Zusammenfassung
Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde gegen die «bz – Zeitung für die Region Basel» und weitere Titel der CH Regionalmedien abgewiesen. Im Bericht über die Gemeinde Zullwil ging es auch um ausstehende Perimeterbeiträge, die ein betroffener Einwohner bis vor Bundesgericht angefochten hatte. Gemäss seiner Beschwerde an den Presserat sah dieser im Bericht die Wahrheitspflicht verletzt. Die Sache werde so dargestellt, als ob er alleine für die Finanzprobleme verantwortlich sei. Zudem sei er als Person identifizierbar gewesen und es entstehe der Eindruck, dass er von den politisch aktiven Mitgliedern eines «Familien-Clans» geschützt werde. Zu diesen Vorwürfen habe man ihn nicht angehört.
Laut Entscheid des Presserats wird der Artikel der Komplexität des Sachverhalts zwar nicht vollumfänglich gerecht, aber die Wahrheitspflicht ist nicht verletzt. Ebenso war die Anonymisierung ausreichend, da der Name des Einwohners nicht genannt wurde. Seine Anhörung war laut Presserat nicht zwingend, da im Artikel keine schweren Vorwürfe erhoben wurden. Die Redaktion konnte zudem belegen, dass sie mehrfach versucht hatte, telefonisch Kontakt mit ihm aufzunehmen.
Résumé
Le Conseil de la presse rejette une plainte contre la «bz – journal pour la région bâloise» et d’autres titres des médias régionaux CH. L’article sur la commune de Zullwil concernait des contributions de périmètre en attente, qu’un habitant concerné avait contesté jusqu’au Tribunal fédéral. Selon sa plainte au Conseil de la presse, il estime que le devoir de vérité a été violé. L’affaire aurait été présentée de manière à le faire apparaître comme seul responsable des problèmes financiers. De plus, il était à son avis identifiable et on avait donné l’impression qu’il était protégé par des membres politiquement actifs d’un «clan de familles». Il n’avait pas été auditionné à propos de ces reproches.
Selon l’avis de Conseil de la presse l’article ne rend pas tout à fait justice à la complexité de l’affaire, mais le devoir de vérité n’est pas violé. De même l’anonymisation est suffisante, puisque le nom de l’habitant n’est pas mentionné. Son audition n’était pas indispensable selon le Conseil de la presse, dans la mesure ou l’article ne fait état d’aucun reproche grave. Par ailleurs la rédaction a pu démontrer qu’elle avait essayé de le contacter par téléphone à plusieurs reprises.
Riassunto
Il Consiglio della stampa ha rifiutato un reclamo contro la «bz – Zeitung für die Region Basel» e altri titoli dei media regionali CH. Nell’articolo sulla comunità Zullwil si parlava anche di contributi perimetrali arretrati impugnati da un residente fino al tribunale federale. Secondo il suo reclamo al Consiglio della stampa nell’articolo si violava l’obbligo di verità. La questione è stata descritta come se lui soltanto fosse responsabile dei problemi finanziari. Inoltre, l’articolo lo rendeva identificabile sollevando l’impressione che venisse difeso da membri politicamente attivi di un «clan famigliare». In merito a queste accuse non sarebbe stata sentita la sua posizione.
Secondo la decisione del Consiglio della stampa l’articolo non rende giustizia alla complessità della questione ma non viola l’obbligo di verità. Allo stesso modo l’anonimizzazione è sufficiente visto che non viene fatto il nome del residente. Inoltre, il Consiglio della stampa ritiene che la sua consultazione non fosse obbligatoria visto che nell’articolo non si sollevano gravi accuse. La redazione ha anche potuto dimostrare di aver più volte tentato di mettersi in contatto con lui.
