I. Sachverhalt
A. Am 14. Oktober 2020 veröffentlichte «SRF.ch» einen Artikel gezeichnet mit «sda/from;fulu» mit dem Titel «Genfer Kantonsgericht gibt Klimaaktivist Recht». Im Text wird erläutert, dass ein zweitinstanzliches Urteil eine frühere Verurteilung eines Klimaaktivisten wegen Sachbeschädigung aufgehoben habe. Der Angeklagte habe vor zwei Jahren die Hausfassade der Credit Suisse (CS) in Genf verschmiert, worauf er wegen Sachbeschädigung gebüsst und zur Bezahlung der Fassadenreinigung verurteilt worden sei. Das Kantonsgericht habe ihm nun aber Recht gegeben bei seiner Argumentation, wonach die unmittelbare Gefahr des Klimawandels ihn in einen «rechtfertigenden Notstand» gebracht habe. Den Text illustriert das Foto einer grossflächig mit roter Farbe verschmierten Credit Suisse-Filiale. Fassade, Säule, Fenster und Logo sind mit gespritzten grossen roten Farbstrichen beschädigt.
Am gleichen Tag sendete Radio SRF im «Rendez-vous» auf SRF 1 und 2 ein Moderationsgespräch von Ivana Pribakovic mit der Genfer Korrespondentin von Radio SRF, Barbara Colpi, über den gleichen Sachverhalt.
B. Am 11. Januar 2021 reichte X. Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Er macht einen Verstoss gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Tatsachen) und 7 (Ungerechtfertigte Vorwürfe) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend.
Der Beschwerdeführer (BF) stellt in seiner Begründung einleitend fest, dass weder die Politik noch die CS ihren jeweils eigenen Worten und Versprechungen zum Klimawandel anlässlich des Pariser Abkommens Taten hätten folgen lassen. Im Gegenteil habe die CS ihr Engagement bei fossilen Brennstoffen seither sogar noch erhöht. Das hätten verschiedene Studien und Gutachten belegt. Um auf diesen Umstand hinzuweisen, auf den die Politik und die Bank nicht reagierten, habe der Klimaaktivist Titelseiten des IPCC-Reports über den Klimawandel an die CS-Fassade geklebt, welche auf die Problematik aufmerksam machen sollten. Weiter habe er mit abwaschbarer Kreidefarbe und einer Schablone einzelne rote Hände an die Fassade gespritzt, um auf die Opfer dieser Politik hinzuweisen.
SRF habe sowohl online wie auch im Radiogespräch von «verschmieren» gesprochen, was auf die Aktion des Freigesprochenen nicht zutreffe. Der habe zwar regelmässige Symbole angebracht, aber nichts verschmiert. Die entsprechende Charakterisierung im Text verstosse gegen die Ziffer 3 (Entstellungsverbot). Ebenso sei unrichtig, wenn die Berichterstatterin im Radiobeitrag sage, es könne straffrei davonkommen, wer «eine», also irgendeine Fassade «verschmiere». Das Gericht habe sich mit den Gutachten zur Politik der CS auseinandergesetzt und festgestellt, dass es zutreffe, wenn der Angeklagte auf Widersprüche zwischen Ankündigungen und effektivem Handeln bei dieser spezifischen Bank hinweise. Der Aktivist habe also nicht irgendeine Fassade «verschmiert».
Auch sei falsch, wenn gesagt werde, dass laut Gericht der Klimanotstand eine Sachbeschädigung rechtfertige. Das Gericht sage vielmehr, dass eher das Rechtsgut «unversehrtes Eigentum» als dasjenige der «körperlichen Unversehrtheit» geopfert werden dürfe. Die entsprechende falsche Formulierung bilde einen Verstoss gegen die Ziffer 1 der «Erklärung».
Im Weiteren beklagt der Beschwerdeführer, dass verschiedene weitere Punkte des Urteils in der Berichterstattung nicht aufgeführt worden seien.
Hinsichtlich der Illustration des Online-Artikels macht der BF eine gravierende Verletzung der Wahrheitspflicht geltend. Die Abbildung zeige nicht die Fassade der fraglichen Genfer CS-Filiale und vor allem nicht die vom Gericht beurteilte Aktion. Man sehe dort eine Farbaktion, die keinen Sinn erkennen lasse. Das Bild suggeriere, dass eine sinnlose Sachbeschädigung begangen worden sei, über die das Genfer Gericht geurteilt habe. Das sei nicht der Fall gewesen. Diese irreführende Illustration bilde auch eine ungerechtfertigte Anschuldigung gemäss Ziffer 7 der «Erklärung».
Der BF verlangt aufgrund all dessen eine Rüge an die Adresse von SRF, weiter müsse der gerügte Artikel «als schlechtes Beispiel», aber mit den nötigen Korrekturen im Internet verbleiben, die Sendung «Rendez-vous» müsse eine Rüge des Presserates vortragen, und er fordert eine schriftliche Entschuldigung gegenüber dem Beschuldigten.
C. Am 22. Januar 2021 entschied der Presserat, die sehr ausführliche Beschwerde gestützt auf Art. 17 Abs. 2 des Geschäftsreglements (Beschränkung auf die wesentlichen Beschwerdegründe) zu beschränken. Er reduzierte sie dementsprechend auf die Frage der Verwendung des fraglichen Fotos zur Bebilderung des Artikels und bat SRF um eine Stellungnahme.
