Nr. 71/2019
Diskriminierung

(X. c. «Neue Zürcher Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 21. Dezember 2018 erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) auf der Seite 2 in der Rubrik «Aufgefallen» ein Text von Korrespondent Benedict Neff in Berlin mit dem Titel «Vorsicht Weihnachten». Auf der Online-Ausgabe ist dem Artikel der Untertitel beigefügt: «Die deutsche Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz verschickt eine Weihnachtskarte, auf der der Begriff ‹Weihnachten› nicht vorkommt. Hat sie ein Problem mit Traditionen? Überhaupt nicht: sie steht auf den Schultern ihrer Vorgängerin.» Im Text äussert sich Neff zur Glückwunschkarte, mit welcher die deutsche Integrationsministerin Festtagswünsche versandt hat. Sie spreche dort nicht von «Weihnachten», was Neff in leicht spöttischem Ton kritisiert. Er stellt fest, dass die Ministerin offenbar mehr darauf bedacht sei, Menschen mit Migrationshintergrund nicht zu «verschrecken». Eine «richtige Weihnachtskarte» wäre, kritisiert Neff, in dem Sinne «schon fast eine desintegrative Massnahme». Fast wundere man sich «ein wenig, dass Widmann-Mauz ihrer Post nicht eine Halal-Toblerone aus der Schweiz beigelegt hat – etwas Süsses, Internationales, für alle geniessbar».

B. X. reichte am 18. Januar 2019 beim Schweizer Presserat Beschwerde ein und machte eine Verletzung von Ziffer 8 (Diskriminierungsverbot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Er beanstandet den Satz: «Fast wundert man sich ein wenig, dass Widmann-Mauz ihrer Post nicht eine Halal-Toblerone aus der Schweiz beigelegt hat – etwas Süsses, Internationales, für alle geniessbar.» Er sieht darin einen Spott über das «Halal»-Essensgebot, gleich wie – implizit – ein Spotten über das jüdische «Koscher»-Essensgebot und damit einen «Grad von Verhöhnung nicht christlicher Religionen». Er beanstandet im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung» eine «diskriminierende Anspielung», welche «die Religion (…) zum Gegenstand hat». Im Untertitel der Onlineausgabe mache der Autor deutlich, dass er sich «um die Frage von Diskriminierung foutiert».

C. Mit Entscheid vom 15. März 2019 teilte der Presserat dem Beschwerdeführer mit, auf die Beschwerde werde nicht eingetreten, weil sie im Sinne von Art. 11 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Presserates offensichtlich unbegründet sei. Entsprechend der beigefügten Rechtsmittelbelehrung beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18. März 2019 eine ausführliche Begründung des Nichteintretensentscheids, welche hiermit erteilt wird.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin und Max Trossmann, Vizepräsident hat die vorliegende Stellungnahme per 30. Dezember 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden BF) macht geltend, der Satz im Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung» «Fast wundert man sich ein wenig, dass Widmann-Mauz ihrer Post nicht eine Halal-Toblerone aus der Schweiz beigelegt hat – etwas Süsses, Internationales, für alle geniessbar» sei nicht zulässig. Der Satz beinhalte Spott über das «Halal»-Essensgebot, gleich wie – implizit – ein Spotten auch über das jüdische «Koscher»-Essen. Es gehe darin um einen «Grad von Verhöhnung nicht christlicher Religionen» und er beschwert sich entsprechend über eine «diskriminierende Anspielung», welche «die Religion (…) zum Gegenstand hat» im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung».

