Nr. 66/2021
Wahrheitspflicht / Quellenbearbeitung / Diskriminierungsverbot

(X. c. «Basler Zeitung»)

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Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat rügt Titel und Quellenbearbeitung der Basler Zeitung (BaZ) in einem Artikel über die Bettenbelegung in Basler Spitälern und die Nationalität der Intensivpatienten. «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» lautete der Titel. Die Zeitung schrieb, laut Pflegefachleuten belegten überdurchschnittlich viele Corona-Patienten mit Migrationshintergrund die Intensivstationen. Die BaZ stellte somit einen Zusammenhang zwischen Migration und hohen Infektionszahlen her. Gleichzeitig betonte sie, es gebe hierzu keine offiziellen Zahlen.

Der Titel «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» ist gemäss Presserat nicht genügend belegt. Der Artikel beruht bezüglich der aktuellen Zahlen auf einer einzigen Quelle. Der Hinweis, dass sich viele Personen des Gesundheitspersonals bei der Redaktion gemeldet hätten, kann unmöglich als zweite Quelle oder gar als Bestätigung des hohen Anteils betrachtet werden. Die BaZ hat mit dem Titel somit gegen die Wahrheitspflicht des Journalistenkodex verstossen.

Betreffend die Recherche stellt der Presserat fest, dass im Artikel einmal von «Neuinfektionen» ausgegangen wird, ein andermal von «Patienten auf der Intensivstation», oder auch ganz allgemein von «Corona-Patienten» oder «Patienten auf der Corona-Station» die Rede ist. Eine solche Gegenüberstellung diffus umschriebener Zahlen lässt laut Presserat keine verlässlichen Rückschlüsse zu. Die hohe gesellschaftliche Relevanz des Themas, die damit verbundenen Gefahren und Ängste und die Komplexität der Materie hätten jedoch besondere Sorgfalt verlangt. Die BaZ hat daher auch gegen die Richtlinie zur Quellenbearbeitung verstossen.
Den Vorwurf der Diskriminierung von Migranten sieht der Presserat nicht als begründet. Es muss möglich sein, die Ansteckung von Personen mit Migrationshintergrund, etwa aufgrund von Reisen, zu thematisieren.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse reproche à la Basler Zeitung (BaZ) le titre d’un article sur l’occupation des lits dans les hôpitaux bâlois et la nationalité des patients en soins intensifs tout comme sa manière de traiter ses sources. Le titre: «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» (70 pour cent de migrants dans les lits hospitaliers). L’article indiquait que, aux dires des soignants, une proportion supérieure à la moyenne des patients atteints de Covid-19 occupant les lits de soins intensifs avaient un passé migratoire. La BaZ établissait donc un lien entre migration et infections en nombres. Tout en soulignant qu’il n’existait pas de chiffres officiels.

Le Conseil de la presse estime que le titre «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» n’est pas suffisamment étayé. L’article repose sur une seule source en ce qui concerne les chiffres actuels. Écrire que plusieurs membres du personnel de santé se seraient adressés à la rédaction ne peut être considéré comme une deuxième source ou comme la confirmation d’une proportion élevée. La BaZ a donc porté atteinte au devoir de vérité inscrit dans le code de déontologie des journalistes.

En ce qui concerne les recherches, le Conseil de la presse constate que l’article évoque une fois de nouvelles infections, une autre fois des patients en soins intensifs ou plus généralement des patients atteints de Covid-19 ou des patients hospitalisés en unité Covid-19. Pareille apposition de chiffres cités de manière diffuse ne permet pas de tirer de conclusions fiables, estime le Conseil de la presse. La grande importance de la thématique pour la société, les risques et les peurs qui lui sont liées et la complexité de la matière auraient exigé plus de soin. La BaZ a donc violé la directive sur le traitement des sources.
Le Conseil de la presse ne considère pas le reproche de discrimination des migrants comme fondé. Il doit être possible d’évoquer les infections de personnes issues des migrations dues à leurs voyages.

