I. Sachverhalt
A. Am 6. Juli 2018 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) auf ihrer Online-Seite einen Artikel, gezeichnet von Jorgos Brouzos, mit dem Titel «Gesucht: Der nächste Wirtschaftsskandal», Untertitel: «Eine neue Internetplattform will Whistleblowern helfen – sei es mit Demos oder subtileren Mitteln». Der Artikel berichtet darüber, dass der Leiter der Kampagnenorganisation «Campax», Andreas Freimüller, eine neue Internetplattform «Swissleaks» bereitstellen werde, welche Whistleblower unterstützen soll, wenn sie Missstände in ihren Organisationen oder Firmen publik machen wollten. Es wird dann im Sinne einer Hintergrundinformation darüber berichtet, dass die Schweiz eine «reiche Geschichte an Whistleblowern» habe, der Umgang mit ihnen sei ambivalent gewesen. Die Diskussion drehe sich oft um die Frage, «ob es Whistleblower sind, die einen Missstand anprangern oder ob es sich um übergangene Mitarbeiter handelt, die sich am Arbeitgeber rächen wollen. Ein Beispiel dafür ist Rudolf Elmer, der einst die Offshoregeschäfte der Bank Julius Bär an die Öffentlichkeit brachte. Zwischen Elmer und der Bank entstand eine jahrelange juristische Fehde …». Der Artikel behandelt dann weitere Schweizer Fälle wie Falciani oder Meili. Sodann thematisiert der Bericht, wie im Ausland mit dem Thema Whistleblowing umgegangen wird und wie Freimüller mit Swissleaks vorzugehen beabsichtigt.
Unter den Kommentaren, welche die Leser im Anschluss an den Artikel platzieren können, befand sich einer von Rolf Rothacher, welcher kritisierte, «Die Beispiele (Elmer, Hervé Falciani) sind mehr als dumm gewählt. Beide sind keine Whistleblower, sondern Menschen, die versucht haben, mit gestohlenen Daten Kasse zu machen. Elmer versuchte, seinen Arbeitgeber zu erpressen. Falciani versuchte, die Daten für Millionen zu verkaufen.» Erst als diese Vorhaben gescheitert seien, hätten sich die beiden entschlossen, ihre Daten «kostenlos» weiterzugeben, vor allem in der Hoffnung, einer Strafverfolgung zu entgehen. Sein Fazit lautete: Plattformen wie Wikileaks oder Swissleaks seien ungeeignet, jeder könne sich bei Bedarf anonym an die Justiz wenden.
B. Rudolf Elmer reichte am 21. Juli 2018 beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel von Jorgos Brouzos und die Veröffentlichung des Kommentars von Rolf Rothacher ein. Elmer machte bezüglich des Artikels eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheitsgebot) und Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Mit der Publikation des Kommentars von Rolf Rothacher sieht der Beschwerdeführer ebenfalls die Ziffern 1 und 7 der «Erklärung» verletzt.
Zur Begründung führt er hinsichtlich des Artikels von Jorgos Brouzos an, der Autor unterstelle ihm, nur aus Rache gehandelt zu haben, weil er ein übergangener Mitarbeiter sei. Das entspreche nicht der Wahrheit, «weder die Rache noch der übergangene Mitarbeiter». Die Wahrheitspflicht, Ziffer 1 der «Erklärung» sei verletzt. Zum Beleg reichte der Beschwerdeführer Gerichtsurteile ein, welche nach seiner Einschätzung die Lauterkeit seiner Bemühungen belegen, zeigen, dass er ein echter Whistleblower sei. Ihn als Rächer darzustellen, verletze auch Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre).
