Nr. 39/2017
Wahrheitspflicht / Unterschlagen wichtiger Informationen / Privatsphäre / Opferschutz / Menschenwürde

(X. c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 20. November 2017

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I. Sachverhalt

A. Am 17. Oktober 2016 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) den Artikel «Wahre Geschichte über Liebe und Tod», gezeichnet von Peter Zihlmann. Der Untertitel lautet: «Exklusiver Auszug aus dem neuen Buch des Basler Autors und Juristen Peter Zihlmann». In einem ersten Abschnitt schildert der Autor in einer Art Fazit, dass das, was sich in den drei Jahren im Libanon abspielte, irgendwie vorhersehbar war. Für die junge Frau sei es wie die Bewährungsprobe ihrer Liebe erschienen, Hassan nach dessen Ausschaffung aus der Schweiz in den Libanon zu folgen. Ihr Plan sei gewesen, Hassan sobald wie möglich in die Schweiz oder ins grenznahe Ausland, nach Süddeutschland zurückzuholen. Während er sie in der Schweiz auf Händen getragen habe, sei im Libanon alles anders gewesen. Dort sei ein Überleben ohne die schützende Hand eines starken Mannes überhaupt nicht denkbar gewesen. Anschliessend lässt der Autor die junge Frau selbst zu Wort kommen. Sie schildert, dass ihr Mann mit ihrem Geld im Libanon Autos gekauft habe und damit arbeitete, ohne sie am Erfolg zu beteiligen. Wie sie zusammen mit einem Freund einen Anwalt aufsuchte und die rechtlichen Möglichkeiten besprochen habe. In einem Kasten am Fuss der Seite heisst es unter dem Titel «Nach Hochzeit in den Libanon ausgeschafft», in seinem neusten Buch schreibe der frühere Basler Rechtsanwalt und Richter Peter Zihlmann über eine tragische Liebesgeschichte, die eine junge Schweizerin in den Libanon geführt habe. Sie habe sich in den Libanesen Hassan verliebt, welcher wegen Vergewaltigung vor Gericht gestanden und schliesslich in den Libanon ausgeschafft worden sei. Sie sei ihrem Ehemann in die Fremde gefolgt, mit tödlichen Folgen. Zihlmanns Buch sei kein Roman, sondern ein Tatsachenbericht.

B. Am 6. Januar 2017 beschwerte sich X., Expertin präventiver Opferschutz, beim Schweizer Presserat gegen den Artikel, nachdem sie bei der BaZ erfolglos eine Gegendarstellung beantragt hatte. Sie macht eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen), Ziffer 7 (Privatsphäre), Ziffer 8 (Menschenwürde, Opferschutz) und Ziffer 10 (Vermeiden kommerzieller Werbung) geltend. Ziffer 1 der «Erklärung» sieht die Beschwerdeführerin dadurch verletzt, dass sich im Bericht unzählige Verdrehungen des Sachverhalts befänden. Der Titel «Nach Hochzeit in den Libanon ausgeschafft» sei reisserisch und irreführend. Die Hochzeit habe bereits 2007 stattgefunden. Die rechtmässige Zwangsausweisung sei erst sechs Jahre danach am 11. April 2013 erfolgt. Der Satz «Der Autor von Büchern über den gescheiterten Börsenguru Dieter Behring oder den Paraplegie-Pionier Guido A. Zäch erzählt das Leben der Pianistin Marion Mansour, die sich in einem Zürcher Lokal in den Libanesen Hassan verliebt» sei falsch. Marion K. habe den damals aus der Untersuchungshaft entlassenen Hassan M. in einem Restaurant in Winterthur kennengelernt. Falsch sei auch der Satz «Dieser steht wegen Vergewaltigung vor Gericht und wird schliesslich in den Libanon ausgeschafft». Richtig sei, dass das Bezirksgericht H. M. 2007 der Vergewaltigung, der Drohung und mehrfacher Tätlichkeiten schuldig gesprochen und ihn zur Zahlung einer Genugtuungssumme verpflichtet habe.

