Nr. 49/2019
Wahrheitspflicht / Anhören bei schweren Vorwürfen / Berichtigung / Identifizierung / Menschenwürde

(Ecopop c. «Blick»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 28. und 29. September 2017 veröffentlichten «Blick am Abend» sowie «Blick» in ihren Print- und Onlineausgaben einen Frontartikel mit dem Titel «Grüner Nationalrat vergleicht Juden mit Schweinen» respektive «Auschwitz-Skandal im Bundeshaus» sowie weitere Artikel, einer mit dem Titel «Die grausamen Nazi-Verbrechen, das grosse Vergessen». Nationalrat Jonas Fricker habe für die Fairfood-Initiative weibeln wollen und gesagt, als er das letzte Mal eine Doku über Schweinetransporte gesehen habe, seien ihm Bilder der Massendeportation nach Auschwitz aus dem Film «Schindlers Liste» in den Sinn gekommen. Die Menschen, die dort deportiert worden seien, hätten eine kleine Chance gehabt zu überleben. Die Schweine führen in den sicheren Tod. Zudem steht im Artikel, «auch der Verein Ecopop hat die Ökologie als Mäntelchen für ein rassistisches Volksbegehren benutzt». Nationalrat Roland Rino Büchel habe die Ecopop-Mitglieder damals als «Birkenstock-Rassisten» bezeichnet. Auch Ecopop-Chef Andreas Thommen sei früher Mitglied der Aargauer Grünen gewesen. Büchel sage dazu: «Offenbar wächst das Grüne im Aargau auf braunem Boden.»

B. Am 12. Oktober 2017 reichte der Präsident des Vereins Ecopop, Roland Schmutz, beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die oben genannten Artikel von «Blick» und «Blick am Abend» ein. Er macht geltend, Andreas Thommen, Geschäftsführer des Vereins Ecopop, sei auf niedrigste Art und Weise verunglimpft worden. Der Verein Ecopop wie auch Andreas Thommen würden von «Blick» und «Blick am Abend» völlig willkürlich mit den haltlosen Äusserungen von Nationalrat Jonas Fricker in Zusammenhang gebracht ohne dass ein Zusammenhang bestehe. Die gezielte Überschrift, Bebilderung und Bildunterschriften diffamierten sie aufs Übelste und verletzten sie in ihren Persönlichkeitsrechten. Dem Leser werde durch die Berichterstattung suggeriert, dass der Verein Ecopop rassistische, nazifreundliche und judenfeindliche Aussagen billige. Der Begriff «brauner Boden» unterstelle, dass Andreas Thommen sich in seiner politischen Weltsicht auf Grundgedanken des Nazitums beziehe, was falsch sei. Mit dem Bild, auf dem Juden dargestellt sind, die zusammengedrängt vor Eisenbahnwaggons stehen, werde eine bewusste Assoziation zwischen Ecopop und den unsäglichen Verbrechen des Nazi-Regimes geschaffen.

Auf Aufforderung des Presserats vom 18. Oktober 2017 um Nachbesserung der Beschwerdeschrift machte der Beschwerdeführer am 1. November die Verletzung mehrerer Bestimmungen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») und der zugehörigen Richtlinien geltend. Einerseits werde die Wahrheitssuche gemäss Richtlinie 1.1 verletzt, indem die Integrität von Text und Bild nicht gewahrt werde. In einem Bericht zu Jonas Fricker werde der Verein Ecopop und dessen Geschäftsführer völlig zusammenhanglos auf widerwärtigste Art diffamiert, indem dem Leser durch gezielte Platzierung von Text und Bildern der Eindruck vermittelt werde, der Verein Ecopop und sein Geschäftsführer seien Nazi-Sympathisanten und Rassisten. Mit derselben Erklärung sieht der Beschwerdeführer auch die Richtlinien 2.3 und 3.4 und damit die Trennung von Fakten und Kommentar sowie die Anforderung an Illustrationen verletzt. Zudem sei die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen gemäss Richtlinie 3.8 verletzt, da die Vorwürfe des «Blick» und «Blick am Abend» schwerwiegend seien und der Verein Ecopop vor den Publikationen nicht angehört worden sei. Auch sei keine Ausnahme gemäss Richtlinie 3.9 anwendbar, weshalb diese Bestimmung ebenfalls verletzt sei. Der «Blick» sowie «Blick am Abend» hätten bisher keine Berichtigung veröffentlicht. Dies tangiere Richtlinie 5.1, die somit auch nicht eingehalten worden sei. Richtlinie 7.2 bezüglich Identifizierung sei ebenfalls nicht respektiert worden, da der Verein Ecopop und auch der Geschäftsführer in keinem Zusammenhang mit den Aussagen von Jonas Fricker stünden. Weiter wurden die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 5 (Berichtigung), 7 (Identifizierung) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung» beanstandet. Dies mit gleicher Begründung wie bereits oben dargelegt.

