Zusammenfassung
«Tagesanzeiger.ch» und die «SonntagsZeitung» berichteten im September 2020 in einer Recherche darüber, wer im Sommer 2019 an der Besetzung des Credit Suisse-Sitzes am Zürcher Paradeplatz beteiligt gewesen sei. Der Autor kam zum Schluss, dass rund ein Drittel der TeilnehmerInnen aus dem Ausland gekommen sei. Rund 50 Demonstrierende seien in der Folge gebüsst worden. Im Text wird auf verschiedene damals Anwesende eingegangen, unter anderem auf eine im deutschen Grenzgebiet Wohnende und eine weitere aus Basel. Beide werden mit vollem Vornamen und der Initiale des Nachnamens genannt, zu beiden werden weitere Angaben gemacht.
Die beiden Frauen legten Beschwerde beim Presserat ein, weil sie damit ohne ihre Einwilligung identifiziert worden seien. Die gemachten Angaben über sie reichten, um sie mit einer einfachen elektronischen Suche zu identifizieren. Tamedia umgekehrt stellte sich auf den Standpunkt, dass die beiden genügend anonymisiert gewesen seien. Zudem hätten sie mit ihrer Aktion ohnehin bewusst die Öffentlichkeit gesucht, sie könnten sich nicht nachträglich auf Anonymität berufen.
Der Presserat entschied die Frage der Identifizierung zugunsten der Beschwerdeführerinnen: Der volle Vorname und die Initiale des Nachnamens plus einige weitere Angaben reichten aus, um die beiden Personen schnell zu identifizieren. Hätte man auch den Vornamen gekürzt oder – noch besser – zwei fiktive Initialen verwendet («Name der Redaktion bekannt»), wäre die Identifikation kaum oder gar nicht möglich gewesen.
Dennoch wies der Presserat die Beschwerden ab: Er entschied, dass die beiden Frauen mit ihrer Aktion (medienwirksame Besetzung des Eingangs der Credit Suisse) bewusst die Öffentlichkeit gesucht haben und sich deswegen nicht auf den Schutz vor einer Identifizierung berufen können.
Résumé
En septembre 2020 les deux médias révèlent dans leur enquête qui a participé en automne 2019 à l’occupation du siège du Crédit Suisse au Paradeplatz à Zurich. L’auteur arrive à la conclusion qu’un tiers environ des participantes sont venues de l’étranger. 50 manifestantes ont été amendées par la suite. Le texte s’attarde sur quelques manifestantes, dont l’une est domiciliée en Allemagne voisine et une autre à Bâle. Toutes deux sont désignées par leur prénom en entier et l’initiale de leur nom. D’autres indications sont données les concernant.
Les deux femmes saisissent le Conseil de la presse, parce qu’elles ont été identifiées sans leur assentiment. Les indications les concernant suffiraient à les identifier par une recherche électronique simple. Tamedia de son côté estime que les deux ont été suffisamment anonymisées. De plus, par leur action, elles auraient recherché la publicité en toute conscience, ce qui ne leur permettraient pas de demander l’anonymat après coup.
En ce qui concerne la question de l’identification, le Conseil de la presse tranche en faveur des plaignantes. Le prénom complet et l’initiale du nom additionnés de quelques autres indications suffisent à identifier rapidement les deux personnes. Si l’on avait aussi raccourci le prénom ou – mieux encore – utilisé deux initiales fictives («nom connu de la rédaction») l’identification n’aurait pas ou presque pas été possible.
Malgré tout le Conseil de la presse rejette les plaintes. Il estime que les deux femmes ont volontairement recherché la publicité par leur action (occupation très médiatique de l’entrée du Crédit Suisse). C’est pourquoi elles ne peuvent se réclamer de la protection d’une identification.
