Nr. 71/2020
Wahrheitssuche / Unterschlagen wichtiger Informationen / Anhören

(Unia c. «Basler Zeitung» online)

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Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat beurteilt den Journalistenkodex als verletzt durch die Behauptung der «Basler Zeitung» (BaZ), es habe in der Unia mehrere Sexskandale gegeben. Die BaZ hat auch das Recht auf Anhörung nicht respektiert, da die kritisierte Gewerkschaft in der gedruckten Ausgabe trotz schwerer Vorwürfe nicht hatte Stellung nehmen können.

Anschuldigung nicht belegt
Am 9. April 2019 hatte die «Basler Zeitung» über einen «Aufstand in der Unia» berichtet. Der abgewählte Präsident der Sektion Berner Oberland spricht darin davon, dass die Gewerkschaftszentrale vom Kongress beschlossene Massnahmen nicht umsetze und Andersdenkende «wie Aussätzige» behandle. Die BaZ schreibt weiter von mehreren «Sex- und Mobbing-Skandalen», welche die Unia erschüttert hätten, von Streik-Androhungen und einem Regionalleiter, der wegen sexueller Belästigung habe gehen müssen. Von mehreren Sex-Affären belegt die BaZ jedoch lediglich eine. Dies verstösst gegen die Wahrheitspflicht gemäss Kodex.

Gegenposition fehlte
In ihrer Print-Ausgabe verletzte die BaZ laut Presserat zudem das Recht auf Anhörung bei schweren Vorwürfen. Während auf «baz-online» ein Interview mit der Präsidentin der Unia beigestellt wurde, ist dieses in der Printversion nicht erschienen. Dass es sich dabei laut BaZ um einen Fehler in der Produktion gehandelt hat, ändert nichts daran, dass der Artikel ohne faire Wiedergabe einer Gegenposition erschien. Die Position der Unia war einzig im Schlusssatz thematisiert mit dem Satz: «Die Unia betonte hingegen, dies sei ‹statutenkonform› geschehen.» Dies ist laut Presserat als Gegenposition ungenügend.

Ein Verfahren ist noch kein Urteil
Abgewiesen hat der Presserat jedoch den Vorwurf, die BaZ habe Informationen unterdrückt, indem sie nicht über die Kassation eines Urteils und den anschliessenden Rückzug der Strafanzeige wegen Mobbing berichtet hatte. Die BaZ hatte nicht behauptet, es liege ein Urteil vor. Dass sich ein Neuenburger Gericht mit dem Mobbing-Vorwurf auseinandersetzen musste, trifft zu.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse estime que l’affirmation faite par la «Basler Zeitung» (BaZ) qu’il y aurait eu plusieurs scandales sexuels chez Unia a violé le code de déontologie des journalistes. La BaZ n’a pas respecté non plus le droit d’être entendu, puisque le syndicat mis en cause n’avait pu prendre position dans l’édition imprimée malgré les graves reproches qui lui étaient faits.

Accusation non étayée
Le 9 avril 2019, la «Basler Zeitung» avait rendu compte d’un esclandre chez Unia ( «Aufstand in der Unia»). Le président non réélu de la section de l’Oberland bernois y déclarait que la centrale syndicale ne mettait pas en œuvre les mesures arrêtées par le congrès et traitait les dissidents comme des pestiférés («wie Aussätzige»). La BaZ parlait en outre de plusieurs «Sex- und Mobbing-Skandalen» (scandales sexuels et cas de mobbing), qui auraient secoué Unia, de menaces de grèves et d’un responsable régional qui aurait dû partir pour cause de harcèlement sexuel. La BaZ n’avait toutefois étayé qu’une seule des affaires sexuelles, portant ainsi atteinte au devoir de vérité prescrit par le code de déontologie.

