Zusammenfassung
Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde des ehemaligen Bundesrichters Giusep Nay gegen ein in der «NZZ am Sonntag» veröffentlichtes Porträt abgewiesen. Dieses Porträt über Nay und dessen aktuelle Tätigkeit als Berater des Whistleblowers Adam Quadroni im Bündner Baukartell enthielt Aussagen Nays, aber auch Einschätzungen, die der Journalist aufgrund seiner Recherchen formulierte. Nay hatte verlangt, diese im Indikativ geschriebenen Sätze zu korrigieren, was die «NZZ am Sonntag» nicht tat. Dazu war sie laut Presserat auch nicht verpflichtet, weil die Leser klar erkannten, dass die gerügten Sätze keine Zitate von Nay waren (auch keine indirekten). Die «NZZ am Sonntag» hat sich an das Fairnessgebot gehalten.
Der Presserat unterstreicht in seinem Entscheid, dass bei Interviews und Recherchegesprächen klare Abmachungen zwischen den Partnern zu treffen sind. Die interviewte Person hat das Recht, ihre eigenen (direkten und indirekten) Zitate zu überprüfen und zu autorisieren, darf aber nicht in den übrigen Inhalt des Artikels eingreifen. Sie kann auch nicht verlangen, dass ein Porträt ein positives Bild zeichnet.
Résumé
Le Conseil suisse de la presse a rejeté une plainte déposée par Giusep Nay contre un portrait publié par la «NZZ am Sonntag». Ce portrait de l’ancien juge fédéral et de ses activités actuelles de conseiller du lanceur d’alerte Adam Quadroni dans le cartel grison du bâtiment contenait des déclarations de Giusep Nay, mais aussi des avis que le journaliste avait formulés à la suite de ses recherches. Giusep Nay avait exigé que ces phrases écrites à l’indicatif soient corrigées, ce que la «NZZ am Sonntag» n’a pas fait. Elle n’y était pas tenue, estime le Conseil de la presse, car le lecteur voyait clairement que les phrases contestées n’étaient pas des citations de Giusep Nay (y compris indirectes). La «NZZ am Sonntag» a respecté son devoir d’équité.
Le Conseil de la presse souligne dans sa décision que des accords clairs doivent être passés entre les partenaires d’interviews et d’entretiens réalisés à des fins de recherche. La personne interviewée a le droit de vérifier ses citations (directes et indirectes) et de les autoriser, mais pas d’intervenir sur le contenu de l’article. Elle ne peut pas exiger non plus qu’un portrait donne une image positive.
Riassunto
Il Consiglio svizzero della stampa ha respinto un reclamo dell’ex giudice federale Giusep Nay contro un «ritratto» pubblicato dalla «NZZ am Sonntag». L’articolo descriveva le sue attuali attività di consulente del «whistlebower» Adam Quadroni nel confronto di questi con un’impresa generale di costruzioni del Canton Grigioni. Vi erano riportate dichiarazioni dell’ex giudice e valutazioni del cronista basate sulle ricerche da lui svolte. All’autore, Nay aveva chiesto di correggere alcune delle sue dichiarazioni riportate come discorso diretto, ma il giornale non vi aveva dato seguito. Il Consiglio della stampa ritiene che non fosse necessario accettare questa richiesta in quanto al lettore risultava chiaro che non si trattasse di citazioni verbali, neppure indirette. La «NZZ am Sonntag» ha pertanto rispettato il dovere di correttezza.
Il Consiglio della stampa ribadisce nella sua presa di posizione che nei colloqui informativi tra intervistato e intervistatore va sempre preso un accordo circa le modalità di pubblicazione. L’intervistato mantiene il diritto a verificare quel che gli viene attribuito, sia come discorso diretto sia come sintesi delle dichiarazioni che ha fatto. Solo questa parte del colloquio, tuttavia, è soggetta ad approvazione. Sul resto dell’articolo l’intervistato non può intervenire, e neppure esigere che dal ritratto emani un giudizio positivo.