Riassunto
«Tagesanzeiger.ch» e «SonntagsZeitung» nel settembre 2020 in un reportage hanno raccontato chi nell’estate del 2019 aveva preso parte all’occupazione della sede di Credit Suisse a Paradeplatz a Zurigo. L’autore giunse alla conclusione che almeno un terzo dei manifestanti venisse dall’estero. Circa 50 dimostranti erano stati multati. Nel testo si fa particolare riferimento ad alcuni dei presenti, tra gli altri una donna residente sul confine tedesco e un’altra a Basilea. Entrambe vengono chiamate con il loro nome e le iniziali del cognome, e nel caso di entrambe vengono rivelati altri elementi.
Le due donne hanno inoltrato un reclamo al Consiglio della stampa per essere state identificate senza il loro consenso. Le indicazioni date nel testo erano sufficienti a identificarle con una semplice ricerca in Rete. Tamedia al contrario sostiene invece che sia stato mantenuto abbastanza riserbo su di loro. Inoltre la loro azione era finalizzata a sortire un’attenzione pubblica, dunque è poco plausibile che in un secondo momento facciano appello a mantenere il loro anonimato.
In merito all’identificazione il Consiglio della stampa sostiene la posizione delle due reclamanti: l’intero nome, le iniziali del cognome e altri elementi rilevati erano sufficienti ad indentificarle entrambe velocemente. Se si fosse abbraviato il nome – o meglio – si fossero adottate due iniziali fittizie («Nomi noti alla redazione»), l’identificazione sarebbe stata difficilmente o affatto possibile.
D’altro canto il Consiglio della stampa ha respinto il reclamo: ha infatti deciso che con la loro azione entrambe le donne (occupazione dell’ingresso di Credit Suisse con tanto di attenzione mediatica) hanno consapevolmente attirato l’attenzione pubblica e dunque non possono proteggersi da un’identificazione.
I. Sachverhalt
A. Am 26. September 2020 veröffentlichte «tagesanzeiger.ch» einen Artikel von Dominik Feusi mit der Spitzmarke «Besetzung der Credit Suisse in Zürich 2019» und dem Haupttitel «Ein Drittel der Aktivisten kam aus dem Ausland». Der Artikel erinnert daran, dass am 8. Juli 2019 60 Aktivisten die Filiale der Credit Suisse am Paradeplatz gestürmt und dabei den Haupteingang blockiert hätten. Dies sei eine der aufsehenerregendsten Aktionen im Klimasommer 2019 gewesen. Jetzt sei klar: Ein grosser Teil der Aktivisten stamme aus dem Ausland und habe Beziehungen zu Greenpeace. Das gehe aus den Akten der Zürcher Staatsanwaltschaft hervor, welche in dieser Sache inzwischen 51 Personen gebüsst habe, die meisten mit einer bedingt verhängten Strafzahlung. Zwei deutsche Frauen seien allerdings schon vorbestraft gewesen, ihnen sei deswegen eine unbedingte Strafe von 80 Tagessätzen und 3140 Franken Verfahrenskosten auferlegt worden.
In der Folge wird eine dieser beiden Bestraften mit ganzem Vornamen und Anfangsbuchstaben des Nachnamens genannt. Über sie wird gesagt, sie sei seit Jahren als Aktivistin bekannt, stamme aus Lörrach, stehe in Verbindung mit Greenpeace und sei 2016 nach Kroatien gereist, um dort Flüchtlingen zu helfen. Insgesamt – so der Artikel weiter – seien zehn Personen aus Deutschland und drei aus Österreich gebüsst worden. Im Folgenden beschreibt der Artikel auch Schweizer TeilnehmerInnen. Eine davon, ebenfalls mit vollem Vornamen und Initiale des Nachnamens bezeichnet, gehöre zur Greenpeace-Gruppe Basel und engagiere sich dort gegen das Ozeanium.
Der gleiche Artikel erschien am folgenden Tag in gekürzter Version in der «SonntagsZeitung» (SoZ) von Tamedia. Die Beschreibung der Lörracher Teilnehmerin ist wörtlich gleich, die Basler Teilnehmerin wird nicht erwähnt.