Pas de position contraire
Dans son édition imprimée, la BaZ a en outre violé, selon le Conseil de la presse, le droit d’être entendu en cas de graves reproches. Tandis que la «baz-online» publiait également une interview de la présidente d’Unia, la version imprimée ne le faisait pas. La BaZ a invoqué une erreur dans la production, ce qui ne change rien au fait que l’article est paru sans reproduire la moindre position contraire. La position d’Unia n’était abordée que dans la phrase finale et ce, en ces termes: Unia a souligné pour sa part que la chose s’était produite ‹conformément aux statuts› («Die Unia betonte hingegen, dies sei ‹statutenkonform› geschehen.») Le Conseil de la presse estime que cette phrase est insuffisante pour exprimer une autre position.

Une procédure n’est pas un jugement
Le Conseil de la presse a toutefois refusé le reproche fait à la BaZ de dissimuler des informations en ne rendant pas compte de la cassation d’un jugement et du retrait final de la dénonciation pénale pour mobbing. La BaZ n’avait pas affirmé qu’il existait un jugement. Il est bel et bien exact qu’un tribunal neuchâtelois a dû se pencher sur l’accusation de mobbing.

Riassunto

«Violazione parziale» del codice deontologico. Così giudica il Consiglio svizzero della stampa le mancanze di un servizio pubblicato dalla «Basler Zeitung» a proposito di asseriti «vari scandali sessuali» all’interno del sindacato Unia. Al sindacato non era stato riconosciuto il diritto di essere ascoltato circa i gravi addebiti contenuti nella versione cartacea.

L’articolo pubblicato il 9 aprile 2019 faceva stato di «un’insurrezione all’interno di Unia». Il presidente dimesso della sezione Berner Oberland vi denunciava la non-applicazione, da parte della centrale del sindacato, di misure decise dal congresso. Chi si espone con critiche sarebbe trattato «come un lebbroso» (Aussätzige). Secondo il giornale, gli scandali di natura sessuale e gli episodi di intimidazione (mobbing) sarebbero stati numerosi, comprese minacce di sciopero e il caso di un responsabile regionale estromesso per asserite molestie sessuali. Il giornale si limitava però a fornire le prove di un caso solo, il che contraddice la Cifra 1 (Rispetto della verità) della Dichiarazione dei doveri e dei diritti dei giornalisti.

Come detto, inoltre, la versione a stampa del giornale ha omesso di offrire la possibilità alle persone oggetto di addebiti gravi (Cifra 3 della «Dichiarazione») la possibilità di prendere posizione. Mentre almeno «baz-online», con un’intervista alla presidente di Unia allegata al servizio, rispettava il diritto degli accusati di essere sentiti prima della pubblicazione, niente di simile risulta dall’articolo a stampa. Che si sia trattato di un «errore tecnico» non giustifica che proprio a nessuna delle persone criticate sia stata data la parola in modo corretto. Non soddisfa certo tale esigenza che nel finale dell’articolo si legga: «Unia afferma al contrario che tutto sarebbe avvenuto ‘nel rispetto degli statuti’». Tutto ciò è chiaramente insufficiente, conclude il Consiglio della stampa.

Non accolto risulta invece l’addebito di omissione di informazioni importanti, pure mosso alla BaZ, circa una sentenza della Cassazione e relativo ritiro della denuncia da parte di una dipendente che aveva accusato il sindacato di mobbing. La sentenza, è vero, non era stata citata, ma è corretta la notizia pubblicata, che il procedimento abbia avuto luogo davanti a un tribunale di Neuchâtel.

