Zusammenfassung
Dürfen Zitate in einem anderen als dem von ihrem Urheber beabsichtigten Zusammenhang verwendet werden? Wenn damit der Sinn verändert wird, den der Zitierte seiner Aussage ursprünglich geben wollte, stellt dies einen Verstoss gegen die journalistische Ethik dar, urteilte jetzt der Schweizer Presserat.
In der «Republik» hatte Christof Moser, heute Chefredaktor des Online-Magazins, am 5. November 2018 ein Zitat des «Weltwoche»-Autors Alex Baur verwendet, das – gekürzt und leicht bearbeitet – dem Chefredaktor der «Weltwoche» eine Fehlinformation mit antisemitischem Inhalt anzulasten schien. Baur beschwerte sich, er habe in der zitierten Passage nicht seinen Chef Roger Köppel gemeint, sondern Antisemiten in Südamerika und Osteuropa; so habe er dies in seinem Original-Beitrag auch unmissverständlich formuliert.
Dadurch, dass die «Republik» Baurs Zitat in einen Schweizer Kontext eingebettet habe, sei jedoch der Eindruck entstanden, er trete als Kronzeuge gegen seinen Vorgesetzten und Herausgeber auf. Der Schweizer Presserat gab Baur jetzt recht: Zwar habe die «Republik» mit dieser Zitierweise nicht die Wahrheitspflicht verletzt, aber in der Wahrnehmung unbefangener Leser einen Eindruck erweckt, der nicht der Wirklichkeit entspricht.
Zentraler Bestandteil des journalistischen Handwerks ist die Wiedergabe gesprochener oder geschriebener Sätze. Ein Zitat darf zwar durchaus gekürzt und zur Verdeutlichung des Gesagten sogar umgestellt werden. In der Presserats-Erklärung der Pflichten und Rechte von Journalisten heisst es aber unter Ziffer 3: «… Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen …». Gegen diese Regel hat die «Republik» verstossen.
Résumé
Les citations peuvent-elles être utilisées dans un autre contexte? Lorsque le sens que leur auteur voulait à l’origine leur donner en est modifié, le détournement porte atteinte à l’éthique journalistique, estime le Conseil suisse de la presse.
Christof Moser, aujourd’hui rédacteur en chef du magazine en ligne «Republik», s’était servi le 5 novembre 2018 d’une citation d’Alex Baur, un des journalistes de la «Weltwoche», qui – tronquée et légèrement remaniée – semblait porter au crédit du rédacteur en chef de la «Weltwoche» une information erronée au contenu antisémite. Alex Baur s’est plaint auprès du Conseil de la presse en invoquant que le passage cité ne visait pas son chef, Roger Köppel, mais des antisémites d’Amérique latine et d’Europe de l’Est; il l’avait aussi formulé sans équivoque dans l’article original.
Le fait que «Republik» ait replacé la citation d’Alex Baur dans un contexte suisse a donné l’impression qu’il se présentait comme témoin clé contre son supérieur et l’éditeur de son journal. Le Conseil suisse de la presse a donné raison à Alex Baur: si «Republik» n’a pas violé son devoir de vérité par sa manière de citer Alex Baur, il a pu susciter, chez les lecteurs inattentifs, une impression ne correspondant pas à la réalité.
Un aspect essentiel du métier de journaliste consiste à reproduire des phrases qui ont été prononcées oralement ou publiées par écrit. Une citation peut tout à fait être raccourcie, voire remaniée dans le but d’expliciter son contenu. La «Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste» du Conseil de la presse indique cependant clairement, au chiffre 3, que le/la journaliste tient pour son devoir essentiel de «…ne pas supprimer des informations ou des éléments d’information essentiels; ne dénaturer aucun texte, document, image et son, ni l’opinion d’autrui…»
«Republik» a porté atteinte à cette règle.
Riassunto
Può una citazione essere utilizzata fuori dal contesto in cui la situava l’autore? Se muta il senso originale, poiché differente era il contesto in cui la situava l’autore, si è di fronte a un abuso eticamente sensibile, secondo il Consiglio svizzero della stampa.
Nell’edizione del 5 novembre 2018 del sito «Republik», l’attuale caporedattrore di Online-Magazine Christof Moser, aveva utilizzato – con piccole modifiche e qualche taglio – un testo in cui Alex Baur, collaboratore della «Weltwoche», pareva addebitare al direttore del periodico di un’informazione errata dal senso vagamente antisemita. Nel reclamo rivolto al Consiglio della stampa, Alex Baur fa notare che egli non intendeva alludere a Roger Köppel ma a circoli antisemiti del Sudamerica e dell’Europa orientale. Era evidente a chi fosse rivolta la critica!