Auf «tagesanzeiger.ch» werden – nach einer Intervention der Beschwerdeführerinnen am 27. September – auch ihre Vornamen nur noch mit Einzelbuchstaben, ihre Namen also insgesamt nur noch mit Initialen genannt.
B. Am 9. Dezember 2020 reichte die Lörracher Teilnehmerin A. B. (Beschwerdeführerin 1, BF 1) Beschwerde gegen den Artikel von «tagesanzeiger.ch» beim Schweizer Presserat ein. Sie macht einen Verstoss gegen die Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») und insbesondere gegen die Richtlinie 7.2 zur «Erklärung» (Identifizierung) geltend.
Am 10. Dezember 2020 erhob die Basler Teilnehmerin F. T. (BF 2) eine zweite Beschwerde mit praktisch gleichem Wortlaut zum gleichen Sachverhalt.
Beide Beschwerdeführerinnen gehen davon aus, dass sie im fraglichen Artikel leicht identifizierbar dargestellt worden seien, womit ihr Recht auf Privatsphäre verletzt worden sei. Sie hätten als Privatpersonen an der Aktion in Zürich teilgenommen, ihre Identität sei nicht von öffentlichem Interesse, sie seien weder Politikerinnen noch sonst Personen öffentlichen Interesses.
In einem Gespräch mit der Redaktion am 27. September 2020 hätten sie deshalb darum gebeten, dass die Passagen über sie beide in der Online-Version vollends gestrichen würden. Das sei abgelehnt worden, hingegen habe man sich geeinigt, dass auch die voll ausgeschriebenen Vornamen – gleich wie die Nachnamen – durch die Initialen ersetzt würden.
Die BF erklären, sie wollten mit ihrer Beschwerde zweierlei erreichen: zum einen eine Feststellung, dass ihre namentliche Nennung zu Unrecht erfolgt sei und zum anderen, dass infolgedessen je auf den gesamten sie betreffenden Abschnitt zu verzichten sei, in diesem wie auch in späteren Artikeln. Sie seien politische Aktivistinnen, die sich in der Klimabewegung für eine lebenswerte und solidarische Zukunft einsetzten, aber keine Personen des öffentlichen Lebens. Sie seien nicht Politikerinnen, bekleideten keine öffentlichen Ämter noch seien sie sonst irgendwie bekannt. Der Artikel verfolge nur das Ziel, sie zu «outen», statt sich damit zu befassen, worum es bei der ganzen Aktion eigentlich gegangen sei, nämlich um die Klimabewegung. Anstatt dass aufgezeigt werde, welche Zusammenhänge zwischen den Investitionen der Credit Suisse und den Klimaschäden bestehen, werde versucht, Zusammenhänge zu konstruieren, welche sie als Krawalltouristinnen erscheinen liessen. In diesem Sinne sei nicht nur ihre Privatsphäre verletzt, sondern auch unsachlich berichtet worden.
Eine allfällige zivilrechtliche Klage machen die beiden BF unter anderem abhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem Presserat.
C. Das Präsidium vereinigte die beiden praktisch identischen Beschwerden und unterbreitete sie der für die beiden Redaktionen zuständigen Rechtsabteilung der TX Group.
D. Am 19. Oktober 2020 nahm die Rechtsabteilung der TX Group (Beschwerdegegnerin, BG) im Namen der Redaktionen von «tagesanzeiger.ch» und «SonntagsZeitung» zur Beschwerde Stellung. Sie beantragt Nichteintreten auf die Beschwerde, eventualiter deren Ablehnung.
Der Antrag auf Nichteintreten wird damit begründet, dass die Namensnennung auf Wunsch der beiden Beschwerdeführerinnen in der Onlineversion schon am Tag nach Erscheinen des Artikels ohne Anerkennung einer Rechtspflicht geändert und je auf die beiden Initialen reduziert worden sei. Damit habe man der Anforderung des Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements (Nichteintreten nach Korrekturmassnahme) entsprochen.
