Nr. 57/2019
Anhören bei schweren Vorwürfen / Identifizierung

(Weber c. «20 Minuten»)

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I. Sachverhalt

A. Am 27. Februar 2018 veröffentlichte «20 Minuten» in der Regionalausgabe St. Gallen einen Artikel mit dem Titel «Beleidigung provoziert, nur um klagen zu können?». Im Artikel heisst es, Daniel Weber werbe mit einem Flyer dafür, Steuererklärungen für Private zu erledigen. Dabei bezeichne er sich als Rechtsberater. Im November 2012 sei er vor dem Kreisgericht St. Gallen wegen versuchter Nötigung verurteilt worden. Nun sei Weber erneut wegen versuchter Nötigung angeklagt. Gemäss Anklageschrift habe er Kundinnen, die sich von ihm die Steuererklärung ausfüllen liessen, so lange provoziert, bis sie ihn beleidigt hätten. Dabei sei es Webers Plan gewesen, beschimpft zu werden, da er in der Folge einer Frau in Aussicht gestellt habe, Strafanzeige wegen Beschimpfung zu erstatten und eine Betreibung gegen sie einzuleiten. Neben Nötigung sei er noch wegen weiterer Delikte angeklagt, weshalb die Staatsanwaltschaft als Sanktion eine unbedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten sowie eine Geldstrafe und eine Busse verlangen würde. Es gelte die Unschuldsvermutung. Gegenüber «20 Minuten» habe Daniel Weber am Vortag keine Stellung nehmen wollen.

B. Am 12. April 2018 reichte Daniel Weber gegen den Artikel vom 27. Februar 2018 beim Schweizer Presserat Beschwerde ein. «20 Minuten» habe gegen die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörende Richtlinie 7.2 (Identifizierung) verstossen. Es handle sich um ein laufendes Strafverfahren, in dem Namen nicht veröffentlicht werden dürften. Er sei keine Person von öffentlichem Interesse und die Nennung seines Namens mit Hinblick auf das Strafverfahren habe ihn in ein ungünstiges Licht gerückt, was einer medialen Vorverurteilung gleichkomme.

Der Beschwerdeführer legt dar, der Redaktor habe sich am 26. Februar 2018 um 15.00 Uhr per Mail an ihn gewandt. Bereits am darauffolgenden Tag sei der Artikel veröffentlicht worden. Dies sei nicht genügend Zeit gewesen, um dazu Stellung zu nehmen. Am Schluss seiner Beschwerdeschrift bestätigt Daniel Weber, kein Gerichtsverfahren gegen «20 Minuten» eingeleitet zu haben.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 18. Mai 2018 beantragte der Rechtsdienst von Tamedia im Auftrag von «20 Minuten», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen.

Tamedia führt aus, Daniel Weber habe zwar bestätigt, kein Gerichtsverfahren gegen die Beschwerdegegnerin eingeleitet zu haben, jedoch habe er versäumt zu bestätigen, dass auch kein Parallelverfahren vorgesehen sei. In seinem Schreiben vom 11. April 2018 an den Redaktor von «20 Minuten» habe er jedoch geltend gemacht, dass er je nach Ausgang des Verfahrens vor dem Presserat weitere rechtliche Schritte in der Angelegenheit einleiten werde. In der Vergangenheit habe Weber bereits in diversen Fällen parallel zu Beschwerden beim Presserat auch Gerichtsverfahren in denselben Angelegenheiten eingeleitet. Der Presserat sei auf diese Beschwerden nicht eingetreten. Auch in diesem Fall versuche Weber zu verschleiern, dass er allenfalls ein Gerichtsverfahren einleiten werde. Gestützt auf Art. 11 des Geschäftsreglements des Presserats habe dieser daher nicht auf die Beschwerde einzutreten.

Zum Vorwurf, die Namensnennung sei nicht korrekt, da Daniel Weber keine Person von öffentlichem Interesse sei und der Name im Zusammenhang mit einem Strafverfahren nicht genannt werden dürfe, erläutert die Redaktion, Daniel Weber sei bereits seit 2013 der Öffentlichkeit allgemein bekannt. Sowohl der K-Tipp als auch srf.ch hätten schon diverse Male über Gerichtsurteile, Presseratsbeschwerden, neue Strafverfahren und Vorwürfe von Betroffenen gegen Weber berichtet. In jedem Artikel sei sein Name explizit genannt worden. Der Medienbericht vom 27. Februar 2018 stehe damit im Zusammenhang. Eine Berichterstattung über das neue Verfahren ohne Namensnennung widerspräche berufsethischen Grundsätzen, da der Öffentlichkeit diese Tatsache vorenthalten würde. Die Taten des Beschwerdeführers seien in ihrem Ausmass und in ihrer Einzigartigkeit von überwiegendem öffentlichem Interesse, weshalb das Recht der Öffentlichkeit auf Information schwerer wiege als der Schutz der Privatsphäre. Insbesondere, weil die Öffentlichkeit gewarnt werden müsse, damit andere Personen vor unangenehmen Folgen wie Betreibungen, Anzeigen und Kompensationszahlungen geschützt werden könnten. Daher erachtet «20 Minuten» die Namensnennung als notwendig, um eine für Dritte nachteilige Verwechslung zu vermeiden. Auf die Unschuldsvermutung sowie auf das laufende Strafverfahren sei explizit hingewiesen worden, weshalb Ziffer 7 der «Erklärung» nicht verletzt sei.

