I. Sachverhalt
A. Am 8. Mai 2020 veröffentlichte «watson.ch» einen Artikel von Jonas Mueller-Töwe mit dem Titel «Das ist dran an Ken FMs grosser Gates-Verschwörung». Der Artikel wird deklariert als Übernahme vom deutschen Portal «t-online». In diesem Text werden die Verschwörungs-Thesen des deutschen Online-Radiomachers Ken Jebsen einzeln auf ihren Gehalt hin unter die Lupe genommen. Einleitend heisst es: «Solltest du diesen Text wirklich lesen wollen, musst du zwei Dinge im Vorhinein wissen: Erstens ist Ken Jebsen ein ehemaliger Moderator, der vor fast zehn Jahren seinen Job beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) aufgrund von Antisemitismus verlor – damals bezeichnete er den Holocaust als PR.»
B. Am 11. Mai 2020 reichte X. (Beschwerdeführer, BF) beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel ein. Er verletze die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen, Entstellen von Tatsachen oder Meinungen) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Der BF begründet dies damit, dass Ken Jebsen nicht wie von «watson», respektive «t-online», behauptet, vom Rundfunk Berlin-Brandenburg «aufgrund von Antisemitismus» entlassen worden sei. Der BF belegt dies mit der damaligen Presseerklärung des rbb, welche davon sprach, man habe Jebsen lange gegen Vorwürfe des Antisemitismus und des Holocaust-Leugnens verteidigt, jetzt aber trenne man sich, weil Jebsen sich wiederholt nicht an journalistische Standards und getroffene Vereinbarungen gehalten habe. Die entsprechende Darstellung von «watson» verstosse daher gegen die Ziffern 1 und 3 der «Erklärung».
Zum Zweiten werde behauptet, Jebsen habe den Holocaust als PR bezeichnet. Das sei nicht richtig. Das genaue Zitat von Jebsen in diesem Zusammenhang laute: «ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat. Der neffe freuds. bernays. in seinem buch propaganda schrieb er wie man solche kampagnen durchführt. goebbels hat das gelesen und umgesetzt.» [Schreibweise so im Original] Daraus schliesst der BF: «Ken Jebsen bezeichnet daher nicht den ‹Holocaust als PR›, sondern er bezieht sich auf die Propagandataktiken von Goebbels und deren Ursprung (Edward L. Bernays: ‹Propaganda›).» Die Darstellung von «watson» verstosse gegen Ziffer 3 der «Erklärung».
C. Mit Beschwerdeantwort vom 25. Mai 2020 beantragte der Chefredaktor von «watson», Maurice Thiriet, Nichteintreten, allenfalls Abweisung der Beschwerde. Er weist darauf hin, allerdings ohne jede Quellenangabe, dass Jebsen beim rbb sehr wohl wegen Antisemitismus entlassen worden sei und zwar gerade wegen der besagten Äusserung, «Ich weiss wer den Holocaust als PR erfunden hat. Der Neffe Freuds. Bernays.»
Der BF interpretiere das «Holocaust-PR»-Zitat so, dass nicht Jebsen den Holocaust als PR bezeichnet habe, sondern dass der Neffe Freuds den Massenmord an der jüdischen Diaspora als Propagandainstrument «erfunden» habe und Goebbels diesen dann lediglich anhand von Bernays Schriften umgesetzt habe. Das mache aber keinen Sinn, weil Bernays zur Jahrhundertwende [also um 1900] weder den Begriff PR gekannt haben könne, noch die Blaupause zur Auslöschung des eigenen (jüdischen) Volkes im Sinne von X.‘ Interpretation geplant haben könne. Deswegen blieben – so Thiriet – nur zwei Folgerungen: Jebsen selber habe den Holocaust als PR bezeichnet und die Unterstellung, Vertreter der jüdischen Gemeinschaft selber hätten den Holocaust erfunden als Propagandainstrument und das nationalsozialistische Regime habe sich dieser Ideen nur bedient, sei ihrerseits zutiefst antisemitisch. «watson» habe keine falsche Tatsachenbehauptung veröffentlicht, weswegen auch kein Bedarf zu einer Berichtigung bestehe.
D. Am 10. Juli 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 7. September 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der erste strittige Punkt betrifft die Frage, ob die Tatsachenbehauptung von «watson» zutrifft, wonach Ken Jebsen wegen Antisemitismus entlassen worden sei. «watson» legt dafür keinen Beleg vor, die Chefredaktion sagt nur, der Sachverhalt sei «objektiv erstellt», Jebsen sei entlassen worden, nachdem ein Mail an die Öffentlichkeit gelangt sei, in welchem das besagte Zitat enthalten war: «Ich weiss wer den Holocaust als PR erfunden hat. …» Das habe dazu geführt, dass nicht nur Jebsen, sondern auch der für ihn verantwortliche Programmchef habe gehen müssen.