I. Sachverhalt

A. Am 9. April 2019 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) einen Text von Dominik Feusi mit dem Titel «Aufstand in der Unia» und einen zugehörigen Anriss «Krach in der Gewerkschaft» auf der Frontseite der Printausgabe. Darin schreibt der Autor über einen internen Konflikt zwischen der Zentrale der Unia und ihrer Basis am Beispiel der Sektion Berner Oberland und der Abwahl von deren Präsident. Dieser kritisiert im Artikel die Zentrale, welche gegen die Sektion Berner Oberland arbeite und vom Kongress beschlossene Massnahmen nicht umsetze. Die Zentrale behandle Andersdenkende «wie Aussätzige» und «wer ihnen [der Zentrale] nicht passt, wird eliminiert». Die Zentrale habe – so der Abgewählte – einen Interimsleiter eingesetzt, der die Regionalstelle der Unia in Thun «gesäubert» habe. Zwei von der Basis als regionale Co-Leiter gewählte Gewerkschafter seien von der Zentrale nicht bestätigt und auf die Strasse gestellt worden. Zwei loyale Gewerkschafter der Unia Berner Oberland «sollen» diese Delegierten ersetzt haben, so seien die Mehrheiten an der Delegiertenversammlung zuungunsten des abgewählten Präsidenten geändert worden, schreibt die BaZ. Der ehemalige Präsident spricht von einem «Putsch» und von «Verletzung der gewerkschaftsinternen Demokratie».
Die BaZ weitet die Geschichte dann aus und schreibt von mehreren «Sex- und Mobbing-Skandalen» innerhalb der Gewerkschaft, von Streik-Androhungen, von einem Regionalleiter, der wegen sexueller Belästigung gehen musste. Die Unia komme nicht zur Ruhe. Dahinter stehe ein «Konflikt zwischen der Gewerkschaftsbasis und der Zentrale in Bern». Die Zentrale habe bei einem Kandidaten sogar private Ordner auf dem Computer durchsucht, um ihm vorzuwerfen, er habe der Unia schaden wollen, zitiert die BaZ weiter einen Artikel der «Jungfrau-Zeitung».
Die Gegenposition der Unia wird einzig im Schlusssatz ansatzweise wiedergegeben: «Die Unia betonte hingegen, dies sei ‹statutenkonform› geschehen.»

B. Mit Schreiben vom 9. Juli 2019 erhob die Gewerkschaft Unia, anwaltlich vertreten, Beschwerde beim Schweizer Presserat und machte Verstösse gegen mehrere zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörende Richtlinien geltend.
Der Artikel habe dem abgewählten Präsidenten der Unia-Sektion Berner Oberland eine Plattform geboten, um seinen Unmut über einen angeblichen grundlegenden Konflikt zwischen der Zentrale und der Basis auszudrücken. Dies sei unwidersprochen geschehen, ohne Anhörung der Unia-Zentrale und selbst ohne Berücksichtigung eines mutmasslichen Standpunktes, der sich aus Äusserungen der Unia gegenüber anderen Medien ergeben hätte. So schreibe die «Basler Zeitung» von «regelmässigen Sex- und Mobbing-Affären». Als Beleg diene aber nur ein einziger Fall, den die Gewerkschaft grundsätzlich konzediert. Sie bestreitet jedoch, diese Person «anfänglich gestützt» zu haben, wie es der Artikel behaupte. Für die Behauptung, dass sich mehrere Sex-Affären zugetragen hätten, bringe die BaZ keine Belege. Eine Kontaktaufnahme mit der Gewerkschaft hätte zur Wahrheitssuche beigetragen. Entsprechend habe die BaZ gegen die Ziffer 1 des Journalistenkodex (Wahrheit) und die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) der «Erklärung» verstossen.

Des Weiteren beanstandet die Beschwerdeführerin (BF), die BaZ habe unvollständige Informationen vermittelt. Dass die Gerichte in Neuenburg sich 2008 mit Mobbing-Vorwürfen auseinandergesetzt hätten, stimme zwar. Es werde jedoch die Information unterdrückt, dass das Kassationsgericht im Jahr 2009 das Urteil des Polizeigerichts aufgehoben und zur Neubeurteilung zurückwiesen habe, worauf die Klägerin die Strafanzeige zurückgezogen habe. Durch diese Auslassung entstehe der unwahre Eindruck einer erfolgten Verurteilung. Damit habe die BaZ gegen Ziffer 3 des Kodex (Unterschlagen von Informationen) verstossen, ein wichtiges Element einer Information sei unterschlagen worden.

