bill Gates unterschwellig unlautere Absichten zu unterstellen, sei unseriös: Dieser Hinweis, wonach Gates’ Einsatz nicht ganz uneigennützig sein dürfte, sei sogar journalistisch geboten. Es sei an der Stelle notwendig, transparent zu machen, dass Gates seine Vorschläge nicht nur als Philanthrop mache, sondern als ein Mann, dem das Unternehmen «Terra Power» gehört, welches eine neue Generation von Kernkraftwerken auf den Markt bringen will.
D. Gemäss Art. 13 Abs. 1 seines Geschäftsreglements entscheidet das Präsidium des Presserats, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident, Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder die von untergeordneter Bedeutung sind.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 30. Dezember 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Hinweis des Rechtsdienstes von Tamedia, wonach in der fraglichen Passage ausdrücklich von Mengen an CO2-Ausstoss und nicht an Energieproduktion die Rede ist, trifft zu. Entsprechend basiert die Kritik des Beschwerdeführers auf einer falschen Annahme, Richtlinie 1.1 ist in diesem Punkt nicht verletzt.
2. Ebenso verhält es sich im Falle der 1000 KKWs: Auch hier ging der Beschwerdeführer von der gleichen falschen Annahme aus: Reduktion der Energieproduktion statt des CO2-Ausstosses: Richtlinie 1.1 ist nicht verletzt.
3. Der journalistische Hinweis darauf, dass ein Unternehmer mit seinen Empfehlungen und Aktionen nicht nur uneigennützig handle, ist nachvollziehbar, besagt nichts Neues und bildet schon gar nicht einen unseriösen persönlichen Angriff. Das gilt auch, wenn Bill Gates noble Ziele verfolgen sollte. Seine Interessenbindungen transparent zu machen ist in jedem Fall klare Journalistenpflicht. Was die Leserschaft aus den offengelegten Bindungen schliesst, ist deren Angelegenheit. Richtlinie 1.1 ist nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Der «Tages-Anzeiger» hat mit dem Artikel «1000 AKW auf den heissen Stein» vom 5. Februar 2019 die Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.