Riassunto

Il Consiglio della stampa rimprovera il titolo e la gestione delle fonti da parte della Basler Zeitung (BaZ) in un articolo sull’occupazione dei posti letto negli ospedali di Basilea e sulla nazionalità dei pazienti in terapia intensiva. «il 70 percento delle persone nei letti d’ospedale sono migranti» recitava il titolo. Secondo il giornale, stando a quanto rivelato dal personale infermieristico, a occupare i letti erano in larga parte – con numeri sopra la media – i pazienti covid con un trascorso migratorio. La BaZ in questo modo stabiliva una correlazione tra migrazione e elevato numero di infezioni da Covid. Allo stesso tempo, sottolineava che non vi erano numeri ufficiali.

Secondo il Consiglio della stampa il titolo «il 70 percento delle persone nei letti d’ospedale sono migranti» non è sufficientemente comprovato. L’articolo, per quanto riguarda i dati attuali, si basa su un’unica fonte. L’indicazione che molte persone del personale sanitario si siano rivolte alla redazione per annunciare questa situazione, non può essere usata come fonte e conferma dell’elevato numero. In questo modo la BaZ con il suo titolo è venuta meno all’obbligo di verità del codice deontologico.

Riguardo alle ricerche della BaZ, il Consiglio della stampa stabilisce che nell’articolo in un caso si parla di «nuove infezioni», in un altro di «pazienti in terapia intensiva» o in generale di «pazienti Covid» o «pazienti ricoverati nel reparto Covid». Secondo il Consiglio della stampa questo tipo di contrapposizione tra dati poco circoscritti non permette di trarre conclusioni affidabili. L’elevata rilevanza sociale del tema, i pericoli ad esso collegati, le paure e la complessità della materia avrebbero necessitato di una maggiore e più particolare cura. La BaZ è anche contravvenuta alle linee guida sulla gestione delle fonti.
Il Consiglio della stampa non trova giustificato il rimprovero di una discriminazione dei migranti. Deve essere però possibile trovare il modo di tematizzare il contagio di persone con un trascorso migratorio, partendo ad esempio dalla loro necessità di spostarsi.

I. Sachverhalt

A. Am 2. Dezember 2020 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) einen Artikel in Zusammenhang mit der Bettenbelegung in Basler Spitälern und der Nationalität der Intensivpatienten. Der Artikel von Daniel Wahl steht unter dem Titel «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» und erklärt im Untertitel, dass nach Angaben von Pflegefachleuten überdurchschnittlich viele Corona-Patienten mit Migrationshintergrund die Intensivstationen belegten und dass es keine offiziellen Zahlen dazu gebe.

Im Artikel stellt die BaZ die hohen Infektionszahlen in einen Zusammenhang mit Migration. Der Baselbieter SVP-Präsident schliesse gemäss den vorliegenden Zahlen bis vor den Herbstferien auf eine Kumulation von Fällen bei Balkanrückkehrern. Er verfüge via die Feuerwehr über Informationskanäle in die Gemeindeführungsstäbe. Weiter wird der Gesundheitsdirektor Baselland aus dem Regionaljournal von Radio SRF zitiert, dieser habe festgestellt, dass man vor allem nicht deutschsprachige Bevölkerungsgruppen schlecht erreiche. Auf Anfrage der BaZ spreche der Gesundheitsdirektor von einem Anteil von 40 Prozent der Neuansteckungen, mit Hinweis darauf, dass keine statistisch eindeutige Auswertung vorliege. Dies dürfte tiefgestapelt sein, schreibt die BaZ.

Unter Berufung auf Gesundheitspersonal, das sich bei den regionalen Medien gemeldet habe, zitiert die BaZ eine Pflegefachperson (mit Pseudonym), welche feststelle, dass es sich bei den PatientInnen in den Corona-Zimmern – insbesondere der Intensivstation – in überwiegender Mehrheit um Menschen mit Migrationshintergrund handle. Diese Informantin, die aufgrund ihrer Tätigkeit Einblick in das Geschehen habe, spreche von rund 70 Prozent der Corona-PatientInnen als Personen mit Migrationshintergrund. Die BaZ zitiert weiter auch einen Spitzenwert von 83 Prozent in einem Spital der Nordwestschweiz, der jedoch als eine Ausnahme bezeichnet wird, welcher über dem Beobachtungswert von 70 Prozent liege. Der Mediensprecher des Universitätsspitals dementiere nicht die 70 Prozent Corona-Patienten mit Migrationshintergrund, er verweise aber auf die fehlenden Zahlen (Statistik, Anm. Presserat). Für Studienzwecke würden nur Daten zu Alter und Geschlecht ausgewertet. Aufgrund der «signifikanten Auffälligkeiten» zwischen Infektionszahlen und Migrationshintergrund habe die Gemeinde Pratteln die Zahlen bis hinunter auf die Quartierebene angeschaut. Gemäss dem Gemeindepräsidenten sei jedoch nicht das allenfalls fragliche Quartier «Längi» ein Ansteckungsherd, sondern vielmehr das schulische Umfeld. Danach weist die BaZ darauf hin, dass der Ausländeranteil in Prattelns Schulen höher sei als andernorts im Kanton.

