Nr. 60/2019
Wahrheit / Trennung von Fakten und Kommentar / Privatsphäre (Identifizierung)

(X., Y., Z. c. «Basler Zeitung»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 8. November 2018 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) einen Artikel von Alessandra Paone mit dem Titel «An der Meinungsfreiheit gescheitert». Darin wird darüber berichtet, dass der Studienrat [offiziell Studierendenrat] der Universität Basel, die Vertretung der Studentenschaft, einen früheren Entscheid in Sachen «Weltwoche» habe zurücknehmen müssen. Dieser Entscheid habe zunächst darin bestanden, dass «die Weltwoche (…) aus den Räumlichkeiten der Uni Basel verschwinden» solle. «Für immer». Dieser Beschluss sei nun mit grosser Mehrheit widerrufen worden, nachdem sich ein Referendumskomitee gebildet habe, welches 215 Unterschriften dagegen habe sammeln können. Resümierend wird festgestellt, dass der Studienrat die Absicht gehabt habe, die «Weltwoche zu verbannen», was landesweit politische Diskussionen insbesondere zum Thema Meinungsfreiheit ausgelöst habe. Als Folge des neuen Entscheids, so der Artikel, werde «das Wochenmagazin nun weiterhin in den Gebäuden der Uni aufgelegt». Die Gegner der «Weltwoche» hätten mit ihrem Antrag auf ein Hausverbot das Gegenteil bewirkt, nämlich mehr Publizität für die Zeitschrift.

B. X. und Y. reichten am 13. November 2018 Beschwerde gegen diesen Artikel beim Schweizer Presserat ein, Z. am 28. November eine weitere, die wörtlich weitgehend gleich lautet wie diejenige von X. Alle drei machten eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), respektive von Richtlinie 1.1 geltend, also einen Verstoss gegen die Pflicht zur Wahrheitssuche. Weiter monieren alle drei Beschwerden einen Verstoss gegen Ziffer 2 der «Erklärung», respektive gegen 2.3 der Richtlinien, also das Gebot zur Trennung von Berichterstattung und Kommentar. Schliesslich kritisiert X., dass er unnötigerweise namentlich als Antragsteller in Sachen «Weltwoche» erwähnt wurde. Der Presserat interpretiert dies als den Vorwurf eines Verstosses gegen Ziffer 7 der «Erklärung», respektive gegen Richtlinie 7.2 (ungerechtfertigte Identifizierung).

Den Verstoss gegen die Wahrheitspflicht begründen die Beschwerdeführer damit, dass der Studierendenrat nie, wie von der BaZ behauptet, die «Weltwoche» «aus den Räumen der Uni habe verschwinden lassen» wollen. Man habe lediglich bewirken wollen, dass keine Gratisexemplare mehr aufgelegt werden dürfen, die Zeitschrift hätte aber weiterhin – gleich wie alle anderen – in der Mensa und den Bibliotheken aufgelegen. Entsprechend sei auch die Formulierung «die Weltwoche verschwindet nicht aus den Räumen der Uni Basel» inhaltlich unwahr. Weiter sei die Formulierung unwahr, der Studentenrat habe in einem Brief an das Rektorat verlangt, dass «die Weltwoche verbannt wird». Das habe er nie beabsichtigt. Es sei nur um die Gratisexemplare der «Weltwoche» gegangen. Schliesslich sei die Formulierung in der abschliessenden Bilanz unwahr, wonach die Gegner die «Weltwoche» «mit einem Hausverbot bestrafen wollten», aber damit das Gegenteil erreicht hätten. Es sei nie ein Hausverbot für die «Weltwoche» gefordert worden. Kurz: Es sei nie von einem Verbot für die «Weltwoche» die Rede gewesen, anders als die BaZ wiederholt behauptet habe. Zum Beweis wird das Protokoll der Studierendenratssitzung vom 25. September 2018 beigelegt, in welchem der fragliche Beschluss festgehalten ist. Dort heisst es unter anderem: «Der SR (Studierendenrat) möge beschliessen, (…) das Rektorat davon zu überzeugen, dass künftig keine Gratisausgaben von ‹Die Weltwoche› mehr in den Räumlichkeiten der Universität Basel wegen rassistischen, islamophoben und rechtspopulistischen Inhalten ausgelegt werden. (…)»

Der Verstoss gegen Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) wird begründet mit der Formulierung im Artikel «Die Kampfansage gegen die Rechtspopulisten, die gross angekündigte Bewegung – gestoppt, von einer schlagenden Mehrheit, die sich nicht vorschreiben will, wie sie zu denken hat» entspreche nicht einem Fakt, da keine Abstimmung unter den StudentInnen stattgefunden habe. Der Ausdruck «schlagende Mehrheit» sei somit «klar subjektiv und kommentierend, beziehungsweise empfindend».