Auch die Aussage, Zihlmanns Buch sei kein Roman, sondern ein Tatsachenbericht, sei falsch. Dies ergebe sich aus den Gerichtsakten. Dass sich auf Zihlmanns Homepage viele Verdrehungen des Sachverhalts befänden, habe auch ein Oberrichter des Kantons Zürich bestätigt. Wenn der Autor die Ausschaffung als böse Frucht des Unrechts der Schweizer Justiz bezeichne, so fehle ihm jegliches Rechtsverständnis und Empathie für die betroffenen Opfer. H. M. habe per Youtube Hassbotschaften gegen den «Schurkenstaat» Schweiz ins Netz gestellt. Die Aussage, er habe Marion M. auf Händen getragen, werde von unzähligen Zeugen widerlegt. Diese könnten bestätigen, dass die Beziehung von Marion und Hassan zeitweise von heftigen Streitigkeiten und Trennungen geprägt war. Dies belegten auch die Gerichtsakten.

1998 sei die erste Wegweisungsverfügung/Ausreiseaufforderung der Fremdenpolizei Zürich erfolgt. 1999 habe M. zugegeben, dass er unter drei verschiedenen falschen Namen in die Schweiz eingereist sei. Im gleichen Jahr habe ihn das Bezirksgericht wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, Hinderung einer Amtshandlung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte etc. verurteilt. 2009 habe das Zürcher Obergericht das Urteil gegen H. M. wegen Vergewaltigung, Drohung und mehrfacher Tätlichkeit gegen seine Kinder bestätigt. Ende 2009 sei die verfügte ambulante Massnahme aufgrund der mangelnden Therapiewilligkeit in eine stationäre umgewandelt worden. Die Ausweisung im Jahr 2013 habe der Gewalt- und Sexualstraftäter M. somit selbst verschuldet. Diese sei in keiner Weise – wie von Herrn Zihlmann behauptet – rechtswidrig erfolgt.

H. M. sei auch nicht wie im Buch beschrieben der liebevolle und fürsorgliche Vater und auch nicht der liebevolle Partner gewesen. Die aus Zihlmanns subjektiver Sicht beschriebenen Erzählungen und Behauptungen, wonach es sich bei M. um einen unbescholtenen, friedvollen libanesischen Asylanten handle, der zu Unrecht in der Schweiz im Gefängnis war und ausgewiesen wurde, könne widerlegt werden. Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagen wichtiger Informationen) sei dadurch verletzt, dass das Bezirksgericht M. 2007 wegen Vergewaltigung, Drohung und mehrfacher Tätlichkeiten verurteilt habe und ihn zu einer Genugtuung an die Geschädigten verpflichtete. Wichtige Informationselemente zu diesem Urteil unterschlage Zihlmann.
Ziffer 7 der «Erklärung» (Privatsphäre) sieht X. dadurch verletzt, dass der Buchauszug bei den – teilweise minderjährigen – Opfern von M. vermeidbare Re-Traumatisierungen ausgelöst habe, damit sei der präventive Opferschutz in keiner Weise gewährleistet worden. Die Privatsphäre der Opfer und deren Angehöriger sei gravierend verletzt und missachtet. Menschenwürde und präventiver Opferschutz (Ziffer 8 der «Erklärung») seien durch die täterorientierte Berichterstattung verletzt, die Opfer erduldeten vermeidbare Re-Traumatisierungen. Der Buchautor stelle mit opfer- und frauenfeindlichen Anspielungen die Glaubwürdigkeit des Gewalt- und Vergewaltigungsopfers in Frage. Das sei eine Diskriminierung bezüglich Geschlecht und verletze die Würde des Opfers. M. habe auch seine Kinder in Form von physischer und psychischer Gewalt gepeinigt. Das blende Zihlmann völlig aus und unterschlage auch damit elementare Informationen. Ziffer 10 (Vermeidung kommerzieller Werbung) schliesslich sieht X. dadurch verletzt, dass die BaZ Buchlancierung und Buchauszug am 17. Oktober 2016 in Grossformat publizierte. Gleichentags hätten der Buchautor und seine Mitstreiter den Artikel in der BaZ gezielt auch virtuell in sozialen Netzwerken sowie unter seiner privaten Webseite veröffentlicht. Dass das Leid und Martyrium der Opfer und ihrer Angehörigen nun auch noch in einem Buch verhöhnend und verleumderisch niedergeschrieben und dank der kostenlosen Werbung in der BaZ kommerzielle Ziele erreicht worden seien, sei kaum erträglich. Wie verurteilte Täter hätten insbesondere Opfer ein Recht auf Vergessen. Die Gewalt- und Sexualopfer von H. M. hegten lediglich einen bescheidenen Wunsch: dass weder medial noch virtuell noch in schriftlicher Form über ihr erduldetes Leid berichtet werde.