Nach einer geografischen Beschreibung der Infektionszahlen unter dem Zwischentitel «Eine Covid-Achse» wird ein SVP-Landrat mit der Aussage zitiert, es könne nicht sein, dass Intensivbetten und Beatmungsgeräte überproportional von Personen mit Migrationshintergrund belegt seien und deswegen planbare Operationen hinausgeschoben werden müssten. Er kündet eine Interpellation an, gemäss welcher die Daten entsprechend auszuwerten seien, um zielgerichtete Massnahmen ergreifen zu können. Als Beispiel fügt der Politiker an, man könnte einen Schnelltest am Flughafen oder bei der Rückreise mit dem Auto obligatorisch erklären, anstatt die ganze «Beizenszene» lahmzulegen.

B. Am 26. Februar 2021 reichte X. (nachfolgend Beschwerdeführer, BF) Beschwerde gegen diesen Artikel ein und macht Verstösse gegen mehrere Richtlinien der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Der Artikel sei reisserisch und tendenziös verfasst und stütze sich lediglich auf eine einzige anonyme Quelle. Und dies «ziemlich genau auf dem Höhepunkt der zweiten Welle» der Corona-Pandemie, als sich die Corona-Patienten in den Intensivstationen häuften. Im Einzelnen sieht der BF folgende Verstösse gegen die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien:

Die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) sieht der BF in zwei Punkten verletzt. Er bemängelt, der Titel «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» sei reisserisch und viel zu absolut. Aufgrund eigener Nachfrage bei Spitalleitungen in den Kantonen Basellandschaft und Basel-Stadt habe niemand diese Zahl bestätigen können. Dies mit der Begründung, dass man Daten über den Migrationshintergrund gar nicht erhebe. Des Weiteren habe der Autor das Zitat des Mediensprechers des Universitätsspitals unvollständig wiedergegeben. Er schreibe, dass der Mediensprecher diese Zahl nicht dementiert habe, unterschlage jedoch den Zusatz, dass dieser die Zahl auch nicht bestätigen könne. Dies sei eine «sinnentstellende Verzerrung, um die Aussage ins tendenziöse Gesamtkonzept des Artikels einzupassen». Als Beleg legt der BF den E-Mail-Verkehr mit dem Mediensprecher bei, worin dieser schreibt, weder bestätigt noch dementiert zu haben.

Die Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung» sieht der BF in mehrerlei Hinsicht verletzt:

a. Der Artikel stütze sich auf eine einzige anonyme Quelle, die gar nicht in der Lage sei, die Zahl von 70 Prozent zu verifizieren.

b. Der Aussage des Mediensprechers des Universitätsspitals, wonach keine Zahlen erhoben würden, füge die BaZ hinzu, dass gemeint sei, dass man vorhandene Daten nicht zusammenziehe und auch keine Schlüsse daraus ziehe. Dies insinuiere jedoch, dass die Daten vorhanden seien, dass man lediglich keine Schlüsse daraus ziehe. Dabei handle es sich um eine Meinung des Journalisten, die den Aussagen des Mediensprechers widerspreche.

c. Auch das Zitat des Gemeindepräsidenten von Pratteln, wonach dieser bestätige, aufgrund der vorliegenden Zahlen aktiv geworden zu sein, verstosse gegen Richtlinie 3.1. In einem Artikel des Online-Mediums «Bajour» vom 10. Dezember 2020 widerspreche dieser nämlich. Die Gemeinde Pratteln sei aufgrund Nachfragen von Medien aktiv geworden, nicht aufgrund auffälliger Zahlen.

