I. Sachverhalt
A. In seiner Ausgabe Nr. 3 vom April 2021 veröffentlichte der «Basel Express» ein Interview zum Thema Covid-19, Covid-Massnahmen mit dem Immunologen und Toxikologen Professor Stefan Hockertz unter dem Titel «Das ist keine Impfung, sondern eine prophylaktische Gen-Therapie». Der Text ist nicht gezeichnet (ausser mit dem Hinweis «Redaktion» zu Beginn), wer das Interview geführt hat, wird nicht offengelegt. Vor dem sehr ausführlichen Gespräch (sieben Seiten, über 35’000 Zeichen) wird einleitend festgestellt, dass die Berichterstattung der übrigen Medien zu diesem Thema völlig einseitig sei, dass jede kritische Debatte rigoros unterdrückt werde, dass die mRNA-Impf-Technik noch nie zuvor zugelassen worden sei, dass es dabei um einen gentherapeutischen Eingriff in den Menschen gehe und dass es sich frage, ob hier nicht eine millionenfache vorsätzliche Körperverletzung vorliege.
Im Interview bestätigt der befragte Professor Hockertz weitgehend die vorweggenommenen und in den Fragestellungen implizierten Annahmen, nämlich dass über mRNA-Impfstoffe wenig bekannt sei, dass nicht offengelegt und nicht bewiesen worden sei, wie diese funktionierten, dass die Studie über die Wirkung der Impfstoffe noch gar nicht abgeschlossen sei etc. Auf die Frage nach möglichen Erbgutschäden hält Interviewpartner Hockertz fest, er habe nie behauptet, mRNA schädige das Erbgut, er habe nur gefragt, in wieweit das dem Menschen zugeführte mRNA über Selbst-Replizierung nicht doch letztlich zu Veränderungen der DNA führen könne. Auf die Frage von «Basel Express», wonach immer mehr Informationen auf schwere Nebenwirkungen und Todesfälle aufgrund der Impfungen hinwiesen, antwortet Hockertz zustimmend und weiter mit dem Hinweis, dass es sich bei mRNA-Injektionen genau genommen nicht um eine Impfung, sondern um eine Gen-Therapie handle. Hier werde Etikettenschwindel betrieben. An einer weiteren Stelle spricht Hockertz von einer «Arbeitshypothese», die darauf hinauslaufe, dass die mRNA-Impfungen sogar zu einer Verschlimmerung der Infektionen führen könnten. Das würde zu einer globalen Katastrophe führen und hätte zunächst mit Tierversuchen ausgeschlossen werden müssen. Er bleibt gegen Ende des Gesprächs bei seiner schon länger publizierten Einschätzung, wonach Covid-19 sich nicht wesentlich unterscheide von einer gewöhnlichen Influenza, mit vergleichbaren Verläufen und Todesraten. «Die Impfung ist und bleibt ein Menschenexperiment, jenseits von Ethik und Moral. Aus meiner Sicht handelt es sich um (…) vorsätzliche Körperverletzung mit etwaiger Todesfolge, das möchte ich in aller Deutlichkeit betonen!» Normalerweise komme man ins Gefängnis, wenn man solche Impfstoffe zulasse. Weder die Sicherheit noch die Wirksamkeit der Impfstoffe sei genügend geprüft, deswegen habe Indien denn auch die Zulassung dieser Medikamente zu Recht verweigert.
B. Am 4. April 2021 reichte X. Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Er macht einen Verstoss gegen die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) und «damit auch» 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend.
Zur Begründung führt der Beschwerdeführer an, es werde Falsches als Fakt dargestellt. Etwa wenn behauptet werde, normalerweise komme man ins Gefängnis, wenn man solche Medikamente zulasse. Die Prüfung der Covid-Impfungen durch Swissmedic sei sehr gründlich erfolgt, sogar gründlicher als diejenige anderer Länder. Beispielsweise sei ein in anderen Ländern zugelassener Impfstoff in der Schweiz lange nicht zugelassen worden. Dass die Impfstoffe die Krankheit verlängern könnten, sei «schlicht Blödsinn», dafür werde kein Beweis vorgelegt. Hingegen sei das Gegenteil bewiesen, nämlich dass die Antikörper das Virus neutralisierten. Der Wirksamkeitsnachweis sei ausdrücklich eine Voraussetzung für die Zulassung des Impfstoffes. Für die Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna sei eine Wirksamkeit von über 90 Prozent nachgewiesen worden. Die Impfung als gentechnische Prophylaxe zu bezeichnen spreche für die mangelnde Qualifiziertheit des Interviewpartners. Eine Illustration im Artikel, welche eine DNA-«Doppelhelix» darstellt, in welche neue Elemente eingebracht werden, sei irreführend. Das Genom werde nicht verändert, entsprechend sei es auch falsch, von «Gen-Therapie» zu sprechen.