Spostando alla scena svizzera il contesto della critica, l’impressione destata nel lettore era che vi fosse un contrasto tra lui, Baur, e il suo direttore ed editore. Così l’ha intesa anche il Consiglio della stampa, che nella Presa di posizione ora pubblicata contesta a «Republik» di aver destato nel lettore non prevenuto un’impressione falsa.
Il riutilizzo di elementi detti o scritti altrui è un esercizio comune alla pratica giornalistica. Una citazione può essere accorciata e il senso stesso diversamente applicato. Ma alla Cifra 3 delle Direttive che applicano la «Dichiarazione dei doveri e dei diritti del giornalista» si legge: «(il giornalista) non omette informazioni, o elementi d’informazione, importanti; non deforma testi, documenti, immagini, suoni, oppure opinioni espresse da altri». È contro questa regola che ha operato «Republik».
I. Sachverhalt
A. Am 5. November 2018 veröffentlichte das digitale Magazin «Republik» den Beitrag «Welcome to Switzerland, Mr Soros!». Der Lead lautete: «Wie Rhetorik und Feindbilder der globalen Rechten in den Abstimmungskampf um die SVP-Selbstbestimmungsinitiative einsickern – die Nachverfolgung einer Fake-Nachricht.» Autor Christof Moser beschreibt darin, wie eine polemische Behauptung mit frei erfundenem Kern («Fake news») und tendenziell antisemitischem Subtext aus zweifelhaften Internetmedien bis in die Schweizer Qualitätspresse gelangen konnte.
Moser geht in seiner Recherche einer These nach, gemäss der die politische Bewegung «Operation Libero», die in der Schweiz wiederholt erfolgreich gegen rechtspopulistische Abstimmungskampagnen mobilisiert hat, vom Ausland finanziert werde – namentlich durch die zweitgrösste Stiftungsgruppe der USA, die «Open Society Foundations» des jüdischen Philanthropen George Soros, der einen Grossteil seines Milliardenvermögens in diese Organisation eingebracht haben soll.
Moser erklärt in seinem Text, wie das Klischee vom gewissenlosen, unvorstellbar reichen Spekulanten, der über linksgestrickte internationale Netzwerke im Hintergrund die Fäden zieht, um national gesinnte Kräfte zu schwächen, als Chiffre verwendet wird, Medieninhalte mit antisemitischen Bedeutungen aufzuladen. «Dog whistle politics» nenne man diese codierte Kommunikationsform in den USA, sie sei so etwas wie eine Geheimsprache: Rechtsextreme und Rassisten könnten – wie nur Hunde die hohen Töne einer Hundepfeife vernehmen – solche verborgenen Botschaften in Politikerreden oder Medienbeiträgen entschlüsseln, ohne dass dabei explizit das Wort von der «jüdischen Weltverschwörung» zu fallen brauche.
Moser nimmt Bezug auf das am 25. Oktober 2018 in der «Weltwoche» erschienene Editorial von Chefredaktor Roger Köppel zum Abstimmungskampf um die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP), in welchem dieser behauptet hatte: «Noch hat die SVP es nicht geschafft, ihre Hauptbotschaft für die Selbstbestimmungsinitiative durchzubringen. Die Lufthoheit haben Wirtschaftsdachverbände, Mitte-links-Parteien oder aus dem Ausland gepushte Gruppen wie die Operation Libero, deren Vorsitzende Flavia Kleiner mitschwimmt im internationalen Netzwerk des amerikanischen Linksaktivisten George Soros.» Moser stellt dieser Passage das Zitat aus einem weiteren «Weltwoche»-Beitrag entgegen, der in der folgenden Ausgabe am 1. November 2018 erschienen war, verfasst von Alex Baur, welcher dort festgestellt hatte: «Die mit antisemitischen Stereotypen angereicherte Verschwörungstheorie ergibt wenig Sinn.» «Republik»-Autor Moser kommt zum Schluss, das judenfeindliche Zündeln für den politischen Zweck sei nicht nur in den USA zurück oder in Ungarn, sondern auch in der Schweizer Politik. Deshalb lohne es sich, die Karriere dieser Fake-Botschaft aus den sozialen Netzwerken hinein ins Editorial der «Weltwoche» genau nachzuzeichnen. Es folgten die Ergebnisse von Mosers eigentlicher Recherche. Daraus geht hervor, welchen Weg der unbewiesene Vorwurf einer Unterstützung der Operation Libero durch ausländische Kräfte innert weniger Wochen zurückgelegt hat.