d. Zudem sei der Artikel tendenziös verfasst. Wenn tiefere Zahlen auftauchten, würden diese sofort relativiert, wie zum Beispiel «… dürfte eine tiefgestapelte Zahl sein …», wohingegen bei einer höheren Zahl deutlich weniger relativiert werde mit «… dürfte eine Ausnahme sein …».

e. Ausserdem bemängelt der BF einen unsorgfältigen und «offensichtlich manipulierenden» Umgang mit der Datenbasis. Einmal sei die Rede von Corona-Infizierten, dann von Intensivbetten, dann wieder von Betten auf normalen Pflegestationen. Der Artikel polemisiere bewusst mit solchen Unschärfen.

Der BF rügt zudem, der Artikel sei klar fremdenfeindlich und verstosse gegen das Diskriminierungsverbot gemäss Richtlinie 8.2 zur «Erklärung». Dies begründet der BF unter anderem mit der Gesamttendenz des Artikels und der Quellenwahl (drei SVP-Politiker, ein FDP-Politiker). Der Autor fungiere gar als Pressesprecher der SVP aufgrund der Ankündigung, dass diese eine Interpellation einreichen werde. Hiezu verweist der BF auf einen eigenen Beitrag bei der Online-Plattform «Infosperber». Auch ein später erschienener Kommentar diene lediglich dazu, die «70-Prozent-These zu wiederholen».

C. Mit Schreiben vom 2. Juni 2021 nahm der Rechtsdienst der TX Group (Beschwerdegegnerin, BG) für die BaZ Stellung. Sie weist alle Beanstandungen zurück und beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, falls darauf eingetreten werde. Einführend weist die BG darauf hin, dass im Gefolge des Artikels auch andere Medien und Portale darüber berichtet hätten, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund behandelt würden. Zudem verweist die Redaktion darauf, «dass sich diese Presseratsbeschwerde in eine lange Reihe von ideologisch befeuerten, aktivistischen Bemühungen des BF gegen die BG einreiht».

Die BG weist die vom Beschwerdeführer behauptete Quellenlage und die vorgeworfene Verzerrung der Aussagen des Mediensprechers des Universitätsspitals zurück. Der Artikel gebe ausgewogen die verschiedenen Einschätzungen wieder, unterschlage keine Fakten und sei durch Quellen gestützt. Der Beitrag stelle nicht «primär auf eine einzelne Pflegefachfrau» ab, sondern auf persönliche Gespräche mit mehreren Gesundheitsfachleuten mit unterschiedlichen Funktionen in den Spitälern der Kantone Basel-Stadt und Baselland. Im Artikel sei das im Lead am Plural «Nach Angabe von Pflegefachleuten» ersichtlich. Zudem habe die Baselbieter Regierung die Zahl «70 Prozent» am 3. Dezember 2020 (am Folgetag des Artikels, Anm. Presserat) bestätigt. Die BaZ verweist dafür auf das Protokoll der Landratssitzung vom 3. Dezember. Diesbezüglich wirft sie dem BF vor, diese Information unterschlagen zu haben und seinerseits einem Narrativ zu folgen.

Die Redaktion macht weiter geltend, sie erfülle mit diesem Artikel die Rolle des «public watchdog», indem sie die überproportionale Betroffenheit von Menschen mit Migrationshintergrund thematisiere. Dies nicht um Stimmung gegen diese Menschen zu machen, sondern um auf eine Problematik hinzuweisen im Hinblick auf die internationale Reisetätigkeit und das damit verbundene Risiko, Infektionen einzuschleppen. Deshalb sei es von öffentlichem Interesse, auf eine fehlende Erhebung oder Auswertung der entsprechenden Daten hinzuweisen.

Bezüglich der monierten «einseitigen» Auswahl der Zitate nach politischer Präferenz, weist die BaZ darauf hin, dass ein Artikel in diesem Umfang nicht die gesamte Parteienlandschaft Stellung beziehen lassen kann. Zudem sei es gerade ein Mitglied der SVP, das die Zahl tief bei 40 Prozent ansiedle, und somit die 70 Prozent in Frage stelle.