I. Sachverhalt
A. Am 27. Mai 2018 veröffentlichte die «NZZ am Sonntag» ein von Thomas Isler verfasstes Porträt von Giusep Nay mit dem Titel «Selbst als Pensionierter will er immer Recht haben» (online) bzw. «Am liebsten im Recht» (Print). Der Lead lautet: «Giusep Nay, ehemaliger Bundesrichter, hilft zurzeit dem Whistleblower aus dem Bündner Baukartell. Es geht ihm dabei auch um das Bild seines Heimatkantons.» Der Artikel schildert das Engagement Nays für den Informanten und dessen Anwalt. Neuerdings müsse er den Whistleblower in der Presse verteidigen, seit sich Leute mit ihren Strafanzeigen gegen Adam Quadroni melden, drohe der Wind zu drehen. Quadronis Schicksal habe Giusep Nay möglicherweise auch berührt, weil er sich die engen Verhältnisse in einem Bündner Tal vorstellen könne. Der Autor schildert Herkunft und Werdegang des Juristen bis zum Bundesgericht und wie er einer breiten Öffentlichkeit als Bundesgerichtspräsident bekannt wurde, der sich mit dem damaligen Justizminister Christoph Blocher anlegte. Aktuell gehe es Nay um die allgemeinen Grundsätze ebenso wie um konkrete Hilfe für Quadroni. Und auch ein bisschen um die Ehrenrettung für seine Heimat.
B. Am 29. Mai 2018 reichte Giusep Nay beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel von Thomas Isler ein. Er sieht die Ziffer 4 (Beschaffung von Informationen/Interview) und Ziffer 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») verletzt. Nay macht einen Vertrauensbruch geltend, denn der Journalist habe die von ihm, Nay, verlangten Änderungen seiner Aussagen nicht vorgenommen, obwohl dies so abgemacht worden sei. Er verweist auf die folgenden zwei Sätze: «Als oberster Richter muss man der richtigen Seite zum Recht verhelfen.» (Zitat «NZZ am Sonntag»). Nay hatte vom Autor die folgende Korrektur verlangt: «Als oberster Richter muss man oft vor allem der schwachen Seite zum Recht verhelfen». Sowie: «Giusep Nay intervenierte – per Telefon und mit Onlinekommentaren, die er spätabends schreibt» (Zitat «NZZ am Sonntag»). Nay hatte eine Korrektur folgenden Inhalts verlangt: «Giusep Nay intervenierte mit einer Stellungnahme, die aber nur mit einer Kürzung, die sie verfälschte, wiedergegeben wurde.» Nay sieht im Vorgehen der «NZZ am Sonntag» eine Verletzung des Fairnessprinzips. Dieses sieht er auch in Bezug auf den Titel der Online-Ausgabe «Selbst als Pensionierter will er immer Recht haben» verletzt. Er macht geltend, in der Vereinbarung mit dem Journalisten habe er klar gesagt, dass er (Nay) «nicht an einem Porträt mitwirkt, das mich in ein falsches oder gar schlechtes Licht stellt»; dieser Titel würde aber genau das tun.