B. Am 22. November 2018 reichte Alex Baur beim Schweizer Presserat gegen diesen Artikel Beschwerde ein. Er macht geltend, Moser geissle den Satz von Köppel über die Verbindungen zwischen Operation Libero und Soros als antisemitische Verschwörungstheorie, die über obskure Kanäle in die «Weltwoche» gefunden habe, was die «Weltwoche» sogar selbst einräume. Als Beleg bediene sich Moser eines Zitats aus seinem, Baurs, Artikel vom 1. November 2018. Dass es sich bei diesem Satz um ein Zitat handle, ergebe sich aus der optischen Darstellung (Hervorhebung, Schriftbild) sowie durch die Nennung seines Namens mit Datumsangabe. Moser zitiere ihn aber falsch, indem er aus einem Halbsatz einen ganzen mache und zu diesem Zweck ein Wort umstelle und ein anderes weglasse. Ursprünglich habe sein Text gelautet: «In Lateinamerika und in Osteuropa ist die Meinung weit verbreitet, der ‹heimatlose Jude› George Soros würde die Krisen, denen er sein gigantisches Vermögen zu verdanken hat, bewusst provozieren. In Anbetracht der Tatsache, dass der Tycoon fast sein ganzes Vermögen seinen Stiftungen vermacht hat, ergibt die mit antisemitischen Stereotypen angereicherte Verschwörungstheorie allerdings wenig Sinn. …») Moser habe das verkürzt zu: «Die mit antisemitischen Stereotypen angereicherte Verschwörungstheorie ergibt wenig Sinn. Alex Baur, Weltwoche, 01.11.2018» (Anführungszeichen vom Presserat).
Moser reisse damit das bereits verfälschte Zitat auch noch aus seinem Kontext und konstruiere einen Zusammenhang, der in einem diametralen Widerspruch zu seiner, intendierten Aussage stehe. Die von Moser zitierte «mit antisemitischen Stereotypen angereicherte Verschwörungstheorie» beziehe sich ganz klar auf den vorhergehenden Satz seines Artikels, also auf die in Lateinamerika und Osteuropa (aber nicht in der Schweiz) verbreitete Meinung, wonach der «heimatlose Jude» Soros mit seinem Engagement bewusst die Krisen provoziere, mit denen er ein Vermögen gemacht habe. Mit dem von Moser aus dem Zitat eliminierten einleitenden Halbsatz «In Anbetracht der Tatsache» hebe er, Baur, diesen inhaltlichen Bezug sogar hervor und erkläre, warum diese Verschwörungstheorie wenig Sinn ergebe. In der aktuellen Debatte um die Selbstbestimmungsinitiative seien die jüdischen Wurzeln von Soros – ausser in seinem Artikel – nie ein Thema gewesen. Moser habe das Zitat mutwillig verfälscht; hätte er seine, Baurs Aussage richtig wiedergegeben, wäre dem Leser sofort klar geworden, dass sich sein Vorwurf der «antisemitischen Verschwörungstheorie» auf einen ganz anderen Zusammenhang bezogen habe. Seine Aussage habe klar weder auf Köppel noch auf die Soros-Kleiner-Connection noch auf «internationale Netzwerke» Bezug genommen. Das von Christof Moser verfälschte und in einen falschen Zusammenhang gestellte Zitat könne man nicht anders verstehen, als dass er, Baur, Köppel vorwerfe, eine antisemitische Verschwörungstheorie zu verbreiten. Moser erhebe ihn mit dieser Verfälschung zum (einzigen) Kronzeugen für seine These, wonach sich hinter der Kleiner-Soros-Debatte eine antisemitische Verschwörungstheorie verstecke. Moser habe mit dem verfälschten Zitat gegen die Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verstossen.