D. Am 1. März 2021 nahmen Michael Bolliger, stellvertretender Chefredaktor Radio, und Barbara Lehmann vom Rechtsdienst SRF zur Beschwerde Stellung. SRF stellt keinen Antrag und erläutert lediglich, dass zur Illustration des Artikels kein Bild der tatsächlichen Sachbeschädigung verfügbar gewesen sei, weshalb man auf ein Symbolbild zurückgegriffen habe, wie das in solchen Fällen üblich sei. Nach Überprüfung des entsprechenden Abschnitts der vorliegenden Beschwerde sei SRF zum Schluss gelangt, dass das verwendete Bild «bei der Leser- und Hörerschaft tatsächlich Zweifel hervorrufen kann». Daher habe die Redaktion «das Bild bei den beanstandeten Publikationen mit einem anderen Symbolbild versehen». Das beigelegte Foto zeigt einen Credit Suisse-Schriftzug auf einer unverschmutzten Fassade.
E. Am 16. April 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements von der Geschäftsführerin des Presserats behandelt.
F. Die Geschäftsführerin hat am 10. Juni 2021 in Absprache mit dem Präsidium des Presserats folgendermassen Stellung genommen:
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass das Bild einer grossflächig, über Fenster, Schriftzug und Gemäuer mit roter Farbe verspritzten Fassade der Leserschaft einen völlig falschen Eindruck davon vermittle, von welcher Art Delikt hier effektiv die Rede gewesen ist. Das Gericht habe den Angeklagten nicht von einer dermassen grossen und wilden Schmiererei freigesprochen, sondern von einer anders gearteten Sachbeschädigung. Rote Hände, aufgespritzt mit einer entfernbaren Kreidefarbe. Und einzelne aufgeklebte Papiere mit einer konkreten politischen Information. Dies sei von entscheidender Bedeutung gewesen für den richterlichen Freispruch.
SRF stellt keinen Antrag. Die Redaktion bestätigt, dass das Bild nicht die beanstandete Sachbeschädigung darstellt. Und ergänzt, sie habe ein Bild verwendet, das durchaus «Zweifel hervorrufen kann», man habe es in der Zwischenzeit ausgewechselt.
In der Tat zeigt das Foto eine grossflächige, wilde Beschädigung, die vermutlich nur schwer zu entfernen ist und wenig anderes ausdrückt als Zerstörungswut. Was dem Presserat als effektiver Sachverhalt geschildert wird, sieht deutlich anders aus. Der Schaden war kleiner, leichter zu entfernen und mit konkreter Aussage versehen. Dies ist insbesondere zu beachten angesichts des auf das Bild folgenden Textes. Es ist dort die Rede davon, dass ein Klimaaktivist vom Gericht von der Sachbeschädigung bei Credit Suisse freigesprochen worden sei. Man sieht also im Bild eine gross dimensionierte Sachbeschädigung und liest im Text von einem Freispruch wegen Notstandes. Der so vermittelte sehr erstaunliche Eindruck stimmt in dieser Form nicht, die Information ist aufgrund des gewählten Bildes nicht zutreffend und somit als Verstoss gegen die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) zu werten. Es hätte allermindestens mit «Symbolbild» klar gemacht werden müssen, dass es hier nicht um das wahre Tatobjekt geht. Wobei auch dann noch ein falscher Eindruck von der Dimension des Schadens entstanden wäre. Das neue, anstelle des bisherigen, von der Redaktion eingerückte Bild ist ebenfalls nicht korrekt gekennzeichnet, auch hier handelt es sich nicht um die fragliche CS-Filiale, auch dieses muss mit «Symbolbild» gekennzeichnet werden.
Zusammenfassend: Die Illustration erweckt in Verbindung mit dem Text einen falschen Eindruck der begangenen Tat und erfüllt damit einen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht von Ziffer 1 der «Erklärung».
2. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte gleichzeitige Qualifizierung des Bildes als ungerechtfertigte Anschuldigung gegen den Angeklagten, also als Verstoss gegen die Ziffer 7 der «Erklärung», trifft nicht zu. Die Ziffer 7 schützt die individuelle Persönlichkeit. Da der Angeklagte jenes Prozesses weder durch den Artikel noch durch den Radiobeitrag identifiziert wird, wurde auch seine Persönlichkeit nicht tangiert, unabhängig davon, ob die Anschuldigung berechtigt war oder nicht.
3. Auf die übrigen in der 14-seitigen Beschwerde aufgelisteten Punkte ist der Presserat nicht eingetreten. Er weist jedoch darauf hin, dass er den Redaktionen keine Weisungen erteilen kann. Der Presserat beurteilt ausschliesslich journalistische Arbeiten daraufhin, ob sie den Vorgaben der «Erklärung» entsprechen.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.
2. «SRF.ch» hat mit dem Artikel «Genfer Kantonsgericht gibt Klimaaktivist Recht» vom 14. Oktober 2020 die Ziffer 1 (Wahrheitsgebot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, weil die Illustration zum Text nicht der Wahrheit entspricht.
3. Darüber hinausgehend wird auf die Beschwerde nicht eingetreten.