Schliesslich macht Beschwerdeführer X. geltend, mit der Nennung seines Namens am Ende des Artikels sei er zur Zielscheibe für den Hass von Gästen des BaZ-Online-Forums gemacht worden. Und der Beschwerdeführer Y. beantragt eine Korrektur der Fehler in der BaZ.

C. Nach dem Eintreffen der dritten Beschwerde beschloss das Präsidium des Presserates, die drei Eingaben gemeinsam zu behandeln und bat die Chefredaktion der «Basler Zeitung» um eine Stellungnahme.

D. Mit Schreiben vom 30. Januar 2019 nahm der Rechtsdienst der Tamedia als Vertreter der BaZ Stellung zu den Beschwerden. Es wird festgestellt, der Vorwurf sei falsch, wonach die Formulierung, die «Weltwoche» «solle aus den Räumen der Universität verschwinden. Für immer.» unwahr sei. Dies treffe nicht zu, jedenfalls nicht aus einer Gesamtbetrachtung des ganzen Artikels heraus. Der Artikel sei im Übrigen nicht reisserisch und verstosse nicht gegen die Presse- und Meinungsfreiheit. Von Unwahrheiten könne keine Rede sein, die Beschwerdeführer präsentierten lediglich Haarspaltereien. Im Artikel werde ja «explizit aufgeführt, dass das Wochenmagazin weiterhin in den Gebäuden der Uni aufgelegt wird und somit ist für jeden Leser klar, dass es sich nicht um ein Gesamtverbot der Wochenzeitschrift handelt». Der Terminus «Verbot» sei gerechtfertigt, da Gratisexemplare anderer Publikationen zugelassen würden. Auch hätten andere Medien die gleiche Terminologie verwendet.

Was den behaupteten Verstoss gegen Richtlinie 2.3 (Trennung Fakten – Kommentar) betrifft, so trifft auch dieser – laut BaZ – nicht zu: Die Passage, das Vorhaben der Initianten sei «gestoppt, von einer schlagenden Mehrheit, die sich nicht vorschreiben will, wie sie zu denken hat» sei aus dem Kontext gerissen. Der von den Beschwerdeführern insbesondere monierte Ausdruck «schlagend» habe klar die Bedeutung «übereinstimmend». Und das wiederum sei berechtigt, da der Gegenentscheid ein Mehrheitsentscheid gewesen sei.

Was die Namensnennung des Beschwerdeführers X. als Initiant des «Weltwoche»-Antrags betrifft, so verweist die Redaktion darauf, dass sie den Namen genannt habe im Hinblick auf eine anstehende Podiumsdiskussion zum strittigen Thema. Wer an einem Podium teilnehme, müsse damit rechnen, in den Medien genannt zu werden.

Schliesslich stellt die BaZ zum entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers Y. fest, dass die Anordnung der Korrektur eines Artikels nicht in der Kompetenz des Presserates liege.

E. Am 1. März 2019 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 25. November 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Zur Wahrheitspflicht, Ziffer 1 der «Erklärung» und Richtlinie 1.1: Wenn die BaZ schon im Untertitel des Artikels impliziert, der Studierendenrat habe die «Weltwoche» «aus den Gebäuden der Uni Basel verschwinden lassen» wollen, dann entspricht dies nicht den Tatsachen. Der entsprechende Beschluss sprach nur von Gratisexemplaren, die nicht mehr sollen aufgelegt werden dürfen. Von den übrigen «Weltwoche»-Exemplaren in der Mensa und den Bibliotheken war nicht die Rede, ergo ist der Satz «verschwindet nicht aus den Gebäuden der Uni Basel» ebenso falsch wie vier weitere Formulierungen im gleichen Artikel: «… sollte aus den Räumlichkeiten der Uni verschwinden …», «die Weltwoche darf weiter aufgelegt werden», der Studierendenrat habe «(…) den Auftrag gegeben (…) dass die Weltwoche verbannt wird», «Das Wochenmagazin wird weiterhin in den Gebäuden der Uni aufgelegt»: Das sind alles Formulierungen, die davon ausgehen, dass es die Absicht des Studierendenrats gewesen sei, die «Weltwoche» vollständig aus dem Uni-Gelände zu entfernen. Das war aber klar nicht der Fall, wenn man den diesbezüglichen Beschluss vom 25. September 2018 liest.