Schliesslich beanstandet die BF, nicht angehört worden zu sein. Der Vorwurf, die Gewerkschaft sei seit Jahren regelmässig von Sex-Skandalen oder -Affären erschüttert, sie habe solches Verhalten (sexuelle Belästigung) in einem Fall anfänglich sogar gedeckt, wiege äusserst schwer, zumal die Unia gerade in solchen Situationen die Rechte ihrer Mitglieder zu verteidigen habe. Auch die Wahl der Ausdrücke («Wer ihnen nicht passt, wird eliminiert», «Wie Aussätzige behandelt») rücke die Gewerkschaft in die Nähe einer diktatorisch geführten Organisation. Ausgerechnet an die Adresse einer Gewerkschaft gerichtet, die sich gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz für «die Kleinen» einsetzt, wögen derartige Vorwürfe besonders schwer. Deshalb hätte der Gewerkschaft das Recht auf Anhörung zugestanden. Dies sei jedoch nicht geschehen, womit Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt sei.

Von einer Beanstandung des gleichlautenden Online-Artikels der BaZ sieht die Beschwerdeführerin ab, da diese dort ein Interview der «Berner Zeitung» mit der Unia-Präsidentin Vania Alleva («Er setzte sich über unsere Regeln hinweg») dazugestellt habe, in welchem sich Alleva zu wahrheitswidrigen Behauptungen und schweren Vorwürfen habe äussern können – wenn auch nicht zu allen.

C. Mit Schreiben vom 13. Mai 2020 nahm der Rechtsdienst der TX Group AG für die «Basler Zeitung» Stellung; sie fordert, die Beschwerde abzuweisen.
Betreffend des fehlenden Interviews mit der Gewerkschafts-Präsidentin merkt die BaZ an, dass auch bei der Printausgabe vorgesehen gewesen sei, das Interview gemeinsam mit dem Artikel zu publizieren. Dies sei – «leider» – nicht geschehen. Da es sich jedoch um einen Fehler in der Produktion der Zeitung handle, könne dem Autor diesbezüglich kein Vorwurf gemacht werden. Zudem sei die Unia sehr wohl angehört worden und habe in Form des Interviews auch ausführlich Stellung nehmen können. Der BF sei auch eindeutig klar gewesen, dass das Interview mit dem Artikel publiziert würde. Dies belege die Publikation beider Texte in der BaZ-Online. Die BF sei somit offenkundig angehört worden.

Der Artikel sei jedoch auch ohne Beistellung des Interviews im Einklang mit der «Erklärung». Zur Beanstandung, wonach die BaZ die Behauptung mehrerer Skandale nicht belege, erklärt die Redaktion, die Plurale seien sprachlich korrekt. Beim Ausdruck «Sex- und Mobbing-Skandale» beziehe sich die Mehrzahl auf Skandale beider Art, womit auch keine Unwahrheit verbreitet werde. Ein einziges Mal beziehe sich der Plural ausschliesslich auf «Sex-Affären». Dies sei aber eine zulässige Überspitzung, wenige Zeilen später werde jeweils auf den konkreten Fall der Aufzählung Bezug genommen. Damit sei der Artikel im Einklang mit der Wahrheitspflicht.

Den Vorwurf der Unterschlagung wichtiger Informationen, weil es im beschriebenen Mobbing-Fall nicht zu einem Urteil gekommen sei, weist die Beschwerdegegnerin (BG) zurück. Die eigentliche Aussage (Gerichte mit Mobbing-Vorwürfen befasst) werde nicht bestritten. Die von der BF belegte Aufhebung des Urteils entspreche jedoch nicht einem Freispruch. Die BF unterbreite dazu keine Belege – weder eine Einstellungsverfügung noch die Bestätigung eines Rückzugs der Strafanzeige. In diesem Sinne sei auch die Darstellung im Artikel korrekt, da die BaZ ihrerseits keine Kenntnis von einem Freispruch habe. Somit sei auch Ziffer 3 der «Erklärung» nicht verletzt.