C. Am 4. Dezember 2017 nahm der anwaltlich vertretene «Blick» und «Blick am Abend» zur Beschwerde Stellung. Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde. Dies mit der Begründung, der Beschwerdeführer führe sozusagen den ganzen Pressekodex als verletzt an. Die Beschwerde bestehe umfangmässig in wesentlichen Teilen aus der Wiederholung der für massgebend erachteten Bestimmungen, während in nur vergleichsweise geringem Umfang die eigentlichen Rügen ausgeführt würden. Die Behauptung, der «Blick» und der «Blick am Abend» hätten den Verein Ecopop und dessen Geschäftsführer wiederholt dem Holocaust gleichgesetzt, sei eine sinnlose Unterstellung. Nicht weniger unbegründet sei die Behauptung, «Blick» und «Blick am Abend» hätten dem Beschwerdeführer eine Verbindung zu den «Schlächtern des Nazi-Regimes» vorgehalten. Beides lasse sich mit den eingereichten Artikeln gerade nicht belegen. Es könne auch keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführer als «Nazisympathisanten» bezeichnet worden seien. Der Rassismus-Vorwurf werde lediglich in Form der «als zulässig erkannten» Bezeichnung «Birkenstock-Rassist» erhoben und sei in einem politischen Kontext selbstverständlich zulässig.

Zum Zitat von Nationalrat Büchel führt die Redaktion aus, die Verbreitung eines Politiker-Zitats aus aktuellem Anlass und in Verbindung mit einem politischen Ereignis, nämlich der Fehlleistung von Nationalrat Fricker und seinem darauffolgenden Rücktritt, sei medienethisch nicht angreifbar. Wenn Nationalrat Büchel eine Parallele zwischen Nationalrat Fricker und dem Verein Ecopop ziehe, dann sei das eine eindeutige politische Wertung politischer Vorgänge, über die der «Blick» sowie der «Blick am Abend» berichten dürften. Jeder Leser sei selbst in der Lage, die Stichhaltigkeit dieses Vergleichs zu bewerten.

Bezüglich Wahrheitspflicht gemäss Ziffer 1 der «Erklärung» und Richtlinie 1.1 sei festzuhalten, dass kein Verstoss vorliege. Der «Blick» und der «Blick am Abend» hätten klar dargelegt, wer was gesagt habe. Eine Verletzung der Trennung von Fakten und Kommentar gemäss Richtlinie 2.3 sei auch nicht gegeben. Diese seien selbstverständlich getrennt und es sei für jeden Leser klar und eindeutig bei verständiger Lektüre der eingereichten Artikel nachvollziehbar, wer was sage und wer was wie bewerte. Zur Illustration gemäss Richtlinie 3.4 sei auszuführen, dass sich die angegriffene Illustration völlig eindeutig auf den «dämlichen Vergleich» beziehe, den der damalige Nationalrat Fricker bemüht habe. Kein einziges der angegriffenen Bilder seien vom verständigen Leser auf den Verein Ecopop zu beziehen gewesen, sondern sie hätten ausschliesslich dazu gedient, den von Nationalrat Fricker in seiner unsäglichen Fehlüberlegung angeführten Vergleich zwischen Tiertransporten und Transporten in Vernichtungslager zu visualisieren. Davon, dass der Verein Ecopop oder dessen Geschäftsführer als Nazi-Sympathisanten erschienen, könne keine Rede sein.

