Nr. 64/2019
Anhörung bei schweren Vorwürfen / Identifizierung

(X. c. «Blick»)

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Zusammenfassung

Ein Zahnarzt hat nach einem «Blick»-Artikel vom 28. Januar 2019 beim Schweizer Presserat Beschwerde eingereicht. «Blick» hatte über den Fall einer Dentalassistentin in Ausbildung berichtet. Aufgrund einer Google-Rezension über ihren ehemaligen Arbeitgeber kassierte sie einen Strafbefehl wegen übler Nachrede. Die junge Frau stellte ihren Ex-Chef als Zahnarzt dar, der seine Angestellten und Patienten miserabel behandle. Der Zahnarzt sei «ganz schlecht» und die Praxis «echt gefährlich», schrieb sie in der Online-Rezension. In seinem Bericht nahm «Blick» diese Vorwürfe auf.

Die Aussagen seiner früheren Auszubildenden seien rufschädigend und ehrverletzend, hielt der Zahnarzt in seiner Beschwerde beim Presserat fest. Dennoch habe «Blick» ihn nicht angehört. Der Journalist habe es bei einer einzigen und nicht erfolgreichen Kontaktaufnahme belassen. Seine Sichtweise sei somit im Bericht nicht berücksichtigt.

Für den Presserat ist unbestritten, dass die junge Frau schwere Vorwürfe geäussert hat. Indem der «Blick» seinen Bericht jedoch auf einen Strafbefehl stützt, musste er den Zahnarzt nicht anhören. Denn ein Strafbefehl ist medienethisch einem Gerichtsurteil gleichgestellt, weshalb eine Anhörung aller involvierten Parteien nicht erforderlich ist.

Der Strafbefehl liegt dem Presserat vor. Darin wird lediglich der Strafbestand wiedergegeben. Die Strafbehörde hatte den Zahnarzt offenbar nicht angehört. Indem der Strafbefehl die Sichtweise des Zahnarztes nicht aufgreift, lässt sich «Blick» nicht vorwerfen, einseitig aus dem amtlichen Dokument zitiert zu haben. Die Beschwerde des Zahnarztes wird in allen Punkten abgewiesen.

Résumé

Un dentiste a adressé une plainte au Conseil suisse de la presse après la publication d’un article dans le «Blick» du 28 janvier 2019. Le journal avait rendu compte du cas d’une assistante dentaire en cours de formation. A la suite d’un commentaire en ligne sur Google sur son ancien employeur, la jeune femme avait écopé d’une ordonnance pénale pour diffamation. Elle y présentait son ancien supérieur comme un dentiste traitant ses employés et ses patients de manière lamentable. Le dentiste était selon elle «très mauvais» et son cabinet «véritablement dangereux», pouvait-on lire dans son commentaire. Le «Blick» a repris ces critiques dans son article.

Le dentiste a estimé que les déclarations de son ancienne assistante en formation nuisaient à sa réputation et portaient atteinte à son honneur, pouvait-on lire dans sa plainte. Pourtant, le «Blick» ne l’a pas entendu. Le journaliste s’est contenté d’une seule et unique prise de contact, restée sans succès. Le dentiste s’est donc plaint que son point de vue n’avait pas été considéré.

Pour le Conseil de la presse, il est incontestable que la jeune femme a exprimé de graves reproches. Le «Blick» fondant toutefois son article sur une ordonnance pénale, il n’avait pas à entendre le dentiste. Car une ordonnance pénale équivaut à un jugement au plan de l’éthique des médias, raison pour laquelle l’audition des parties n’est pas requise.

Le Conseil de la presse dispose de l’ordonnance pénale. Seule l’infraction y est mentionnée. L’autorité pénale n’a semble-t-il pas entendu le dentiste. L’ordonnance pénale n’évoquant pas le point de vue du dentiste, on ne peut reprocher au «Blick» d’avoir cité le document officiel de manière partiale. La plainte du dentiste est rejetée sur tous ses points.

Riassunto

Un articolo del «Blick» del 28 gennaio 2019 ha dato luogo a un reclamo al Consiglio della stampa. La notizia riguardava un dentista accusato dalla propria ex assistente, la quale l’aveva descritto su Google come un cattivo medico. L’accusa era costata alla donna una condanna per diffamazione. Di fatto, il dentista vi era descritto come un medico che trattava in modo indecente sia i suoi collaboratori sia i suoi pazienti: «pessimo» il dentista e «pericoloso» il trattamento riservato ai pazienti del suo studio.