Bezüglich der Anhörung bei schweren Vorwürfen verweist die BG auf die Spruchpraxis des Presserats, wonach ein schwerer Vorwurf vorliegen muss, um das Recht auf Anhörung geltend zu machen. Dies sei nur dann der Fall, wenn «illegales oder damit vergleichbares» Verhalten vorliege (Entscheid 1/2020). Die Begriffe «Sex-Skandal» oder auch «Sex-Affäre» implizierten jedoch keine strafrechtliche Dimension. Ein einziges Mal werde es strafrechtlich relevant, wenn im Text von «sexueller Belästigung» die Rede sei. Dieser Fall werde jedoch in einem konkreten Sachverhalt begrenzt und beschrieben. Damit beziehe sich der Vorwurf der «sexuellen Belästigung» nicht auf die Unia. Somit fehle es laut BG eindeutig an der geforderten Schwere des Vorwurfs, um Richtlinie 3.8 anzurufen.

Auch die monierte Wortwahl («Terror-Regime» u. ä.) sei eindeutig als überspitzt und provozierend erkennbar, da sie in Anführungszeichen stehe. Somit sei klar ersichtlich, dass es sich um eine Aussage einer Person handle, oder die Aussage wohl nicht wortwörtlich gemeint sei. Zu keinem Zeitpunkt habe die Leserschaft das Gefühl, dass die BF eine wirkliche Terror-Organisation sei, welche Menschen eliminiere. Da auch hier kein strafrechtlicher Vorwurf erkennbar sei, könne Richtlinie 3.8 nicht greifen.

Dem Vorwurf, einem abgewählten Präsidenten eine Plattform zu bieten, um seinen Unmut zu äussern, widerspricht die BG nicht. Eben gerade die Tatsache, dass nur ein abgewählter Präsident zu Wort komme, zeige, dass es sich um einen einseitigen und parteiischen Artikel handle – im Sinne eines parteiergreifenden, anwaltschaftlichen Journalismus. Auch dies sei gemäss Spruchpraxis des Presserates zulässig, aus der «Erklärung» lasse sich keine Pflicht zur objektiven Berichterstattung ableiten.

D. Mit Schreiben vom 20. Mai 2020 schloss der Presserat den Schriftenwechsel und teilte den Parteien mit, dass die Beschwerde von der ersten Kammer, bestehend aus Casper Selg (Präsident a. i.), Dennis Bühler, Ursin Cadisch und Francesca Luvini, behandelt werde. Michael Herzka trat in den Ausstand.

E. Die erste Kammer hat die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 31. August 2020 und auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerdeführerin Unia macht Verstösse gegen die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Unterschlagung wichtiger Elemente von Informationen) der «Erklärung» sowie der Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) geltend. Die BaZ führe keine Belege für mehrere Sex-Affären auf, obgleich sie den Plural gebrauche. Dies ist in einem Fall unbestritten. Die Argumentation der BaZ, es handle sich in vier Fällen um grammatikalisch notwendige Plurale, ist plausibel. In diesen vier Fällen beziehen sich die Plurale nicht auf «Sex-Affären», sondern auf die Kombination «Sex- und Mobbing-Affären», beziehungsweise «Sex- und Mobbing-Skandale». Damit wird auch keine unbelegte Behauptung verbreitet. In einem Fall des Plurals «Es gab Hassmails, Sex-Affären, fristlose Entlassungen und Gerichtsverfahren» ist der Plural jedoch unbestritten auf Sex-Affären zu beziehen. Diese Behauptung mehrerer Sex-Affären ist im Artikel nicht belegt. Die folgenden Erklärungen der BG vermögen dies auch nicht zu relativieren. Damit handelt es sich um einen Verstoss gegen Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung».