C. Am 10. Juli nahm Luzi Bernet, Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», zur Beschwerde Stellung. Er beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, diese sei offensichtlich unbegründet. Sollte der Presserat dennoch eintreten, sei die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen. Es handle sich beim kritisierten Artikel vom 27. Mai 2018 um ein Porträt, nicht um ein Interview. Die Vereinbarung zwischen dem Autor und Nay sei klar gewesen: Nay könne den Text vor der Publikation sehen und seine eigenen Zitate (direkte und indirekte) autorisieren. Die Korrekturen, die Nay in der Folge vorgeschlagen habe, hätten jedoch nicht seine Zitate, sondern Einschätzungen des Autors betroffen, welche dieser aufgrund von Recherchen und Gesprächen gewonnen habe. Dies gelte zum einen für den Einleitungssatz «Als oberster Richter muss man der richtigen Seite zum Recht verhelfen». Es handle sich erkennbar nicht um ein Zitat Nays. Es gebe darum kein Recht Nays, diesen ersten Satz im Indikativ zu ändern. Ziffer 5 der «Erklärung» sei nicht verletzt, denn darin gehe es um die Berichtigungspflicht inhaltlich falscher Meldungen. Es seien jedoch keine falschen Meldungen publiziert worden. Auch Richtlinie 4.5 sei nicht verletzt, denn darin gehe es um Pflichten bei einem Interview. Diese Norm sei alleine schon deshalb nicht einschlägig, weil es nicht um ein Interview, sondern um ein Porträt ging. Zudem seien die «Interview-Teile», also die Zitate, korrekt autorisiert worden.
Der Satz «Giusep Nay intervenierte – per Telefon und mit Onlinekommentaren, die er spätabends schreibt» sei ebenfalls eine Beschreibung von Nays Tätigkeit durch den Autor, es handle sich nicht um ein Zitat Nays, sondern fusse auf Recherchen des Autors. Es gebe keine Grundlage dafür, wieso Nay vom Autor eine Änderung dieser beschreibenden Passage verlangen könnte, zumal die Passage auch keineswegs falsch oder irreführend sei.
Die Regeln des Gesprächs seien klar und in mehreren E-Mails unmissverständlich festgehalten worden: Der Autor schicke zwar den ganzen Text an Nay, aber Nay dürfe nur seine Zitate autorisieren. Auch der Titel sei nicht irreführend und lasse den Beschwerdeführer nicht in einem «falschen Licht» dastehen. Gerade die Titelsetzung müsse im Hoheitsgebiet der Redaktion liegen und dürfe immer auch etwas verkürzt eine wesentliche Schlussfolgerung eines Autors darstellen. Das Porträt von Giusep Nay sei sachlich ausgewogen, auch das Fairnessprinzip sei vorliegend nicht verletzt.
D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu. Ihr gehören Francesca Snider (Präsidentin), Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini und Casper Selg an. Casper Selg trat von sich aus in den Ausstand.
E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 26. November 2018 und auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der beanstandete Artikel der «NZZ am Sonntag» ist kein Interview, sondern ein Porträt von Giusep Nay. Zwar fand ein Gespräch zwischen dem Journalisten und dem porträtierten ehemaligen Bundesrichter statt und es werden aus diesem Gespräch Zitate wiedergegeben. Dieses Gespräch ist als Recherchegespräch zu werten. Nicht Richtlinie 4.5 (Interview) ist somit massgebend, sondern Richtlinie 4.6 (Recherchegespräche). Diese hält fest, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Gesprächspartner über das Ziel des Recherchegesprächs informieren sollen. Medienschaffende dürfen Statements ihrer Gesprächspartner bearbeiten und kürzen, soweit dies die Äusserungen nicht entstellt. Der befragten Person muss bewusst sein, dass sie eine Autorisierung der zur Publikation vorgesehenen Äusserungen verlangen darf.
Aus dem E-Mail Verkehr, der dem Presserat vorliegt, geht hervor, dass Isler und Nay eine klare Vereinbarung getroffen hatten: Nay war mit dem Gespräch einverstanden; er wusste auch, dass es um eine Personenkolumne ging und verlangte, den Text vor der Publikation lesen zu dürfen und zu autorisieren. Dabei war klar, dass Nay nur seine Zitate (in direkter oder indirekter Rede) korrigieren oder sogar zurückziehen durfte. Nay wurde der Text vom Autor vorgelegt, er hat seine Bemerkungen am Rande festgehalten und mit dem Zusatz «mit den kleinen Retuschen so autorisiert» retourniert. Diese «Retuschen» – wie Nay sie selber nennt – wurden jedoch nicht übernommen.
