Zusammenfassung
Funiciellos Handynummer war zuviel
Der Schweizer Presserat hat entschieden, dass die Veröffentlichung der privaten Handynummer einer kritisierten Person den Schutz der Privatsphäre auch dann verletzt, wenn die Nummer sehr einfach eruiert werden kann. Eine Karikatur der «Schaffhauser Nachrichten» zeigte die Handynummer der Juso-Präsidentin Tamara Funiciello. Dass diese Nummer sehr einfach zu finden ist, wie die Zeitung geltend machte, ändert nichts daran, dass für einen derart weitgehenden Schritt eine besondere Rechtfertigung gegeben sein müsste. Das war hier nicht der Fall. Dass die Kritisierte halbnackt und BH-schwingend karikiert wurde, beurteilt der Presserat hingegen nicht als diskriminierend. Denn die Kritisierte hatte eine solche Pose selber im Sinn eines Protestes bewusst öffentlich eingenommen.
Résumé
Un numéro de portable en trop
Le Conseil suisse de la presse a décidé que la publication du numéro de portable privé d’une personne critiquée par un journal porte atteinte au respect de la sphère privée même si ledit numéro est facile à trouver. Une caricature des «Schaffhauser Nachrichten» donnait le numéro de portable de Tamara Funiciello, présidente des jeunes socialistes. Le fait que ce numéro est très facile à trouver, comme le fait valoir le journal, n’y change rien: il aurait fallu un motif particulier pour justifier cette publication. Tel n’était pas le cas. Le Conseil de la presse estime en revanche que la caricature représentant Tamara Funiciello à moitié nue et brandissant son soutien-gorge n’est pas discriminatoire, car elle a elle-même adoptée publiquement une pause identique en guise de protestation.
Riassunto
Il numero del telefonino no!
Il Consiglio svizzero della stampa ha riconosciuto una violazione della sfera privata nella pubblicazione di un numero di telefono cellulare , anche se nel caso facilmente accessibile. Il giornale aveva messo in caricatura la presidente degli Juso Tamara Funiciello, indicando di essa anche quel particolare. Nella sua risposta al reclamo presentato, il giornale aveva fatto notare che tale numero era tutt’altro che segreto. Il Consiglio è tuttavia del parere invece che occorreva nella circostanza una giustificazione speciale, che però non era data. Niente da dire invece per la posa in cui era ritratta la persona: mezza nuda e sventolante il reggiseno, in quanto la donna aveva adottato quell’atteggoamento in segno di protesta in un’altra pubblica occasione.
I. Sachverhalt
A. Am 18. August 2018 veröffentlichten die «Schaffhauser Nachrichten» (SN) eine Karikatur von Pascal Coffez mit dem Titel «Ihr seid sexistisch!». Das Bild zeigt die Juso-Chefin Tamara Funiciello, wie sie barbusig und BH-schwingend eine Konzertbühne stürmt, auf die beiden Sänger Lo und Leduc losgeht und sie anbrüllt. Im Bildhintergrund ist gross ein Text zu lesen: «Ihr seid sexistisch, wenn eine Frau sich weigert, ihre Nummer zu geben, dann besteht nicht darauf!!». (Lo und Leducs Erfolgs-Song «079» dreht sich um einen Mann, der jahrelang erfolglos die Telefonnummer einer Frau sucht, die hatte ihm nur gerade die Vorwahl 079 preisgegeben). Ein zweiter Text, per Sprechblase mit der Karikatur-Funiciello verbunden, enthält eine zweite Aussage, welche die erste als Ausdruck von Doppelmoral erscheinen lässt: «Meine Nummer lautet … (… hier abgebildet ist Funiciellos persönliche Handynummer). Man findet die auf meiner Website, also warum ruft ihr mich nicht an?»
B. Am 19. August 2018 nahm die Website von Radio Munot das Thema auf und veröffentlichte die gleiche Karikatur ebenfalls, verbunden mit dem Titel «Frauenstammtisch kritisiert Karikaturist Coffez» und – nach Anklicken des entsprechenden Links – folgendem Text: «Der Schaffhauser Frauenstammtisch kritisiert eine Karikatur von Zeichner Pascal Coffez scharf. Die in den ‹Schaffhauser Nachrichten› veröffentlichte Karikatur, die die Juso-Präsidentin Tamara Funiciello parodieren soll, sei frauenfeindlich und sexistisch. Funiciello wird BH-schwingend und oberkörperfrei dargestellt, wie sie die Sänger Lo und Leduc anschreit. Deren Lied 079 hatte die Juso-Präsidentin zuvor als sexistisch angeprangert. Der Frauenstammtisch erwartet, dass die Schaffhauser Nachrichten Coffez keine weitere Plattform bieten.»