Zudem zögen die Beschwerdeführerinnen ausdrücklich einen Gang vor Gericht in Erwägung, je nach Ausgang des Verfahrens vor dem Presserat. Auch damit seien die Voraussetzungen des Artikels 11 Abs. 1 gegeben (Nichteintreten aufgrund eines Parallelverfahrens vor Gericht oder der UBI).
Falls dennoch auf die Beschwerde eingetreten werde, beantragt die BG Ablehnung aufgrund folgender Überlegungen:
– Die Beschwerdeführerinnen bezeichneten sich selber als «politische Aktivistinnen». Wer sich in der Öffentlichkeit mit politischen Aktionen betätige, könne sich nicht gleichzeitig auf die Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung») berufen, sondern müsse damit rechnen, früher oder später identifiziert zu werden.
– Dies gelte insbesondere, weil sie selber schrieben, ihre Aktion sei auf möglichst grosse Öffentlichkeitswirksamkeit angelegt gewesen.
– Die BF 1 habe sich selber im Greenpeace-Jahresbericht 2017 mit Name und Foto als Aktivistin öffentlich dargestellt. Auch im Zusammenhang mit der Unterstützung für Flüchtlinge in Kroatien habe sie sich in einem Artikel öffentlich geäussert. Auch die BF 2 sei mit ihrem Namen und «Greenpeace» als Stichworte in einer Google-Suche leicht zu finden.
– Die beiden erfüllten die Anforderung der Richtlinie 7.2 zur «Erklärung», welche festhält, dass eine Identifizierung gerechtfertigt sei, wenn «jemand im Zusammenhang mit dem Gegenstand des Medienberichtes öffentlich auftritt».
– Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb ihre Nennung nicht mehr gerechtfertigt sein soll, jetzt, da sie aufgrund einer Aktion rechtskräftig verurteilt worden seien, die BF 1 sogar zu einer unbedingten Busse. Im Kanton Zürich seien solche Verurteilungen mit Namen und Adressen der Betroffenen öffentlich einsehbar. Mit ihrem Vorgehen und dem damit begangenen Rechtsbruch hätten die Beteiligten ihre Identifizierung in Kauf genommen und könnten diese nicht im Nachhinein als «Diffamierung» abtun.
– Gegenstand des Artikels seien die Verbindungen der damaligen Besetzer untereinander und zu Greenpeace gewesen. Dieses Thema wäre gar nicht darstellbar gewesen, hätte man auf die Benennung von Details aus dem Aktivistendasein der Beteiligten verzichtet.
– Dabei sei das Argument der Beschwerdeführerinnen nicht stichhaltig, wonach der «Tages-Anzeiger» und die «SonntagsZeitung» mit dieser Berichterstattung am eigentlichen Thema, nämlich dem umweltschützerischen Anliegen der Demonstrierenden, vorbeigeschrieben hätten. Das sei sehr wohl Thema der Berichterstattung gewesen, aber jetzt, ein Jahr nach der Aktion sei das legitime Thema deren juristische Nachbehandlung gewesen.
– Der Artikel unterstelle den BF damit weder «kriminelle Motivation» noch «Krawalltourismus».
E. Am 12. März 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde von der 1. Kammer des Presserats behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg.
F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. April 2021 und auf dem Korrespondenzweg.
G. Innerhalb der reglementarischen Frist von 10 Tagen beantragten zwei Mitglieder des Presserats die Behandlung der Beschwerde durch das Plenum.
H. Das Plenum des Presserats behandelte die Beschwerde an seiner Sitzung vom 22. Juni 2021 und auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. In seiner konstanten Praxis geht der Presserat davon aus, dass die Anforderung eines Parallelverfahrens (Art. 11 Abs. 1 Geschäftsreglement) nur gegeben ist, wenn jemand ein solches beabsichtigt oder bereits führt. Alles andere würde bedeuten, dass der Presserat BürgerInnen a priori das Wahrnehmen eines Grundrechtes verwehrt.
