I. Sachverhalt
A. Am 4. Februar 2020 veröffentlichte «20 Minuten» online ein Video zum Artikel «Adler packt jagende Katze und tötet sie». Das Video wurde am folgenden Tag, dem 5. Februar, erneut aufgeschaltet, diesmal unter dem Titel «Hätte die Katze gerettet werden können?». Das Video zeigte die Handy-Aufnahme eines Lesers, man sah, wie ein Adler eine Katze auf einer Wiese gepackt hat. Diese wehrt sich, bis sie schliesslich reglos in den Klauen des Raubvogels verendet. Dieses Video war am 4. Februar begleitet von einem Text, gezeichnet mit (bz), welcher schildert, wie es zu dem Video gekommen ist und der im Gespräch mit der Präsidentin einer Tierschutzorganisation verschiedenen Themen nachgeht. Es wird etwa erwähnt, dass Katzen in der Regel nicht zu den Beutetieren von Greifvögeln gehörten, speziell Adler seien aber durchaus in der Lage, Katzen zu töten. Weiter steht zu lesen, dass gewisse Bauern Katzen bewusst dem Adler aussetzten, und die Expertin rät Katzenbesitzern, ihre Tiere erst ab einer gewissen Grösse ins Freie zu lassen. Der Text von «B. Zanni» vom 5. Februar («Hätte die Katze gerettet werden können?») zum gleichen Video geht auf die laut «20 Minuten» sehr zahlreichen und teilweise emotionalen Zuschriften ein, welche entweder die Veröffentlichung des Videos kritisierten als auch, dass der Leserreporter der Katze nicht zu Hilfe geeilt sei statt das Ganze zu filmen. Oder, so der Text weiter, viele User stellten umgekehrt fest, das Video sei nicht zu beanstanden, hier werde nichts anderes gezeigt als der natürliche Zyklus von fressen und gefressen werden, was genauso gegolten hätte, hätte die Katze eine Maus gefressen. Auch hier kommt ein Experte zu Wort, welcher unter anderem sagt, es gebe nur einen sicheren Schutz vor solchen Vorfällen: die Katze einsperren. Man könne sich aber streiten, ob das artgerecht sei.
B. Am 16. Februar 2020 erhob X. Beschwerde gegen die Veröffentlichung des Videos mit der Begründung, sie verstosse gegen die Ziffern 2, 4, 7 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Die Beschwerdeführerin (BF) argumentiert, das Video sei viel zu gewalttätig, um veröffentlicht zu werden, speziell mit Blick auf Jugendliche, welche sich solche Bilder anschauten. Hier werde «Tischbomben-Journalismus» betrieben, in der Absicht, möglichst viele Klicks zu generieren. Viel eher sollte eine Redaktion wie «20 Minuten» sich ihrer Verantwortung bewusst sein und statt derartiger Gewalt positive Bilder vermitteln.
Insbesondere verletze das Video die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 2.4 (öffentliche Funktionen), die Richtlinie 4.3 (Bezahlung von Informanten, Informantinnen), welche es grundsätzlich nicht zulässt, Personen, die nicht zum Berufsstand gehören, für Informationen zu bezahlen, es sei denn, es gebe ein öffentliches Interesse dafür und dies sei hier klar nicht vorhanden. Richtlinie 7.8 (Notsituationen, Krankheit, Krieg, Konflikte) sieht die Beschwerdeführerin verletzt, weil die Redaktion das geweckte Mitleid hemmungslos ausnütze, insbesondere weil sie das Video am folgenden Tag nochmals aufgeschaltet habe, verbunden mit der Frage «Hätte die Katze gerettet werden können?», was jedermann «mit Fug und Recht mit Ja» beantworten könne, wenn nämlich der Betrachter nicht gefilmt hätte, sondern eingeschritten wäre.