«Diffamatorie» e «denigratorie» venivano definite, nel decreto d’accusa, le affermazioni della ex collaboratrice. A parere del medico, tuttavia, la redazione non si sarebbe curata di ascoltare le sue ragioni: il giornalista aveva appena una volta tentato di raggiungerlo, limitandosi a riportare le critiche avanzate contro di lui nel documento ufficiale. Avrebbe dunque, come giornalista, mancato al dovere di ascolto della parte criticata.

Anche il Consiglio della stampa ritiene gravi gli addebiti mossi contro il sanitario. Ma il decreto d’accusa si limitava ai dati essenziali senza dare il punto di vista del dentista, e il giornale si era limitato a riferire quelli: altro non vi era contenuto. Perciò il confronto diretto delle persone non era necessario.

I. Sachverhalt

A. Am 28. Januar 2019 veröffentlichte «Blick» einen Artikel mit dem Titel «Dentalassistentin Sadia H.* (20) kritisiert ihren Ex-Chef auf Google. Jetzt muss sie 1400 Fr zahlen». Darin wirft die Dentalassistentin Sadia H. ihrem früheren Chef vor, seine Angestellten und Patienten schlecht behandelt, unnötige Behandlungen vorgenommen und Hygienestandards nicht eingehalten zu haben. Der Zahnarzt habe seine Mitarbeiterinnen zudem wie «Sklaven» behandelt. Sadia H. habe deshalb gekündigt und ihre Lehre in einer anderen Praxis fortgesetzt. Auf Google habe die Auszubildende eine Rezension über ihren früheren Arbeitgeber verfasst, um vor ihm zu warnen. Dabei hielt sie fest, er hasse seinen Job und breche Zahnbehandlungen bei Kindern auch dann nicht ab, wenn diese weinten oder fast erstickt seien. Der Zahnarzt sei «ganz schlecht» und die Praxis «echt gefährlich», schrieb sie.

Als Folge davon habe die Auszubildende einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten erhalten. Ihr Eintrag auf Google sei ehrverletzend, sie werde bedingt zu 30 Tagessätzen von 40 Franken verurteilt. Sadia H. erhalte eine Busse von 300 Franken, eine Strafbefehlsgebühr von 1100 Franken und einen Eintrag ins Strafregister. Gegen dieses Urteil wolle sich die junge Frau wehren, wofür sie einen Anwalt engagiert habe. Ihr früherer Arbeitgeber habe seine Praxis im Kanton Aargau in der Zwischenzeit verkauft und sei nun im Kanton Luzern tätig. Der Zahnarzt wolle sich zum Fall nicht äussern, schreibt «Blick».

Der Print-Artikel zeigt ein Foto von Sadia H. und ein verpixeltes Porträt-Bild des Zahnarztes. Online ist ebenfalls ein Foto von ihm publiziert, das ihn – mit verpixeltem Gesicht – in seiner Praxis zeigt.

B. Am 8. März 2019 reichte der Verein Fairmedia im Auftrag des Zahnarztes eine Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen den Artikel des «Blick» ein. Dieser verletze die Anhörungspflicht (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», nachfolgend «Erklärung») sowie die Richtlinie 7.2 (Identifizierung).
Der Zahnarzt argumentiert, die Vorwürfe von Sadia H. gegen ihn seien rufschädigend und ehrverletzend. Das bestätige auch der Strafbefehl wegen übler Nachrede. Vom «Blick» sei er jedoch nicht angehört worden. Der «Blick»-Journalist habe einmal versucht, ihn zu kontaktieren; seine Praxisangestellte habe ihm das entsprechend ausgerichtet. Allerdings genüge der ausgebliebene Rückruf nicht, um daraus zu schliessen, dass ein Betroffener keine Stellung nehmen möchte. Deshalb liege ein Verstoss gegen Richtlinie 3.8 (Anhörungspflicht) vor.

Des Weiteren macht der Zahnarzt einen Verstoss gegen Richtlinie 7.2 (identifizierende Berichterstattung) geltend. Zwar sei er durch einen geänderten Namen anonymisiert worden und das Foto zeige ihn verpixelt. Allerdings sei auf dem Bild seine Praxis mit einer «charakteristischen Wand» im Hintergrund zu sehen. Das Foto sei von seiner Website und ohne seine Erlaubnis genommen worden. Zudem schreibe «Blick», dass er nicht mehr im Aargau, sondern inzwischen im Kanton Luzern arbeite. Der Zahnarzt sagt, diese Informationen genügten, um ihn zu identifizieren.