Daran ändert nichts was die Redaktion entgegnet: Der von ihr angeführte «Gesamtzusammenhang des Artikels» ergibt nichts anderes: Die immer wiederkehrenden Formulierungen gehen alle zu Unrecht von einem beabsichtigten gänzlichen Verschwindenlassen der «Weltwoche» aus.

Der von der BaZ als Beleg für das Gegenteil angeführte Satz «Die Weltwoche darf weiterhin aufgelegt werden» bezieht sich nicht auf die unterstellte ursprüngliche Absicht des Studierendenrats, sondern auf die neue Sachlage nach dessen Rückzieher. Entsprechend ändert auch dies nichts daran, dass die «Basler Zeitung» mit den erwähnten Formulierungen gegen die Pflicht zur Wahrheit («Erklärung» Ziffer 1) und insbesondere zur Wahrheitssuche, Richtlinie 1.1, verstossen hat.

Die BaZ hält im Übrigen zu Recht fest, dass der Ausdruck «Verbot» gerechtfertigt war. Ob ein gänzliches Entfernen einer Zeitschrift gemeint ist oder auch nur das Verbot von Gratisexemplaren, die aufgelegt werden sollen: Beides kann mit dem Ausdruck «Verbot» umschrieben werden.

2. Zur Frage, ob die BaZ mit einer Formulierung in diesem Artikel die gebotene Trennung von Fakten und Kommentar (Ziffer 2 der «Erklärung», Richtlinie 2.3) eingehalten oder verletzt hat, ist folgendes festzustellen: Die von den Beschwerdeführern monierte Formulierung einer «schlagenden Mehrheit» ist nicht per se unzulässig kommentierend, sondern vor allem inhaltlich unklar. Das Adjektiv «schlagend» ist im Zusammenhang mit dem Substantiv «Mehrheit» mindestens sehr ungewöhnlich. Es ist zu vermuten, dass die Autorin mit der «schlagenden Mehrheit» das klare Ergebnis der neuen Abstimmung im Studentenrat meinte. Dieses Unterstreichen einer deutlichen neuen Mehrheit muss erlaubt sein und ist nicht – wie in den Beschwerden moniert – unzulässig «subjektiv und kommentierend, beziehungsweise empfindend». Für die Leserschaft ist dies vielmehr als Charakterisierung deutlich erkennbar. Es liegt somit kein Verstoss gegen Ziffer 2 der «Erklärung» vor.

Was allenfalls etwas problematischer erscheint, ist, dass der ganze übrige Text geprägt ist von der immer wieder aufscheinenden klaren Meinung der Autorin. Das wird aber von den Beschwerdeführern nicht – mit den nötigen Verweisen auf den Text – geltend gemacht.

3. Was die Namensnennung des Beschwerdeführers X. angeht, so ist der BaZ beizupflichten: Dass X. an einer Podiumsdiskussion mit prominenter Beteiligung zu dieser sehr umstrittenen Thematik teilnehmen sollte, rechtfertigte seine Nennung mit Namen und Funktion. Und die Funktion im konkreten Fall war eben die des Initianten eines Antrags auf einen Stopp der «Weltwoche»-Gratisexemplare. Mit der Teilnahme am Podium hat er selber Öffentlichkeit hergestellt, den allfälligen Schutz der Privatsphäre aufgehoben. Es liegt kein Verstoss gegen Ziffer 7 der «Erklärung» vor.

4. Ebenso trifft zu, dass der Presserat nicht die Befugnis hat, allfällige Richtigstellungen anzuordnen. Er prüft nur, ob die Vorgaben der «Erklärung» eingehalten wurden oder nicht.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerden werden im wesentlichen Punkt gutgeheissen: Die «Basler Zeitung» hat mit dem Artikel «An der Meinungsfreiheit gescheitert» vom 8. November 2018 die Pflicht zur Wahrheit (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») verletzt.

2. In den übrigen Punkten werden die Beschwerden abgelehnt.