Weiter sieht die BF Richtlinie 8.1 (Schutz der Menschenwürde) verletzt: Ihre (eigene) Menschenwürde sei missachtet, weil sie so eine Aufnahme nie zugelassen hätte. Die Aufforderung an die Leserschaft, Gewalt zu filmen statt einzuschreiten, verstosse ebenfalls gegen die Menschenwürde. Schliesslich erwähnt die BF Richtlinie 8.3 (Opferschutz), welche die Darstellung von Sterbenden, Leidenden und Toten verbietet, wenn die Grenze des durch das legitime Informationsbedürfnis Gerechtfertigten überstiegen werde. Erstens gebe es kein öffentliches Interesse an dieser Geschichte und zweitens sei das Tier seit dem Tierschutzgesetz von 2005 keine Sache mehr.
C. Die Rechtsabteilung der TX Group nahm für «20 Minuten» Stellung zur Beschwerde und beantragte deren Ablehnung. Sie begründet dies damit, dass das von der BF bestrittene öffentliche Interesse an dieser Thematik sehr wohl bestehe, der Fall, dass Katzen von Greifvögeln angegriffen werden, sei allgemein wenig bekannt, das Video habe aufklärende Wirkung. Was die Rücksicht auf sensible Betrachter betreffe, habe man bewusst einen klaren Warnhinweis vorangestellt. Zudem sei die dargestellte Szene mit wissenschaftlichen Fachpersonen aufgearbeitet worden.
Im Einzelnen sei Richtlinie 2.4 (öffentliche Funktionen) nicht anwendbar, weil diese ganz andere Tatbestände betreffe (öffentliche Ämter von Journalisten, Journalistinnen).
Zu der als verletzt kritisierten Vorschrift einer «Bezahlung von Informanten und Informantinnen» (Richtlinie 4.3) argumentiert «20 Minuten», dass die Veröffentlichung derartiger Bild-Informationen nur erfolge, wenn deren Inhalt von öffentlichem Interesse sei. Dies werde der Leserschaft auf der entsprechenden Website klar mitgeteilt. Ebenso, dass der Schutz der Privatsphäre, das Verhalten in Notfallsituationen und die Respektierung der Menschenwürde gewährleistet sein müssen. Dass unter diesen speziellen Bedingungen für Bilder bezahlt werde sei branchenüblich.
Richtlinie 7.8 (Verhalten bei Notsituationen) sei nicht verletzt, denn diese betreffe natürliche Personen und deren spezielle (Persönlichkeits-)Rechte, nicht aber Tiere. Das von der BF als besonders gewalttätig kritisierte Standbild zeige keine Wunden, keine Gewaltspuren, kein Leiden. Das Video zeige im Übrigen einfach die Natur und deren Gesetze.
Die von der BF angeführte Achtung der Menschenwürde (Richtlinie 8.1) sei kein Thema, die BF sei in ihrer Persönlichkeit weder durch das Video noch die Artikel betroffen. Und zum Argument, der Opferschutz von Richtlinie 8.3 sei verletzt, argumentiert «20 Minuten», auch bei dieser Bestimmung sei ein überwiegendes öffentliches Interesse massgebend, welches in concreto klar gegeben sei. Im Übrigen seien die Verweise der BF auf das Tierschutzgesetz untauglich, dessen Bestimmungen seien auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, abgesehen davon prüfe der Presserat nicht die Verletzung von Gesetzen, sondern nur solche der «Erklärung».
D. Der Presserat teilte den Parteien am 20. Mai 2020 mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, sowie Casper Selg und Max Trossmann, Vizepräsidenten.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. Juli 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerdeführerin sieht in diesem Video eine Darstellung von Gewalt und Grausamkeit, von welcher speziell die Jugend verschont werden sollte und sie fragt, weshalb derjenige, der das Geschehen gefilmt hat, der Katze nicht zu Hilfe geeilt ist. Der Presserat kann dem nicht folgen. Das Video zeigt einen Raubvogel, der eine Beute erlegt und dies gefilmt aus grosser Distanz, ohne blutige Details. Das Mitleid mit der Katze ist zwar verständlich, aber im Wesen nicht anders geartet als das Mitleid, das für die Beute hätte gelten müssen, wenn umgekehrt die Katze auf ihrer Pirsch erfolgreich gewesen wäre und einen schönen Vogel gefressen hätte oder eine halbtote, von ihr verletzte Maus nach Hause brächte.