Der Titel sei nicht überspitzt. Doch selbst falls er so eingestuft würde, wäre dies gemäss der BG nicht im Widerspruch zur Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche). Die nachträgliche Anpassung des Titels in der Online-Fassung («Sind Migranten öfter wegen Corona im Spital? Das sagen Pflegende») lasse schliesslich ohnehin keinen Spielraum mehr für Vorwürfe.

Den Vorwurf der Verzerrung von Aussagen weist die BaZ ebenfalls zurück. Aus einem mehrminütigen Gespräch mit dem Mediensprecher sei für den Autor klar geworden, dass ein Patientenanteil von 70 Prozent nicht generell ausgeschlossen werden könne. Zudem habe weder der Mediensprecher noch das Spital jenes Zitat je beanstandet oder eine Korrektur verlangt. Auch zum Zitat des Gemeindepräsidenten von Pratteln werden alle Vorwürfe einer Verfälschung zurückgewiesen. Die BaZ habe nie behauptet, dass Pratteln aufgrund besonders hoher Fallzahlen bei Menschen mit Migrationshintergrund aktiv geworden sei. Sie habe sich lediglich auf einen generell signifikanten Zusammenhang berufen. Auch der Gemeindepräsident habe bis dato die Darstellung der BaZ weder beanstandet noch dementiert. Beigelegt ist die E-Mail-Nachricht mit Anfrage zur Autorisierung.

Betreffend den Verstoss gegen Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) weist die BG alle Vorwürfe wegen fehlender Relevanz und fehlender Sachlichkeit zurück. Der Artikel thematisiere Fakten von grossem öffentlichem Interesse. Von verzerrender Berichterstattung zu sprechen, entbehre jeglicher Grundlage.

D. Am 11. Juni 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, dass der Schriftenwechsel abgeschlossen sei, und die Beschwerde von der 1. Kammer des Presserats, bestehend aus Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg, behandelt wird.

E. Die 1. Kammer hat die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 3. September 2021 und auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» bezeichnet die Wahrheitssuche als Ausgangspunkt der Informationstätigkeit und verlangt die Beachtung verfügbarer Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten, die Überprüfung der Informationen sowie deren allfällige Berichtigung.

Der Beschwerdeführer macht geltend, der Titel «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» sei reisserisch und zu absolut verfasst. Er stütze sich auf die Aussage einer einzigen anonymen Quelle. Die BaZ erwidert, der Artikel stütze sich auf Gespräche mit mehreren Pflegefachpersonen, die aus Angst vor Konsequenzen anonym bleiben wollten. Zudem sei die Zahl von 70 Prozent am 3. Dezember 2020 vom Gesundheitsdirektor in einer Landratssitzung offiziell bestätigt worden.

Die Aufgabe des Presserates besteht nicht darin, zu überprüfen, ob die Zahl «70 Prozent» stimmt, sondern er hat zu prüfen, ob diese Zahl zum Publikationszeitpunkt korrekt belegt war. Auch wenn der Baselbieter Gesundheitsdirektor diese Zahl nach Erscheinen des Artikels bestätigt hat, war diese Zahl zum Zeitpunkt der Publikation nicht eindeutig belegt (Zwei-Quellen-Prinzip). Im Artikel erwähnt sind Zahlen wie 40 Prozent der Neuansteckungen (Einschätzung Gesundheitsdirektor vor dem 3. Dezember), 83 Prozent der Patienten auf der Intensivstation (in einem Nordwestschweizer Spital) und 70 Prozent Corona-Patienten (im Schnitt über mehrere, mindestens Basler Spitäler). Jede dieser Zahlen stützt sich auf die Aussage jeweils einer einzigen Quelle. Dass mehrere Angehörige des Gesundheitspersonals sich bei den Medien gemeldet hätten, kann nicht als zweite Quelle dafür geltend gemacht werden, dass die 70 Prozent stimmen – genauso wenig der Umstand, dass das Universitätsspital diese Zahl nicht dementiert. Aus der Tatsache, dass sie nicht bestritten wird, kann nicht darauf geschlossen werden, dass die Zahl stimmt. Immerhin kommt im Artikel selbst mehrfach zur Sprache, dass offizielle Daten über Migrationshintergrund gar nicht erhoben würden.