C. Mit E-Mail vom 29. August 2018 erhebt X. Beschwerde gegen diese beiden Veröffentlichungen, mit der sehr kurzen Begründung, «Meines Erachtens ist mit Darstellung inkl. Nennung der privaten Handynummer die Integrität der dargestellten Tamara Funiciello massiv verletzt worden. Siehe Punkt 8 Journalistenkodex, Erklärung».
D. Am 4. September 2018 beschloss das Präsidium des Presserates, auf die Beschwerde einzutreten, und sie – entsprechend der knappen Begründung der Beschwerde – auch auf eine allfällige Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») betreffend den Schutz der Privatsphäre (Veröffentlichung der Handynummer) auszuweiten.
E. Am 1. Oktober 2018 nahmen die Chefredaktionen der «Schaffhauser Nachrichten» und von «Radio Munot» in einem gemeinsamen Schreiben Stellung zur Beschwerde.
a) Hinsichtlich der Karikatur in den SN beantragt Chefredaktor Robin Blanck Abweisung der Beschwerde. Mit folgender Begründung:
Ziffer 8 der «Erklärung» (Diskriminierungsverbot) sei nicht verletzt, weil die Darstellung Funiciellos mit BH in der Hand und entblösstem Oberkörper von dieser selbst in einem öffentlichen Auftritt geprägt worden sei. Funiciello habe bei einem medial viel beachteten Auftritt gemeinsam mit Kolleginnen bei entblösstem Oberkörper BHs verbrannt.
Zur leichten Erkennung der Dargestellten müsse eine Karikatur auf einen solchen aussergewöhnlichen und von der Betroffenen selbst gesetzten Anlass zurückgreifen dürfen. Dies zumal der Karikatur und der Satire in der Praxis des Presserates immer schon sehr weitgehende Freiheiten zugestanden worden seien. Dieser habe immer wieder darauf hingewiesen, dass Satire überhöhen, übertreiben müsse und dürfe, solange der «wahre Kern» einer Aussage gewahrt bleibe. Dies sei in concreto der Fall, wenn Funiciello mit der von ihr selber gewählten Eigendarstellung abgebildet werde.
Im Weiteren wird die Beschwerde seitens der SN als ein Angriff auf die Kunst kritisiert, wie er zurzeit auf verschiedenen Ebenen zu beobachten sei.
Was einen Verstoss gegen Ziffer 7 der «Erklärung» angehe (Verletzung der Privatsphäre, Nennung der persönlichen Handynummer), so sei auch dies zurückzuweisen. Die abgedruckte Mobiltelefonnummer sei auf der eigenen Website von Funiciello für jedermann ohne Zugangsbeschränkung sichtbar. Angesichts der Tatsache, dass heute rund vier Milliarden Menschen das Internet benutzten, könne eine Veröffentlichung in einer Zeitung mit lediglich 40 000 Nutzern in keiner Weise eine weitergehende Verletzung der Privatsphäre darstellen. Zudem habe die «Weltwoche» schon am 16. August 2018 darauf hingewiesen, dass die Mobilnummer von Funiciello auf ihrer Homepage zu finden sei, somit sei die Information schon einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und nicht mehr privat gewesen.
b) Sarah Keller, Chefredaktorin von Radio Munot, beantragt im gleichen Schreiben ebenfalls Abweisung der Beschwerde. Sie macht geltend, dass Radio Munot das Thema aufgegriffen habe, weil es in verschiedenen Medien diskutiert worden sei. Es sei wichtigste Aufgabe von Radio Munot, über relevante Sachverhalte zu berichten. Deshalb sei an der Berichterstattung nichts auszusetzen.
Im Übrigen schliesst sich die Chefredaktorin von Radio Munot der Argumentation der SN an: Funiciello selber habe ihre Handynummer öffentlich gemacht. Zum Vorwurf der Diskriminierung (Ziffer 8) nimmt sie nicht Stellung.
F. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde der ersten Kammer zu. Diese hat die Beschwerde in der Besetzung Francesca Snider (Vorsitz), Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini und Casper Selg an ihrer Sitzung vom 26. November 2018 und auf dem Korrespondenzweg behandelt.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist formal und inhaltlich gültig zustande gekommen, auf sie ist einzutreten.
2. Der geltend gemachte Verstoss gegen die Ziffer 8 der «Erklärung» (Diskriminierungsverbot) wird von der Beschwerdeführerin nicht weiter begründet.