Auch die von Tamedia angerufene Korrekturmassnahme (ebenfalls in Art. 11 des Reglements erwähnte Voraussetzung für ein Nichteintreten) kann hier nicht zur Geltung kommen. Diese ist gemäss Geschäftsreglement nur von Belang, wenn sie eine «Angelegenheit von geringer Relevanz» betrifft. Die Frage einer möglichen erheblichen Verletzung der Privatsphäre ist keine Frage von geringer Relevanz.
2. Bevor geklärt wird, ob eine Identifizierung der Beteiligten an der Besetzung des CS-Haupteingangs medienethisch legitim gewesen sei oder nicht (Ziffer 7 der «Erklärung», Richtlinien 7.1 und 7.2), muss der Presserat eine Frage untersuchen, welche weder die Beschwerdeführerinnen noch die Beschwerdegegnerin gestellt haben. Nämlich ob hier überhaupt eine Identifizierung stattgefunden hat.
Die Artikel auf «tagesanzeiger.ch» sowie in der «SonntagsZeitung» schrieben am 26. respektive 27. September 2020 über die BF1 gleichlautend, sie heisse A. (Vorname ausgeschrieben, der Presserat) B., sie sei seit Jahren als Aktivistin bekannt, stamme aus Lörrach und habe sich im Zusammenhang mit der Hilfe für Flüchtlinge in Kroatien hervorgetan. Die BF 2 wird in der SoZ nicht erwähnt, und «tagesanzeiger.ch» schrieb am 26. September nur, sie heisse F. (Vorname ausgeschrieben, der Presserat) T. und habe sich in Basel gegen das Projekt «Ozeanium» des Zoos engagiert.
Der Presserat entschied hinsichtlich einer möglichen Identifizierung in Stellungnahme 42/2017, dass identifiziert sei, wer anhand der Angaben im Artikel durch eine einfache Internetrecherche gefunden werden könne, dass aber umgekehrt nicht bereits identifiziert sei, wer aufgrund der Angaben in der Berichterstattung nur durch eine ausgeklügelte Recherche ausgemacht werden könne.
Wer auf der Suche nach der BF 2 mit den Kriterien «F. (Vorname ausgeschrieben) T.» und «Greenpeace» und «Basel» googelt, findet ein Facebook-Video, in welchem sie sich unter Namensangabe und dem Hinweis auf ihre Mitgliedschaft bei der Greenpeace-Gruppe Basel gegen den Ausbau des Basler Hafenbeckens 3 äussert. Reduziert man – mit der vorgenommenen Änderung seitens der BG – die Suche auf «F.T.», «Greenpeace» und «Basel» oder ähnlich, sind auf diesem Weg keine Treffer mehr zu erzielen. Wenn man mit der Richtlinie 7.2 davon ausgeht, dass nur identifiziert ist, wer über den Kreis von Familie, sozialem und beruflichem Umfeld hinaus erkennbar wird, wäre die BF 2 mit der ursprünglich publizierten Version identifizierbar, nicht jedoch mit der zweiten, korrigierten. Und erst recht nicht, wenn die Initialen ganz abgeändert worden wären mit dem Vermerk «Name der Redaktion bekannt».
Ähnlich verhält es sich mit der BF 1: «A. B.» und «Greenpeace» und «Lörrach» ergibt keine Treffer, erst recht nicht «X. X.» mit «Greenpeace» und «Lörrach». Hingegen «A. (Vorname ausgeschrieben) B.», «Greenpeace» und «Lörrach» sehr wohl.
Es ist demnach davon auszugehen, dass die ursprüngliche Version des Artikels auf «tagesanzeiger.ch» die beiden Beschwerdeführerinnen über den von Richtlinie 7.2 definierten Kreis hinaus erkennbar werden liess, also identifiziert hat, ebenso die BF 1 in der «SonntagsZeitung», hingegen sind im beschriebenen Sinne beide nicht mehr identifizierbar in der online verbliebenen Version der Zeitungen von Tamedia.
3. Damit stellt sich die unter den Parteien strittige Frage, ob die in der ursprünglichen Version erfolgte Identifizierung der beiden Aktivistinnen medienethisch vertretbar war oder nicht.