I. Sachverhalt
A. Mit der Überschrift «‹Mir si gottsjämmerlich im Schissdräck inne›: Zullwil kommt nicht zur Ruhe» veröffentlichte die «bz – Zeitung für die Region Basel» am 5. Dezember 2020 einen Bericht von Dimitri Hofer und Ben Rosch über die solothurnische Gemeinde Zullwil. Der Artikel erschien auch in der «Solothurner Zeitung» und weiteren Titeln der CH Regionalmedien AG. Darin wird über eine Gemeindeversammlung berichtet, bei der es um die schlechte Finanzsituation der Gemeinde Zullwil ging. Neben nicht näher spezifizierten Gründen zu «Mehr Ausgaben, weniger Steuereinnahmen» – so ein Zwischentitel – spielten auch Versäumnisse der Gemeindebehörden eine Rolle. Namentlich seien Beiträge von «einigen Einwohnern» im Zusammenhang mit der Erschliessung einer neuen Strasse noch nicht eingefordert worden. Ein Einwohner habe diese sogenannten Perimeterbeiträge erfolglos bis vor Bundesgericht angefochten. Im gleichen Zeitraum sei in der Gemeinde viel gestritten worden, ein Gemeindepräsident und zwei Gemeinderäte seien zurückgetreten und der Kanton habe einen Sachwalter eingesetzt. Allerdings habe sich die Situation der Gemeinde seither nicht verbessert. Die Finanzlage sei «desolat» und es sei zu weiteren Rücktritten im Gemeinderat gekommen. Unter dem Zwischentitel «Eine Familie installiert sich in der Politik» wird berichtet, dass die aktuelle Gemeindepräsidentin und weitere Mitglieder der Gemeindebehörden der gleichen Familie angehörten. Ein Bericht der Rechnungsprüfungskommission habe darauf hingewiesen, dass diese Konstellation im Zusammenhang mit den noch nicht abgerechneten Beiträgen problematisch sein könne. Eine Recherche der «Schweiz am Wochenende» habe zudem ergeben, dass es sich beim Kläger vor Bundesgericht um den Vater der Gemeindepräsidentin handle. Die Gemeindepräsidentin habe sich zur Angelegenheit nicht äussern wollen, da sie sich im Ausstand befinde. Per Mail habe der Gesamtgemeinderat an ihrer Stelle geantwortet, dass die Akontorechnungen von allen Betroffenen bezahlt worden seien. Einige Perimeterpläne seien nicht auffindbar, der Gemeinderat werde aber im Rahmen der von der Rechnungsprüfungskommission gesetzten Frist die notwendigen Schritte unternehmen. Zum Schluss des Artikels wird der für die Finanzen zuständige Gemeinderat zitiert, dessen Worte bereits im Titel des Artikels wiedergegeben wurden.
B. Am 5. März 2021 reichte X. eine Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Beim Beschwerdeführer (BF) handelt es sich um den im Artikel nicht namentlich genannten Vater der Gemeindepräsidentin. Er moniert, der Artikel fokussiere nicht auf die finanzielle Situation der Gemeinde, sondern greife ihn persönlich massiv an. Die Autoren «stellten die Situation so dar bzw. erwecken durch den ‹Zeitungsartikel› den Eindruck, als würde es sich bei meiner Familie um einen ‹Familien-Clan› handeln, der für die finanzielle Schieflage der Gemeinde verantwortlich ist und deren Mitglieder nur deshalb öffentliche Ämter bekleiden, um die Interessen des ‹Familien-Clans› und/oder meine Interessen mit allen Mitteln zu schützen oder zu vertreten». Gemäss BF suggeriert der Artikel, dass der Betrag bei ihm alleine und nicht bei der «Gesamtheit der Anstösser» ausstehend sei und dass er, geschützt von politisch aktiven Familienmitgliedern, für die missliche Lage der Gemeinde verantwortlich sei.
Bezüglich der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») macht der BF hauptsächlich die Verletzung von Ziffer 1 und der zugehörigen Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) geltend. Da die Schlussabrechnung der Perimeterbeiträge noch ausstehend sei, sei ihm der offene Betrag nicht bekannt und es bestünden demnach auch keine Schulden. Eine entsprechende Behauptung sei daher falsch. Zudem hätten ihm die Autoren keine Möglichkeit gegeben, Stellung zu nehmen. In diesem Zusammenhang rügt der BF die Nichteinhaltung von Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen). Aufgeführt wird im Weiteren die Verletzung von Richtlinie 2.1 (Informationsfreiheit) sowie von Ziffer 3 (Entstellung von Tatsachen) der «Erklärung» sowie der Ziffern 5 (Berichtigungspflicht) und 7 (Privatsphäre). Der BF sieht sich zudem in seiner Menschenwürde verletzt (Ziffer 8 der «Erklärung»). Er fordert die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Autoren, von ihm zu genehmigende Berichtigungen in allen Print- und Onlinemedien, in denen der Artikel erschienen ist sowie eine persönliche Entschuldigung.
Der Beschwerdeführer gelangte am 15. April 2021 erneut an den Presserat und verweist auf das veröffentlichte Protokoll der Gemeindeversammlung vom 2. Dezember 2020.