C. Die Beschwerdeantwort des anwaltlich vertretenen «Blick» folgte am 6. Mai 2019. Die Beschwerde sei abzuweisen. Dies, weil eine Gerichtsberichterstattung vorliege. Es sei unbestritten, dass die ehemalige Auszubildende per Strafbefehl verurteilt worden war. Der relevante Sachverhalt stütze sich daher auf ein amtliches Dokument. Da ein Strafbefehl medienethisch einem Urteil gleichgestellt sei, sei der Zahnarzt nicht anzuhören gewesen. Um über die Ereignisse berichten zu können, sei es unabdingbar gewesen, die Vorwürfe aufzugreifen, argumentiert die Redaktion. Ansonsten hätte sich die Leserschaft kein Bild machen können, weshalb die Auszubildende bestraft worden sei und wogegen sie sich wehren wolle. Deshalb sei unerheblich, ob der «Blick»-Journalist den Zahnarzt erreicht habe oder nicht. Die Anhörungspflicht sei nicht verletzt.

Ebenfalls liege kein Verstoss wegen ungerechtfertigter Identifizierung (Richtlinie 7.2) vor. Der «Blick» argumentiert, dass ein verpixeltes Bild und ein anderer Name – in diesem Fall sei ein falscher Vorname und ein falsches Initial des Nachnamens gewählt worden – genügten, um eine identifizierende Berichterstattung zu verhindern. Zudem habe «Blick» keine Orte, sondern lediglich die Kantone genannt, in denen der Zahnarzt seine frühere und aktuelle Praxis geführt habe respektive führe. Des Weiteren bestreitet der Beschwerdegegner, dass die Wand «charakteristisch» sei. Ein durchschnittlicher Leser oder eine durchschnittliche Leserin könne den Zahnarzt aufgrund dieses Bildhintergrunds nicht identifizieren.

D. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde der 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Markus Locher, Simone Rau und Hilary von Arx an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 31. Oktober 2019 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Grundlage der Berichterstattung ist ein Strafbefehl, der gegen die Dentalassistentin in Ausbildung, Sadia H., wegen übler Nachrede erlassen wurde. Sie hat auf Google eine Rezension über ihren früheren Arbeitgeber verfasst und ihn dabei als Zahnarzt beschrieben, dessen Behandlungen gesundheitsgefährdend sein können. Im «Blick»-Artikel kündet die Auszubildende an, den Strafbefehl anzufechten. Ob sie effektiv Einsprache dagegen erhoben hat oder ob dieser inzwischen rechtskräftig ist, bleibt offen.

Unbestritten handelt es sich jedoch um schwere Vorwürfe, welche die junge Frau geäussert hat. Eine Anhörung des Betroffenen ist allerdings nicht erforderlich, wenn die Vorwürfe Bestandteil eines Gerichtsurteils sind. Im vorliegenden Falle ist somit zu prüfen, ob die Auszubildende gegenüber «Blick» neue schwere Vorwürfe erhoben hat, die über den Inhalt des Strafbefehls hinausgehen.

Der Beschwerdeführer listet die Vorwürfe auf, die Sadia H. gegenüber «Blick» genannt hat: Er sei ein schlechter Zahnarzt und nehme unnötige Behandlungen vor. Des Weiteren behandle er seine Patienten schlecht, halte Hygienestandards nicht ein und behandle seine Angestellte wie Sklaven. Darüber hinaus weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass «Blick» weitere Vorwürfe der Auszubildenden anführe, die sie in einer Google-Rezension verfasst habe: Dass der Zahnarzt seinen Job hasse, ihm seine Patienten egal seien und er bei der Zahnbehandlung von Kindern mit Bohren nicht aufgehört habe, obwohl sie fast erstickt seien. Diese schweren Vorwürfe seien «massiv rufschädigend», dennoch sei er nicht angehört worden, moniert der Beschwerdeführer. Die Redaktion hält dem entgegen, die Vorwürfe ergäben sich aus dem Strafbefehl, weshalb eine Anhörung nicht notwendig gewesen sei.