C. In ihrer Beschwerdeantwort vom 30. März 2017 beantragte die anwaltlich vertretene BaZ, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, wenn doch, sei sie abzuweisen. Die Beschwerde umfasse alleine 47 A4-Seiten. Sie sei teilweise nicht nachvollziehbar, repetitiv und habe über weite Strecken nichts mit dem beanstandeten Artikel zu tun. So störe sich die Beschwerdeführerin offensichtlich vor allem an der Buchpublikation von Autor Peter Zihlmann. Die «Basler Zeitung» sei nur deshalb in ihren Fokus geraten, weil sie einen kurzen Auszug aus dem jüngsten Buch von Zihlmann veröffentlicht habe. Das Presseratsverfahren sei jedoch die falsche Plattform für eine Kritik an Zihlmanns Buch, bestehe die Aufgabe des Presserats doch darin, berufsethische Fragestellungen periodischer und/oder auf Aktualität bezogener Medien zu beurteilen. Bereits aus diesem Grund sei auf die Beschwerde nicht einzutreten. Darüber hinaus genüge die Beschwerdebegründung den im Geschäftsreglement des Presserats umschriebenen Anforderungen nicht, sie sei weitschweifig und unklar. In inhaltlicher Hinsicht führt die BaZ aus, beim von ihr veröffentlichten Auszug aus dem Buch von Peter Zihlmann sei medienethisch von einem Gastbeitrag auszugehen. Redaktionen sei nicht zuzumuten, bei Texten von Drittautoren – gerade wenn es um Buchauszüge gehe – eine umfassende Recherche zum beschriebenen Thema und zum Drittautor zu machen. Dies wäre nicht nur unverhältnismässig, sondern widerspräche auch der Meinungsfreiheit. Wenn die Prüfungspflicht der Redaktion sich bei Leserbriefen auf offensichtliche Verstösse gegen die berufsethischen Normen beschränke, so müsse dies auch für Buchauszüge gelten. Die Beschwerdeführerin rüge eine Verletzung der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») mit der pauschalen Behauptung, das Buch Zihlmanns beinhalte unzählige nachweisliche Verdrehungen der Sachverhalte. Ihre Behauptungen belege sie nicht, diese bezögen sich offensichtlich ganz allgemein auf den Inhalt des Buchs und nicht konkret auf den beanstandeten Artikel. Die angeblichen Verdrehungen würden im Artikel gar nicht thematisiert, weshalb der BaZ kein Vorwurf gemacht werden könne. Soweit sich die Beschwerdeführerin an den Worten «Tatsachenbericht» bzw. «wahre Geschichte» störe, sei ihr entgegenzuhalten, dass es sich beim Buch – und dem beanstandeten Auszug in der «Basler Zeitung» – gemäss Buchautor und Buchverlag nicht um eine fiktive Geschichte handelt, sondern um einen realen Fall. Die BaZ müsse das Recht haben, auf diesen Fakt hinzuweisen, ohne dass von ihr zu verlangen wäre, dass sie jedes im Buch beschriebene Detail selbst nachzurecherchieren habe. Es gebe keine medienethische Pflicht zur vollständigen, objektiven oder ausgewogenen Wiedergabe eines Sachverhalts. Auch eine Pflicht zur vollständigen Wiedergabe eines Sachverhalts gebe es nicht. Zudem liege es in der Natur der Sache, dass ein Sachverhalt unterschiedlich interpretiert werden könne bzw. unterschiedliche Personen (mit unterschiedlichen Interessen) unterschiedliche Ansichten verträten. Beim beanstandeten Artikel handle es sich nicht um eine von der Redaktion der BaZ recherchierte Berichterstattung über ein aktuelles Ereignis. Darauf verweise sowohl prominent die Unterzeile sowie der Begleittext. Für den Leser des Artikels sei damit auf den ersten Blick klar gewesen, dass es sich um einen Auszug aus einem Buch eines bekannten Publizisten handelte.