C. Am 12. Dezember 2018 nahm die damalige Chefredaktorin der «Republik», Sylke Gruhnwald, zur Beschwerde Stellung. Sie hebt hervor, Baurs Darstellung, der Artikel erhebe gegen Roger Köppel den Vorwurf, antisemitische Verschwörungstheorien zu verbreiten, treffe nicht zu. Vielmehr lege der Artikel dar, wie von Köppel verwendete Begriffe in einem seiner Editoriale geeignet seien, als sogenannte Dog whistle-Botschaften verstanden zu werden. Er lasse offen, ob dies von Köppel beabsichtigt war oder nicht. Dog whistle-Botschaften seien codierte Aussagen, die ermöglichten, gesellschaftlich inakzeptable Botschaften zu verbreiten, die von einem spezifischen Publikum verstanden würden. Köppel selbst habe im Artikel Stellung nehmen können; er werde mit der Aussage zitiert, er habe bloss einen Sachverhalt dargelegt. Damit könne die Beschwerde bereits aufgrund der Prämisse nicht zutreffen.
Zu Baurs Vorwurf, sein Zitat («Die mit antisemitischen Stereotypen angereicherte Verschwörungstheorie ergibt wenig Sinn») sei aus dem Kontext gerissen, weil es insinuiere, mit besagtem Zitat räume die «Weltwoche» als mehr oder weniger direkte Reaktion auf Köppels Editorial ein, antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet zu haben, hält die «Republik» fest, dies sei nicht nur falsch, weil Köppel nicht vorgeworfen werde, eindeutig antisemitisch gehandelt zu haben, sondern die schlechtestmögliche Interpretation der Tatsache, dass eine Woche nach Köppels Editorial die «Weltwoche» in einem ausführlich recherchierten Artikel des Beschwerdeführers bemerkt habe, dass es keine Belege dafür gebe, dass Soros verdeckt Organisationen finanziere, ein Linker sei oder internationale Netzwerke unterhalte. Wenn überhaupt, könnte die zitierte Stelle aus Baurs Artikel als Korrektur von Unfug verstanden werden; Unfug, der geeignet sei, antisemitische Stereotypen zu bedienen. Dass der Artikel von Baur eine Replik auf Köppel gewesen sein soll, Köppel widerlegen sollte oder Köppel gar die Verbreitung antisemitischer Stereotypen vorwerfe, behaupte Moser dagegen mit keinem Wort.
Zum Vorwurf, das Zitat sei aus dem Kontext gerissen, weil es sich explizit nur auf «Lateinamerika und Osteuropa» beziehe, hält die «Republik» fest, der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Kontext des Zitats in seinem Artikel treffe zu. Doch lasse sich daraus nicht einleuchtend ableiten, dass sein Zitat verfälscht wiedergegeben worden sei. Mosers Artikel zeichne nach, wie die Kombination von Personen («Soros»), Begriffen («Netzwerk») und unbelegten bis nachweislich falschen Behauptungen («vom Ausland gepusht») geeignet seien, als antisemitischer Code verstanden zu werden, sich weltweit verbreite und inzwischen auch in der Schweiz angekommen sei. Warum die Kombination von Personen, Begriffen und unbelegten bis falschen Behauptungen nur in Lateinamerika und Osteuropa als antisemitische Stereotypen und Verschwörungstheorien verstanden werden können sollen, in anderen Ländern wie in der Schweiz hingegen nicht, entbehre jeder Logik. Die Thematisierung des weltumspannenden Siegeszugs dieses Phänomens und sein Auftauchen in der Schweiz sei ja gerade Kern des beanstandeten Artikels.
Abschliessend hält die «Republik» fest, dass der Artikel auch ohne das Zitat aus dem Artikel des Beschwerdeführers problemlos und ohne Substanzverlust hätte publiziert werden können. Auch dies widerlege den Kern der Beschwerde, Baur werde als «Kronzeuge» missbraucht. Vielmehr sei es Autor Moser nichts als fair erschienen, darauf hinzuweisen, dass sich eine Woche nach Köppels Editorial und vier Tage vor Publikation des beanstandeten «Republik»-Artikels der Beschwerdeführer in seiner Funktion als «Weltwoche»-Journalist in einem ausführlichen, recherchierten Artikel mit den Verschwörungstheorien um Soros befasst habe, die zu den weitgehend gleichen Schlüssen kam wie der «Republik»-Autor. Dies umso mehr, als Baurs Ausgangspunkt ebenfalls der im Internet kursierende Vorwurf gegen «Operation Libero» war, die Organisation werde von Soros finanziert. Die positive Feststellung, dass auch Baur als recherchierender Journalist zum Schluss gekommen sei, für diese Behauptung liessen sich keinerlei Belege finden und die weltweit umlaufenden Verschwörungstheorien um Soros seien nicht stichhaltig, interpretiere die Beschwerde maximal möglich negativ.