Der Strafbefehl liegt dem Presserat vor. Daraus geht der Wortlaut jener Google-Rezension hervor, der zur Verurteilung der Auszubildenden führte. Diese hielt darin fest, dass der Zahnarzt seine Assistentinnen «wie dreckige Sklaven» behandle, seinen Job hasse, ihm die Patienten «egal» seien und bei weinenden Kindern nicht aufhöre zu bohren, selbst wenn «das Kind fast erstickt». Zudem könne er «alles [sic] müll [sic] verrechnen». Sodann schrieb Sadia H.: «(…) diese Praxis ist echt gefährlich» und «dieser Zahnarzt ist ganz schlecht».

Auch wenn «Blick» nicht sämtliche Aussagen aus dem Strafbefehl zitierte, sondern darüber hinaus Zitate von Sadia H. verwendete, decken sich diese mit dem Inhalt des Strafbefehls. Einzig die Bemerkung, dass der Zahnarzt Hygienestandards nicht eingehalten habe, ist neu. Der Presserat sieht darin aber keinen weiteren schweren Vorwurf, da die Aussage sich mit jenen der Google-Rezension deckt, dass es «gefährlich» sei, sich in dieser Praxis behandeln zu lassen. Indem der Strafbefehl die Sichtweise des Zahnarztes nicht aufgreift, sondern lediglich den Strafbestand wiedergibt, lässt sich dem «Blick» auch nicht vorwerfen, einseitig aus dem Strafbefehl zitiert zu haben. Denn in diesem konkreten Fall fand offenbar keine Anhörung durch die Strafbehörde statt. Ziffer 3 der «Erklärung» respektive die erläuternde Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) sind daher nicht verletzt.

2. «Blick» illustrierte den Text unter anderem mit einem Foto, welches das Gesicht respektive den ganzen Kopf des Zahnarztes verpixelt zeigt. Die Richtlinie 7.2 hält fest, eine identifizierende Berichterstattung liege vor, wenn der Abgebildete für Personen ausserhalb der Familie, des sozialen oder beruflichen Umfelds erkennbar ist. Die Richtlinie ist aber nicht dafür gedacht, eine totale Anonymisierung zu gewährleisten. Daher ist das Argument des Zahnarzts nicht stichhaltig, Patientinnen oder Patienten könnten ihren Zahnarzt möglicherweise erkennen.

Online ist das Bild nicht beschnitten, wodurch im Hintergrund eine graue Steinwand zu sehen ist. Den Namen des Zahnarzts hat «Blick» anonymisiert. Einzig die Angaben zu den Kantonen, in denen er tätig ist respektive war, wurden übernommen. Gemäss den kantonalen Sektionen der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft sind im Kanton Aargau rund 250 und im Kanton Luzern rund 140 Zahnärzte tätig. Die Angaben im «Blick»-Artikel reichen daher nicht aus, um den Beschwerdeführer zu identifizieren. Dafür ist die Anzahl der Zahnärzte in beiden Kantonen schlicht zu hoch. Auch die graue Steinwand, wie sie im Bildhintergrund zu sehen ist, ist zu unspezifisch, um sie einer bestimmten Praxis zuzuordnen.

Wie der Zahnarzt moniert, hat «Blick» das Foto ohne sein Einverständnis verwendet. Diesbezüglich hat der Presserat bereits in früheren Entscheiden (vgl. 43/2010 und 34/2015) festgehalten, dass es entscheidend ist, in welchem Kontext eine Information ins Netz gestellt worden war. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, an wen sich diese richtet. Im vorliegenden Fall stammt das Foto von der Website der Zahnarzt-Praxis. Es wurde somit nicht einem privaten Kontext entnommen. Der Beschwerdeführer hat es genutzt, um sich damit in der Öffentlichkeit als Zahnarzt zu präsentieren. Daher ist die Verwendung des Fotos nicht zu beanstanden. Ziffer 7 der «Erklärung» respektive die erläuternde Richtlinie 7.2 (Identifizierung) sind nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Blick» hat mit dem Artikel «Dentalassistentin Sadia H.* (20) kritisiert ihren Ex-Chef auf Google. Jetzt muss sie 1400 Fr zahlen» die Ziffern 3 (Anhörungspflicht) und Ziffer 7 (identifizierende Berichterstattung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.

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1 Vgl. Websites der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft, Sektion Aargau (www.sso-aargau.ch) und Sektion Luzern (www.sso-luzern.ch), Zugriff am 25. 10. 2019