Der in der BaZ veröffentlichte Auszug sei zudem keineswegs eine unkritische Auseinandersetzung mit der Person von Hassan. Der Text beschreibe die schwierige Beziehung zwischen Marion und Hassan. Dabei werde auch nicht verschwiegen, dass Hassan wegen Vergewaltigung verurteilt und in den Libanon ausgewiesen wurde, wo es aufgrund seiner Taten zum Bruch gekommen sei. Ziffer 1 der «Erklärung» sei demnach nicht verletzt. Auch seien keine wichtigen Elemente von Informationen (Ziffer 3) unterschlagen worden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin bestehe keine Pflicht, vollständig und umfassend über eine Thematik zu berichten. Gerade im vorliegenden Zusammenhang – es handle sich dabei nicht um einen Gerichtsbericht – könne vom Autor nicht verlangt werden, dass er sämtliche Aspekte des Strafurteils thematisiere. Entscheidend sei vielmehr, dass die Leser aufgrund einer Darstellung keine falschen Schlüsse zögen. In der Info-Box zum Artikel, von BaZ-Journalist Christian Keller verfasst, erführen die Leser weiterführende Informationen zum Buchprojekt von Zihlmann, zur Person von Hassan und zu früheren Büchern von Peter Zihlmann. Die Leser würden darin über die «strafrechtliche Geschichte» von Hassan genügend aufgeklärt. Sie hätten gewusst, dass die Schweiz Hassan aufgrund einer Straftat (Vergewaltigung) ausgewiesen habe und dass Marion ihm als seine Ehefrau in den Libanon gefolgt sei. Ziffer 3 der «Erklärung» sei somit nicht verletzt.

In Bezug auf die geltend gemachte Verletzung der Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung») führe die Beschwerdeführerin nicht aus, inwiefern der Artikel die Privatsphäre Dritter verletze. Eine Verletzung der Privatsphäre von Hassan und Marion rüge sie nicht. Die BaZ habe weder über Opfer noch deren Angehörige identifizierend berichtet. Auch eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» liege somit nicht vor. Dies gelte auch für Ziffer 8: Die BaZ habe sich in den von ihr veröffentlichten Texten mit keinem Wort diskriminierend oder sonstwie verachtend geäussert. Auch eine Verletzung von Ziffer 10 der «Erklärung» bzw. des für Journalisten geltenden Werbeverbots liege nicht vor. Beim veröffentlichten Text handle es sich um einen Buchauszug und nicht um ein kostenpflichtiges Inserat. Im Weiteren sei es an der journalistischen Tagesordnung, dass Texte von Dritten publiziert würden. Darin sei jedoch keine Werbemassnahme zu sehen. Ferner sei der Vorwurf der Beschwerdeführerin zurückzuweisen, die BaZ sei ihrer Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung») nicht nachgekommen. Die BaZ habe weder ganz noch teilweise falsch berichtet, also habe sie auch nichts zu berichtigen gehabt.

D. Am 10. Mai 2017 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 20. November 2017 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Vorab ist zu klären, ob auf die vorliegende Beschwerde einzutreten ist. Die BaZ macht geltend, die Beschwerdeführerin störe sich vor allem an der Buchpublikation, ein Presseratsverfahren sei jedoch die falsche Plattform für die Kritik an Zihlmanns Buch. Ausserdem genüge die Beschwerdebegründung den Anforderungen laut Geschäftsreglement des Presserats nicht. Gemäss Art. 9 des Geschäftsreglements umreisst die Beschwerdebegründung den massgeblichen Sachverhalt und führt aus, inwiefern der beanstandete Medienbericht einzelne Bestimmungen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde. Wäre der Presserat ausserdem davon ausgegangen, dass es sich um eine weitschweifige Eingabe handelt, hätte er gestützt auf Art. 9a seines Reglements die Möglichkeit gehabt, eine Nachfrist zur Verbesserung anzusetzen. Dies hat er nicht getan, auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten. Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin ist der Presserat sehr wohl zuständig, die Publikation eines Buchauszugs durch ein Medium in medienethischer Hinsicht zu beurteilen, denn die Redaktion eines Mediums ist auch für die Veröffentlichung von Buchauszügen verantwortlich.