Eine Verletzung der Anhörungspflicht sowie der Ausnahmen dazu gemäss der Richtlinien 3.8 und 3.9 liege nicht vor, da keine schweren Vorwürfe an den Verein Ecopop gerichtet würden. Und da sich Nationalrat Büchel auf die Zulässigkeit des «Birkenstock-Rassismus»-Vorwurfs berufen habe, sei es auch nicht nötig gewesen, den Verein Ecopop abermals anzuhören. Bezüglich einer Berichtigungspflicht nach Ziffer 5 der «Erklärung» und Richtlinie 5.1 macht der «Blick» geltend, dass es nichts zu berichtigen gebe. Zudem lege der Beschwerdeführer nicht dar, welche falschen Tatsachen behauptet worden seien und in welcher Weise sie zu berichtigen gewesen wären. Ziffer 7 der «Erklärung» und Richtlinie 7.2 seien auch nicht verletzt, da Andreas Thommen als Geschäftsführer des Vereins Ecopop genauso im politischen Geschäft tätig sei wie es Nationalrat Büchel und sein früherer Kollege Fricker gewesen seien. Zudem stehe die Nennung des Geschäftsführers Thommen in einem direkten Zusammenhang mit der Volksabstimmung über die Ecopop-Initiative. Thommen werde nicht ausserhalb seiner politischen Tätigkeit als Privatperson genannt und in seiner politischen Funktion habe er sich auch vergeblich gegen die Bezeichnung als «Birkenstock-Rassist» gewehrt, die sein Kontrahent Büchel wieder aufgegriffen habe. Die Verletzung der Menschenwürde gemäss Ziffer 8 der «Erklärung» schliesslich sei vollkommen unbegründet.

D. Am 9. November 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. September 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» sowie Richtlinie 1.1 verpflichten die Journalisten und Journalistinnen zur Wahrheit, Richtlinie 2.3 zur Trennung von Fakten und Kommentar und Richtlinie 7.2 bezüglich einer Namensnennung zur Interessenabwägung zwischen öffentlichem Interesse und der Wahrung der Privatsphäre. Da in den Artikeln jeweils klar zum Ausdruck gebracht wird, dass es sich beim Ausdruck «Birkenstock-Rassisten» sowie der Aussage, dass das «Grüne offenbar auf braunem Boden wachse», um Zitate von Nationalrat Büchel handelt, dass dies im Zusammenhang mit der Aussage des damaligen Nationalrats Fricker zitiert wurde und dass es sich beim Geschäftsführer des Vereins Ecopop, Andreas Thommen, um eine in der Politik auftretende Person handelt, sieht der Presserat die genannten Bestimmungen nicht als verletzt an. Insbesondere auch weil klar ersichtlich ist, wann es sich jeweils um Fakten und wann um Kommentare handelt. Zudem setzen sich die Artikel mit Andreas Thommen in seiner Funktion als Geschäftsführer des Vereins Ecopop und nicht als Privatperson auseinander.

2. Gemäss Richtlinie 3.4 müssen Bilder, die ein Thema, Personen oder einen Kontext ins Bild rücken, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt haben und somit Symbolbilder sind, als solche erkennbar sein. Sie sind klar von Bildern mit Dokumentations- und Informationsgehalt unterscheidbar zu machen, die zum Gegenstand der Berichterstattung einen direkten Zusammenhang erstellen. Das im «Blick» und «Blick am Abend» veröffentlichte Bild von Juden, die zusammengedrängt vor Eisenbahnwaggons stehen, bringt klar zum Ausdruck, dass es sich um ein Symbolbild im Zusammenhang mit der Aussage des ehemaligen Nationalrats Fricker handelt, der den Vergleich von Viehtransporten mit der Massendeportation der Juden im Zweiten Weltkrieg gezogen hat. Ein direkter Zusammenhang mit dem Verein Ecopop ist nicht ersichtlich, weshalb Richtlinie 3.4 nicht verletzt wurde.

3. Bei schweren Vorwürfen haben Journalisten vor Publikation eine Anhörung beider Seiten einzuleiten (Richtlinie 3.8). Eine Anhörung ist verzichtbar bei schweren Vorwürfen, die sich auf öffentlich zugängliche amtliche Quellen stützen, wenn ein Vorwurf und die zugehörige Stellungnahme bereits früher öffentlich gemacht worden sind oder wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist (Richtlinie 3.9 Anhörung – Ausnahmen). Da nach Einschätzung des Presserats keine schweren Vorwürfe erhoben worden sind, haben der «Blick» sowie der «Blick am Abend» auch die Richtlinien 3.8 und 3.9 nicht verletzt. Eine Berichtigungspflicht gemäss Richtlinie 5.1 und Ziffer 5 der «Erklärung» entfällt, da insgesamt keine medienethische Verletzung der Wahrheitspflicht besteht. Zudem ist keine Verletzung der Privatsphäre sowie der Menschenwürde gemäss Ziffer 7 und 8 der «Erklärung» ersichtlich, zumal sie auch nicht begründet wurden.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. Der «Blick» sowie «Blick am Abend» haben mit den Artikeln «Auschwitz-Skandal im Bundeshaus», «Grüner Nationalrat vergleicht Juden mit Schweinen» und «Die grausamen Nazi-Verbrechen, das grosse Vergessen» vom 28. und 29. September 2017 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 5 (Berichtigung), 7 (Identifizierung) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.