Ob ein Titel zulässig zugespitzt oder unzulässig überspitzt ist (wie es der BF behauptet), behandelt der Presserat in konstanter Praxis unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitspflicht. Danach ist die Zuspitzung von Fakten in Schlagzeilen und Titeln berufsethisch zulässig, wenn dadurch ein Sachverhalt scharf auf den Punkt gebracht wird und eine allfällig nötige Präzisierung spätestens im Untertitel oder zu Beginn des Textes erfolgt (Entscheide 3/2015, 11/2014, 18/2014). Auch der Titelzusatz «Zielgerichtete Corona-Massnahmen: Nach Angaben von Pflegefachleuten belegen überdurchschnittlich viele Corona-Patienten mit Migrationshintergrund die Intensivstationen. Offizielle Zahlen gibt es dazu nicht» vermag die unbelegte Tatsachenbehauptung von «70 Prozent» nicht zu relativieren. Nach Einschätzung des Presserats handelt es sich deswegen nicht nur um einen überspitzten Titel (was schon ein Verstoss wäre), sondern um eine ungenügend belegte Tatsachenbehauptung. Die BaZ hat mit dem Titel gegen die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verstossen und damit die Ziffer 1 der «Erklärung» verletzt.

Der BF moniert einen weiteren Verstoss gegen Richtlinie 1.1 wegen unvollständiger Wiedergabe des Zitats des Mediensprechers des Universitätsspitals. Dies erwägt der Presserat unter Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung).

2. Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung» verlangt im Sinne der journalistischen Sorgfaltspflicht die Überprüfung der Quelle und ihrer Glaubwürdigkeit.

Der BF moniert die Quellenlage: Der Artikel beruhe auf Angaben einer einzigen Quelle, die gar nicht in der Lage sei, die Zahl zu verifizieren. Die BaZ hält dagegen, dass die Quellenlage tadellos sei. Der Artikel beruhe auf Angaben mehrerer Gesundheitsfachleute mit unterschiedlichen Funktionen in den Spitälern beider Basel.

Nach Ansicht des Presserates weist der Artikel für die erwähnten Zahlen und Behauptungen jeweils tatsächlich nur eine Quelle aus. Die Erwähnung, dass viele Personen des Gesundheitspersonals sich bei den Medien gemeldet hätten, bedeutet keine Bestätigung irgendeiner Zahl, was die BG im Übrigen auch gar nicht behauptet.

Auch wenn das Zwei-Quellen-Prinzip nach langjähriger Praxis des Presserates keine absolute Regel ist, kann für diesen Fall keine gültige Ausnahme ausgemacht werden. Weder werden die Behauptungen oder Zahlen durch ein Dokument bestätigt, noch wird die Problematik der Quelle transparent thematisiert (24/2012). Die BaZ hat entsprechend gegen Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) verstossen; die Ziffer 3 der «Erklärung» ist verletzt.

3. Des Weiteren verlangt Richtlinie 3.1 die Transparenz bei der Quellenbezeichnung. Dies jedoch vorbehältlich eines überwiegenden Interesses an der Geheimhaltung der Quelle. Unbestritten ist, dass die Quelle der BaZ bekannt ist und lediglich mit Pseudonym erwähnt wird. Da die BaZ die Quelle soweit beschreibt, wie es für das Verständnis des Artikels und des Themas notwendig ist, ist der Artikel verständlich. Die Anonymisierung der Quelle aus Sorge um mögliche Konsequenzen erscheint dem Presserat plausibel, da die Situation im Gesundheitswesen zu jener Zeit sehr angespannt war. Die Quellenlage erscheint insofern hinlänglich transparent, in diesem Punkt erfolgte kein Verstoss gegen die Richtlinie 3.1.

Der BF moniert zudem die Verzerrung zweier Zitate, einerseits jenes des Mediensprechers des Universitätsspitals, das unvollständig wiedergegeben worden sei, ohne den Zusatz, dass jener diese Zahl auch nicht bestätige. Die BaZ weist darauf hin, dass dieses Zitat einem kurzen Gespräch korrekt entnommen sei. Zudem hätten weder der Mediensprecher noch das Spital das Zitat beanstandet oder Korrektur verlangt.