Hinsichtlich des Kommentars von Rolf Rothacher stellt der Beschwerdeführer fest, dieser enthalte drei Unwahrheiten, die so von den Verantwortlichen der BaZ nicht hätten publiziert werden dürfen: nämlich die Unterstellungen, Daten gestohlen zu haben, versucht zu haben, Kasse zu machen und versucht zu haben, den Arbeitgeber zu erpressen. Mit der Freigabe dieses Kommentars habe die «Basler Zeitung» wieder gegen die Ziffern 1 und 7 der «Erklärung» verstossen. Zwar habe man den Kommentar später gelöscht, aber dieser sei bis dann schon acht Mal geteilt worden und damit unter den 2/3 der beliebtesten Kommentare angekommen. Man müsse davon ausgehen, dass eine grosse Anzahl der LeserInnen das gelesen und als korrekt empfunden habe.
C. Am 17. August 2018 bat der Presserat die «Basler Zeitung» um eine Stellungnahme zur Beschwerde von Rudolf Elmer. Anstelle der BaZ antwortete der Rechtsdienst der Tamedia AG und wies darauf hin, dass der Artikel zwar auf der BaZ-Website erschienen sei, aber von der Redaktion «Tamedia Deutschschweiz» stamme und via das Nachrichtennetzwerk «Newsnet» auf die Online-Ausgabe der BaZ gelangte. Die BaZ sei entsprechend weder für den Inhalt des Artikels verantwortlich noch für den Leserkommentar. Leserkommentare würden zeitungsübergreifend von der «Redaktion Tamedia Deutschschweiz» betreut. Tamedia sei selbstverständlich bereit, ihre Verantwortung wahrzunehmen, die Beschwerde entgegenzunehmen, zu beantworten und sie bitte entsprechend darum, die BaZ aus dem Beschwerdeverfahren zu entlassen.
Mit Schreiben vom 4. September 2018 lehnte der Presserat die Entlassung der BaZ aus dem Beschwerdeverfahren ab, überliess es aber den beiden Medien, selber zu entscheiden, wer von ihnen beiden die Stellungnahme verfasse. Zur Begründung verwies der Presserat auf seinen Entscheid 50/2011, wo er ausgeführt hatte, dass das übernehmende Medium der Leserschaft gegenüber verantwortlich bleiben müsse für die Inhalte, die unter seinem Label erscheinen. Artikel, die von anderen Medien übernommen werden, seien vor der Veröffentlichung zu prüfen. Zwar müssten die Inhalte nicht gänzlich nachrecherchiert werden, es bestehe aber eine Verpflichtung, sie auf «offensichtliche Verletzungen» der «Erklärung» hin zu prüfen. Für diese Erleichterung wiederum müsse gewährleistet sein, dass dem Publikum gegenüber offengelegt wird, wer den Bericht ursprünglich verantwortet habe.
D. Am 20. September reichte der Rechtsdienst der Tamedia AG eine ausführliche Beschwerdeantwort ein, in welcher sie Nichteintreten, eventualiter Ablehnung der Beschwerde beantragt.
Nichteintreten begründet Tamedia damit, dass Beschwerdeführer Elmer schon früher parallel den Presserat und ein Gericht angerufen habe, was Art. 11 des Geschäftsreglements des Presserates verletzt habe. Sofern er in diesem Fall nicht ausdrücklich auf ein Gerichtsverfahren verzichte, sei auf den Fall nicht einzutreten.
Die Ablehnung der Beschwerde begründet Tamedia hinsichtlich des Artikels von Jorgos Brouzos in erster Linie damit, dass der Beschwerdeführer etwas in den Artikel hineininterpretiere, was da nicht stehe. Der Satz «Ein Beispiel dafür ist Rudolf Elmer» beziehe sich nicht auf den Schluss des Vorangehenden («… Mitarbeiter, die sich am Arbeitgeber rächen wollen»), sondern auf den gesamten vorangehenden Satz («Die Diskussion dreht sich oft um die Frage, ob es Whistleblower sind, die einen Missstand anprangern oder ob es sich um übergangene Mitarbeiter handelt, die sich am Arbeitgeber rächen wollen. Ein Beispiel dafür ist Rudolf Elmer, der einst die Offshoregeschäfte der Bank Julius Bär an die Öffentlichkeit brachte»).
