I. Sachverhalt
A. Am 3. Februar 2020 erschien auf «Blick.ch» eine Nachricht über einen Zwischenfall im Bahnhof Luzern. Der Titel lautete «Zug kracht gegen Prellbock im Bahnhof Luzern» und der Text beschrieb, dass ein Zug aus Zürich im Bahnhof Luzern gegen den Prellbock am Gleisende gefahren sei, dass dadurch zwölf Passagiere leicht verletzt worden seien und ein Grossaufgebot von Polizei, Feuerwehr und sechs Ambulanzen im Einsatz sei. Ergänzt wurde der Text mit einer Aufnahme des fraglichen, nicht sichtbar beschädigten Steuerwagens. Vor diesem stehen in orangen und gelben Warnwesten fünf Männer, die miteinander diskutieren. Im beleuchteten Führerstand des Zuges, gleich dahinter, blickt ein Mann in Richtung der Diskutierenden. Das Bild ist am unteren Rand gekennzeichnet mit dem Signet «Blick Leserreporter», welches es als Einsendung eines Lesers kenntlich macht.
B. Am gleichen 3. Februar erhob X. Beschwerde gegen die Veröffentlichung dieser Aufnahme mit der Begründung, sie verstosse gegen die Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Der Beschwerdeführer (BF) gibt sich als Berufskollege des in den Vorfall involvierten Lokführers zu erkennen, er macht geltend, die unverpixelte Abbildung des deutlich erkennbar im Führerstand sitzenden Lokführers komme einer öffentlichen Zurschaustellung und Blossstellung des Betreffenden gleich und verletze dessen Recht auf den Schutz seiner Privatsphäre.
Der BF fügt hinzu, «die Sache mit den Leserreportern» sei ohnehin schleunigst zu unterbinden, sie habe die Züge einer medialen Hetze angenommen und berühre auch sicherheitstechnische Aspekte, wenn Personen, anstatt erste Hilfe zu leisten oder sonstige Reaktionen zu zeigen, das Handy zückten in der Hoffnung auf tausend Franken Belohnung.
C. Der von einem Anwalt vertretene «Blick.ch» nahm am 4. März 2020 Stellung zur Beschwerde und beantragte deren Abweisung. Er macht geltend, es sei eruierbar, dass das Bild über zwei Stunden nach dem Vorfall aufgenommen worden sei. Damit sei es unwahrscheinlich, dass immer noch der involvierte Lokführer im Führerstand sitze. «Blick.ch» bestreite, dass der Abgebildete effektiv der involvierte Lokführer sei. Selbst wenn dies der Fall wäre, sei der Betreffende in der Grösse der damaligen Abbildung auf dem Bildschirm für die Leserschaft nicht erkennbar gewesen und wenn, dann nicht als Unfallverursacher. Es könne sich irgendwer im Führerstand befunden haben, gleich wie die fünf Herren vor der Lok ja wohl auch nicht schon zum Unfallzeitpunkt dort gestanden und in Ruhe diskutiert hätten.
Die Privatsphäre könne nicht tangiert sein, weil sich das Ganze im öffentlichen Bereich eines Bahnhofs abgespielt habe. Es werde ja auch nicht die verletzte Privatsphäre der besser erkennbaren Männer im Vordergrund geltend gemacht. Der Mann im Führerstand sei nicht herausgehoben, nicht im Zentrum des Bildes, er sei «Beiwerk» in einem Bild, das eine Zugkomposition und fünf davor diskutierende Männer zeige. Deshalb sei Ziffer 7 der «Erklärung» nicht verletzt.
Hinzu komme, dass «Blick.ch» unmittelbar nach der Publikation des Bildes einen Anruf der SBB erhalten habe, welcher die Redaktion darauf aufmerksam machte, dass man im Führerstand jemand sehe, was der Redaktion zuvor entgangen sei, daraufhin habe man die Person sofort verpixelt, ohne damit eine Rechtspflicht zu anerkennen.