C. Mit Schreiben vom 16. April und erneut vom 18. Juni 2021 hat der Presserat den «Leiter Lokalredaktion» von «Basel Express» um eine Antwort auf die Beschwerde gebeten. «Basel Express» hat keine Stellung genommen, die Briefe des Presserates wurden nicht beantwortet.
D. Am 21. September 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schriftwechsel sei abgeschlossen, die Beschwerde werde (gemäss Artikel 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements) von der Geschäftsführerin Ursina Wey behandelt.
E. Die Geschäftsführerin hat die vorliegende Stellungnahme in Absprache mit dem Presseratspräsidium am 1. November 2021 verfasst.
II. Erwägungen
1. Der Presserat geht davon aus, dass «Basel Express» ein redaktionell verantwortetes Medienprodukt ist. Mit einer Auflage von 240’000 Exemplaren richtet er sich an ein grosses Publikum mit dem Ziel, «(…) den Lesern qualitative, nutzbringende und informative Artikel» zu bieten. Entsprechend ist der Presserat zuständig für die Beurteilung, ob ein dort erschienener Text den Anforderungen der «Erklärung» genügt. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein.
2. Die Ziffer 1 der «Erklärung» und insbesondere die Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» verpflichtet die Journalistinnen und Journalisten zur «Wahrheitssuche». Dies gilt selbstredend speziell bei einem Thema, welches die Gesundheit der ganzen Bevölkerung betrifft, anders formuliert, bei einer Krankheit, welche in der Schweiz laut den Gesundheitsbehörden 700’000 Personen befallen, über 7000 das Leben gekostet hat und welche das Gesundheitswesen, Spitäler, Intensivstationen, deren Personal enorm belastet.
Stefan Hockertz ist ein Toxikologe, dessen Ansichten seit Beginn der Corona-Pandemie bekannt und sehr umstritten sind. Etwa wenn er 2020 aussagte, Covid-19 sei vergleichbar mit jeder Influenza, nicht tödlicher, nicht schwerwiegender, oder wenn er damals davon ausging, eine zweite Welle werde es nicht geben, wenn er weiter behauptete, die Impfung sei schädlicher als sie nütze etc. Zwar ist es selbstverständlich zulässig, Meinungen wie die seine abzubilden, Alternativen zu den Mehrheitsmeinungen in der Wissenschaft darzustellen, aber es ist Aufgabe einer Redaktion im Sinne der Wahrheitssuche, Aussagen, insbesondere auf gesellschaftlich derart brisanten Gebieten wie einer Pandemie, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, respektive mindestens kritisch zu hinterfragen. Das Gegenteil ist hier der Fall: Die Redaktion erklärt im einleitenden Text ihre Position, wonach die Covid-Massnahmen und speziell die Impfungen schädlich seien für die Gesellschaft. Diese Position lässt sie sich vom Befragten anschliessend über sieben Seiten (!) Punkt für Punkt bestätigen.