Hinzu komme, dass auch andere Medien die Problematik, die sich stelle, gleich umschrieben, wie das hier geschehen sei. Etwa die «Badische Zeitung», welche ein Interview mit dem Beschwerdeführer mit der Titelzeile angekündigt habe: «Für die einen ist er ein Held, für die anderen ein Verbrecher: der Schweizer Whistleblower Rudolf Elmer». Und schliesslich sei es im fraglichen Artikel nicht um diese spezielle Problematik und schon gar nicht um Rudolf Elmer gegangen, sondern um die Internetplattform, welche Whistleblowern helfen wolle. Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) sei so wenig verletzt wie Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre). Letztere umso weniger, als der Fall des Rudolf Elmer von öffentlichem Interesse sei und der Artikel keine Details aus dessen Privatleben preisgebe.
Was die Veröffentlichung des Leserkommentars angeht, so macht Tamedia zunächst geltend, dass die vom Beschwerdeführer erwähnten Markus Somm (damaliger Chefredaktor BaZ) und Jorgos Brouzos beide nicht an der Freischaltung der Leserkommentare beteiligt seien, sondern ausschliesslich das Social Media Team der Tamedia. Da dort täglich mehrere tausend Leserkommentare einträfen, sei es unmöglich, dass noch Zweit- oder Drittprüfungen seitens von Redaktoren oder gar Chefredaktoren durchgeführt würden. Weiter verweist Tamedia auf frühere Entscheide des Presserats in Sachen Rudolf Elmer (45/2008, 29/2012, 40/2015), in welchen dieser festgestellt habe, dass die Ausdrücke «Datendiebstahl», «Datenklau», «Erpresser» je als «knapp zulässig» zu beurteilen seien. Hinzu komme schliesslich, dass es hier, im Unterschied zu den drei zitierten Stellungnahmen, nicht um journalistische Artikel geht, sondern um eine Leserzuschrift. Selbst wenn man die drei Ausdrücke als journalistisch «grenzwertig» einschätzte, sei klar, dass sie als Elemente von Leserbriefen zulässig sein müssten angesichts von Richtlinie 5.2. Diese Bestimmung schreibe vor, dass der Meinungsfreiheit auf der Leserbriefseite grösstmöglicher Freiraum zuzugestehen sei und dass die Redaktion nur bei offensichtlichen Verletzungen der «Erklärung» einzugreifen habe. Wenn die beanstandeten drei Ausdrücke aber gemäss Presserat knapp zulässig seien, könnten sie nicht gleichzeitig «offensichtliche Verletzungen» darstellen.
D. Der Presserat teilte den Parteien am 9. November 2018 mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 2. September 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Dass der Beschwerdeführer in früheren Fällen nach Auffassung der Beschwerdegegnerin gegen Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements (Nichteintreten bei gleichzeitigem Gerichtsverfahren) verstossen hat, kann nicht dazu führen, dass auf den konkret vorliegenden Fall materiell nicht eingetreten wird. Diese Regelung sieht keine rückwirkende Sanktion vor.
2. Bei der Rüge des Artikels von Jorgos Brouzos auf BaZ Online geht es ausschliesslich um den Satz: «Die Diskussion dreht sich oft um die Frage, ob es Whistleblower sind, die einen Missstand anprangern oder ob es sich um übergangene Mitarbeiter handelt, die sich am Arbeitgeber rächen wollen. Ein Beispiel dafür ist Rudolf Elmer, der einst die Offshoregeschäfte der Bank Julius Bär an die Öffentlichkeit brachte.»