Zum Vorwurf, Weber sei nicht genügend Zeit für die Stellungnahme gegeben worden, führt die Redaktion aus, ihm sei durchaus die Möglichkeit geboten worden, sich zu den Vorwürfen zu äussern. Der Redaktor habe sich mehrmals bemüht, Daniel Weber zu erreichen. Die erste Kontaktaufnahme habe – sowohl auf die Festnetz- als auch die Mobilnummer – am 26. Februar 2018 gegen 13.45 Uhr erfolglos stattgefunden. Eine weitere Kontaktaufnahme sei um 14 Uhr per Mail erfolgt. Um 15 Uhr habe der Redaktor den Beschwerdeführer erneut angerufen und um eine Stellungnahme gebeten, woraufhin dieser dem Redaktor zu verstehen gegeben habe, dass er die Mail bereits gelesen habe und er generell nicht bereit sei, mit der Redaktion von Tamedia zu sprechen und im vorliegenden Fall eine Stellungnahme abzugeben. Deshalb sei es offensichtlich, dass Daniel Weber, wäre ihm mehr Zeit gegeben worden, zur Stellungnahme nicht bereit gewesen wäre und er sich zu den Vorwürfen nicht habe äussern wollen. Auch sei dies im Artikel angemessen wiedergegeben worden, weshalb die Anhörungspflicht gemäss Richtlinie 3.8 der «Erklärung» eingehalten worden sei.

D. Am 8. Juni 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 18. November 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats tritt dieser auf eine Beschwerde nicht ein, wenn ein Parallelverfahren (insbesondere bei Gerichten oder bei der UBI) eingeleitet wurde oder vorgesehen ist. In seiner Beschwerde erklärt Daniel Weber, kein Gerichtsverfahren gegen «20 Minuten» eingeleitet zu haben. Den Mails, die Daniel Weber am 11. und 19. April 2018 an «20 Minuten» geschrieben hat, ist zu entnehmen, dass dieser weitere rechtliche Schritte vom Ausgang des Verfahrens vor dem Schweizer Presserat abhängig macht. Ob ein Gerichtsverfahren tatsächlich eingeleitet wird oder nicht, kann somit nicht abschliessend beurteilt werden, weshalb auf die Beschwerde eingetreten wird.

2. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung der Richtlinie 7.2 (Identifizierung, Schutz der Privatsphäre) geltend. Journalistinnen und Journalisten sollen demnach die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig gegeneinander abwägen. Namensnennung und/oder identifizierende Berichte sind dann zulässig, wenn die Person in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht. Zu beantworten ist somit die Frage, ob Daniel Weber eine Person ist, die der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist. Der Beschwerdeführer bewarb seine Dienstleistung, als Rechtsberater günstig Steuererklärungen für Private auszufüllen, mit vollem Namen und Adresse in der Öffentlichkeit. Damit im Zusammenhang stehend wurden in den letzten Jahren bereits mehrere Artikel über Weber veröffentlicht. Dies einerseits, um die Öffentlichkeit zu informieren, andererseits auch, um sie zu warnen. Kumuliert lassen diese Fakten darauf schliessen, dass Daniel Weber zumindest in der Region St. Gallen eine Person ist, die der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist und dass aufgrund des neuen Strafverfahrens weiterhin ein Interesse daran bestand, die Öffentlichkeit zu warnen. Die Nennung seines Namens verletzt somit Richtlinie 7.2 nicht.

3. Indem Weber moniert, er sei vom Autor viel zu kurzfristig für eine Stellungnahme kontaktiert worden, macht er sinngemäss eine Verletzung von Richtlinie 3.8 (Anhören bei schweren Vorwürfen) geltend. Bei der Anklage der Staatsanwaltschaft handelt es sich zweifelsohne um schwere Vorwürfe, zu denen Weber anzuhören war. Der Autor des Berichts hat den Beschwerdeführer am Vortag der Veröffentlichung telefonisch und schriftlich um eine Stellungnahme gebeten. Weber wollte keine Stellung nehmen, dies wurde im Artikel korrekt erwähnt. Der nachgeschobene Vorwurf Webers, der Zeitraum für eine Stellungnahme sei viel zu kurz gewesen, kann deshalb nicht massgebend sein. Im Ergebnis liegt somit auch keine Verletzung von Richtlinie 3.8 vor.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «20 Minuten» hat mit dem Artikel «Beleidigung provoziert, nur um klagen zu können?» vom 27. Februar 2018 die Ziffern 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.