Nr. 64/2020
Wahrheit

(X. c. «bluewin.ch»)

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I. Sachverhalt

A. Am 30. März, 1. und 4. April 2020 erschienen auf der Webseite «bluewin.ch» drei Onlinebeiträge über häusliche Gewalt von Jennifer Furer. Alle drei Artikel waren Teil der «Serie zur häuslichen Gewalt», die «bluewin.ch» im Zusammenhang mit der Corona-Krise lanciert hatte. Der erste Artikel, erschienen am 30. März 2020 unter dem Titel «Corona-Krise: ‹Kinder können der Gewalt kaum mehr ausweichen›», enthält ein Interview mit der Fachleiterin der Fachstelle Häusliche Gewalt in Basel-Stadt. Sie erklärt, dass es sich um eine besondere Situation handle und die Anspannung zu spüren sei. Viele Eltern würden sich Sorgen um ihre finanzielle Zukunft machen, Familien und Paare lebten momentan sehr nah aufeinander und den Kindern fehle die Struktur durch Kindergarten, Schulen und Kitas. Dies alles könne zu Spannungen, Überforderung und Stress und schliesslich zu häuslicher Gewalt führen. Die Fachleiterin legt sodann dar, was Betroffene in solchen Situationen tun können.

Im zweiten Artikel, veröffentlicht am 1. April 2020 mit dem Titel «Corona-Krise: Gewalt nimmt zu – unter dem Radar der Behörden», wird eine Statistik abgedruckt, die aufzeigt, dass das Total der Straftaten, die häusliche Gewalt betreffen, von 2018 auf 2019 um 6 Prozent zugenommen hat. Der Lead lautet: «Die Corona-Krise bietet Nährboden für Gewalt – meist an Frauen und Kindern. Experten vermuten, dass die Vorfälle zunehmen, aber weniger gemeldet werden. Wie die Behörden jetzt reagieren und wie jeder und jede Einzelne helfen kann.» Gemäss der Präsidentin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Dübendorf sei eine Zunahme von problematischen Verhaltensweisen zu erwarten, wenn die Menschen unter hohem Druck, in grosser Unsicherheit stünden und nicht in ausreichendem Masse in der Lage seien, mit den gewohnten – unter normalen Umständen bewährten – Strategien Abhilfe zu schaffen. Es sei jedoch nicht einfach, physische und psychische Gewalttaten an Kindern zu erkennen, da die soziale Kontrolle durch aussenstehende Dritte fehle. Die Zahlen seien jedoch aktuell bei mehreren Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels stabil.
Der dritte Artikel wird mit «Frauenhäuser: ‹Wir suchen nach Ferienwohnungen und Hotelzimmern›» betitelt, wurde am 4. April 2020 publiziert und befasst sich mit den in der Corona-Krise knappen Plätzen in den Frauenhäusern. Der Dachverband der Frauenhäuser fordere nun Hilfe für die zu erwartende Zunahme der benötigten Plätze in den Frauenhäusern. Deshalb und auch um die Mitarbeitenden und Klientinnen mit Kindern aufgrund der Distanzvorschriften des Bundes schützen zu können, sei die Geschäftsführerin der «Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern» und Vorständin der «Dachorganisationen der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein» auf der Suche nach Aussenplätzen in Ferienwohnungen, Hotelzimmern sowie Plätzen in anderen Institutionen, in denen die Frauen Schutz bekommen könnten.

B. Am 6. April 2020 erhob X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die Berichte von «bluewin.ch». Verletzt sieht er Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), Ziffer 8 (Menschenwürde) und Ziffer 10 (Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Die Autorin der drei Artikel suggeriere im Titel jeweils, dass die häusliche Gewalt gegenüber Frauen und Kinder zugenommen habe und die Behörden zu wenig dagegen unternähmen. Im Text zeige sich, dass es sich nur um Mutmassungen handle, was unseriös und reisserisch sei. Die Coronasituation werde missbraucht und ein Thema an die Leute gebracht, welches so nicht existiere. Im Grunde sei es diskriminierend gegenüber Männern und Behörden. Die Artikelserie sensibilisiere nicht, sondern stosse ab, weil sie tendenziös sei.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 7. September 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Gestützt auf Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn sie offensichtlich unbegründet ist.

Der Titel des dritten Artikels vom 4. April 2020 spiegelt die Interviewaussagen im Artikel eins zu eins wider. Auch der erste Titel im Artikel vom 30. März 2020 fasst die Aussagen der Fachleiterin der Fachstelle Häusliche Gewalt in Basel-Stadt korrekt zusammen. Sie umschreibt die Lage von Kindern in gewaltbereiten Familienkonstellationen zutreffend. Einzig der Titel des Artikels vom 1. April 2020 «Corona-Krise: Gewalt nimmt zu – unter dem Radar der Behörden» kann irreführen, weil die Zunahme der häuslichen Gewalt in der Schweiz von 2018 auf 2019 nicht auf die Corona-Krise zurückzuführen ist und eine aktuelle Zunahme von häuslicher Gewalt zum Zeitpunkt der Publikation des Artikels noch nicht feststand, sondern nur mit ziemlicher Sicherheit erwartet wurde. Der Titel wurde jedoch sowohl im Lead als auch im Lauftext sofort relativiert und präzisiert. Die Frage nach der möglichen Zunahme der häuslichen Gewalt wurde mit dem Lockdown sowohl in der Schweiz als auch im nahen Ausland zu Recht schon zu Anfang der eingeführten Massnahmen rasch aufgeworfen und die Fachstellen haben sich entsprechend auf den erwarteten Anstieg vorbereitet. Dass sich «bluewin.ch» in einer Serie mit der dargelegten Titelwahl damit befasst, ist damit weder diskriminierend noch unseriös oder reisserisch. Eine Verletzung der «Erklärung» liegt nicht vor.

III. Feststellung

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein, weil sie offensichtlich unbegründet ist.