2. a) Vorliegend geht es um den Abdruck eines Buchauszuges einerseits und den mit ck gezeichneten Kasten mit Informationen zu Autor und Buch andererseits. Somit fragt sich in Bezug auf den Auszug aus Zihlmanns Buch, welcher Prüfungsmassstab gilt. In Stellungnahme 13/2000 (Geschichtsdiskurs über Papst Pius XII. (V. c. «Tages-Anzeiger») hatte der Presserat grundsätzlich festgehalten, er äussere sich nicht zu Büchern, sondern er befasse sich nur mit journalistischen Beiträgen in öffentlichen und aktuellen Medien. Vorliegend geht es um einen Buchauszug. Medienethisch ist dieser als Gastbeitrag einzuordnen. Der Presserat hat bereits in verschiedenen Entscheiden festgehalten, dass für Gastautoren dasselbe gilt wie bei Leserbriefen: dass nämlich die Medien die berufsethische Verantwortung auch für Beiträge tragen, die sie von Aussenstehenden annehmen (Beispiele: Stellungnahmen 70/2011; 33/2016). Allerdings beschränkt sich die Prüfungspflicht auf offensichtliche Verstösse gegen die berufsethischen Normen (siehe Stellungnahme 28/2009).

Im vorliegenden Fall hat die BaZ den Buchauszug mit dem Titel «Wahre Geschichte über Liebe und Tod» (und nicht: «Gemäss Autor handelt es sich um eine wahre Geschichte») sowie dem Untertitel «Exklusiver Auszug aus dem neuen Buch des Basler Autors und Juristen Peter Zihlmann» eingeführt. Die BaZ selbst nimmt somit für sich in Anspruch, dass die Ausführungen ihres Gastautors der Wahrheit entsprechen. Dies führt sie auch im Kasten, welcher den Text begleitet, aus, wo der BaZ-Redaktor schreibt, Zihlmanns Buch sei kein Roman, sondern ein Tatsachenbericht. Dies ändert jedoch nichts daran, dass allein offensichtliche Verstösse gegen den Journalistenkodex eine Rüge begründen.

b) Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Hat die BaZ offensichtlich gegen diese berufsethische Norm verstossen? Die Beschwerdeführerin macht pauschal geltend, der Bericht enthalte unzählige Verdrehungen des Sachverhalts. So habe die Hochzeit bereits 2007 stattgefunden, die Zwangsausweisung sei erst sechs Jahre danach 2013 erfolgt. Im Beitrag nennt Zihlmann keine Jahreszahlen. Zwar thematisiert er die Ausschaffung von H. M., stellt jedoch keine Verbindung zur Hochzeit her. Insofern kann hier auch kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht vorliegen. Der Titel des Kastens lautet: «Nach Hochzeit in den Libanon ausgeschafft». Auch hier werden keine Jahreszahlen genannt. Zwar suggeriert dieser Titel einen kürzeren als den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Zeitraum von sechs Jahren. Letztlich lässt er die Frage der Dauer jedoch offen. Einen offensichtlichen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht kann der Presserat darin nicht erkennen. Dasselbe gilt, wenn die BaZ im Kasten schreibt, Marion Mansour habe sich in einem Zürcher Lokal in den Libanesen verliebt, während die Beschwerdeführerin sagt, dies sei in einem Winterthurer Restaurant geschehen.

Beschwerdeführerin X. kritisiert weiter den Satz im Kasten «Dieser steht wegen Vergewaltigung vor Gericht und wird schliesslich in den Libanon ausgeschafft». Sie führt zur Begründung detailliert an, wann H. M. von welchem Gericht wegen welcher Delikte verurteilt wurde. Für den Presserat macht die Tatsache, dass hier keine Zeitelemente genannt werden, diesen Satz noch nicht falsch. Die BaZ war auch nicht verpflichtet, weitere Elemente zum Urteil gegen M. zu nennen. Ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht liegt auch hier nicht vor.