Der Beschwerdeführer sieht sich in diesem Satz bezeichnet als «übergangener Mitarbeiter, der aus Rache gehandelt» habe. Diese Interpretation ist nicht zutreffend. Der Beschwerdegegnerin ist Recht zu geben, wenn sie sagt, der Bezug «Ein Beispiel dafür ist …» erstrecke sich auf den gesamten vorhergehenden Satz, also nicht nur auf den übergangenen Mitarbeiter, der sich rächt, sondern ebenso auf die erste Hälfte, auf die «Whistleblower, die (gemeint: legitimerweise) einen Missstand anprangern». Das ist syntaktisch logisch, es wird aber auch durch den anschliessenden Nebensatz unterstrichen («… Rudolf Elmer, der einst die Offshoregeschäfte der Bank Julius Bär an die Öffentlichkeit brachte»). Dieser formuliert Elmers seinerzeitige Rolle neutral bis anerkennend. Das wäre nicht stimmig und klänge anders, wenn der Autor Elmer als übergangenen, sich rächenden Mitarbeiter darstellen wollte, wie der Beschwerdeführer das empfindet.
Dass die vom Autor aufgeworfene Diskussion sich «oft um diese Frage dreht», liegt auf der Hand, sie darf und soll geführt werden, auch anhand von Beispielen, die sie verständlich werden lassen. Die Wahrheitspflicht von Ziffer 1 der «Erklärung» ist nicht verletzt.
3. Auch die Ziffer 7 der «Erklärung» ist nicht verletzt: Der Respekt vor der Privatsphäre ist nicht tangiert, wenn Rudolf Elmer, eine Person der Öffentlichkeit speziell wenn es um das Thema Whistleblowing geht, als Beispiel zur Illustration der Thematik herangezogen wird. Es werden keine neuen oder anderen Elemente veröffentlicht, die seine Privatsphäre beeinträchtigen könnten.
4. Was die Zuschrift von Rolf Rothacher auf BaZ Online betrifft, bei welcher der Beschwerdeführer die Ausdrücke «gestohlene Daten», «Kasse machen» und «erpressen» beanstandet, so ist der Argumentation von Tamedia zuzustimmen, wonach Richtlinie 5.2 festhält, dass bei Leserbriefen «der Meinungsfreiheit ein grösstmögliches Mass an Freiraum zuzugestehen ist» und die «Redaktion nur bei offensichtlichen Verletzungen der ‹Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten› einzugreifen hat». Angesichts der Tatsache, dass der Presserat diese Art von Ausdrücken im Fall Elmer in früheren Stellungnahmen – wie bereits erwähnt – als «knapp zulässig» für einen journalistischen Text bezeichnet hatte, ergibt sich a maiore ad minorem, dass dies erst recht unter den weniger strengen Voraussetzungen für Leserbriefe gelten muss.
5. Klärend anzufügen ist allerdings, dass der Presserat der Argumentation von Tamedia nicht zustimmt, wonach die Inhalte von Online-Zuschriften allein aus quantitativen Gründen nicht von einer anderen Redaktion als dem «Social Media Team» überprüft werden können und sollen.
– Wenn ein Medium (in diesem Fall die BaZ) Inhalte von einem anderen übernimmt (in diesem Fall Leserbriefe von Tamedia Online), ist es für deren Inhalt verantwortlich und verpflichtet, diesen mindestens auf grobe Verstösse gegen die «Erklärung» zu prüfen.
– Dies gilt auch für redaktionelle Artikel. Und wenn bei einem solchen journalistischen Beitrag aus einer anderen Redaktion nicht klar angegeben wird, woher genau der Inhalt stammt, ist eine normale journalistische Prüfung angesagt. Der Leserschaft muss immer klar sein, wer für den Inhalt Verantwortung trägt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die «Basler Zeitung» und Tamedia haben mit dem Artikel «Gesucht: Der nächste Wirtschaftsskandal» vom 6. Juli 2018 und mit der Veröffentlichung der Leserzuschrift von Rolf Rothacher zu diesem Artikel nicht gegen die Ziffern 1 und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.
3. Artikel, welche ein Medium von einem anderen übernimmt und unter eigenem Namen publiziert, sind vor der Veröffentlichung auf grobe Verstösse gegen die journalistischen Normen zu prüfen. Wenn die Herkunft des Artikels gegenüber dem Publikum nicht klar deklariert wird, muss eine normale redaktionelle Prüfung gewährleistet sein.