Die Bemerkung des BF, wonach die Institution der Leserreporter zu unterbinden sei, könne nicht Beschwerdegegenstand sein.
D. Der Presserat teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. Juli 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. «Blick.ch» bestreitet zunächst, dass der abgebildete Mann überhaupt der in den Unfall involvierte Mann sei. Dies sei angesichts des technisch eruierbaren Zeitpunkts der Aufnahme, über zwei Stunden nach dem Zwischenfall, nicht anzunehmen. Angesichts der Tatsache aber, dass sich der BF für seinen am Unfall beteiligten Kollegen einsetzt und ihn gegen eine Zurschaustellung und Blossstellung verteidigt, liegt es für den Presserat auf der Hand, dass der Abgebildete sehr wohl der Involvierte ist. «Blick.ch» hat das Bild denn auch – nach eigener Darstellung – unverzüglich verpixelt, nachdem die SBB dies erbeten hatten. Abgesehen davon ist der Umstand, dass das Bild erst zwei Stunden nach dem Vorfall aufgenommen wurde, für die Leserschaft nicht ersichtlich, auch wenn die fünf Männer im Vordergrund ruhig miteinander zu reden scheinen und auch wenn bereits ein Absperrband gespannt ist. Der Leser, die Leserin sieht das Bild im Kontext der Schlagzeile und des Textes, die eine hektische Aktivität eines Grossaufgebots von Feuerwehr, Polizei und Sanität unmittelbar nach dem Vorfall vermitteln. Die Betrachter der Online-Seite können sehr wohl den Eindruck erhalten haben, sie sähen hier den in den Unfall involvierten Lokführer.
2. «Blick.ch» macht weiter geltend, der Mann im Führerstand sei in der auf einem Leser-Bildschirm sichtbaren Abbildung nicht zu erkennen. Das lässt sich für den Presserat nicht mehr mit Genauigkeit feststellen, weil das Gesicht auf dem entsprechenden, online noch abrufbaren Bild inzwischen verpixelt wurde. Angesichts der mit der Beschwerde eingereichten (nicht hochauflösenden) unverpixelten Version kann aber davon ausgegangen werden, dass der im Hintergrund nur klein abgebildete Kopf des Mannes im Führerstand höchstens für Angehörige oder Arbeitskollegen identifizierbar war, aber nicht für weitere Kreise. Dies aber müsste gemäss Richtlinie 7.2 (Identifizierung) der Fall sein, wenn es um die unerwünschte Identifizierung einer Person geht. Die Richtlinie legt für den Fall einer zu schützenden Privatsphäre fest: «Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.» Dieses für Textbeiträge geltende Kriterium muss mutatis mutandis auch für die Identifizierbarkeit im Bild gelten. Die Identifikation durch Personen ausserhalb des Arbeitskreises und der Familie ist mit diesem Bild, reduziert auf Bildschirmgrösse, kaum möglich, Ziffer 7 der «Erklärung» ist nicht verletzt. Hinzu kommt, dass die Redaktion auf die Bitte der SBB reagiert und das Gesicht offenbar nach kurzer Zeit verpixelt hat. Ziffer 7 ist nicht verletzt.
3. Schliesslich zur kritischen Bemerkung des Beschwerdeführers über die Institution der «Leserreporter», also dazu, dass mit der Aufforderung, der Redaktion Fotos von Ereignissen einzusenden, falsche Anreize geschaffen werden: Hier ist dem Beschwerdegegner zuzustimmen, dass es dabei um ein Thema geht, das nicht vom Presserat beurteilt werden kann. Dieser befasst sich nur mit der Frage, ob ein Medienbericht den Anforderungen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» genügt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. «Blick.ch» hat mit der Illustration zum Artikel «Zug kracht gegen Prellbock im Bahnhof Luzern» vom 3. Februar 2020 die Ziffer 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.