Die Darstellung einer Frau ist diskriminierend, wenn diese auf ihr Geschlecht reduziert und nur auf dieser Basis kritisiert wird. Das ist mit der Darstellung einer BH-schwingenden, halbentblössten Frau und deren kritisiertem Verhalten zwar der Fall, aber die für diese Stereotypisierung relevanten Merkmale sind von der Dargestellten selber bewusst so gesetzt worden. Sie hat sich, mit absehbarer erheblicher medialer Wirkung, beim Verbrennen von BHs mit nacktem Oberkörper fotografieren lassen. Dieses von einigen Frauen bewusst gesetzte Bild aufzugreifen, kann nicht als pauschal gegen Frauen gerichteter Akt kritisiert werden. Schon gar nicht, wenn es um Satire oder – wie hier – um eine Karikatur geht. Mit der beschriebenen Darstellung verwies der Zeichner auf einen bekannten, konkreten und damit nicht pauschalisierenden Vorfall im direkten Zusammenhang mit der kritisierten Person. Damit hat er beziehungsweise haben die «Schaffhauser Nachrichten» das Diskriminierungsverbot nicht verletzt.
3. a) Bei der Frage einer möglichen Verletzung der Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung») ist jeweils abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der Publikation eines privaten Sachverhaltes und der Verletzung, den sie bewirken kann. Im konkreten Fall hätte sich an der vom Karikaturisten geäusserten Kritik nichts Wesentliches geändert, wenn er die Kritisierte nur hätte sagen lassen, sie wünsche sich möglichst viele Anrufe auf eine nicht vollständig erkennbare Nummer (und damit auf die behauptete Widersprüchlichkeit ihrer Position verweise ohne ihre ganze Nummer zu veröffentlichen). Wenn er hingegen ihre Nummer gleich vollständig mitliefert und so den Funiciello-Kritikern den Weg zu ihrer Privatsphäre via Handy-Anruf oder SMS erheblich abkürzt, ergibt sich ein erheblicher Unterschied.
Das Veröffentlichen einer Handynummer im Zusammenhang mit einer sehr kritischen Berichterstattung (die per se natürlich legitim ist), kann dazu führen, dass die betroffene Person zum Ziel von Belästigungen wird. Wenn aber – wie hier – die Nennung der Nummer für die Aussage der Karikatur nicht von erheblichem Nutzen ist, besteht kein öffentliches Interesse, welches diese Verletzung rechtfertigen würde.
b) Auch die von den Beschwerdegegnerinnen angeführte Tatsache, dass die «Weltwoche» schon zwei Tage vor der Veröffentlichung der Karikatur auf die Handynummer hingewiesen hatte, ändert nichts an der Verletzung der Privatsphäre. Die Verletzung der Privatsphäre durch ein Medium kann gleiches Verhalten durch weitere nicht rechtfertigen, es sei denn – wieder –, dass ein übergeordnetes öffentliches Interesse daran besteht. Das ist hier nicht der Fall.
c) Die Frage, ob mit der Beschwerde ein weiterer Angriff auf die Freiheit der Kunst geführt werde, wie die SN geltend macht, kann hier offenbleiben. Der Presserat beschäftigt sich nur mit Fragen der Medienethik.
d) Die zentrale Frage aber lautet, auch wenn die mögliche Verletzung gegeben ist und das öffentliche Interesse fehlt: Ist die verletzte Sphäre wirklich noch privat, wenn die in der Karikatur kritisierte Person selber ihre Handynummer im Internet offen zugänglich aufscheinen lässt?
Der Fall ist vergleichbar, wenn auch nicht identisch, mit der Frage, ob ein Telefonbuch-Eintrag oder ein Handelsregister-Eintrag bereits Öffentlichkeit bewirke. Der Presserat hat dies bisher verneint. In seinem Entscheid 36/2017 hält er ausdrücklich fest, dass ein Eintrag im Handelsregister per se noch keine Öffentlichkeit entstehen lasse. In Stellungnahme 10/2007 wurde entschieden, dass auch bei bekanntem Namen und bei einer mit entsprechender Suche auffindbaren Wohnadresse letztere nicht genannt werden darf, wenn der betroffenen Person allein durch die Adressangabe Unannehmlichkeiten entstehen können, die ihr andernfalls erspart blieben. Der Presserat entschied damals: «Die Nennung einer privaten Wohnadresse in einem Medienbericht ist aussergewöhnlich. Sie ist selbst dann geeignet, die Privatsphäre zu verletzen, wenn die identifizierende Berichterstattung zulässig war. Eine derartige Angabe bedarf deshalb einer zusätzlichen Rechtfertigung. Denn selbst wenn eine Wohnadresse bereits aufgrund des Namens und weiterer Angaben unter Umständen durch Dritte herausgefunden werden kann, wird der Zugriff durch die direkte Nennung im Medienbericht wesentlich erleichtert. Und auch wenn der Beschwerdeführer nicht geltend macht, aufgrund der Adressnennung durch die ‹Aargauer Zeitung› konkret belästigt worden zu sein, bergen derartige Angaben grundsätzlich die Gefahr unerwünschter Reaktionen.»