Der Beschwerdeführer bestreitet dies und verweist zum Beweis auf die damalige Presseerklärung des Rundfunks Berlin Brandenburg.
Der Wortlaut dieser Erklärung belegt nicht die These des BF, dass Antisemitismus bei Jebsens Entlassung keine Rolle gespielt habe. Sie lässt den Grund für die Trennung vielmehr offen, spricht nur von einem Nicht-Einhalten von getroffenen Vereinbarungen, sagt aber nicht, was für Absprachen das gewesen sind. Wie bei öffentlichen Erklärungen zu strittigen Personalsachen üblich spricht die Mitteilung die ausschlaggebenden Konfliktbereiche nicht konkret an. Was aber ins Auge fällt ist die zeitliche Nähe des Bekanntwerdens des Jebsen-Mails und der Entlassung des Moderators.
Insgesamt ist jedenfalls weder eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheit) noch Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen, Entstellen von Meinungen) der «Erklärung» mit dem Hinweis auf die Presseerklärung des rbb belegt.
2. Der zweite Kritikpunkt betrifft die Formulierung, Jebsen habe den Holocaust damals als PR bezeichnet. Jebsen habe sich – so der Beschwerdeführer – vielmehr bezogen auf die Propagandataktiken von Goebbels und deren Ursprung.
Dem BF ist insoweit zuzustimmen, als das ausführliche Zitat Jebsens, das er beibringt, nicht unmissverständlich klar werden lässt, was effektiv mit «Holocaust als PR» gemeint war. Vielmehr ist der ausführliche Text konfus und er macht genau betrachtet keinen Sinn. Er besagt, Jebsen wisse nun, wer den Holocaust als PR erfunden habe: «Bernays», der Neffe von Sigmund Freud. Der habe in seinem Buch «Propaganda» beschrieben, wie man «solche Kampagnen» durchführt. Goebbels habe das gelesen und umgesetzt.
In der Tat hat Edward Bernays 1928 das Buch «Propaganda» verfasst, in der Tat gilt er als der Erfinder von «PR». Und Goebbels soll Bernays Werk effektiv besessen und bewundert haben. Aber die Folgerung, Bernays habe «den Holocaust als PR erfunden» ist dennoch unsinnig. Zunächst erschliesst sich schon nicht, was mit «Holocaust als PR» im Zusammenhang mit Bernays gemeint sein könnte. Bernays theoretisiert über effiziente Propaganda. Wo und wie beim Holocaust effiziente Propaganda eine Rolle gespielt haben soll (bei dessen «Erfindung»? Bei dessen Organisation? Bei dessen Vertuschung?) und was Bernays in diesem speziellen Zusammenhang «erfunden» haben soll, wird nicht ersichtlich. Zweitens ist Bernays Jude. Dass er allenfalls irgendeine Rolle in der Inszenierung des Holocaust, dem Massenmord am eigenen Volk, gespielt haben könnte, ist eine unsinnige und allenfalls, wie der «watson»-Chefredaktor schreibt, auch antisemitische Andeutung («Juden selber schuld»). Eine dritte Lesart könnte sein, dass Jebsen in der Tat damit sagen will, der Holocaust sei nichts als PR gewesen. Nur: Wenn man von diesem Szenario ausgehen wollte, dann wäre das ja ein PR-«Erfolg» der Alliierten und nicht der Nazis. Und solch abstruse Thesen würden, wie gesehen, mit Verweis auf Bernays als Erfinder sicher nicht wahrer, im Gegenteil.
Des Beschwerdeführers Theorie, dass Jebsen nur darauf verweisen wollte, dass Goebbels Bernays Propaganda-Thesen übernommen und umgesetzt habe, erklärt eben gerade nicht den Kern der Äusserung, nämlich was das mit «Holocaust als PR» zu tun haben soll. Die ausführlichere Version des Zitats führt letztlich zu keinem plausibleren Schluss als die verkürzte.
Fest steht aber nach Auffassung des Presserats, dass jemand, der Antisemitismus und Holocaust-Leugnung ablehnt, nie auf einen – wie immer gearteten – Gedanken eines «Holocaust als PR» käme. Insofern hat «watson» Ken Jebsen nicht in ein falsches Licht gerückt. Das hätte dieser, wenn überhaupt, mit diesem Text schon selber getan.
«watson» hat in diesem Sinne keine wichtigen Informationen unterschlagen noch Tatsachen oder Meinungen entstellt. Entsprechend besteht auch keine Berichtigungspflicht.
Die Ziffern 1, 3 und 5 der «Erklärung» sind nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. «watson.ch» hat mit dem Artikel «Das ist dran an Ken FMs grosser Gates-Verschwörung» vom 18. Mai 2020 die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen, Entstellen von Tatsachen) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.