D. Am 24. April 2019 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde der 1. Kammer des Presserates zugewiesen, bestehend aus Francesca Snider (Präsidentin), Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini und Casper Selg. Dennis Bühler, Bundeshaus-Autor der «Republik», trat von sich aus in den Ausstand.
E. Die 1. Kammer hat die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 24. Juni 2019 sowie am 14. Mai 2020 und auf dem Korrespondenzweg behandelt.
II. Erwägungen
1. Den Kernpunkt der Beschwerde bildet der Vorwurf von Alex Baur, die «Republik» habe ihn in ihrem Beitrag vom 5. November 2018 falsch zitiert. Er macht geltend, mit dem verfälschten Zitat habe die «Republik» gegen Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung» verstossen. Demgegenüber stellt sich die «Republik» auf den Standpunkt, der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Kontext des Zitats in seinem Artikel treffe zwar zu, doch lasse sich daraus nicht einleuchtend ableiten, Baurs Zitat sei verfälscht wiedergegeben worden. Warum die Kombination von Personen, Begriffen und unbelegten Behauptungen, die geeignet seien, als antisemitische Stereotypen und Verschwörungstheorien verstanden zu werden, nur in Lateinamerika und Osteuropa als solche verstanden werden können sollen, in anderen Ländern wie der Schweiz hingegen nicht, entbehre jeder Logik. Die Thematisierung dieses Phänomens und sein Auftauchen in der Schweiz sei ja gerade Kern des beanstandeten Artikels.
Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, sich an die Wahrheit zu halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren.
Die Passage in der «Weltwoche», aus der Moser zitiert, hat im Original («Soros und die Zivilgesellen», 1. November 2018) den folgenden Wortlaut:
«In Lateinamerika und in Osteuropa ist die Meinung weit verbreitet, der ‹heimatlose Jude› George Soros würde die Krisen, denen er sein gigantisches Vermögen zu verdanken hat, bewusst provozieren. In Anbetracht der Tatsache, dass der Tycoon fast sein ganzes Vermögen seinen Stiftungen vermacht hat, ergibt die mit antisemitischen Stereotypen angereicherte Verschwörungstheorie allerdings wenig Sinn. Man kann das Phänomen Soros auch als Ausdruck einer postmodernen Beliebigkeit deuten, in der das Prädikat ‹liberal› das eine oder auch das Gegenteil davon bedeuten kann.»
Im Beitrag der «Republik» «Welcome to Switzerland, Mr Soros!» lautet der massgebende Abschnitt:
«George Soros ist inzwischen auch in der Schweiz als Wurzel allen Übels in den sozialen Netzwerken angekommen. Und der Unfug, der verbreitet wird, wäre keine Zeile wert, würde ihn nicht auch die ‹Weltwoche› verbreiten:
Noch hat die SVP es nicht geschafft, ihre Hauptbotschaft für die Selbstbestimmungsinitiative durchzubringen. Die Lufthoheit haben Wirtschaftsdachverbände, Mitte-links-Parteien oder aus dem Ausland gepushte Gruppen wie die Operation Libero, deren Vorsitzende Flavia Kleiner mitschwimmt im internationalen Netzwerk des amerikanischen Linksaktivisten George Soros.
Roger Köppel, Weltwoche-Editorial, 25.10.2018
Vom Ausland gepushte Gruppe? An diesem Vorwurf gegen die Operation Libero ist – um es vorwegzunehmen – nichts dran. Linksaktivist? Soros’ ideologischer Ziehvater und Inspirator für die open society ist Karl Popper, das Idol der Liberalen. Selbst sein ‹internationales Netzwerk› gibt es nicht, obwohl rechte und linke Verschwörungstheoretiker das gerne behaupten.
Was eine Woche später auch die ‹Weltwoche› bemerkt:
Die mit antisemitischen Stereotypen angereicherte Verschwörungstheorie ergibt wenig Sinn.