Das Video war aber vor allem begleitet von Texten, welche den gezeigten Vorgang in einen Zusammenhang gestellt und Kontext vermittelt haben. Dieser Text muss in die Beurteilung der Berichterstattung einbezogen werden. Er war in keiner Weise schreierisch (Vorwurf des «Tischbomben-Journalismus»), sondern er setzte sich sachlich mit dem Gezeigten auseinander und mit Fragen, die sich daraus ergeben (Sind Katzen im Freien gefährdet? Greifen Raubvögel häufig Katzen an? Wie schützt man diese? Und dergleichen mehr). Diese Fragen haben fachkundige Personen in sachlicher Weise beantwortet.
Insgesamt sieht der Presserat in diesem Video nicht viel anderes als man in Naturfilmen immer wieder mal sehen kann. Fressen und gefressen werden ist äusserst unschön, aber nicht unnatürlich. Das zu zeigen ist nicht per se grausam, solange es mit der nötigen Vorwarnung und Begleitung gezeigt wird, beides war hier gegeben.
2. Im Einzelnen gilt zu den monierten Verstössen:
Richtlinie 2.4 (öffentliche Funktion) betrifft die Frage, was für Funktionen Journalistinnen und Journalisten bekleiden oder nicht bekleiden sollen, sie ist hier nicht von Belang.
Richtlinie 4.3 (Bezahlung von Informanten, Informantinnen) greift in diesem Fall ebenfalls nicht: Die Bezahlung von Information ist laut dem Ratgeber «So arbeiten Journalisten fair» von Studer/Künzi zur «Erklärung» verpönt, weil sie «die Gefahr berge, dass eine Information aus rein kommerziellen und nicht aus publizistischen Gründen gegeben werde», was zum Risiko führt, dass falsche oder falsch gewichtete Aussagen zustande kommen. Das steht im vorliegenden Fall aber nicht zur Diskussion, es wurde ein ungewöhnlicher, wenn auch brutaler natürlicher Vorgang filmisch festgehalten und der Redaktion angeboten vergleichbar dem Angebot eines freien Berufsfotografen.
Richtlinie 7.8 (Notsituationen) kommt deswegen nicht zur Anwendung, weil diese Bestimmung sich auf Bilder von Menschen in Notsituationen bezieht und die Voraussetzungen nennt, unter welchen mit Blick auf die zu wahrende Privatsphäre allenfalls doch berichtet werden darf. Dasselbe gilt für 8.1 (Menschenwürde) und 8.3 (Opferschutz): Auch diese beziehen sich auf das Schicksal von Menschen, deren Würde und Privatsphäre zu berücksichtigen ist. Der Schutz der Würde von Tieren ist in der «Erklärung» nicht geregelt.
Der Presserat versteht zwar das Anliegen der Beschwerdeführerin, wonach Kindern und Jugendlichen Positiveres gezeigt werden soll als Gewaltdarstellungen und Ähnliches. Er hält aber dafür, dass das hier zur Diskussion stehende Video unter medienethischen Gesichtspunkten kein geeignetes Beispiel für ihr Anliegen ist.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. «20 Minuten Online» hat mit der Veröffentlichung des Videos zu den Artikeln «Adler packt jagende Katze und tötet sie» vom 4. Februar 2020 sowie «Hätte die Katze gerettet werden können?» vom 5. Februar 2020 die Ziffern 2, 4, 7 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.