Die Beschwerdeführerinnen stellen sich auf den Standpunkt, dass sie sich als Privatpersonen am Protest beteiligt hätten, ohne den Wunsch, identifizierbar aufzutreten, sie seien keine Politikerinnen oder sonstwie geartete Personen öffentlichen Interesses.
Tamedia geht umgekehrt davon aus, dass wer sich an einer politischen Aktion beteiligt, die ausdrücklich darauf angelegt ist, öffentlichkeitswirksam zu werden, damit rechnen muss, dass er oder sie früher oder später mit seiner/ihrer Aktion identifiziert wird. Dies insbesondere, wenn mit der Aktion illegale Handlungen verbunden sind. Strafen jeder Art würden in Zürich ohnehin immer mit Namen und Adresse öffentlich.
Die «Erklärung» stellt grundsätzlich hohe Anforderungen an den Bruch der Privatsphäre, an die Identifikation von Personen, die dazu kein Einverständnis gegeben haben. Allerdings entschied der Presserat in Stellungnahme 50/2001 mit Hinblick auf Bilder von Demonstrierenden, dass Personen, die im öffentlichen Raum für ein Anliegen demonstrieren, damit rechnen müssen oder mindestens in Kauf nehmen, dass die Medien mit identifizierenden Bildern über den Anlass berichten, ohne jeweils alle Abgebildeten um Zustimmung zur Veröffentlichung der Bilder nachfragen zu müssen. Analog ist dieser Fall zu entscheiden: Die TeilnehmerInnen haben sich bewusst in die Öffentlichkeit begeben, dies zudem zur Steigerung der erzeugten Aufmerksamkeit bewusst mit strafbaren Handlungen. Sie haben die Eingänge zur Credit Suisse blockiert, damit vorhersehbar einen Polizeieinsatz und strafrechtliche Folgen in Kauf genommen, sie wurden schliesslich verurteilt wegen Hausfriedensbruch und Nötigung. Wer auf diese Weise bewusst Öffentlichkeit herstellt, kann sich den Medien gegenüber nicht auf den Schutz vor identifizierender Berichterstattung berufen.*
Die Richtlinie 7.2 zur «Erklärung» legt fest, dass identifizierende Berichterstattung zulässig ist, «sofern die betroffene Person im Zusammenhang mit dem Gegenstand des Medienberichts öffentlich auftritt oder auf andere Weise in die Veröffentlichung einwilligt». Das war hier unzweifelhaft der Fall, die Richtlinie 7.2 und die Ziffer 7 der «Erklärung» wurden nicht verletzt.
4. Die darüber hinausgehenden Beschwerdebegehren werden abgewiesen:
– Der Presserat prüft nur, ob Medienberichte den Anforderungen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» entsprechen oder nicht. Er hat kein Weisungsrecht gegenüber den Redaktionen, er kann allenfalls eine Empfehlung aussprechen. Aber er kann nicht verfügen, dass Abschnitte aus Artikeln entfernt werden. Erst recht kann und soll er nicht inhaltliche Passagen allfälliger künftiger Artikel verbieten, wie das hier beantragt wird.
– Und was die Kritik der BF angeht, wonach das Thema des Artikels nicht legitim gewesen sei, dass am eigentlichen Thema vorbeigeschrieben worden sei, so ist die Redaktion in der Wahl ihrer Themen frei. Wenn sie die Hintergründe einer politischen Aktion ausleuchten will, über die zuvor schon inhaltlich berichtet worden war, ist daran medienethisch nichts auszusetzen.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. «tagesanzeiger.ch» und «SonntagsZeitung» haben mit dem Artikel «Ein Drittel der Aktivisten kam aus dem Ausland» vom 26. respektive 27. September 2020 die Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.
*Dieser Satz wurde am 18. April 2023 korrigiert. Er lautete ursprünglich wie folgt: Wer auf diese Weise bewusst Öffentlichkeit herstellt, kann sich den Medien gegenüber nicht auf den Schutz der Privatsphäre berufen.