Alex Baur, Weltwoche, 01.11.2018
Das judenfeindliche Zündeln für den politischen Zweck – es ist nicht nur in den USA zurück. Oder in Ungarn. Es ist auch zurück in der Schweizer Politik. (…)»
Die «Republik» verwendet von Baurs Passage lediglich einen Teil – der 1. Halbsatz wird gestrichen. Zudem variiert sie den Wortlaut geringfügig. Laut Praxis des Presserats dürfen wörtliche Zitate im Lauftext verknappt, verdichtet, zur besseren Verständlichkeit sogar in mehrere Elemente zerlegt werden, sofern die inhaltliche Aussage unverändert bleibt (Stellungnahme 30/2008). Die Worte eines Zitierten dürfen jedoch keinesfalls in einen sinnverändernden Kontext eingebettet werden, schon gar nicht diesen neuen Zusammenhang erst eigentlich erzeugen. Ob letzteres der Fall war, ist unten in Erwägung 2 zu prüfen. Vor dem Hintergrund von Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) hält der Presserat fest, dass die «Republik» Alex Baur zwar handwerklich unsauber zitiert hat (s. u. 2.). Das Zitat wird jedoch durch die Kürzung und leichte Variation des Wortlauts nicht verfälscht, denn es übernimmt die Hauptaussage Baurs, die Verschwörungstheorie, wonach Soros aus finanziellem Eigennutz Krisen provoziere, ergebe angesichts von dessen Umgang mit seinen Gewinnen wenig Sinn. Ziffer 1 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.
2. Die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) präzisiert, dass Ziffer 1 der «Erklärung» mit den Ziffern 3, 4 und 5 ergänzt wird in Bezug auf die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten (Text, Ton und Bild), die Überprüfung und die allfällige Berichtigung.
Wie oben erwähnt ist ein Zitat immer auch im Kontext, in dem es ursprünglich stand, zu beurteilen. Der Schweizer Presserat betont denn auch in seinen Stellungnahmen seit jeher, dass es bei Beschwerdefällen im Zusammenhang mit den genannten Ziffern der «Erklärung» wesentlich ist, welches Gesamtbild durch einen Text im Kopf des unbefangenen Lesers entsteht. Weicht dieser Eindruck zu stark von der Wirklichkeit ab und erhält der Medienkonsument aufgrund dessen ein falsches Bild vom Gesagten oder Geschehenen, liegt gemäss ständiger Spruchpraxis des Presserats eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» vor (vgl. Entscheide 19/2020, 4/2012, 67/2004).
Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt von Journalisten, keine wichtigen Elemente von Informationen zu unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen zu entstellen. Vor diesem Hintergrund fragt sich im vorliegenden Fall, ob Moser die Worte des Zitierten in einen sinnverändernden Kontext eingebettet hat. Genau dies macht der Beschwerdeführer geltend, wenn er ausführt, die in seiner Analyse erwähnte, «mit antisemitischen Stereotypen angereicherte(n) Verschwörungstheorie» sei schlicht falsch zugeordnet. Er habe sie «ganz klar auf den vorhergehenden Satz meines Artikels, also auf die in Lateinamerika und Osteuropa weit verbreitete Meinung» bezogen, «wonach der ‹heimatlose Jude› Soros mit seinem Engagement bewusst die Krisen provoziere, mit denen er ein Vermögen machte».
Der Presserat hat diese Frage kontrovers diskutiert. Er kommt zum Schluss, dass die «Republik» zwar in der Hauptsache (Charakterisierung Soros) richtig zitiert hat, aber unter dem Zwischentitel «Antisemitische Stereotype» eine Passage aus der «Weltwoche» verkürzt wiedergibt, die hinsichtlich des Bildes vom «heimatlosen Juden» Soros den ausdrücklichen Bezug auf Lateinamerika und Osteuropa enthalten hatte. Diesen Bezug lässt der Autor der «Republik» im fraglichen Zitat weg, womit ein falscher Eindruck darüber entstehen kann, wo Baur – allenfalls – antisemitische Stereotype verortet (möglicherweise auch in der Schweiz). Diese Auslassung erfolgt, ohne dass sie benannt, zumindest aber signalisiert wird. Es fehlen Anführungs-, Abführungszeichen für das direkte Zitat, vor allem aber fehlt die Kennzeichnung einer Auslassung. Mit dieser ungenügenden Zitierweise hat die «Republik» eine wesentliche Information unterschlagen und somit Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt. Der Presserat hält dabei fest, dass bei einem so heiklen Thema wie dem Vorwurf des Antisemitismus besondere Vorsicht beim Umgang mit zitiertem Material angebracht ist, weil andernfalls leicht ein falscher Eindruck entstehen kann.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Mit dem Beitrag «Welcome to Switzerland, Mr Soros!» vom 5. November 2018 hat das Online-Magazin «Republik» gegen Ziffer 3 (Unterschlagen von wichtigen Informationselementen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen, indem es ein Zitat des «Weltwoche»-Autors Alex Baur in einen anderen als den ursprünglichen Zusammenhang stellte, ohne die Auslassung für die Leserschaft deutlich zu machen.
3. Die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit) wurde nicht verletzt.