2. Die grundsätzliche Behauptung, dass «2008 […] sich die Gerichte in Neuenburg mit Mobbing-Vorwürfen auseinandersetzen» mussten, ist nicht bestritten. Jedoch behauptet die Unia, dass eine relevante Information in diesem Zusammenhang unterdrückt werde. Gemäss Schriftenwechsel wurde das Mobbing-Urteil 2009 kassiert und zurückgewiesen. Nach Darstellung der BF habe die Klägerin die Strafanzeige danach zurückgezogen.

Hat die BaZ somit Informationen unterdrückt? Um Informationen zu unterdrücken, muss man sie zuerst besitzen. Die BG macht geltend, keine Kenntnis von einer Einstellungsverfügung oder einem Rückzug der Strafanzeige zu haben.
Da die eigentliche Behauptung, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, unbestritten wahr ist, liegt hier kein Verstoss gegen Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) vor.

3. Anders erscheint die Situation beim beanstandeten Verstoss gegen Richtlinie 3.8 (Anhörung). Der Presserat teilt zwar die Auffassung der BG, dass keine Vorwürfe mit eindeutig strafrechtlicher Dimension glaubhaft gemacht werden. Gemäss Spruchpraxis des Presserats reichen aber auch Vorwürfe ähnlicher Dimension («illegal oder vergleichbar»). Selbst wenn die eher radikale Wortwahl «Terror-Regime», «säubern» und «eliminieren» die Unia nicht wirklich in die Nähe einer realen Terror-Organisation rückt, so wiegen Vorwürfe wie «undemokratisch», oder der Interimsleiter sei eingestellt worden, «um radikal alle Personen aus dem Weg zu räumen, die sich nicht zu 100 % mit dem Regime einverstanden erklären» schwer und sind zweifellos geeignet, die Gewerkschaft als demokratisch strukturierte Organisation, die sich für Arbeitnehmer einsetzt, in ihrer Reputation zu verletzen. Erst recht gilt dies für den Vorwurf, jemanden gestützt zu haben, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Entsprechend bestand die Pflicht, die Unia anzuhören. Richtlinie 3.8 wurde verletzt.

Das Argument, das Fehlen des Interviews sei auf einen Fehler in der Produktion zurückzuführen, mag stimmen, ändert jedoch nichts am Sachverhalt: Der Artikel ist im Print ohne das Interview erschienen. Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verlangt, dass die Position der Beschuldigten im selben Artikel fair wiederzugeben ist, wenn auch nicht unbedingt im selben Umfang. Die einzige Position, die der Unia zugestanden wird, ist im Schlusssatz die Aussage, alles sei «statutenkonform» geschehen. Dies ist eindeutig ungenügend.

Es stimmt wohl, dass sich aus der «Erklärung» keine Pflicht zur objektiven Berichterstattung ableiten lässt und anwaltschaftlicher Journalismus möglich ist. Jedoch dispensiert anwaltschaftlicher Journalismus nicht von der Pflicht, eine Stellungnahme zu derlei Vorwürfen einzuholen. Es liegt ein Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung» respektive der zugehörigen Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) vor.

4. Die Vorwürfe der BF, die BaZ habe sich auf Berichte anderer Medien bezogen, ohne transparent darauf hinzuweisen, weist die BG zurück und führt an, der Artikel sei gestützt und sorgfältig recherchiert. Diese Frage vermag der Presserat aufgrund der ihm vorliegenden Akten nicht zu beurteilen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Artikel «Aufstand in der Unia» vom 9. April 2020 gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen, insbesondere mit der Behauptung mehrerer unbelegter Sex-Affären gegen Ziffer 1 (Wahrheit) und mit der fehlenden Gegenposition gegen Ziffer 3 (Anhörung).

3. In den übrigen Punkten wird die Beschwerde abgewiesen.