Für den Presserat vermag diese Weglassung keine Verzerrung der Information zu begründen. Zumal der BaZ-Autor gleich nach dem Zitat weiterfährt, dass der Mediensprecher betone, dass keine Zahlen erhoben würden. Dies vermag die Aussage zu relativieren, dem Durchschnittsleser wird klar, dass keine genaue Zahl definiert werden kann, wenn keine Daten erhoben werden.

Ähnliches gilt für das Zitat des Gemeindepräsidenten von Pratteln, wo die BaZ geltend macht, sie habe nie behauptet, dass Pratteln wegen besonders hoher Fallzahlen bei Menschen mit Migrationshintergrund genauer hingeschaut habe. Dies sieht der Presserat ähnlich, wobei die BaZ hier immerhin von einer «signifikanten» Auffälligkeit zwischen Infektionszahlen und Migrationshintergrund schreibt, ohne die Signifikanz näher zu belegen.

Betreffend den Umgang mit den Daten stellt der Presserat fest, dass tatsächlich einmal von «Neuinfektionen» ausgegangen wird, ein andermal von «Patienten auf der Intensivstation», oder auch ganz allgemein von «Corona-Patienten» oder ein andermal ist von «Patienten auf der Corona-Station» die Rede. Dies führt dazu, dass Zahlen einander gegenübergestellt werden, die nicht direkt verglichen werden können. Eine Gegenüberstellung diffus umschriebener Zahlen lässt gemäss dem Presserat keine verlässlichen Rückschlüsse zu. Zudem erfolgte die Publikation zu einem Zeitpunkt, als die öffentliche Diskussion die Bevölkerung sehr beschäftigte. Die hohe gesellschaftliche Relevanz des Themas, die damit verbundenen Gefahren und Ängste und vor allem die Komplexität der Materie begründen gemäss dem Presserat auch hier eine erhöhte Sorgfaltspflicht (Stellungnahme 91/2020). Die BaZ hat in diesem Punkt gegen Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) verstossen.

Betreffend der Quellenauswahl moniert der BF eine einseitige, parteipräferierende Auswahl. Die BG bestreitet dies. Der Presserat erkennt als Interviewpartner die Pflegefachpersonen, den Mediensprecher des Universitätsspitals, den Gesundheits-direktor und einen Gemeindepräsidenten einer Gemeinde mit eher hohem Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in den Schulen. Das sind für einen Beitrag im Regionalteil relevante Personen in dieser Thematik.

Die Einschätzungen, welche die BG nach Zitaten vornimmt («dürfte eine tiefgestapelte Zahl sein», «dürfte eine Ausnahme sein», «wobei auch allgemein bekannt ist, dass der Ausländeranteil in Prattelns Schulen höher ist»), können die Aussagen zwar durchaus verstärken, jedoch auch abschwächen. Insgesamt sieht der Presserat jedoch keinen tendenziösen Artikel, sondern einen Artikel, der nicht belegte Zahlen einer Hauptquelle neben andere Zahlen stellt.

4. Einen Verstoss gegen Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) sieht der Presserat nicht. Der BF selbst erwähnt in seinem Schreiben die Praxis des Presserats, der sich nicht als Hüter einer «political correctness» versteht. Der Presserat vermag kein über diese hinausgehendes verallgemeinerndes, negatives Werturteil zu finden, das Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt, wie es Richtlinie 8.2 aufführt. Es ist im Hinblick auf allfällig mögliche oder nötige Massnahmen legitim, die Ansteckung von Personen mit Migrationshintergrund aufgrund deren Reisetätigkeit oder aufgrund bestehender Sprachbarrieren zu thematisieren.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird grösstenteils gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit Titel des Artikels «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» gegen die Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen, indem sie die Rechercheergebnisse derart zugespitzt hat, dass im Titel eine zu diesem Zeitpunkt falsche Tatsachenbehauptung entstanden ist.

3. Die «Basler Zeitung» hat die Ziffer 3 der «Erklärung» in Bezug auf die Quellenbearbeitung verletzt, indem sie ungenügend verifizierte Zahlen verwandte und uneinheitliche Zahlen miteinander verglich, ohne auf die Unterschiede hinzuweisen.

4. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.