3. Der Presserat kann, soll und wird nicht darüber entscheiden, welche wissenschaftliche Position richtig und welche falsch ist. Er prüft nur, ob ein publizierter Artikel die Anforderungen der «Erklärung» erfüllt. Das ist hier nicht der Fall, der Anspruch der Wahrheitssuche wurde nicht in genügendem Mass erfüllt. Wenn ein Professor mit bekanntermassen stark umstrittenen Ansichten als Einziger zu einem gesellschaftlich dermassen relevanten und heiklen Thema befragt wird, verstösst allein dieser Umstand gegen die Wahrheitssuche, weil der Leserschaft allermindestens transparent gemacht werden müsste, dass hier die Meinung einer kleinen Minderheit von Fachpersonen zur Darstellung kommt. Wenn dieser umstrittene Experte dann etwa behauptet, ein Medikament oder eine Impfung sei ohne ausreichende Prüfung freigegeben worden, was einer millionenfachen schweren Körperverletzung mit allfälliger Todesfolge entspreche, dann muss die Leserschaft allermindestens in irgendeiner Form darauf hingewiesen werden, dass der Impfstoff vor seiner Zulassung durchaus auf seine Wirksamkeit überprüft wurde, dass dafür etwa derjenige von Pfizer bis zu seiner Zulassung an 44’000 Personen getestet wurde, derjenige von Moderna an gegen 30’000. Dass die Prüfung noch nicht abgeschlossen ist, dass sie nach der Zulassung noch weitergeht, wie der Professor kritisiert, ist laut der zuständigen Behörde normal, das gilt nicht nur – wie insinuiert – für diese Impfstoffe.
4. Dass die Impfstoffe die Krankheit sogar verlängerten – was der Beschwerdeführer als falsche Tatsachenbehauptung moniert – wird von Prof. Hockertz zwar nur als «Arbeitshypothese» formuliert. Aber auch hier gilt: Für diese sehr spektakuläre Hypothese müssten Belege vorhanden sein, zum Zeitpunkt des Interviews waren die Impfungen immerhin schon Millionen von Menschen verabreicht worden. Die entsprechende – nach Wahrheit suchende – Information, respektive allermindestens die Frage ist unterblieben.
5. Ebenso wird die Gefahr, dass die Impfung einen Einfluss auf die DNA des Menschen haben könnte, von Hockertz zwar nur als Möglichkeit in Form einer Frage, nicht als gesicherte Tatsache dargestellt. Aber in der Aufmachung des Artikels mit seiner klaren Prämisse («gentherapeutischer Eingriff», «mögliche millionenfache Körperverletzung?») mit seinen Illustrationen (DNA-Doppelhelix mit sichtbar erfolgendem Eingriff) und mit der abschliessenden Beurteilung von Hockertz erscheint die «Frage» praktisch als ein anzunehmendes Faktum.
6. Die Darstellung der Impf-Problematik in diesem Artikel ergibt insgesamt insofern ein falsches Bild, als eine sehr umstrittene Position als einzige zu Wort kommt, ohne dass die spektakulären Thesen und die sehr schweren Vorwürfe in einen Kontext gestellt, hinterfragt werden, auch ohne dass allermindestens darauf hingewiesen wird, dass es sich hier um eine umstrittene Einzelmeinung handelt. Zudem hätte etwa beim Thema «Prüfung von Impfungen» auf die wichtigsten Fakten hingewiesen werden müssen, also etwa auf die Art der Prüfverfahren von EU-Gesundheitsbehörde und Swissmedic. Der Artikel verstösst gegen das Gebot der Wahrheitssuche (Ziffer 1 der «Erklärung, Richtlinie 1.1), indem der oder die Interviewende sich nur die eigenen Ansichten bestätigen lässt, ohne den Interviewpartner und die Leserschaft mit der überwältigenden Zahl von wissenschaftlichen Gegenmeinungen zu konfrontieren und der Leserschaft damit ein brauchbares Bild über den Stand der Erkenntnisse in Sachen Impfungen gegen Covid-19 zu vermitteln.
7. Eine fehlende Trennung von Fakten und Kommentar (Richtlinie 2.3) wie sie der Beschwerdeführer kritisiert, kann der Presserat nicht erkennen. Alle Textelemente sind klar als die Meinung des (allerdings unbekannten!) Interviewers oder umgekehrt des Professors erkennbar. Was allenfalls zusätzlich zu überprüfen wäre: der Umgang mit dieser Quelle (Richtlinie 3.1). Das wird vom Beschwerdeführer aber nicht geltend gemacht und ist letztlich in der Ziffer 1 mitenthalten.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde gut.
2. «Basel Express» hat mit dem Artikel «Das ist keine Impfung, sondern eine prophylaktische Gen-Therapie» in der Ausgabe Nr. 3/2021 die Ziffer 1 (Wahrheitsgebot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.