Dieser Fall entspricht – mit etwas anderen Vorzeichen: Wohnadresse statt Handynummer – ziemlich genau der Ausgangslage im Falle der SN-Karikatur: Die «zusätzliche Rechtfertigung» einer Angabe der vollständigen Handynummer selbst bei identifizierender Berichterstattung, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Der Abbau der Schwelle, welcher dadurch erfolgt, dass ein Leser, eine Leserin die betreffende Adresse, die betreffende Telefonnummer nicht mehr selber heraussuchen muss, müsste einen zusätzlichen Grund haben, welcher hier nicht gegeben ist: Wie bereits erwähnt, hat die Angabe der vollständigen Handy-Nummer die Aussage der Karikatur nicht wesentlich verändert.
In 43/2010 hat der Presserat in einem Grundsatzentscheid generell festgehalten, dass ein im Internet zugänglicher Eintrag zwar einen Schritt in die Öffentlichkeit darstelle. Dass aber dennoch immer zu prüfen sei, eine wie grosse Öffentlichkeit damit angesprochen werden solle und wie gross das öffentliche Interesse an der medialen Publizierung der Information ist.
e) Die «Schaffhauser Nachrichten» argumentieren, die Telefonnummer sei eben doch öffentlich, denn auf das Netz hätten heute letztlich vier Milliarden Nutzer Zugriff, nicht nur 40 000 wie bei der Lektüre der SN. Also sei Öffentlichkeit hinsichtlich der Handynummer schon vor der Berichterstattung der SN in äusserst weitgehendem Masse gegeben gewesen. Diese Argumentation vermag, speziell angesichts der Forderungen von 43/2010, nicht zu überzeugen. Nicht ein Publikum von vier Milliarden, sondern nur ein vergleichsweise enger Kreis bewegt sich auf der Website von Tamara Funiciello. Ob man nur den Besuchern einer Website mit der bewussten Publikation einer Telefonnummer einen direkten Zugang zur Betreiberin der Seite ermöglicht, oder ob man insgesamt 40 000 Zeitungslesern und -leserinnen im Rahmen einer als scharfe Kritik gezeichneten Karikatur gleich die Telefonnummer der kritisierten Person mitliefert, ist von Absicht und Wirkung her nicht dasselbe.
f) Dies gilt, obwohl die SN zu Recht darauf hinweisen, dass Funiciellos Handynummer im Netz alleine schon mit den beiden Suchbegriffen «Funiciello» und «Telefon» gefunden werden kann. Wer seine telefonische Privatsphäre geschützt behalten will, vermeidet derartige Hinweise. Als vollständiger Verzicht auf jede Privatsphäre hinsichtlich seines Telefonanschlusses, egal wem gegenüber, kann dies dennoch nicht verstanden werden.
g) Die gleiche Argumentation gilt für Radio Munot, welches die gleiche Karikatur am Folgetag veröffentlicht hat. Dies geschah dort zwar in einem Umfeld, welches die Zeichnung erheblich problematisierte. Aber die Nummer war dennoch für alle Besucher der Website offen zugänglich.
Entsprechend gilt auch für die Publikation durch dieses Medium: Das Diskriminierungsverbot ist nicht verletzt, die Privatsphäre aber schon. Die Tatsache, dass man bloss eine Publikation eines anderen Mediums übernommen hat, ändert nichts an der Verantwortung einer Redaktion für alle von ihr verbreiteten Inhalte.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird in einem Punkt abgewiesen, im andern gutgeheissen.
2. Die «Schaffhauser Nachrichten» und die Online-Seite von Radio Munot haben mit der Veröffentlichung der Karikatur «Ihr seid sexistisch!» das Diskriminierungsverbot (Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») nicht verletzt.
3. Die beiden Medien haben aber gegen Ziffer 7 der «Erklärung» (Schutz der Privatsphäre) verstossen, indem sie die Telefonnummer einer kritisierten Person publizierten.