2. Der Presserat betont in ständiger Praxis zur Ziffer 8 der «Erklärung», dass nicht jede Erwähnung einer ethnischen, nationalen oder anderen Gruppenidentität im Zusammenhang mit etwas negativ Bewertetem automatisch den Tatbestand der unzulässigen Diskriminierung erfüllt. Es sei daher, so heisst es bereits in Stellungnahme 22/1999, «bei jeder Aussage … kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob … die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Unter diesem Titel allein liesse sich sagen: Der Autor der Rubrik (welche sich nicht analytisch mit der «grossen Politik» auseinandersetzt, sondern mit Randbeobachtungen, die nicht nur ernst gemeint sind) nimmt die Essensvorschriften von Muslimen mit dem beanstandeten Satz nicht sehr ernst. Mehr aber nicht, die «kulturell erworbene Eigenschaft» bestimmter Ernährungspraktiken wird mit dem ironisierenden Gedanken, man könne doch dem Schreiben eine allen genehme Halal-Toblerone beilegen, nicht herabgesetzt. Der Autor verwendet das Motiv «Halal-Ernährung», aber er macht sich eindeutig nicht über diese lustig, sondern über die Zurückhaltung der Ministerin.

Wenn man den ganzen Text liest, wird ersichtlich, dass der Autor davon ausgeht, dass Willkommenskultur nicht bedeuten dürfe, dass sich die einheimische Bevölkerung den zugezogenen Migranten anpassen muss, sondern es müsse umgekehrt geschehen. Ob man diese Haltung teilt, hängt vom politischen Standpunkt ab. Mit einer klaren eigenen Meinung darüber zu sinnieren, wie die Diskussion über Aspekte der Zuwanderung verläuft, kann aber per se nicht den Tatbestand der Diskriminierung erfüllen.

3. Der Halal-Bezug im beanstandeten Satz erfüllt in jedem Fall nicht den Diskriminierungstatbestand. Der Presserat verlangt in konstanter Praxis mehr. Erstmals in Entscheid 32/2001 präzisiert er, dass für eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» im Gegenteil sogar «eine Mindestintensität der abwertenden Äusserung … zu verlangen ist, damit von einer Herabwürdigung oder Diskriminierung … die Rede sein kann». Das Verbot diskriminierender Anspielungen dürfe die Meinungsäusserungsfreiheit nicht einer strengen Political Correctness unterwerfen. Diese Praxis will vermeiden, dass über den Vorwurf der Diskriminierung kritische Berichterstattung unterbunden werden kann.

Nun kann man – mit der Argumentation des BF in seinem Ersuchen um eine ausführliche Begründung des Nichteintretensentscheides – sagen, «Political Correctness» sei ein Begriff, den man im vorliegenden medienethischen Zusammenhang nicht verwenden sollte. Das ist insofern bedenkenswert, als dieser Ausdruck ausgerechnet von einer Verdrehung ethischer Inhalte lebt. Korrektheit wird als etwas ausgesprochen Unkorrektes, Negatives dargestellt. Eine Umkehrung ethischer Werte muss speziell im Konnex mit Medienethik bedacht sein. Das ändert aber nichts daran, dass die vom Presserat verlangte «Mindestintensität» einer herabwürdigenden oder diskriminierenden Wertung hier in keiner Weise gegeben ist. Der Autor braucht den Verweis auf Halal-Schokolade nur zur Illustration seiner Kritik an der Zurückhaltung der Integrationsministerin was die Formulierung ihrer Festtagswünsche angeht, also für das seiner Ansicht nach übertriebene Zurückstellen der eigenen Kultur, nicht aber zur Herabwürdigung der Praktiken, insbesondere der Essenspraktiken anderer Religionen.

4. Zusammenfassend sei festgehalten, dass der beanstandete Satz die Schwelle einer Diskriminierung im Sinne der Ziffer 8 der «Erklärung» klar nicht erreicht. Man mag, je nach Standpunkt, den Inhalt des Artikels, seinen Zugang zur Problematik der Zuwanderung, hinterfragen. Das aber betrifft die politische Ausrichtung des Textes und nicht das Problem einer Diskriminierung. Bei der Wahl der politischen Ausrichtung ist die NZZ aber frei. Frei im Sinne von Meinungsfreiheit.

III. Feststellung

Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.