C. Am 6. Mai 2021 erfolgte die Stellungnahme durch Patrick Marcolli, Chefredaktor der «bz Basel». Die Zeitung befasse sich aufgrund der Querelen im Gemeinderat und der Zwangsverwaltung durch den Kanton seit einigen Jahren mit der Gemeinde. Auf Interessenkonflikte von Mitgliedern des Gemeinderates sei sie durch einen RPK-Bericht auf der Homepage der Gemeinde gestossen. Weitere Recherchen hätten zudem ergeben, dass es sich bei dem vor Bundesgericht klagenden Einwohner um den Vater der Gemeindepräsidentin handle. Die Journalisten hätten an der Gemeindeversammlung teilgenommen, an der das Traktandum zur Sprache gekommen und das Budget abgelehnt worden sei. In der Folge habe man sowohl dem Beschwerdeführer als auch der Gemeinde die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Wie im Artikel vermerkt, habe der Gemeinderat als Gremium anstelle der im Ausstand befindlichen Gemeindepräsidentin auf die Fragen der Journalisten per Mail geantwortet. Der Beschwerdeführer habe trotz mehrerer Versuche weder persönlich noch über seinen Bruder telefonisch erreicht werden können. Als Beleg legt die Beschwerdegegnerin (BG) einen Handy-Screenshot bei. Der BF habe sich auch nach der Publikation nicht auf der Redaktion gemeldet. Bezüglich der Persönlichkeitsrechte des BF weist die BG darauf hin, dass dessen Name nicht genannt worden sei. Auch werde nicht gesagt, dass er der «alleinige Schuldner» sei, vielmehr sei korrekt darauf hingewiesen worden, dass es um mehrere Personen gehe, bei denen die Gemeinde die Beiträge nicht eingefordert habe.
Die BG weist sämtliche Kritikpunkte des BF zurück. Man habe sich stets an der Wahrheit orientiert und alle Vorwürfe seien belegt, es seien keine anonymen oder haltlosen Anschuldigungen gemacht worden. Allen involvierten Parteien habe man die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Eine Berichtigung sei nicht verlangt worden und daher habe auch keine Berichtigungspflicht bestanden. Der Achtung der Menschenwürde sei Rechnung getragen worden.
D. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, bestehend aus Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg.
E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 22. Juni 2021 und auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der BF macht geltend, mit dem Artikel werde der Eindruck erweckt, es handle sich bei der Familie des Beschwerdeführers um einen «Familien-Clan», der für die finanziell missliche Lage der Gemeinde verantwortlich sei und «mit allen Mitteln» die Interessen des Beschwerdeführers vertrete und schütze. Der Presserat muss daher beurteilen, ob die «bz Basel» im entsprechenden Artikel korrekt über die Gemeindeversammlung und deren Hintergründe berichtet hat (Richtlinie 1.1 Wahrheitssuche). Die relevanten Fakten werden im Artikel aufgeführt und sind unbestritten: Die Gemeinderechnung weist ein erhebliches Defizit auf, aus der Erschliessung der Sonnenfeldstrasse sind Rechnungen offen, verschiedene Behördenmitglieder sind miteinander verwandt und die Gemeindepräsidentin ist in den Ausstand getreten. Unbestritten ist auch, dass ein Anwohner gegen die sogenannten Perimeterabgaben geklagt hat. Dass diese Klage kausal zur Verschlechterung der Gemeindefinanzen beigetragen habe oder gar die Verzögerung der entsprechenden Schlussabrechnung aufgrund von familiären Interessenkonflikten erfolgt sei, wird im Artikel nicht behauptet. Es kann zwar der Eindruck entstehen, dass die Gemeindebehörden mit der Führung ihrer Geschäfte überfordert sind und dass sich dies nachteilig auf die Gemeindefinanzen und die Stimmung in der Gemeinde auswirkt. Auch wird benannt, dass verwandtschaftliche Beziehungen die Handlungsfähigkeit der Gemeindeverwaltung einschränken können, beispielsweise weil Schlüsselpersonen in den Ausstand treten müssen. Dass in der Gemeinde Zullwil Behördenmitglieder aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen ihre Pflicht verletzt hätten oder anderweitig Vorteile gewähren würden, geht aus dem Artikel jedoch nicht hervor. Der Presserat kommt deshalb zum Schluss, dass der Artikel keinen «Vorwurf der Klüngelei», wie ihn der BF sieht, erhebt.