«Er hatte sie auf Händen getragen», dies ein weiterer Satz, den X. kritisiert. Unzählige Zeugen könnten belegen, dass die Beziehung von Marion und Hassan zeitweise von heftigen Streitigkeiten und Trennungen geprägt gewesen sei. Der Presserat stellt fest, dass Autor Zihlmann weiter unten im Text Marion die folgenden Worte in den Mund legt: «Er (ein Freund, Anm. der Red.) versuchte mit grosser Geduld, unsere Streitereien zu schlichten, nachdem er uns stundenlang zugehört hatte.» Zihlmann macht somit im abgedruckten Auszug zum einen äusserst positive, um nicht zu sagen idealisierende Aussagen über die Beziehung des Paares, zum anderen weist er auch auf die Schattenseiten der Beziehung hin. Auch hier ist der BaZ kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht vorzuwerfen.
X. moniert zudem, Zihlmann behaupte zu Unrecht, die Ausweisung von M. sei rechtswidrig erfolgt. Der genaue Text lautet: «Das, was jetzt folgte, schien für sie (d. h. Marion, Anm. der Red.) die Bewährungsprobe ihrer Liebe zu sein und auch die böse Frucht des Unrechts der Schweizer Justiz, gegen das sie sich so entschlossen, so vehement und am Ende doch erfolglos während all der verflossenen Jahre gewehrt hatte.» Der Autor schildert hier die Sichtweise Marions (so wie er sie sieht), nicht jedoch seine eigene Einschätzung, noch spricht er von einer rechtswidrigen Ausschaffung. Ziffer 1 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.

Wenn die Beschwerdeführerin schliesslich geltend macht, M. sei in keiner Weise wie im Buch beschrieben der liebevolle und fürsorgliche Vater und auch nicht der liebevolle Partner gewesen, so sei darauf hingewiesen, dass der Presserat nur beurteilen kann, was tatsächlich in einem Medium veröffentlicht wurde, nicht jedoch, was allenfalls an anderer Stelle im Buch, aus welchem der Auszug stammt, steht. Im veröffentlichten und damit für die Beurteilung des Presserats massgebenden Auszug jedenfalls ist von M. als Vater bzw. Partner – ausser der oben zitierten Ausnahme – nicht die Rede.

2. Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt von Journalisten, dass sie keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen. X. sagt, die BaZ habe wichtige Elemente des gegen M. verhängten Strafurteils unterschlagen. Weder aus Ziffer 3 der «Erklärung» noch aus einer anderen Bestimmung des Journalistenkodex leitet sich eine Verpflichtung für Medien ab, vollständig und umfassend über eine Thematik zu berichten. Insofern ist dem Autor nicht zum Vorwurf zu machen, dass er nicht sämtliche Aspekte des Urteils beleuchtet. Für den Presserat ist massgebend, ob der Leser erfährt, dass H. M. in der Schweiz u. a. wegen Vergewaltigung rechtsgültig verurteilt wurde und in der Folge in den Libanon ausgeschafft wurde. Dies ist der Fall, weshalb Ziffer 3 nicht verletzt ist.

3. Ziffer 7 der «Erklärung» hält Journalisten dazu an, die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren. Die Beschwerdeführerin macht nicht die Verletzung der Privatsphäre von Marion und Hassan geltend, sondern diejenige Dritter, mithin der Opfer von H. M. Im massgeblichen, abgedruckten Abschnitt ist von den Opfern der Straftaten nicht die Rede. Dem Presserat liegen keine Angaben dazu vor, ob dies allenfalls im nicht abgedruckten Teil des Buches der Fall ist. Dafür ist der Presserat jedoch – wie erwähnt – nicht zuständig. Ziffer 7 ist somit nicht verletzt.

4. Ziffer 8 verlangt von Journalistinnen und Journalisten, die Menschenwürde zu respektieren. Der Presserat äussert sich nur zur Buchpassage in der BaZ. In diesem Text vermag der Presserat keine offensichtlich diskriminierenden oder gegen die Menschenwürde verstossenden Aussagen zu erkennen.

5. Ziffer 10 der «Erklärung» schliesslich verlangt von Journalisten, dass sie in ihrer beruflichen Tätigkeit jede Form von kommerzieller Werbung vermeiden. Es entspricht gängiger journalistischer Praxis, Buchrezensionen oder gar Auszüge aus Büchern zu veröffentlichen und dabei Titel, Autor, Verlag und Preis anzugeben. Dies kann nicht als Werbemassnahme gewertet werden und ist nicht zu beanstanden. Soweit die Beschwerdeführerin die Verbreitung des BaZ-Artikels in den sozialen Medien durch Dritte rügt, weist der Presserat darauf hin, dass er für diese Rüge nicht zuständig ist.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Artikel «Wahre Geschichte über Leben und Tod» vom 17. Oktober 2016 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen), 7 (Privatsphäre), 8 (Menschenwürde, Opferschutz) und 10 (Werbeverbot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.