Zu fragen ist, ob es sich bei den Sätzen, welche Nay korrigieren wollte, um seine (direkten und indirekten) Aussagen handelte oder vielmehr um Überlegungen des Journalisten, die er aus seinen Recherchen gewann.
Beide von Nay kritisierten Sätze sind im Indikativ geschrieben. Der Durchschnittsleser liest diese nicht als Zitate Nays, weder als direkte noch als indirekte. Folglich kann Nay hier auch keine Korrekturen verlangen.
Die beiden Sätze enthalten auch keine falschen Elemente, welche zu korrigieren wären: «Als oberster Richter muss man der richtigen Seite zum Recht verhelfen» oder «Als oberster Richter muss man oft vor allem der schwachen Seite zum Recht verhelfen» mögen verschiedene Akzente setzen, sie sind aber inhaltlich nicht gegensätzlich. Dasselbe gilt für die zweite verlangte Korrektur: «Giusep Nay intervenierte – per Telefon und mit Onlinekommentaren, die er spätabends schreibt» vs. «Giusep Nay intervenierte mit einer Stellungnahme, die aber nur mit einer Kürzung, die sie verfälschte, wiedergegeben wurde». Die Version von Nay enthält zwar eine zusätzliche Information, diese ist aber für die Aussage des Porträts nicht wesentlich. Im Ergebnis musste somit keine Berichtigung vorgenommen werden, Ziffer 5 der «Erklärung» ist nicht verletzt.
Nay sieht weiter auch im Titel des Artikels einen Bruch der Abmachung mit dem Journalisten und somit einen Verstoss gegen das Fairnessprinzip. In einem Mail im Vorfeld des Gesprächs hatte Nay dem Journalisten mitgeteilt, dass er nicht an einem Porträt mitwirken wolle, das ihn «in ein falsches oder gar schlechtes Licht» stelle. Dazu hält der Presserat fest: Wer sich auf ein Gespräch mit einem Journalisten einlässt, muss damit rechnen, dass dieser kritische Töne miteinfliessen lässt oder ein Bild zeichnet, welches nicht mit dem Selbstbild übereinstimmt. Der Titel «Selbst als Pensionierter will er immer Recht haben» spielt mit der Zweideutigkeit des Wortes «Recht». Dies heisst aber nicht, dass Nay damit in ein schlechtes Licht gestellt wird. Somit lässt sich auch im Titel kein Verstoss gegen das Fairnessprinzip erkennen.
2. Giusep Nay sieht in der mangelnden Übernahme der Korrekturen zudem Ziffer 5 der «Erklärung» verletzt. Diese Bestimmung legt fest, dass veröffentlichte Meldungen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist, berichtigt werden müssen. Wie oben ausgeführt, enthalten die beiden von Nay kritisierten Sätze keine unwahren Aussagen, insofern kommt die Berichtigungspflicht nicht zur Anwendung. Am 27. Mai 2017, dem Tag der Publikation des Artikels, wies Nay den Journalisten in einem Mail darauf hin, dass er die falsch zitierten Aussagen nicht «Blick», sondern «20 Minuten» gegenüber gemacht habe (im Artikel wird der «Blick» erwähnt). Zu fragen ist, ob die «NZZ am Sonntag» dies in der Folge hätte berichtigen müssen. Dazu ist auszuführen, dass Nay selbst dem Journalisten gegenüber den «Blick» genannt hat. Am Morgen der Veröffentlichung teilt er dem Journalisten per Mail mit, dass die Korrektur «20 Minuten» betraf. Für den Presserat handelt es sich hier um einen Fehler von untergeordneter Bedeutung, der zudem von Nay verursacht wurde. Die in Ziffer 5 der «Erklärung» statuierte Berichtigungspflicht ist somit nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die «NZZ am Sonntag» hat mit dem Artikel «Selbst als Pensionierter will er immer Recht haben» (online) bzw. «Am liebsten im Recht» (Print) die Ziffern 4 (Interview) und 5 (Berichtigungspflicht) nicht verletzt.