Damit verbleibt zu klären, ob der Text so formuliert ist, dass die Verantwortung für die finanziell schlechte Lage der Gemeinde einem einzelnen Einwohner zugeschrieben wird, wie dies der Beschwerdeführer ebenfalls kritisiert. Tatsächlich nennen die Autoren die Summe von «200’000 Franken» unmittelbar anschliessend an die Nennung des Klägers, bezeichnet als «der Vater der Gemeindepräsidentin». Für sich alleine gelesen könnte diese Passage ein falsches Bild ergeben. Bereits im nächsten Abschnitt wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Gemeindepräsidentin in den Ausstand getreten ist und insgesamt 20 Anstösser als Schuldner von Perimeterbeiträgen betroffen seien. Aus dem weiteren Text geht zudem klar hervor, dass sich der Unmut der Gemeindeversammlung nicht gegen eine Einzelperson, sondern allenfalls gegen den Gemeinderat richtet. Der Presserat sieht daher die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) nicht verletzt.
Hinsichtlich der ausstehenden Rechnungen enthält der Artikel widersprüchliche Informationen. Einerseits wird formuliert, die Gemeinde habe es versäumt, «längst fällige Beiträge einiger Einwohner einzufordern». Andererseits wird aus der E-Mail des Gemeinderates zitiert, wonach die Akontorechnungen «anstandslos von allen Anstössern» bezahlt worden seien. Hier haben die Autoren zwar nicht sorgfältig gearbeitet, eine Verletzung der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») vermag diese Ungenauigkeit jedoch nicht zu begründen.
2. Aus Sicht des Presserates ist die Informationsfreiheit nicht gefährdet und es werden auch keine Informationen unterschlagen oder Tatsachen entstellt. Die entsprechenden Ziffern 2 und 3 «Erklärung» sind daher nicht verletzt.
3. Der Beschwerdeführer bemängelt weiter, dass er nicht angehört wurde und man ihm «jegliche Gelegenheit» verweigert habe, sich zu äussern. Ein Anspruch auf Anhörung besteht gemäss langjähriger Praxis des Presserates allerdings nur bei schweren Vorwürfen. Unter schweren Vorwürfen versteht der Presserat gemäss ständiger Praxis illegales oder damit vergleichbares Handeln. Ein solcher Vorwurf wird gegen den BF jedoch weder direkt noch indirekt erhoben. Zudem wurde gemäss Stellungnahme der «bz Basel» mehrfach versucht, den Beschwerdeführer telefonisch zu erreichen. Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) wurde somit nicht verletzt.
4. Zur vom BF geltend gemachten Verletzung der Ziffern 7 (Identifizierung) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung»: Im Artikel wird zwar aufgezeigt, dass «mehrere Mitglieder der Familie Helfenfinger» in der Gemeindebehörde vertreten sind und dass die Familie «in Zullwil viel politische Macht habe». Bezüglich des Beschwerdeführers wird darauf hingewiesen, dass er der Einwohner ist, der bezüglich der Perimeterabgaben vor dem Bundesgericht geklagt hat und dass er der Vater der heutigen Gemeindepräsidentin ist. Es wird jedoch kein Name genannt und es werden keine weiteren Informationen zur Person bekannt gegeben. Die Identifizierung geht daher nur so weit, dass die verwandtschaftlichen Beziehungen, die vermeldete Einhaltung der Ausstandsregeln sowie die entsprechenden Aussagen der Rechnungsprüfungskommission nachvollziehbar sind. Die Richtlinie 7.1 (Identifizierung) ist deshalb nicht verletzt, ebenso wenig Richtlinie 8.1 (Achtung der Menschenwürde).
5. Für den Presserat ist zudem kein Anlass für eine «Berichtigung» gegeben, wie dies der Beschwerdeführer fordert (Ziffer 5 der «Erklärung»). Es ist auch nicht Sache des Presserates, ein Disziplinarverfahren gegen Journalisten einzufordern oder gar anzustrengen. Auch eine Entschuldigung der Autoren müsste auf anderem Wege eingefordert werden. Das Geschäftsreglement des Presserats bietet hierfür keine Grundlage.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die «bz Basel» hat mit dem Artikel «‹Mir si gottsjämmerlich im Schissdräck inne›: Zullwil kommt nicht zur Ruhe» die Ziffern 1, 2, 3, 5, 7 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.